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Datum:
08.06.2000
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Zeitung:
analyse & kritik Nr. 439
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Titel:
"Eine rechtsstaatliche Gegensteuerung ist nicht möglich
..."
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"Eine rechtsstaatliche Gegensteuerung ist nicht möglich
..."
Interview mit Rechtsanwalt Kaleck über die Kronzeugen-Problematik
In die Diskussion um das Kronzeugengesetz ist, kaum dass es ausgelaufen ist,
wieder Bewegung gekommen. Einiges spricht dafür, dass ein neuer
Vorstoß der Strafverfolgungsbehörden dazu führt,
dass das Gesetz in modifizierter Fassung und unter völliger
Ausblendung u.a. der Verteidigerrechte eine Neuauflage erlebt.
ak: Zum Jahresende 1999 wurde die Kronzeugenregelung abgeschafft.
Damals hat Ihr Kollege Rolf Gössner in ak 433 diesen Vorgang
kommentiert und die Kronzeugenregelung dargestellt. Können
Sie aus Ihrer Sicht die zentralen Gründe für die Abschaffung
im vergangenen Jahr skizzieren?
Wolfgang Kaleck: Die sogenannte Kronzeugenregelung wurde
durch ein Artikelgesetz vom 9.6.1989 zunächst bis zum 31.12.1989
befristet, dann bis zum 31.12.1995 und schließlich bis zum
31.12.1999 verlängert. Sie galt zunächst für sogenannte
terroristische Straftaten und wurde später auf organisiert
begangene Taten erweitert. Insofern ist es nicht richtig, davon
zu sprechen, dass die Regelung "abgeschafft" wurde. Vielmehr
war die Kronzeugenregelung im Bereich der sogenannten "terroristischen
Straftäter" von vornherein als befristetes Ausnahmegesetz
gedacht. Man wollte damals durch den "Schlussverkaufscharakter"
der Vorschrift potenzielle Aussteiger animieren. Weiterhin war die
Befristung eine Vorsichtsmaßnahme, um eine genaue Folgenanalyse
anzustellen, was nebenbei bemerkt wie bei so vielen jüngst
eingeführten Gesetzen nie der Fall war. Wahrscheinlich wäre
bei einer CDU/ CSU-Regierung die Regelung nichtsdestotrotz verlängert
worden, die Mehrzahl der Strafverfolger und Strafrichter war ohnehin
dafür. Die Nichtverlängerung der Regelung durch die rot-grüne
Bundesregierung bedeutet allerdings nicht, dass eine endgültige,
die Interessen des Beschuldigten und der Verteidigung berücksichtigende
rechtsstaatliche Lösung gefunden worden wäre.
Richtig ist offenbar aber doch auch, dass es Vergünstigungen
für ZeugInnen unabhängig von der abgeschafften Kronzeugenregelung
gibt. Wie haben wir uns diese Möglichkeiten im Unterschied
zur Kronzeugenregelung vorzustellen?
Es existieren zahlreiche weitere Möglichkeiten, Kronzeugen
Vergünstigungen zu gewähren. Die wichtigste Vorschrift
ist sicherlich der § 31 Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
Es kann allerdings auch schon im Rahmen der Strafzumessung, durch
Einstellung weiterer Verfahren, Vergünstigungen im Vollzug,
vorzeitige Entlassungen oder aber durch die Sonderbestimmungen der
§§ 129 Absatz 6, 129 a Absatz 5 Strafgesetzbuch sowie
ähnlich lautende weitere Vorschriften der Kronzeuge oder Aufklärungsgehilfe
dafür belohnt werden, dass er andere Menschen belastet. Auch
diese Vorschriften wurden von Strafverteidigern scharf kritisiert,
vor allem der § 31 BtMG. Nur darum hat sich schlicht und einfach
niemand geschert. Welcher linke oder liberale Mensch hat sich in
den 80er oder 90er Jahren um die Rechte von mutmaßlichen Drogenhändlern
oder organisierten Kriminellen gekümmert? Da ist - fast unbemerkt
von einer breiteren Öffentlichkeit und fast vollkommen unkritisiert
- ein Repressionsarsenal aufgebaut worden, das dann Stück für
Stück auf alle Kriminalitätsfelder ausgeweitet wurde.
