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Datum:
Februar 2000
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Zeitung:
Kreuzberger Chronik
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Titel:
Die Durchsuchung des Mehringhofes
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Die Durchsuchung des Mehringhofes
Es ist noch nicht lange her, da verkündeten die Feuilletons
aller Zeitungen den endgültigen Tod der letzten deutschen Revoluzzer.
Anläßlich des 3Osten Jubiläums der 68er-Ereignisse
publizierte man serienweise, zitierte die alten Kämpfer herbei,
selbst die Kinder der tapferen Recken quetschte man aus, um festzustellen,
daß die Alternative so alternativ nicht war. Vom Spiegel bis
zu den "Glottertaler Nachrichten" kam man zum Schluß:
Die Nachkriegsgeneration sei ein unorganisierter Haufen. Sie hätten
ihre Ideale verraten und nach Möglichkeit gegen einen ergonomisch
einwandfreien Bürosessel getauscht. Sie seien Geschäftsleute,
Anwälte oder Außenminister geworden. Kaum erwähnenswert
schienen den Historikern die direkten Nachkommen der legendären
Studentenhorde - die wilden 78er.
Daß zumindest diese so ganz mausetot nicht sind, beweist derzeit
der Kreuzberger Mehringhof - mit all seinen langjährigen Freunden und
Sympathisanten. Allerdings bedurfte es bei der Reanimierung des alten
Geistes acht Hundertschaften der Polizei - einer gesamtdeutschen
Kooperative aus BKA, GSGA, LKA, SEK, BGS, GSG 9 und last but not least der
Berliner Polizei, die vor den Toren Wache schob. Einen Tag lang besetzten
die Krieger mit Helm und Schutzschild den ehemals verrufenen Hinterhof,
inzwischen längst ein renommiertes Kultur-Gewerbeprojekt mit Theatern,
Buchläden, Verlagen, einer Privatschule,
Flüchtlingsorganisationen. Aufgrund eines zweifelhaften Hinweises
verhaftete man zwei "mutmaßliche Terroristen" und suchte
ergebnislos nach Sprengstoff in der vermeintlich linksautonomen Hochburg.
Die Boulevardblätter trugen Überschriften wie in Axel Springers
besten Jahren und konnten heimliche Schadenfreude kaum verbergen: "Um
sechs Uhr morgens klickten die Handschellen!" - Die BZ sprach vom
geplanten "Millenium-Anschlag", und "15 Uhr Aktuell"
vertippte sich vor lauter Aufregung noch in der fetten Überschrift:
"Jagt nach Sprengstoff". Zwischen den Zeilen mutierten die
"roten Zellen" zur RAF und der langjährige Hausmeister zum
langgesuchten Schwerverbrecher.
Berlins Polizeihauptmann, Hagen Saberschinsky, verteidigte vehement den
kostspieligen Wochenendausflug der Bundespolizei. Genosse Schönbohm
erklärte, daß man die Hauptstadt vor den Linksradikalen
schützen müsse und verkündete die Wiederauferstehung des
Feindes: "Wir erwarten, daß der Regierungssitz zentraler
Anziehungspunkt für extremistische Aktivisten aller Art sein wird. Die
Gewalttaten der Autonomen sind deutlich gestiegen." - Für
Rechtsextremisten allerdings sei Berlin trotz der Hauptstadtrolle nicht
attraktiver geworden". Obwohl den 42 Straftaten linker Gruppierungen
(im Vorjahr waren es lediglich 27) immerhin 272 rechtsextremistische
gegenüberstehen, forderte die CDU schriftlich die sofortige
Räumung der attraktiven Immobilie am Mehringdamm. Doch wer so
leichtfertig die bösen Geister der Linken heraufbeschwört,
braucht sich nicht zu wundern, wenn er sie am Ende nicht mehr los wird.
Kaum hatten die uniformierten Staatsschützer die Suche nach dem
angeblichen Sprengstofflager aufgegeben, versammelte man sich im Mehringhof
nach altem Stil. Über dreihundert Sympathisanten erschienen bei der
Vollversammlung am Tag nach der Besetzung Man ließ einen Hut für
die Gefangenen herumgehen, spottete über die kopflose Aktion des
Polizeisturmes, und beschloß, wie in den Siebzigern üblich, eine
Spontandemonstration: "Denn wer weiß, ob wir morgen wieder so
viele sind!"Natürlich hatten die Polizeispitzel längst den
Saal verlassen, und als man im Diskussionsraum endlich die Marschroute
festgelegt hatte, warteten die grünen Wannen schon in den
Startlöchern. Schon nach dreihundert Metern, just vor der
SPD-Parteizentrale, heulten die Sirenen auf Mit strategischem Geschick
kreiste man die aufgeregte Herde ein und geleitete sie friedvoll in den
heimischen Pferch zurück. Feierabend.
Der Erfolg des überdimensionalen Polizeieinsatzes ist indessen
zweifelhaft, die Ausbeute gering: Eine beschlagnahmte Telefonliste aus dem
Jahre 1986 (auf der sich pikanterweise noch die Nummer des heutigen
Innenministers Otto Schily fand), einige wenig aufschlußreiche
Unterlagen verschiedener Projekte des Mehringhofes und drei
Inhaftierte:
Axel H., 49 Jahre alt, Hausmeister, Harald G., 51 Jahre alt,
Mitbegründer der Forschungsgemeinschaft Flucht und Migration, sowie
Sabine E., 53 Jahre alt, aus Frankfurt. Zurück blieb ein Sachschaden
in Höhe von über 100000 Mark, entstanden durch aufgebrochene
Türen (Kostenvoranschlag allein 87000 Mark) und die rasche
"Deinstallierung der Zwischendecken", was aus den Taschen der
Steuerzahler (der Polizeikasse) beglichen werden soll. Sowie einige
kumpelhafte Erinnerungsfotos, die unsere staatsschützenden Truppen
nach Abschluß der gelungenen Gemeinschaftsaktion vor dem
entzückenden alternativen Ambiente voneinander schossen. Das Revival
schien beendet.
