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Datum:
16.12.1999
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Zeitung:
ak - analyse und kritik, Nr. 433
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Titel:
Kronzeugen a.D.?
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Kronzeugen a.D.?
Rot- Grün lässt Kronzeugenregelungen auslaufen
Die Behauptung, unter Rot-grün werde kein einziges noch so
bürgerrechtsschädliches Repressionsinstrument revidiert oder
wenigstens gestutzt, muss ein wenig korrigiert werden. Auch wenn die
rot-grüne Regierungskoalition tatsächlich fast bruchlos auf die
repressive Kriminalpolitik im Geiste Kanthers und seiner Vorgänger
aufbaut, so ist doch eine nicht zu unterschätzende Ausnahme zu
verzeichnen: Die umstrittene, seit zehn Jahren geltende Kronzeugenregelung
im Terrorismusbereich und ihre Ausweitung auf die "Organisierte
Kriminalität" (OK) werden zum Jahresende 1999 ersatzlos
auslaufen. Das hat der Bundestag im Dezember 1999 gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP beschlossen.
Beide Regelungen waren befristet und wurden jeweils wieder
verlängert. Nun ist endlich Schluss damit - ein Verdienst des
grünen Koalitionspartners, der sich in dieser Frage gegen den
Kronzeugen-Verteidiger Otto Schily und die SPD-Fraktion durchsetzen konnte.
Die Abschaffung dieser Regelungen besitze für die Grünen als
Bürgerrechtspartei "hohe Symbolkraft", gibt der grüne
Abgeordnete Cem Özdemir zu Protokoll; seine Einschätzung, dies
mache deutlich, "dass wir in der Innen- und Rechtspolitik eigene
Akzente setzen", ist dagegen eher vermessen. Schon formieren sich in
der SPD Kräfte, die nach Auslaufen der speziellen Kronzeugenregelung
auf Ausgleich sinnen: Sie wollen eine allgemeine Regelung unter anderer
Firmierung im Strafrecht verankern, eine Art Strafzumessungsnorm, wonach
derjenige Straftäter, der zur Aufklärung weiterer Taten
beiträgt, mit einer geringeren Strafe belohnt werden soll -
Kronzeugen-Regelung light, die dann jedoch in allen Bereichen des
Strafrechts gelten würde. Noch gibt es allerdings keine konkreten
Pläne.
"Kronzeugen" - postmonarchistisch eigentlich Staatszeugen -,
die selbst straffällig geworden sind und Menschen um eigener Vorteile
willen belasten, sind bislang nicht nur in Terrorismusverfahren (seit 1989)
und in Verfahren wegen bestimmter organisiert begangener Straftaten (seit
1994) zugelassen, sondern, seit Anfang der 80er Jahre, auch in
Drogenprozessen. Und diese Sorte alltäglicher Kronzeugen bleibt von
der Entscheidung der rot-grünen Regierungskoalition vollkommen
ausgeschlossen. Sie basieren auf einer zeitlich unbefristeten Regelung im
Betäubungsmittelgesetz und finden in der Justizpraxis am
häufigsten Verwendung. Auf diese Kronzeugen treffen jedoch prinzipiell
dieselben rechtsstaatlichen Bedenken zu, wie auf jene, die nun außer
Dienst gesetzt werden.
Späte Einsicht
Begründet wird das Auslaufen der Kronzeugenregelung im Terrorismus-
und OK-Bereich von den rot-grünen Koalitionären mit
"Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen". Der in
Aussicht gestellte Strafnachlass wirke praktisch wie ein "Anreiz zu
falschen Verdächtigungen und Denunziationen". Beim "Handel
mit Schwerkriminellen, aus denen Kronzeugen wurden", seien
Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke geblieben.
