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Datum:
15.02.2002
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Zeitung:
Der Tagesspiegel
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Titel:
Geständnis bringt Kronzeugen in Not
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Geständnis bringt Kronzeugen in Not
Im RZ-Prozess steht heute Aussage gegen Aussage
Rudolf Schindler lächelt. Mal hierhin, mal dorthin. Sein Blick
bleibt ungerichtet. Die Holzbänke im Gerichtssaal 500 in Moabit
sind an diesem 18. Januar voll besetzt, die Stimmung angespannt.
Doch fast ist es, als ginge den hageren Mann das alles hier nicht
mehr viel an. Rechtsanwalt Hans Wolfgang Euler verliest eine lange
Erklärung seines Mandanten. Nach über zwei Jahren in Haft für ihn,
seine Ehefrau Sabine Eckle und drei weitere Angeklagte bricht Rudolf
Schindler, beschuldigt, in den 80er Jahren in Berlin den "Revolutionären
Zellen" angehört zu haben, das Schweigen.
Am heutigen Freitag wird sich der Blick der Angeklagten auf den
Mann in der Zeugenbank richten. Nach vierwöchiger Pause soll im
Gerichtssaal erstmals der Kampfsportlehrer und ehemalige Freizeitrevolutionär
Tarek Mousli mit den überraschenden Ausführungen Schindlers konfrontiert
werden. Mousli, auf dessen Aussage allein sich die Anklage gegen
insgesamt sechs Beschuldigte in diesem Prozess stützt. Möglicherweise
die Bundesanwaltschaft, auf jeden Fall aber die Anwälte der Angeklagten
wollen hören, was er dazu zu sagen hat. Hat er gelogen? Hat er eine
andere Erklärung für die offensichtlichen Widersprüche in seiner
Aussage? Warum hat er berichtet, was er berichtet hat? Vier Wochen
hatte Mousli Zeit, über die Widersprüche nachzudenken.
In seiner Erklärung vor vier Wochen hat sich der 59jährige Schindler
nicht von den Revolutionären Zellen (RZ) distanziert. Nicht einmal
von den Anschlägen, die ihm zur Last gelegt werden. Doch die Darstellung
- wie sie die Bundesanwaltschaft von ihrem Kronzeugen übernommen
hat - will er so nun nicht mehr stehen lassen. "Ich kann und werde
nicht auf jede Falschaussage Tarek Mouslis eingehen, sondern nur
auf die, die meines Erachtens prozessrelevant sind und die, die
mich am meisten empören", ließ Schindler seinen Anwalt vortragen.
Der Kronzeuge sage "in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit".
Dessen "Angaben zur Zusammensetzung der Gruppen und dem Modus ihrer
Zusammenarbeit" seien "komplett falsch". Zwar könne er, Schindler,
die Absicht hinter vielen Lügen entschlüsseln. Doch sei es ihm ein
Rätsel, "warum er Leute als Mitglieder angibt, die keine waren,
und andere dafür rauslässt".
Nicht nur die Anwälte der Angeklagten sehen den Prozess jetzt an
einer Wendemarke. Auch das Gericht hat sofort gehandelt, den Angeklagten
Schindler und Eckle eine Strafmaßobergrenze zugesichert und beide
sofort entlassen. Jetzt steht Aussage gegen Aussage. Nun können
die Aussagen an anderen Indizien gemessen werden.
Die Widersprüche sind gravierend. Etwa für den Beschuldigten Matthias
B. Dieser soll unter dem Decknamen Heiner Mitglied der RZ und an
Sprengstoffanschlägen und Schusswaffenattentaten in Berlin beteiligt
gewesen sein. Sagt Tarek Mousli. Jener "Heiner", mit dem Mousli
nicht gemeinsam aktiv gewesen sein will, sei ihm nur ein einziges
Mal bei einem Waldspaziergang 1989 begegnet. Nun sagt jedoch Rudolf
Schindler: "Es hat 1989 keinen Waldspaziergang gegeben, an dem wir
teilgenommen hätten. Es ist im Übrigen nicht sehr schlau von Tarek
Mousli, sich ausgerechnet diesen Massenausflugsort für ein angeblich
klandestines Treffen auszudenken." Vielleicht doch kein Zufall,
dass Mousli zunächst einen anderen Mann als "Heiner" identifiziert
hatte, bevor er ihn als Matthias B. erkannt hat.
Der Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber
(ZSA) im Februar 1987 wird in der Anklageschrift insgesamt acht
Personen zur Last gelegt. Mousli, den sechs Angeklagten und einem
Unbekannten. Auch den Angeklagten Harald G. beschuldigte Mousli
zunächst, vor Ort dabei gewesen zu sein. Diese Behauptung schwächt
er später ab. Zurecht, wie sich zeigte. G. war zur Tatnacht in Polizeigewahrsam.
Doch in seiner Erklärung berichtet Schindler nun: "Selbst einem
Außenstehenden muss ins Auge springen, dass man für eine Aktion
nachts, an einem nicht weiter einsehbaren, nicht bewachten und nicht
kontrollierten Tatort in menschenleerer Gegend keine sieben Leute
brauchen wird". Sie seien eine Minigruppe gewesen, und außerdem
habe Mousli - entgegen dessen Aussagen - selbst den Sprengsatz gezündet.
Ein weiteres Beispiel, bei dem jetzt Aussage gegen Aussage steht,
ist der Schusswaffenanschlag 1986 auf Harald Hollenberg, damals
Leiter der Berliner Ausländerbehörde. Während die Anklage davon
ausgeht, dass Schindler und Eckle diesen Anschlag ausgeführt haben,
sagt Schindler nun, er sei beteiligt gewesen, geschossen habe jedoch
eine Frau. "Diese Frau war nicht Sabine Eckle."
Schindler und Eckle sind aus der Haft entlassen worden. Der Angeklagte
Matthias B. ist aus familiären Gründen inzwischen haftverschont.
Doch zwei der Angeklagten in diesem Verfahren, in dem stellvertretend
die Geschichte der RZ aufgearbeitet werden sollte, sind noch immer
in Haft. Besonders sie werden mit Spannung darauf warten, was Mousli
heute zu sagen hat.
Barbara Junge
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