Nur dann war es schon zu spät, die Entwicklung aufzuhalten.
So ist es jetzt zwar nur folgerichtig, dass die rot-grüne Bundesregierung
die sogenannte Kronzeugenregelung nicht mehr verlängerte, weil
die öffentliche Kritik hieran Anstoß genommen hat. Auf
der anderen Seite lässt Frau Däubler-Gmelin jedoch verlauten,
dass in ihrem Haus an einer generellen - wesentlich mehr Kriminalitätsbereiche
umfassenden - Regelung gearbeitet wird. Ein wichtiger Kritikpunkt
bei der Einführung des § 31 Betäubungsmittelgesetz
war zum Beispiel, dass nicht mehr eine einzelne Straftat Anlass
der Strafverfolgung war, sondern dass nunmehr ein ganzes Milieu
zum Objekt polizeilicher Ausforschung wird. Damit sind nun Ermittlungen
am laufenden Band erlaubt. Es wird flächendeckend ein ganzes
Kriminalitätsfeld, nämlich die Drogenszene, beleuchtet
und solange Dealer festgenommen, bis der rote Faden der Aufklärungshilfe
abreißt. Dies ist meist dann der Fall, wenn es die kleinen
Dealer erwischt, die in Unkenntnis der größerer Zusammenhänge
nichts mehr aufzuklären haben.
Worin besteht aus Ihrer Sicht die Gefährlichkeit dieser Rechtsfigur?
Die Kronzeugenregelung bei sogenannten terroristischen Straftaten
ist seit ihrer Einführung von verschiedenster Seite kritisiert
worden. Um die Ausführungen hier nicht ausufern zu lassen,
möchte ich meine Kritik auf die zwei wichtigsten Argumente
beschränken. Zum einen soll im Strafprozess eine sogenannte
Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung bestehen. Das
faire Verfahren (fair trial) soll garantiert sein. Hiervon kann
schon in "normalen Strafverfahren" kaum die Rede sein.
Die Ermittlungsbehörden, insbesondere die Polizei, verfügten
über einen absolut überlegenen Apparat. Die wichtigen
Entscheidungen im Strafprozess werden entgegen landläufiger
Meinung nicht in der Hauptverhandlung vor Gericht, sondern im Ermittlungsverfahren
getroffen, wenn das Verfahren in den Händen von Staatsanwaltschaft
und Polizei ist. In diesem Stadium des Strafverfahrens haben die
Verteidiger viel zu geringe Rechte, um das Verfahren wirksam beeinflussen
zu können. Im politischen Strafverfahren, und insbesondere
bei Beteiligung der Bundesanwaltschaft und des Bundeskriminalamtes,
ist die Position der Verteidigung noch schwächer. Das Verfahren
wird u.a. durch den Informationsvorsprung von den Ermittlungsbehörden
gesteuert. Dies zeigt sich besonders deutlich beim sogenannten Kronzeugen.
Dieser wird über Monate vernommen, ohne dass die Verteidigung
des jeweils Beschuldigten vollständig erfahren würde,
was der Zeuge gegen ihren Mandanten im einzelnen ausgesagt hat.
Ebenso ist es der Verteidigung in diesem Stadium unmöglich,
eigene Fragen an den Zeugen zu richten und ihn mit Vorhalten und
Widersprüchen zu konfrontieren. Die Verteidigung ist in solchen
Fällen vielmehr gezwungen, abzuwarten, was der Kronzeuge gemeinsam
mit den Ermittlungsbehörden an Vernehmungsprotokollen produziert,
und kann dann erst im Stadium der Hauptverhandlung im reinsten Sinn
des Wortes mit der Verteidigung beginnen. Die zweite Hauptkritik
richtet sich gegen die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Es handelt
sich im hohen Maße um Zeugen, die ein starkes Eigeninteresse
an dem Inhalt bestimmter Aussagen haben und damit per se weniger
glaubwürdig bzw. von vornherein unglaubwürdig sind. Wer
kann besser lügen, als ein Zeuge, der tatsächlich in die
Vorgänge verwickelt ist, über die berichtet. Er kann praktisch
nach freiem Belieben seinen eigenen Tatbeitrag abschwächen,
kann Beteiligte und Taten nach Gutdünken austauschen. Beide
Kritikpunkte werden seit zwei Jahrzehnten von Strafverteidigern
immer wieder reklamiert. Es werden Vorschläge gemacht, wie
den geschilderten Missständen entgegengesteuert werden könnte.
