Datum:
26.03.2002
|
Zeitung:
Tagesspiegel
|
Titel:
Wie man Terrorist wird
|
Wie man Terrorist wird
Matthias Borgmann hatte mal eine Leitungsfunktion an der Uni -
bis er in den Verdacht geriet, Mitglied einer terroristischen Vereinigung
zu sein und bei Anschlägen mitgemacht zu haben
Der Prozess schleppt sich mühsam über
die Zeit. Der Kronzeuge erzählt ein wenig, mal von Zündern
aus präparierten Blitzlichtlämpchen, paniert in pattexverklebter
Soße aus geriebenen Streichholzköpfchen, mal von exklusiven
Tarnanstrengungen einer terroristischen Vereinigung, bestehend aus
zwei voneinander abgeschotteten Zellen. Dann schweigt der Kronzeuge
wieder. Sagt, er erinnert sich nicht. Sagt, die Frage ist schon
beantwortet worden. Sagt nichts. Zu hören ist im Saal 500 dann
nur das zarte Fingertippeln eines konzentriert arbeitenden Laptop-Schreibers.
63. Verhandlungstag im Verfahren um die "Revolutionären
Zellen" (RZ), das vor einem Jahr begann. Die Verteidigung arbeitet
immer noch und unermüdlich an der Demontage des Kronzeugen
Tarek Mousli. Das ist ermüdend, manchmal nervtötend.
Gelegentlich beschwert sich sogar die Richterin.
Matthias Borgmann, der dem Kronzeugen genau gegenüber sitzt,
findet es trotzdem spannend, das "absurde Theater". Schließlich
geht es um seine Existenz. Borgmann war mal Leiter des Akademischen
Auslandsamtes der TU, eine einflussreiche Position mit einer "zugegebenermaßen
hohen Bezahlung". Nun ist er mutmaßlicher Terrorist. Anders
gesagt: Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, Mitglied einer terroristischen
Vereinigung zu sein und als solches bei diversen Anschlägen
mitgemacht zu haben.
Am 18. April 2000 wurde Borgmann verhaftet,
saß 22 Monate in Untersuchungshaft, wurde am 12. Februar 2002
wegen eines Unglücksfalls in der Familie gegen Kaution aus
der Haft entlassen und hofft nun auf seinen Freispruch. Die Chancen
stehen gut, denn der Kronzeuge, auf dessen breiten Schultern die
gesamte Anklage ruht, verheddert sich immer weiter in Widersprüchen
und Ungereimtheiten und sagt verdächtig oft: Das weiß
ich nicht mehr so genau.
Es ist nicht so, dass Matthias Borgmann auf
sein Gegenüber, dem er den Verlust seines Jobs, zweier Jahre
seines Lebens und einiges an seelischen Härten zu verdanken
hat, teuflisch wütend ist. Er hält ihn nur für einen
"Lügner" und für einen "gekauften Zeugen". Im Prozess
schweigt Borgmann - so verteidigt er sich auf Anraten seines Anwalts.
Das Schweigen fällt nicht mehr ganz so schwer, seit er aus
der U-Haft entlassen wurde. Ende Januar sagte zudem einer der vier
Mitangeklagten, Rudolf Schindler, zugunsten von Borgmann aus. Auch
Schindler bezeichnete Mousli als Lügner. Nun steht Aussage
gegen Aussage. Beweise gibt es ohnehin kaum.
Den "Revolutionären Zellen", einer Art
Stadtguerilla, werden zwei Beinschuss-Attacken auf hohe Beamte und
einige kleinere Sprengstoff-Anschläge zur Last gelegt, geschehen
in Berlin zwischen 1986 und 1991. Danach löste sich der Verein
von Feierabendterroristen auf und geriet langsam in Vergessenheit
- bis die Fahnder des Bundeskriminalamtes durch ein paar dumme Zufälle
einem Sprengstoffdepot des Karatelehrers Tarek Mousli auf die Spur
kamen und ihn als Kronzeugen anwarben. Mousli tritt im Prozess mit
Toupet und dicker Brille auf - eine Camouflage zum Schutz vor Übergriffen
aus der linken Szene, die ihn als Verräter betrachtet.
Mousli sagte den Polizisten, er habe Matthias
Borgmann unter dem Tarnnamen "Heiner" bei einem gemeinsamen Waldspaziergang
der RZ-Gruppe am Wannsee kennen gelernt. Schindler sagt, dieser
Spaziergang habe nie stattgefunden.