Darüber hinaus sei die Ungleichbehandlung gegenüber anderen
überführten Straftätern, die nicht begünstigt werden,
"verfassungsrechtlich bedenklich". Der wahre Hintergrund für
die Abschaffung dürfte allerdings in der nachweislichen Ineffizienz
der Kronzeugen-Regelungen liegen. Im Terrorismusbereich gab es in erster
Linie untypische Fälle: In der DDR untergetauchte, ausgestiegene
RAF-Mitglieder, auf die jene Regelung eigentlich nicht zugeschnitten war,
profitierten nach der Wende von den Strafnachlässen, die sie sich
durch die Belastung bereits inhaftierter RAF-Mitglieder
"verdienten". Anwendung fand diese Kronzeugen-Regelung
außerdem in einigen Strafverfahren gegen Funktionäre der
kurdischen Arbeiterpartei PKK, die hier zu Lande als
"terroristisch", mittlerweile "nur" noch als
"kriminelle Vereinigung" eingestuft wird. Der seit 1994 auch im
OK-Bereich zugelassenen Kronzeugen bedient man sich nur in ganz wenigen
Strafverfahren. Diese "ernüchternde" Gesamtbilanz, so Cem
Özdemir, zeige, dass sich diese Regelungen nicht bewährt
hätten. Jedenfalls sei es in keinem einzigen Fall gelungen, mit ihrer
Hilfe Täter aus einer "terroristischen" oder
"kriminellen Vereinigung" herauszubrechen oder entsprechende
Straftaten zu verhindern. Angesichts der Tatsache, dass im bundesdeutschen
Strafprozess die dubiose Rechtsfigur des Kronzeugen zehn Jahre lang
gesetzlich zugelassen war und im Drogenbereich auch weiterhin zugelassen
bleibt, ist an die rechtlichen und rechtspolitischen Bedenken und
Einwände gegen diese Art von Zeugen zu erinnern. Der Kronzeuge ist das
Gegenteil eines klassischen Zeugen: Selbst tief in Schuld verstrickt, kauft
er sich durch den Verrat seiner (ehemaligen) Mitstreiter vom Staat frei,
der seinerseits bei der Terrorismus-, OK- und
Drogenkriminalitätsbekämpfung unter besonderem Erfolgszwang
steht. Es ist ein Handel, der in der Regel in Untersuchungshaft, nicht
selten unter isolierenden Haftbedingungen, angebahnt wird - also in einer
bedrückenden psychischen Situation, in der es leicht zu staatlicher
Täuschung und Nötigung, letztlich zu verbotenen
Vernehmungsmethoden kommen kann; es ist ein Handel, der den Betroffenen in
den staatlichen Verfolgungsapparat integriert, ihn also vom
Mitbeschuldigten zum Ermittlungsgehilfen der Staatsgewalt macht; es ist ein
Handel, der die ohnehin kaum gewährleistete Waffengleichheit im
Strafprozess vollends zum Kippen bringt, da der Kronzeuge als reines
Ermittlungs- und Fahndungsinstrument ausschließlich staatlichen
Überführungsinteressen dient.
Werden solche Kronzeugen - etwa aus "Sicherheitsgründen"
oder wegen angeblicher "Unerreichbarkeit" - dem Gericht und den
Prozessbeteiligten auch noch vorenthalten, ihre Aussagen lediglich per
Vernehmungsprotokoll oder "Zeugen vom Hörensagen" in die
Hauptverhandlung eingeführt, dann ist es den betroffenen Angeklagten
und ihrer Verteidigung praktisch unmöglich, die Glaubwürdigkeit
solcher Kronzeugen zu überprüfen. Eines der gewichtigsten
Bedenken gegen Kronzeugen ist ihre mangelnde Glaubwürdigkeit. Dieser
Mangel müsste die Aussagen jener "gekauften Zeugen", die
nicht selten wie Fahndungsexpertisen klingen, eigentlich für ein
rechtsstaatlich-faires Verfahren von vornherein wertlos machen. Das
verständliche Interesse an Straffreiheit oder an milder Beurteilung
durch das Gericht, das existenzielle Interesse am Schutz und an der
Unterstützung durch die Sicherheitsorgane, diese hochgradige
Abhängigkeit von staatlichen Instanzen erzeugt einen ungeheuren Druck
und damit auch die Gefahr, letztlich mehr zu sagen, als man weiß. So
stellte in einem Terrorismusverfahren die Bundesanwaltschaft einem
Kronzeugen für dessen belastende Aussagen Strafmilderung in Aussicht,
außerdem eine neue Identität sowie finanzielle Zuwendungen. Nach
drei Monaten Informationsfluss gab der Kronzeuge - allerdings
gegenüber dem Spiegel - zu, dass er bei den polizeilichen
Vernehmungen, an den Stellen, wo er mit Fakten nicht dienen konnte,
"frei erfunden" habe. So habe er etwa zwei Bekannte als
Angehörige der Revolutionären Zellen denunziert: "alles war
bis ins Detail erlogen ... Ich war in einem schlimmen Tief". Wie er in
dieses Tief gerutscht war, schilderte er so: Obwohl er sich "Tag
für Tag beschissener fühlte in meiner Haut als
Verräter", habe er sich von den Verhörspezialisten
"total abhängig" gefühlt; er hatte "Angst, dass
die mich fallen lassen" und wollte deshalb "immer irgendwie eine
Leistung bringen" (1). Dieser Leistungsdruck ist charakteristisch
für die Kronzeugen-Rolle: Verantwortlich sind die existenzielle
Abhängigkeit und das ureigene Interesse, möglichst ungeschoren
aus dem eigenen Verfahren herauszukommen und die Vorteile des Verrats zu
erlangen.