Unabhängig davon, dass ich nicht glaube, dass bei dieser Konstruktion
eine rechtsstaatliche Gegensteuerung überhaupt möglich
ist, wurden von keiner Seite bisher Anstalten unternommen, beispielsweise
die Informationsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren
zu verbessern oder aber zwingend vorzuschreiben, dass der Kronzeuge
in der Hauptverhandlung zu vernehmen ist, oder aber gesetzlich auszuschließen,
dass eine Verurteilung einzig und allein auf der Aussage eines Kronzeugen
beruht. Dies ist zum Beispiel Inhalt entsprechender Regelungen in
den USA; dort wird vorgeschrieben, dass die Aussage des Kronzeugen
durch weitere Beweise gestützt werden muss. In Nordirland haben
es die Obergerichte in den 80er Jahren aus rechtsstaatlichen Gründen
abgelehnt, in politischen Verfahren allein auf Grund der Aussage
von "supergrasses", von Superspitzeln, zu verurteilen.
Ein solches rechtstaatliches Bewusstsein ist in der BRD aber derzeit
nicht anzutreffen.
Wie ist in Hinblick auf politische Verfahren der Erkenntnisgewinn
des Kronzeugengesetzes zu bewerten?
Der praktische Wert der Kronzeugenregelung war ohnehin relativ
gering. In einer neueren Studie ist die Rede davon, dass seit 1989
im Terrorismusbereich 20 bis 25 mal die Regelung angewandt wurde
und im Bereich der organisierten Kriminalität, die seit 1994
von dem Gesetz erfasst ist, etwa maximal 25 mal.
Wenn von Kronzeugen die Rede ist, in den USA wird ja der Begriff
des "Staatszeugen" verwandt, was mir plausibler zu sein
scheint, wird häufig nur auf diejenigen rekurriert, die von
diesen Aussagen betroffen sind, und damit vernachlässigt, dass
sich solche ZeugInnen der Anklage in eine ausgesprochen schwierige
Situation, in nicht überschaubare Abhängigkeitsverhältnisse
usw. bringen. Können Sie aus Ihren Erfahrungen dazu etwas sagen?
Es spielen sich im übrigen bei monatelangen Vernehmungen zwischen
dem Kronzeugen und seinen Vernehmern psychologische Prozesse ab,
die durchaus mit dem sogenannten Stockholm-Syndrom zu vergleichen
sind. Alle Eindrücke der Außenwelt werden dem Zeugen
nur noch über die ihn betreuenden Zeugenschutzbeamten und seine
Vernehmer vermittelt. Er wird in vielfacher Hinsicht total abhängig
von diesen. Von der Bewertung seiner Aussagen hängt seine Verfahrenssituation
(von Freiheit bis zu lebenslänglich), oft seine ausländerrechtliche
Situation (z.B. bei Kurden), aber auch seine ganze weitere Existenz
ab, die er ohne Hilfe des Staates nicht mehr auf die Reihe bringen
würde. Aber auch emotional wird der Zeuge eben mehr und mehr
von den Vernehmern abhängig. Es entsteht für ihn eine
schiefe Ebene, es gibt kein Zurück mehr, wenn die Dämme
einmal gebrochen sind. Mancher Zeuge zerbricht genau daran, wie
es das Beispiel eines jungen Kurden Ende der 80er Jahre gezeigt
hat, der noch von Bundesrichtern und Bundesanwälten in deutschen
Gerichtssälen als Superzeuge gegen die PKK gehandelt wurde,
während er psychisch immer labiler wurde, in ärztliche
Behandlung gehen musste und sich schließlich mit Benzin übergoss
und anzündete.
Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt in Berlin und im Bundesvorstand
des Republikanischen Anwältinnen und Anwältevereins (RAV).
Das Interview führte Volker Eick.
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