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Presse

Datum:
19.12.2000

Zeitung:
Berliner Zeitung

Titel:
Zwei Jahre Haft auf Bewährung für den Kronzeugen

Zwei Jahre Haft auf Bewährung für den Kronzeugen

Erstes Urteil im Prozess gegen ein Mitglied der "Revolutionären Zellen"

Mit einer Überraschung hat niemand gerechnet. Punkt 13 Uhr verkündet der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich am Montag das Urteil. Tarek Mousli, zehn Jahre lang Mitglied der "Revolutionären Zellen" (RZ), erhält wegen seiner Beteiligung an Terroranschlägen zwei Jahre Haft auf Bewährung. Wohin Mousli nach Ende des Prozesses geht, ist nicht bekannt. Er lebt an einem geheimen Ort, von Personenschützern bewacht. Der 41-jährige Karatelehrer ist im Zeugenschutzprogramm. Er wird in weiteren Prozessen als Zeuge gebraucht.

Wer aussagt, wird belohnt

Das Urteil stand eigentlich schon zu Beginn des Prozesses fest. Die Bundesanwälte haben nie einen Hehl daraus gemacht: Wenn Mousli umfassend aussagt, wird er belohnt und kommt mit einer Bewährungsstrafe davon.

Der Prozess dauerte vier Verhandlungstage und verlief ohne juristische Streitigkeiten. Keiner stellte dem Angeklagten unangenehme Fragen. Der Richter war freundlich zu ihm, die Vertreter der Bundesanwaltschaft auch. Sein Verteidiger äußerte sich kaum. Dessen Plädoyer bestand aus einem Satz. "Ich schließe mich den Anträgen der Bundesanwaltschaft an." Nur hinten im Zuschauerraum war es hin und wieder laut. Da wurde gelacht, wenn sich der Richter versprach und die "Revolutionären Zellen" "Rote Zellen" nannte. Da wurde Tarek Mousli als "Schwätzer" und "Verräter" beschimpft. "Kein Deal mit dem Staat" riefen Zuschauer beim Urteil in den Saal und warfen Münzen. Aber so richtig gestört hat es keinen. Der Richter jedenfalls ließ den Saal nicht räumen.

Die Zuschauer in den hinteren Reihen haben Mousli offenbar aus anderen Zeiten gekannt - als er noch aktiv in der linken Szene war. Jetzt arbeitet Mousli mit den Ermittlungsbehörden zusammen. Dank seiner Aussagen konnte die Tätigkeit der terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" weit gehend aufgeklärt werden. Vorher wusste das Bundeskriminalamt nicht, wer sich hinter den "RZ" verbarg.

Auf ihr Konto gingen bundesweit 186 Anschläge, darunter 40 in Berlin. Mousli selbst war maßgeblich an drei Anschlägen beteiligt: Bei dem Attentat auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg im Oktober 1986, auf den damaligen Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, im September 1987 und am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber im Februar 1987. Hollenberg und Korbmacher waren durch Schüsse in die Beine verletzt worden.

Selbst geschossen hat Mousli nicht. Er hat Tatorte und Fluchtwege ausgekundschaftet und den Funkverkehr überwacht. Richter Dietrich sagt, der Angeklagte sei immer gegen gewalttätige Angriffe auf Menschen gewesen.

Der in Beirut geborene Kampfsportlehrer mit deutschem Pass war am 23. November 1999 verhaftet worden. Auf seine Spur kamen die Ermittler durch Sprengstoff, der in seinem Keller gefunden wurde. Zunächst habe Mousli eine Mitgliedschaft bei den "RZ" bestritten, hatte ein Beamter des Bundeskriminalamts ausgesagt. Angesichts der Beweise gegen ihn habe er schließlich über seine Beteiligung geredet, aber keine Namen genannt. Ihm sei dann erklärt worden, dass die Kronzeugenregelung nur greife, wenn er rückhaltlos Auskunft erteilt.

Fahndung nach Tony

Die Kronzeugenregelung, durch die wichtige Zeugen mit Strafmilderung rechnen können, lief am 30. Dezember 1999 aus. Wenige Tage vorher zählte Mousli die Decknamen einstiger "Mitstreiter" auf. Die Ermittler nahmen sechs weitere mutmaßliche "RZ"-Mitglieder fest. Nach einem siebten unter dem Decknamen "Tony" wird gefahndet.

Drei Männer und eine Frau werden im Frühjahr wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor dem Kammergericht stehen. Dann ist Mousli Zeuge. Die Bundesanwaltschaft zweifelt nicht an der Zuverlässigkeit seiner Angaben. Sie seien "klar, widerspruchsfrei, differenziert, das Wissen eines Insiders", hieß es im Plädoyer. Und weiter: "Es ist die Berliner Szene selbst, die wertvolle Hinweise für Mouslis Glaubwürdigkeit liefert." Er werde nicht als Lügner bezeichnet, sagte ein Bundesanwalt. "Man nennt ihn Verräter."

Sabine Deckwerth

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