Borgmann schweigt. Die Sache werde nochmal zur
Sprache kommen, kündigt sein Anwalt an. Der heute 53-jährige
Borgmann blickt auf den Prozess inzwischen durch die Brille des
distanzierten Analytikers. Verglichen mit den Verfahren um die RAF
oder die Bewegung 2. Juni, die er damals interessiert verfolgte,
sei das Klima im Gerichtssaal erheblich entspannter. Auch Borgmann
gibt sich gelöst. Er leistet sich sogar Witze über seine
U-Haft in der JVA Moabit, dem "Heartbreak Hotel". Das ist die ironische
Distanz, die ihn - unter anderem - vor der Verzweiflung bewahrt
hat.
Vor zwei Jahren sah das noch anders aus. Gegen
die Wirklichkeit eines BKA-Kommandos, das morgens unverhofft an
der Tür klingelt, ist jede ironische Distanz machtlos. Immerhin:
Borgmann durfte in Ruhe frühstücken, während ein
Dutzend Polizisten seine Wohnung durchkämmte. Als die Beamten
fertig waren, wurde Borgmann festgenommen und kam auf dem Polizeiabschnitt
Friesenstraße in Gewahrsam.
Der angesehene Uni-Funktionär verbrachte
die erste Nacht seines Lebens auf einer Holzpritsche bei künstlichem
Licht. Das war dann wirklich schlimm, sagt er. Am nächsten
Morgen ging es zur Vernehmung zum Bundeskriminalamt nach Treptow.
Borgmann hatte den Beamten nichts zu sagen. Die konterten sein Schweigen
mit einem Angebot: Er könne ja wie zuvor Tarek Mousli Kronzeuge
werden. Dann bliebe er von der U-Haft verschont. Borgmann lehnte
ab und verschwand hinter den Mauern der Haftanstalt Moabit. Am gleichen
Tag wurde er von der TU fristlos entlassen.
Die erste Zeit in der Haft ist man damit beschäftigt,
sich zurechtzufinden, sagt er. Wo gibt es Kaffee, Bücher, Zeitungen?
Wem kann man trauen unter den Kollegen Mitgefangenen? Bald senkte
sich der Adrenalinpegel wieder. Es folgte die Phase der Wahrnehmung.
Was ist überhaupt passiert? "Zuerst dachte ich noch, der Spuk
sei bald vorbei." Doch Borgmann musste sich für länger
in seiner Zelle einrichten - wegen angeblicher Fluchtgefahr. Unter
den Knastis wurde er als "Terrorist" mit dem Prädikat "zwölf
Jahre mindestens" belegt - eine Anerkennung.
Er galt als Promi-Knacki mit guten Kontakten
nach außen. So einer kann vielleicht helfen. So einen sollte
man nicht ärgern. Bleibende Schäden hat die U-Haft bei
ihm wohl nicht hinterlassen, nur prägende Erinnerungen: Etwa
das gemeinsame Duschen von 40 Häftlingen im Keller, zweimal
die Woche, auf Kommando. Mit seiner Frau tauschte er täglich
Briefe aus - Besuchszeit war nur alle 14 Tage. Als unnötig
unmenschlich habe er die U-Haft empfunden.
Aus seiner Vergangenheit erzählt Borgmann
nicht viel. Darf er nicht wegen der auferlegten Schweigepflicht.
Eine typische 68er-Biographie ist herauszuhören: Jura-Studium
an der FU, Proteste gegen den Vietnam-Krieg, Engagement im "linken
Spektrum", dann Abbruch des Studiums, um in einer Fabrik dem Proletariat
die Sinne zu schärfen, erneut Studium, diesmal als Berufsschullehrer,
Engagement in der ÖTV, Arbeit in der Studienberatung der TU,
Wechsel ins Akademische Auslandsamt, seit 1992 Leiter desselben.
Eine linke Vorzeige-Karriere.
Auch wenn der Prozess mit einem Freispruch endet
- ein Makel wird bleiben, sagt Borgmann. "Aus Mangel an Beweisen"
wäre es nur ein Freispruch zweiter Klasse.
Die Leute werden tratschen: Der soll doch mal
was mit Terroristen zu tun gehabt haben, oder? Der saß doch
mal im Knast, oder? Der öffentliche Dienst wird ihn nicht mehr
nehmen, glaubt Borgmann. Kann er aber verschmerzen. Einen neuen
Job werde er schon bald finden. Und mit dem Makel, mal in Moabit
eingesessen zu haben, kann ein Linker gut leben.
Thomas Loy
|