Datum:
31.5.2000
|
Zeitung:
tageszeitung
|
Titel:
Statt massivem Polizeischutz
|
Statt massivem Polizeischutz
Eine bundesweite Premiere: Die Online-Video-Durchsuchung im
Mehringhof
Für die Bundesanwaltschaft (BAW) in Karlsruhe war es eine
Premiere - und wer Sicherheitsexperten fragt, ob es das schon einmal
in Deutschland gegeben habe, erhält die Antwort: "Meines
Wissens nicht." Bei der Durchsuchung des Kreuzberger Szeneprojekts
Mehringhof nahm die Polizei gestern Räume des Gebäudekomplexes
per Video auf und übertrug die Daten online an den Hauptbelastungszeugen,
der die Polizeifilmer per Kopfhörer lenkte.
So neu ist diese Technik, dass die BAW-Pressesprecherin Frauke Schulten
keinen Namen für diese Ermittlungsmethode hat. Es sei eben eine
"Lenkung der Durchsuchungskräfte" durch "einen
Dritten". Diese Lenkung werde aus Gründen der "Vereinfachung
und Praktikabilität" eingesetzt. Die Aufnahmen dienten als
"interne Arbeitsgrundlage" für die Polizei. Deshalb
müssten sie im Unterschied zu anderen Polizeidaten auch nicht nach
einer gewissen Zeit gelöscht werden. Rechtlich gesehen, so Schulten,
sei diese Art von Durchsuchung nichts Besonderes. Vor zwanzig Jahren habe
man diese Art von Computertechnik eben noch nicht gehabt.
Ganz so problemlos sieht das Norbert Pütter nicht. Pütter ist
Mitarbeiter des polizeikritischen Magazin "Cilip. Bürgerrechte
und Polizei", das unter dem Dach der Politologen der Freien
Universität produziert wird. Seiner Ansicht nach ist diese
Durchsuchungsmethode "auf jeden Fall bedenklich". Immerhin
könnten Daten gesammelt werden, die mit dem Ziel der Ermittlung nichts
zu tun hätten. Da aber die Gesetze mittlerweile der Polizei bei ihrem
Vorgehen solch einen Spielraum erlaubten, sei die Durchsuchung per
Videotechnik und Online-Schaltung rechtlich wohl nicht zu beanstanden.
Allerdings seien die Gesetze sehr weit gefasst - und das sei zu
kritisieren.
Der Fraktionschef und Sicherheitsexperte der Bündnisgrünen im
Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Wieland, sieht in in dieser Methode so
lange keine rechtlichen Probleme, wie nur Gebäude gefilmt würden.
Offenbar solle mit Hilfe dieser Technik vermieden werden, dass der
Kronzeuge Tarek M. beim "Ausführen" vor Ort aufwendig
geschützt werden muss. Tarek M. gilt als gefährdet; im Mehringhof
dürften viele nicht gut auf ihn zu sprechen sein.
Wenn keine Personen aufgenommen würden, sei in dieser Methode keine
neue, schreckliche Polizeimethode zu sehen. Es zeige bloß, so
Wieland: Die moderne Technik mache selbst vor der Polizei nicht Halt.
PHILIPP GESSLER
|