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Datum:
08.06.2000
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Zeitung:
ak - Nr. 439
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Titel:
Hausmeister leben gefährlich Erneute Verhaftungen
und Durchsuchung des MehringHofs
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Hausmeister leben gefährlich
Erneute Verhaftungen und Durchsuchung des MehringHofs
Die Bundesanwaltschaft (BAW) lässt nicht locker. Um endlich die
Glaubwürdigkeit des Kronzeugen untermauern zu können, ließ
sie erneut das Berliner Alternativzentrum MehringHof durchsuchen. Zuvor
wurden zwei weitere angebliche RZ-Mitglieder verhaftet.
Im Frühjahr 1998 stieß der Staatsschutz eher zufällig
auf die Spur, die ihn zu Tarek M. führte. In einem von Tarek M.
angemieteten Keller in Berlin-Prenzlauer Berg sei Sprengstoff aufbewahrt
worden, der bei mindestens drei Anschlägen der Revolutionären
Zellen (RZ) eingesetzt worden sei, so die damalige Vermutung der Ermittler.
Ein Jahr und eine siebenmonatige Telefonüberwachung später wird
Haftbefehl gegen Tarek M. erlassen. Im Mai 1999 kommt er in die
Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Moabit, wird aber im Juli wieder
entlassen, nachdem er den Sprengstoffbesitz gestanden hat. Im November wird
er allerdings das zweite Mal festgenommen und direkt nach Karlsruhe zur BAW
gebracht. Für die BAW ist er jetzt einer der führenden Köpfe
der RZ in den Jahren 1986 bis 1996. Tarek M. sitzt seitdem in irgendeinem
Gefängnis der Bundesrepublik und pflegt regen Umgang mit den
Ermittlern. Während der Vernehmungen, die seit seiner Verhaftung im
November letzten Jahres andauern, hat er - so legen es die vorgelegten
Durchsuchungs- und Haftbefehle nahe - ausgiebige Angaben zu seinem
früheren Berliner Umfeld gemacht. Was jedoch von der
Glaubwürdigkeit seiner Aussagen zu halten ist, hat die erste
Durchsuchung des MehringHofes in Berlin-Kreuzberg im Dezember 1999 gezeigt.
Dort wäre Sprengstoff gelagert, hatte Tarek M. behauptet. Doch die
Durchsuchung, bei der ein Sachschaden von rund 100.000 Mark entstand,
förderte nichts zu Tage.
Verhaftungen in Berlin und Kanada
Doch die BAW hielt und hält weiter an ihrem Kronzeugen fest.
Umfangreiche Ermittlungen, eine weitere Hausdurchsuchung in Berlin,
Befragungen von ZeugInnen und Verhaftungen in Berlin, Frankfurt und Kanada
beweisen die Verfolgungswut der BAW. Nach den Verhaftungen von Axel H.,
Harald G. und Sabine E. im Dezember wurde zuletzt am 19. Mai Lothar E.
verhaftet. Der Berliner, der in den 80er Jahren Hausmeister im MehringHof
war, lebte seit längerem in Kanada und hatte in der Kleinstadt
Yellowknife im vergangen Jahr eine Pension eröffnet. Dort wurde er in
Anwesenheit eines Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) festgenommen;
anschließend wurde die Pension durchsucht. Lothar E. soll schon
Wochen vor seiner Festnahme von der kanadischen Polizei observiert worden
sein. Der Haftbefehl gegen ihn wurde jedenfalls bereits am 9. März vom
Bundesgerichtshof (BGH) erlassen. Auch der Zeitpunkt der Verhaftung spricht
dafür, dass Lothar E. schon seit geraumer Zeit unter Beobachtung
stand. Verhaftet wurde er, als sich seine deutsche Geschäftspartnerin
in Deutschland befand. Die Frau wurde nach der Aktion in Kanada in Berlin
vorläufig festgenommen und zu einer Zeugenbefragung nach Karlsruhe
gebracht. Weil sie die Aussage verweigerte, wurde sie allerdings umgehend
wieder entlassen. Die BAW beschuldigt Lothar E., bis 1995 den RZ
angehört zu haben und am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin am 6. Februar 1986
beteiligt gewesen zu sein. Außerdem wirft sie ihm die Beteiligung am
Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule im Januar 1991 vor.