Kapitulation des Rechtsstaats
Prinzipiell sind die Aussagen von Kronzeugen als Belastungszeugen, die
unter enormem Druck stehen, also nur mit äußerster Vorsicht zu
genießen: Ihre Aussagen sind, was die Glaubwürdigkeit anbelangt,
in Relation zu setzen zu den Vergünstigungen, die sie von staatlicher
Seite erhalten - etwa im Zusammenhang mit gemäßigten
Haftbedingungen oder Haftverschonung, mit aufwendigen Schutzmaßnahmen
(neue Identität, Gesichtsoperationen, Bodyguards) oder mit
finanziellen Zuwendungen zur Gründung einer neuen Existenz (Wohnungen,
Arbeitsplatz, staatliches Salär zum Lebensunterhalt). Wo der Verrat um
des eigenen persönlichen Vorteils willen gefordert wird, da sind
falsche Bezichtigungen geradezu vorprogrammiert. Der Warencharakter solcher
Aussagen liegt in der Natur der Kronzeugenschaft. Der Beweiswert eines
solchen Staatszeugen sinkt letztlich gegen Null - eine gerichtlich nur
selten gewürdigte Tatsache, die u.a. etliche
"Terrorismus"-Verfahren, gelinde gesagt, erheblich ins Zwielicht
gebracht hat - Verfahren, die aber nach Wegfall der Kronzeugenregelungen
keineswegs mangels Fairness und Rechtsstaatlichkeit wieder aufgerollt
werden.
Aber auch die Kronzeugen selber werden zu Objekten staatlichen Handelns
- ein Umstand, der sie nicht selten in den Ruin treibt. So hat sich 1997,
kurz vor Beginn der Hauptverhandlung gegen den Europa-Repräsentanten
der PKK/ERNK, Kani Yilmaz, einer der Kronzeugen selbst verbrannt, um seinem
Leben ein Ende zu bereiten. Eser A. hielt offenbar die psychisch extrem
belastende Situation, in die er durch seine belastenden Aussagen geraten
war, nicht mehr aus. Er fühlte sich, wie er im Abschiedsbrief an seine
Mutter schreibt, als Verräter an der PKK und damit als Verräter
an der kurdischen Sache. Ihn belastete der Gedanke, "unschuldige
Menschen" hinter Gitter gebracht zu haben. Das Zeugenschutzprogramm
des Bundeskriminalamtes (BKA), das den Belastungszeugen praktisch in
sozialer Isolation vor Racheakten schützen sollte, vermochte ihn
offensichtlich dann nicht mehr zu schützen, als er seine schizophrene
Situation, in die ihn der Staat gebracht hatte, erkannte und selbst Hand an
sich legte.In diesem Zusammenhang sei an den ersten legalen Kronzeugen auf
Grundlage der Kronzeugenregelung von 1989 erinnert, der ebenfalls
große Probleme mit seiner Rolle als Verräter hatte. Ein
Sachverständiger schilderte den Zustand Ali Cetiners, der im
großen PKK-Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf
eine zentrale Rolle spielte, folgendermaßen: Cetiner, damals 36 Jahre
alt, sei um mindestens zehn Jahre gealtert, körperlich schwach, seine
Psyche zusammengebrochen. Er sei schwer depressiv, hoffnungslos, ohne
Antrieb. Seine besondere Bewachung im BKA-Zeugenschutzprogramm empfinde er
nicht als Schutz, sondern als Schikane. Gleichwohl wurde er als Kronzeuge
im Düsseldorfer Verfahren gegen zunächst 18 Kurden eingesetzt.
Doch er konnte nicht halten, was man sich von ihm versprochen hatte: Das
OLG bot nach 120 Verhandlungstagen acht Angeklagten die Einstellung des
Verfahrens an. Begründung: Kronzeuge Cetiner habe "seine
früheren Angaben" inzwischen "erheblich
relativiert".
Der zum Belastungszeugen gekürte Kronzeuge wird in rechtsethisch
nicht vertretbarer Weise zum Objekt staatlichen Handelns degradiert - im
Interesse eines unbedingten Strafverfolgungswillens. Der später von
der RAF ermordete Generalbundesanwalt Siegfried Buback hatte schon 1976
erkannt: "Ich bin... ein entschiedener Gegner der
Kronzeugenlösung, weil ich sie für eine ganz unnötige
Kapitulation des Rechtsstaats halte." (Der Spiegel, 16.2.76). Dreizehn
Jahre später, im Jahre 1989, kapitulierte der Rechtsstaat - zwar
befristet, aber immer wieder verlängert, bis Ende 1999. Die
Kapitulation des Rechtsstaats währte immerhin zehn Jahre ... und
dauert gegen alle Erkenntnis in der Kronzeugenregelung des
Drogenstrafrechts weiter an.
Dr. Rolf Gössner
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