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Datum:
31.05.2000
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Zeitung:
Der Tagesspiegel
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Titel:
Durchsuchung im Mehringhof
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Durchsuchung im Mehringhof - Über Video wurde der Kronzeuge
zugeschaltet
Selten verlief eine Durchsuchung in einem Terrorismus-Verfahren
so ruhig wie dieses Mal. Gestern kurz nach 10 Uhr war die Bundesanwaltschaft
beim Anwalt des Mehringhofs vorstellig geworden, um das linke Kulturzentrum
in Kreuzberg erneut nach Sprengstoff zu durchsuchen. Die Geschäftsführung
des Mehringhofs und der ermittelnde Bundesanwalt Rainer Griesbaum
einigten sich schließlich, eine Hand voll Beamte des Bundeskriminalamts
(BKA) ohne größere Komplikationen an die Arbeit zu lassen.
Bei der ersten Durchsuchung im Dezember hatten die Ermittler noch
mit 1 000 Beamten, darunter der GSG 9, den Mehringhof gestürmt
und Schäden in Höhe von 100 000 Mark angerichtet. Wie
schon bei der ersten Razzia suchte die Bundesanwaltschaft auch gestern
nach Sprengstoff, den die linksradikalen "Revolutionären
Zellen" (RZ) benutzt haben sollen.
Hintergrund des Verfahrens sind die Aussagen eines ehemaligen
Anhängers der linken Szene, der nach eigenen Angaben in den 80er
Jahren Mitglied der "Revolutionären Zellen" war. Der
40-jährige Tarek Mousli hatte bei seiner Festnahme im November
vergangenen Jahres ausgesagt, weitere angebliche Mitglieder der RZ
hätten ein Depot mit Waffen und Sprengstoff im Mehringhof unterhalten.
Mousli gilt mittlerweile als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft. Die
groß angelegte Durchsuchung des linken Projekts im Dezember war
allerdings ergebnislos verlaufen. Zurzeit sitzen neben Mousli noch sechs
weitere Personen in Haft, die verdächtigt werden, an
RZ-Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.
Bei der gestrigen Suche probierte die Bundesanwaltschaft ein Novum:
Erstmals waren die ermittelnden Beamten im Mehringhof per ISDN live mit dem
Kronzeugen verbunden. Auf einem Monitor in einem Transporter konnten die
Polizisten Mousli sehen, der, in einen schwarzen Pullover gekleidet und
neben einem Polizisten sitzend, die Beamten dirigierte. Eine digitale
Kamera lieferte ihm die Bilder aus dem Mehringhof; über Handy gab er
seine Anweisungen: "Weiter ... mehr nach rechts ... stopp."
Sprengstoffexperten untersuchten einen Fahrstuhlschacht gegenüber der
Szene-Kneipe "EX" sowie zwei angrenzende Lagerräume. Drei in
weiße und blaue Plastikoveralls gekleidete Spezialisten nahmen
Bodenspuren, flexten eine Luke auf und nahmen einen Müllsack sowie
einen Staubsaugerbeutel mit. Waffen oder Sprengstoff fanden die Fahnder
auch diesmal nicht; allerdings erhofft sich die Bundesanwaltschaft aus der
Laboruntersuchung Rückschlüsse darauf, ob im Mehringhof eventuell
früher Explosivmittel gelagert worden sein könnten. Die
Durchsuchung endete gegen 12.45 Uhr.
Erst vor einigen Tagen hatte die Polizei in Kanada einen ausgewanderten
Berliner festgenommen, der ebenfalls RZ-Mitglied gewesen sein soll.
Vor rund vier Wochen ließ die Bundesanwaltschaft zudem den
51-jährigen Matthias B. verhaften, der von Mousli beschuldigt
wird, ebenfalls an RZ-Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.
B. ist ein hochrangiger Angestellter der Technischen Universität;
er leitet das Akademische Auslandsamt der TU und saß im Kuratorium
der Uni. Er befindet sich seit seiner Verhaftung in Untersuchungshaft.
Bereits Ende vergangenen Jahres hatte die Polizei Axel H., Harald
G., Sabine E. und Rudolf S. inhaftiert.
Holger Stark
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