Datum:
19.01.2002
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Zeitung:
Tagesspiegel
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Titel:
Revolutionäre Zellen: Angeklagter
gesteht Schüsse auf Richter
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Revolutionäre Zellen: Angeklagter
gesteht Schüsse auf Richter
Die überraschende Aussage bringt die Wende im Prozess - und
Haftverschonung für den Geständigen
Acht Monate lang saß Rudolf Schindler schweigend auf der
Anklagebank. Wie die anderen vier Angeklagten, darunter seine Ehefrau
Sabine Eckle. Gestern aber sorgte der 59-Jährige für eine
spektakuläre Wende in dem letzten großen Prozess um den
Terror der linksextremen "Revolutionären Zellen" (RZ). Schindler
legte ein Teilgeständnis ab. Er gab zu, dass er in den 80-er
Jahren an drei gewalttätigen Aktionen gegen die bundesdeutsche
Asylpolitik beteiligt war. Er gestand, 1987 auf einen Berliner Bundesrichter
geschossen zu haben. Und er bezeichnete den Kronzeugen, auf den
sich die Bundesanwaltschaft stützt, als Lügner.
Für die überraschende Erklärung ihres Mandanten hatten die
Verteidiger Gegenleistungen ausgehandelt. Schindler und seine 55-jährige
Ehefrau kamen nach etwa zweijähriger Untersuchungshaft frei. Zudem sich
erte das Kammergericht mit Zustimmung der Bundesanwaltschaft aufgrund der
Aussage eine "Strafobergrenze" zu: Maximal drei Jahre und neun Monate Haft
im Falle einer Verurteilung Schindlers.
Der gelernte Werkzeugmacher Schindler ist der erste der Angeklagten, der
sich zumindest teilgeständig zeigte. Er sprach über seine Kindheit
in Schlesien, seine Ausbildung zum Werkzeugmacher, sein Engagement bei der
"Ostermarsch-Kampagne", die Mitgliedschaft in der SPD in den Sechzigern und
schließlich seine Zeit bei den linksterroristischen "Revolutionären
Zellen" in Berlin. Deren "Flüchtlingskampagne" sei für ihn nach
einer längeren Zeit im Ausland Grund gewesen, wieder "politisch aktiv"
zu werden. Mitglieder der RZ sollen seit 1973 bundesweit mindestens 186
Brand-, Sprengstoff- und andere Anschläge verübt haben.
"Als Herr Korbmacher auf dem Weg zu seiner Garage war, schoss ich",
hieß es in der Erklärung von Schindler, dem die Bundesanwaltschaft
Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung vorwirft.
Günter Korbmacher war damals Vorsitzender eines Asylsenats des
Bundesverwaltungsgerichts. Zwei Schüsse trafen Korbmacher am 1.
September 1987 in den Unterschenkel. Der Anschlag sei wegen der "harten
Urteile" des Richters verübt worden, sagte Schindler.
Dieser Vorwurf basiert wie alle Punkte der Anklage auf der Aussage eines
Mannes, der damals selbst zu den RZ gehörte: Tarek Mousli. Der
42-jährige Kampfsportlehrer war im November 1999 festgenommen worden
und diente sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge an. Er bekam eine
neue Identität und eine milde Bewährungsstrafe. Mousli sei ein
"Lügner und Verleumder", erklärte Schindler nun. Er sei von dem
Kronzeugen zu Unrecht als "Rädelsführer" und sogar als "
Schütze der RZ" bezichtigt worden. Entgegen den Behauptungen von
Mousli habe er nur einmal geschossen. Und anders als von dem Kronzeugen
berichtet, sei Sabine Eckle "nie direkt" an einem Anschlag beteiligt
gewesen.
Neben dem Attentat auf Korbmacher werden Schindler ein weiterer Anschlag
durch Beinschüsse im Jahre 1986 auf Harald Hollenberg, damals Leiter
der Berliner Ausländerbehörde, und das Sprengstoffattentat auf
die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987
zur Last gelegt. Die Vorwürfe der Körperverletzung sind zwar
verjährt, aber in den Anschlägen sieht die Anklage Beweise
für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Mousli wisse, dass im Falle von Hollenberg eine Frau geschossen habe, erklärte
Schindler. Er selbst habe den hohen Beamten lediglich in Schach
gehalten. Bei dem Anschlag auf die ZSA sei sogar der Kronzeuge der
Haupttäter gewesen. Mousli habe den Sprengsatz abgelegt, sagte
Schindler, er selbst habe Aufpasserdienste geleistet. Der Kronzeuge
hatte die Rollen genau andersherum beschrieben.
Kerstin Gehrke
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