|
Datum:
18.01.2001
|
Zeitung:
ak - analyse & kritik
|
Titel:
Ein Kronzeuge, der sein Geld wert ist
|
Ein Kronzeuge, der sein Geld wert ist
Vorspiel zum Berliner RZ-Prozess: Tarek Mousli erfüllt die
Erwartungen
"Er arbeitet mit derselben Einsatzbereitschaft und Lockerheit mit
dem Gericht zusammen, mit der er sich früher in der Szene eingebracht
hat", so kommentierte ein Prozessbesucher das Verhalten Tarek Mouslis
vor dem 2. Senat des Berliner Kammergerichts. Dort wurde im Dezember gegen
ihn verhandelt wegen "Mitgliedschaft in der terroristischen
Vereinigung (§129a) ,Revolutionären Zellen (RZ)', des
Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und wegen Verstoßes
gegen das Sprengstoffgesetz". Der Deal mit der Bundesanwaltschaft
(BAW) hat sich für Mousli ausgezahlt: Zwei Jahre Haft auf
Bewährung lautet das Urteil.
Der Prozess gegen Mousli war reine Formsache. Vier Verhandlungstage
dauerte die Vorstellung, deren Ergebnis von vorneherein feststand. Die
Beweisaufnahme beschränkte sich auf das Geständnis des
Angeklagten und das Verlesen von Bekennerschreiben und Texten der RZ. Als
einzige ZeugInnen wurden eine ehemalige Freundin von Mousli und zwei
BKA-Beamte vernommen. Keiner der Prozessbeteiligten stellte dem Angeklagten
unangenehme Fragen. Vielmehr war mit dem Vorsitzenden Richter Eckhart
Dietrich die richtige Besetzung für diese Show gefunden. Fast
väterlich, immer wieder wohlwollend ermunternd, ging er mit Mousli um.
Der befindet sich seit Ende April im Zeugenschutzprogramm des
Bundeskriminalamtes (BKA) und erhält monatlich 2.400 Mark plus
Krankenversicherung, Miete, Telefonkosten und Leihwagen.
Detailliert, ausführlich, unbeteiligt erzählte Mousli
über seinen Werdegang in der autonomen Szene im Westberlin der 80er
und frühen 90er Jahre. Dabei korrigierte er an manchen Punkten seine
Aussagen, die er gegenüber den Vernehmungsbeamten des BKA und der BAW
gemacht hatte. An anderen Stellen holte er weit aus, und erzählte
detailliert, was er über die linke Berliner Szene weiß bzw. zu
wissen vorgab. Widersprüchen und Ungereimtheiten, die dabei zu Tage
traten, wurde nicht nachgegangen - kein Nachfragen, kein Insistieren. Wie
auch - wurde Mousli doch von gleich drei Anwälten verteidigt: den
beiden Bundesanwälten, die formal eigentlich die Anklagevertreter
waren, und seinem Verteidiger. Von ihm selbst war während der vier
Verhandlungstage fast nichts zu vernehmen. Bei seinem Plädoyer
beschränkte er sich auf einen einzigen Satz: "Ich schließe
mich den Anträgen der Bundesanwaltschaft an."
Kaufe Aussage, gebe Strafrabatt
Mehr war von seiner Seite an Einsatz auch nicht notwendig. Schon am
ersten Verhandlungstag hatte der Vorsitzende Richter Eckhart Dietrich das
zu erwartende Strafmaß angekündigt: Das Gericht pflege
"nicht ohne zwingende Gründe über die Strafanträge der
Staatsanwaltschaft hinauszugehen". Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor
klar gemacht, dass sie eine Bewährungsstrafe beantragen würde,
falls Mousli seiner Rolle als Kronzeuge gerecht werde. Den Erwartungen
seitens der BAW entsprach Tarek Mousli in jeder Weise. Bundesanwalt Rainer
Griesbaum war vollauf zufrieden: "Er hat uns Verbindungen gezeigt, von
denen wie bislang überhaupt nichts wussten." (SZ, 7.12.2000) Kein
Wunder, dass Bundesanwalt Christian Monka in seinem Plädoyer zu dem
Schluss kam, an der Zuverlässigkeit der Aussagen von Tarek Mousli
bestehe kein Zweifel. Sie seien "klar widerspruchsfrei, differenziert,
das Wissen eines Insiders". Das Geständnis des Angeklagten sei
von "Schuldeinsicht und Reue geprägt".
Tarek Mousli redet über alles und jeden, selbst Erlebtes und - vor
allem wenn es um die RZ geht - Zugetragenes. Mousli kam Anfang der 80er
Jahre nach Berlin. Über die Hausbesetzerbewegung fand er Anschluss an
die autonomen Zusammenhänge. Dort engagierte er sich in einer
sogenannten Funkgruppe, die eine Art Gegen-Aufklärung betrieb, in dem
sie den Funkverkehr von Polizei, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz
abhörte. Über Mittelsmänner sei man an moderne
Polizei-Funkgeräte gekommen. Ein Kontaktmann bei der Alternativen
Liste habe über den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses
Einsatzpläne der Polizei und andere interne Unterlagen beschafft.