Es schien. Denn seit dem 19. Dezember 1999 weht ein anderer, wenn auch
nicht ganz so frischer Wind in Kreuzberg. Schon die Presseerklärung
des Mehringhofes und der Ton während der Vollversammlung ließen
erahnen, daß die alten Parolen noch taugen: "Freiheit für
die politischen Gefangenen! Keine Kriminalisierung linker Projekte! Tod dem
Staatsterrorismus!" - Spontan solidarisierte man sich mit
"Sabine, Axel und Harald", die "in Knäste nach
Wuppertal, Düsseldorf und Köln verschleppt" wurden. Ein
erstes schwaches Lebenszeichen der einerseits Totgesagten und andererseits
immer wieder Heraufbeschworenen. Doch dabei blieb es nicht. Innerhalb
kürzester Zeit wurde ein Spendenkonto eingerichtet, um die unter den
verschärften Haftbedingungen des §129a Festgehaltenen zu
unterstützen (Einzelhaft, eine Viertelstunde Besuch wöchentlich
und eine Stunde Frischluft täglich für Mitglieder einer
terroristischen Vereinigung). Über dreißig
Solidaritätserklärungen verschiedenster Organisationen - u.a. aus
England, Holland, der tschechischen Republik, Bulgarien, Frankreich... -
trafen im Mehringhof ein.
Aus Zehlendorf, Moabit, dem fernen Berliner Umland kamen Sympathisanten,
trafen sich in den Kreuzberger Kneipen, bildeten Arbeitsgruppen und
entwarfen ein Plakat, das als Grundlage zur Ankündigung
verschiedenster Solidaritätsveranstaltungen dienen soll. Im Syndikat
veranstaltet man eine Soliwoche, im Cafe Anfall sind Konzerte geplant, in
der Supamolly spielen "Scattergun" und "Smelly Family".
Am 18.119. Februar solidarisiert sich im Tommy-Weißbecker-Haus MC
Ferris, kürzlich unter den Top ten der Hiphopper, mit den Gefangenen.
Der Mann weiß, was er macht - saß er doch selbst gerade 14 Tage
hinter Gittern.
Und schließlich erinnerte man sich an die Schöneberger
Pinguin-Bar mit ihrer recht erfolgreichen Aktion Ende der Achtziger:
"Künstler kellnern für Knackis><. Über zehn Jahre
später soll nun auch diese Idee wiederbelebt werden, und man denkt an
Namen, die groß genug sind, damit auch die Presse sich der
Inhaftierten wieder erinnert: Die Toten Hosen, Ulla Meinecke, Udo
Lindenberg, Ben Becker... Sie sollen an den kommenden Wochenenden hinter
den Kreuzberger Tresen stehen und Tabletts durch die Säle balancieren
- für Sabine, Axel und Harald. Und all die anderen vergessenen
Gefangenen.
Doch nicht nur in Kneipen und Hinterhöfen, auch in den
Sitzungssälen ist die Geschichte noch nicht vergessen. Am 14. Februar
stellt die Humboldt-Universität den Kinosaal für eine
mehrstündige Informationsveranstaltung zur Verfügung. Und
anläßlich einer Sitzung im Kreuzberger Rathaus fragten am 19.
Januar die Grünen, weshalb eigentlich "auch benachbarte
Immobilien in den Genuß polizeilicher Maßnahmen gekommen"
seien und kritisierte das Vorgehen der Polizeieinheiten. Seitens der SPD
formulierte man eine Resolution folgenden Wortlautes: "Die BVV
verurteilt den offensichtlich unangemessenen Polizeieinsatz vom 19.12. 1999
gegen den Mehringhof und die Brutalität, mit der die Staatsgewalt
vorging. Sie ... wendet sich gegen alle Versuche einer allgemeinen
Kriminalisierung des Mehringhofes und gegen die Forderung der CDU nach
dessen Schließung."
Noch ist von der Kronzeugenregelung keine Rede. Aber sie könnte
darauf kommen. Denn es ist schon makaber, wenn die Staatsanwaltschaft
wenige Wochen vor der endgültigen Streichung eines umstrittenen
Paragraphen sich ausschließlich auf diesen mürben Pfeiler des
Gesetzbuches stützt, um ein derart aufwendiges Szenario zu
rechtfertigen. Denn außer der belastenden Aussage eines seit
längerem inhaftierten Mitglieds der "Roten Zellen" gibt es
offensichtlich keine weiteren Beweise für die Schuld der drei
Angeklagten.
So herrscht auch zwei Monate nach der Durchsuchung des Mehringhofes noch
Unruhe auf Kreuzberger Boden. Sie ist das Resultat einer übereilten
und hysterischen Polizeiaktion. Das Werk jener Zauberlehrlinge, die aus dem
alternativen Hinterhof ein Schreckgespenst heraufbeschworen. Das wird ihnen
nun auf der Nase herumtanzen.
Bert Alpenzeller
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