Datum:
23.12.1999
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Zeitung:
Berliner Morgenpost
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Titel:
Mehringhof probt die Rückkehr zur Normalität
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Mehringhof probt die Rückkehr zur Normalität
Nach der Polizei-Großaktion herrscht wieder Betriebsamkeit
- Festgenommene arbeiteten in dem links- alternativen Zentrum
Im Mehringhof scheppert's. Nicht wie am Sonntag, als hier Polizei,
Bundesgrenzschutz und GSG 9 auf der Suche nach Sprengstoff, Waffen und
Funkgeräten der "Revolutionären Zellen" (RZ) Türen
und Schlösser aufbrachen. Das Klappern am gestrigen, frostigen Morgen
kommt aus dem Fahrradladen in der dritten Toreinfahrt. Geschäftige
Normalität ist in den linken Szene- und Projekt-Treffpunkt in der
Kreuzberger Gneisenaustraße zurückgekehrt.
Der Mehringhof, 1979 auf dem Höhepunkt alternativer Bewegung
übernommen, ist Sitz von rund 30 Projekten. Auf ein derart langes
Bestehen können in Deutschland nur noch wenige linke Initiativen
zurückblicken. Wo früher Druckerei-Bedarf produziert wurde, haben
sich seitdem freie Gruppen eingemietet, gibt es linke Buchläden und
Verlage, sitzen Anwälte, trifft man sich allabendlich im rustikalen
Lokal "Ex", vorn im ersten Hof. Ein Hort alternativ-verschlafener
Beschaulichkeit.
Die Mauern sind in dutzenden Schichten mit Demonstrations-, Protest- und
Spendenaufrufen beklebt. "Freiheit für Sabine, Axel und
Harald" fordert das jüngste Exemplar. Die Drei waren im Rahmen
des Polizeieinsatzes in Frankfurt und Berlin festgenommen worden.
Axel H., einer der am Sonntag Festgenommenen, war Hausmeister im
Mehringhof, darüber hinaus soll er dort politisch gearbeitet haben.
Harald G., ebenfalls in Polizeigewahrsam, gehörte zum Projekt
"Forschungszentrum für Flucht und Migration", sagt Olivia
Santen, eine der Mehringhof-Geschäftsführerinnen.
Hier im Mehringhof heißen Polizisten "Bullen", das
große I, wie in "AntifaschistInnen", fehlt auf keinem
Plakat. Und der Fahrradladen - er besteht aus "einem dreier
Kollektiv" - wirbt mit dem Slogan "sinnvoll radfahren".
Aber für eine "Terroristen-Hochburg", wie Innensenator
Wilhelm Kewenig den Mehringhof in den Achtzigern nannte, reicht's
längst nicht mehr. Wenn damit militante Gruppen assoziiert werden,
liege das vielleicht daran, meint Olivia Santen, dass dort
Versammlungsräume an Projekte "der gesamten linkspolitischen
Linie" vermietet werden.
Das "Ex" bleibt autonomer Treff- und Ausgangspunkt für
linke Demonstrationen, und gleich um die Ecke, im U-Bahnhof Mehringdamm,
wollte man sich gestern Abend zur Demonstration für die am Sonntag
Festgenommenen zusammenfinden.
Selbst der Kreuzberger CDU-Fraktionsvorsitzende Dieter Dummin bezeichnet
den Mehringhof eher als "alternativ" denn als
"autonom". "Es war lange nichts Negatives darüber zu
hören. Auch wenn der Mehringhof aus seiner Geschichte heraus wenig
positiv besetzt ist." Eine Schließung, wie sie ein Parteifreund
dieser Tage forderte, hält er für unrealistisch.
Die Betreiber des Hofs prüfen derzeit, wie groß der Schaden
ist, den der Polizeieinsatz hinterließ. 100 000 Mark, schätzt
man. Olivia Santen zeigt beim Gang über das Areal aufgebrochene
Schlösser und demolierte Türen. Der Werkstattraum eines
Puppentheaters ist durchwühlt, aber wirkliche Spuren exzessiver
Durchsuchungsarbeit fehlen. Dennoch ruht der Betrieb des Theaters sowie
eines Schülerladens.
Um Hohlräume und Geheimlager war es den Ermittlern bei ihrer Aktion
gegangen. Mit Sonden wurde operiert, Abdeckplatten an Sanitäranlagen
wurden entfernt. Aber nichts gefunden. "Dies war nur eine
Übungsaktion für die Zusammenarbeit der verschiedenen Einheiten
in der Hauptstadt", mutmaßt Frau Santen. "Und eine
Ausbildungsmaßnahme."
Patrick Goldstein
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