"Ich würde es so formulieren: Wir waren recht gut
informiert", so Mousli. Finanziert wurde die "Funkgruppe"
von einem Gremium, er nennt es "Koordinierungsausschuss", das
beachtliche Geldmengen an legale und illegale Projekte der Kreuzberger
Szene verteilt habe. 10.000 Mark habe jährlich die
"Funkgruppe" erhalten, 100.000 bis 150.000 Mark sollen pro Jahr
an die RZ geflossen sein.
In der detaillierten Schilderung der autonomen Szene in Berlin kommt
offensichtlich das "Insider-Wissen" zum Tragen, von dem
Bundesanwalt Monka in seinem Plädoyer sprach. Und Mousli nennt auch
Namen. So z.B. von denjenigen, die im "Koordinierungsausschuss"
saßen, oder von denen, die am Brandanschlag auf die Berliner Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) der
"RZ-Jugendorganisation Revolutionäre Viren" im Juli 1987
beteiligt waren, bei dem 6.000 Asylakten vernichtet wurden. "Wir
hören alles mit großen Ohren", erklärte Bundesanwalt
Griesbaum und deutete damit an, dass es weitere Ermittlungen in dieser
Sache geben könnte.
Nach eigenen Angaben will Tarek Mousli von 1985 bis 1995 Mitglied der RZ
gewesen sein. Während seiner aktiven Zeit bis 1990 habe es drei
RZ-Regionen gegeben: die Struktur "Pott" im Ruhrgebiet, den
"Norden" mit Zellen in Hamburg und Bremen sowie die
"Insel" Berlin mit zwei Zellen. Die Frankfurter Gruppe habe sich
im Zuge der Proteste gegen die Startbahn West Anfang der 80er Jahre
aufgelöst.
Tarek Mousli - Allzweckwaffe der BAW
Über Gerd Albartus, der im November 1987 im Nahen Osten von
Palästinensern liquidiert wurde, sei er zu den RZ gekommen,
erzählt Mousli. Dessen Ermordung, aber auch die Schusswaffenattentate
auf Harald Hollenberg und Günther Korbmacher, die er nicht
befürwortete - weswegen er als "bürgerlicher Moralist"
kritisiert wurde -, hätten ihn zum Ausstieg bewogen. Erschreckt habe
ihn, wie man sich persönlich in der Stadtguerilla verändere:
"Wir wurden kalt und hart." Offensichtlich bemüht sich
Mousli, seine Rolle bei den RZ als unbedeutend und zweitrangig
darzustellen. Hauptsächlich habe er als Technikexperte gewirkt. Bei
den Knieschussattentaten auf den damaligen Leiter der Berliner
Ausländerbehörde Harald Hollenberg am 28.10.86 und den ehemaligen
für Asylfragen zuständigen Vorsitzenden Richter am
Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher am 1.9.87 sowie bei dem
Sprengstoffanschlag auf die ZSA am 6.2.87 habe er jeweils nur logistische
Zuarbeit geleistet, nämlich Tatorte und Fluchtwege ausgekundschaftet,
Autos beschafft oder den Funkverkehr überwacht. Zwar sagte seine
frühere Lebensgefährtin vor Gericht aus, ihrer Erinnerung nach
habe Mousli ihr erzählt, selbst beim Attentat auf Günter
Korbmacher geschossen zu haben, doch das Gericht folgte der Aussage
Mouslis, der sich im Gegensatz zu früher heute als kleines Licht
darstellt.
Unumwunden gab der mittlerweile pensionierte RZ-Spezialist des BKA
während der Verhandlung zu, dass Mousli während der Vernehmungen
massiv unter Druck gesetzt wurde: "Wir hatten den Eindruck, dass
Mousli zu der einen oder anderen Person noch mehr sagen könnte, und
ihm deutlich gemacht, dass die Kronzeugenregelung nur greift, wenn er
rückhaltlos Angaben zur Sache macht." Das Ergebnis ist bekannt.
Gegen sechs Personen - unter ihnen auch sein "bester Freund"
Lothar Ebke, gegen den zurzeit in Kanada ein Auslieferungsverfahren
läuft - wurde Haftbefehl erlassen. Fünf Leute sitzen in
Untersuchungshaft, vier von ihnen seit über einem Jahr.
Was Mousli über die sechs während seines Prozesses zu
berichten wusste, war nicht sehr konkret. Nach seinen Angaben sei Rudolf
Schindler, der zusammen mit Hans-Joachim Klein bislang in Frankfurt am Main
beim sogenannten OPEC-Verfahren auf der Anklagebank saß, der
Schütze der RZ gewesen. Er habe bei den beiden Berliner
Knieschussattentaten geschossen, ebenso wie bei der Ermordung des
hessischen Wirtschaftsministers Heinz Karry im Mai 1981. Beweisen bzw. mit
eigenen Beobachtung untermauern kann Mousli diese Anschuldigungen nicht.
Das sei ihm so berichtet worden, bzw. habe er bei Erzählungen und
Diskussionen den Eindruck gewonnen, dass dies so gewesen sei, erzählt
Mousli. Vieles was er berichtet, weiß er nur vom Hörensagen.