Der Versuch, aus Protest gegen den Golfkrieg die goldene Viktoria-Figur von
der Siegessäule zu sprengen, war damals auf heftigen Widerspruch der
"Gruppe aus dem Traditionsverein der Revolutionären Zellen"
gestoßen. Sie beschwerte sich bitterlich, dass "unter unserem
Markenzeichen" - also dem Logo RZ - eine solche Aktion firmierte. Ein
klarer Fall von Label-Klau, könnte man meinen, aber solche Feinheiten
interessieren die BAW offensichtlich nicht. Aber vielleicht erregen solche
Ungereimtheiten ja das Interesse der kanadischen Gerichte. Dort wird
über die Auslieferung von Lothar E. in die Bundesrepublik entschieden.
Das Auslieferungsverfahren wird zeigen, ob man in Kanada die lediglich auf
den Aussagen von Tarek M. beruhenden Vorwürfe gegen Lothar E. genauso
unkritisch bewertet wie der BGH. Dass das zuständige kanadische
Gericht dem Ansinnen der deutschen Behörden nachkam, die im Haftbefehl
aufgeführten Beweismittel nicht öffentlich zu machen, macht
jedenfalls hinsichtlich deren Stichhaltigkeit stutzig. Und auch bei der BAW
ist man sich über den Ausgang des Verfahrens nicht so sicher.
"Internationale Rechtshilfe ist so eine Sache. Manchmal läufts,
manchmal nicht", so umschrieb die BAW-Pressesprecherin Eva
Schübel die Nervosität in Karlsruhe. (jungle world, 31.5.)
BKA als Putzkolonne
Dieselben Vorwürfe wie gegen Lothar E. erhebt die BAW gegen einen
weiteren Berliner, der bereits am 18. April verhaftet worden war. Entgegen
ihrer sonstigen Gewohnheit ließ die BAW über die Festnahme von
Matthias B. zuerst nichts an die Öffentlichkeit dringen. Erst im
Zusammenhang mit der Verhaftung in Kanada berichtete sie von der Festnahme
einen Monat zuvor. Matthias B., Leiter des Akademischen Auslandsamtes der
TU Berlin, soll nach Aussagen von Tarek M. ebenfalls Mitglied der RZ und an
den Anschlägen auf die ZSA und die Siegessäule beteiligt gewesen
sein. Direkte Beweise konnte die BAW bislang weder gegen die beiden zuletzt
Verhafteten noch gegen die restlichen Beschuldigten vorlegen. Die scheint
es auch einfach nicht zu geben. Weder die umfangreichen Ermittlungen noch
die Versuche, Leute aus dem Umfeld der Beschuldigten als ZeugInnen zu
vernehmen, haben augenscheinlich daran etwas ändern können. Am
30. Mai durchsuchten BKA-Beamte zum zweiten Mal das Berliner
Alternativzentrum MehringHof nach Sprengstoff. Vom Gefängnis aus
dirigierte per Video-Konferenz Tarek M. das BKA-Kommando. Akribisch wurden
ein Fahrstuhlschacht, der angrenzende Kellerbereich und zwei
Abstellräume gefilzt. Aus einem Schacht wurde dabei eine blaue
Mülltüte gefischt und zur Untersuchung nach Wiesbaden geschickt.
Außerdem wurde der Schacht sorgfältig ausgesaugt. Die zweite
Durchsuchung des MehringHofs wirkt wie das verzweifelte Unterfangen, auf
jede erdenkliche Weise an irgendwelche konkreten Beweise zu kommen - und
seien es nur obskure chemische Rückstände auf Wattebäuschen.
Waffen oder Sprengstoff fanden die Fahnder bei der zweiten Durchsuchung
jedenfalls wieder nicht.
mb., Berlin
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