Für die BAW reicht das aus, um ihn als Zeugen der Anklage in das
Frankfurter OPEC-Verfahren, so geschehen am 30. November, oder in den
anstehenden Berliner RZ-Prozess zu schicken.
Die Ermittlungsbehörden halten wacker an Mousli fest. Ohne ihn, so
der BKA-Spezialist, wäre es nicht möglich gewesen, in Berlin
"irgendeine Person der Mitgliedschaft in den RZ zu bezichtigen".
Angeblich würden sich die Aussagen Mouslis mit Unterlagen der Stasi
über Struktur und Decknamen der RZ in Berlin decken. Auch habe das BKA
erst durch Mouslis Angaben erkannt, dass hinter einer
Urkundenfälschung, für die Harald Glöde Ende der 80er Jahre
verurteilt wurde, eine RZ-Aktion stand. Mit gefälschten
Postsparbüchern hätten die RZ 1987 über 300.000 Mark
erbeutet.
Anscheinend ist sich die BAW mit ihrem Kronzeugen sehr sicher. Doch so
richtig hat sie nichts gegen Axel Haug, Harald Glöde, Matthias
Borgmann und Sabine Eckle in der Hand, gegen die im Frühjahr der
Prozess in Berlin eröffnet werden soll. Das angebliche Sprengstoff-
und Waffendepot im Berliner MehringHof, nach dem bei der zweiten
MehringHof-Durchsuchung im Mai letzten Jahres sogar per Videostandleitung
unter direkter Anleitung von Mousli gesucht wurde, gibt es z.B. nicht. Nun
meint die BAW die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen dadurch retten zu
können, dass im Sommer 1999 4,8 kg Sprengstoff in einem Wassergraben,
zu dem Mousli sie geführt hat, gefunden wurde. Aber ist das ein
Beweis, der die Anschuldigungen gegen die anderen Beschuldigten
erhärten könnte, hat doch Mousli - nach eigenen Angaben - den
Sprengstoff selbst dort versenkt?
Wo nichts ist, da muss man wenigsten versuchen, den Eindruck zu
erwecken, als hätte man viel in der Hand. Und so ist sich Bundesanwalt
Monka auch nicht zu schade, selbst die Hilfe der Berliner Szene
in Anspruch zu nehmen: "Es ist die Berliner Szene selbst, die
wertvolle Hinweise auf Mouslis Glaubwürdigkeit liefert." Er werde
ja nicht als Lügner bezeichnet, sondern als Verräter. (Berliner
Zeitung, 19.12.2000) Sein Kollege Griesbaum argumentiert mit der gleichen
seltsamen Logik: "Wenn nur Lügen erzählt worden
wären", wäre es wohl nicht zu Anfeindungen aus dem Publikum
während des Prozesses gekommen. (FR, 7.12.2000)
Alles in allem ist die BAW wohl mit dem Prozessverlauf zufrieden.
Wolfgang Kaleck, der Anwalt von Matthias Borgmann, hatte schon im Vorfeld
des Prozesses darauf hingewiesen, um was es der BAW dabei ging. Dadurch,
dass Mousli nun abgeurteilt ist, sollen Fakten gegen die anderen
Beschuldigten geschaffen werden. "Mouslis Aussagen können
ungeprüft in ein erstes Urteil einfließen, weil niemand da ist,
der kritische Fragen stellt." Zwar hatten sich die Anwälte der
anderen Beschuldigten bemüht, ein Befragungsrecht auch im Prozess
gegen Mousli zu erhalten, doch dies wurde vom 2. Senat des Kammergerichts
abgelehnt. So ist es der BAW auch gelungen, ohne kritisches Nachfragen ein
Konstrukt vor Gericht durchzusetzen, das ihr im anstehenden Berliner
RZ-Prozess sehr nützlich sein wird. Tarek Mousli war nach eigenen
Angaben bis 1990 in den RZ aktiv, danach soll er bis 1995 ein so genannter
"Schläfer" gewesen sein, der für unterstützende
Tätigkeiten zur Verfügung stand. Seine aktive Mitgliedschaft
endete also nach seinen eigenen Angaben 1990, gleichwohl wurde er für
die Mitgliedschaft bis 1995 verurteilt.
Was nicht ist, muss man erfinden
Damit hat das Gericht ein Konstrukt sanktioniert, das es beim
anstehenden RZ-Prozess unter Umständen nicht mehr notwendig macht,
konkret nachzuweisen, was die anderen Beschuldigten getan haben, um den
Vorwurf der Mitgliedschaft nach §129a zu erhärten. Letztendlich
ist damit auch der erklärte Ausstieg kein Hinderungsgrund mehr
für eine Verurteilung nach §129a, denn es reicht aus, dass
irgendjemand behauptet, der Ausgestiegene habe sich auch danach für
Unterstützungsaktionen bereit gehalten. Die BAW führt jetzt also
auch noch die Mitgliedslisten, aus denen sie nach Gutdünken Mitglieder
streicht oder hinzufügt - ganz so, wie es ihr passt.
|