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Presse

Datum:
Dez 2002

Zeitung:
Telegraph

Titel:
Notwendige Anmerkungen zum RZ-Prozess

Notwendige Anmerkungen zum RZ- Prozess

So kann man den RZ- Prozess darstellen. Die drei Autoren in der letzten Ausgabe des telegraph beschrieben die juristische Dimension und Ungeheuerlichkeiten des Verfahrens richtig und dem ist wenig hinzuzufügen. Doch da es sich, wie die Autoren selbst schreiben, um einen politischen Prozess handelt. fehlt diese andere Dimension völlig. Insbesondere in einem Artikel für den telegraph, da hier die wenigsten Leser überzeugt werden müssen, wie "böse" die BAW ist.

Hier wäre ein ganz anderer Grad an Selbstreflexion angesagt. Die politische Dimension drückt sich nicht nur in dem unbedingten Verurteilungswillen der Bundesanwaltschaft (BAW) und höchstwahrscheinlich auch des Gerichts aus. Auch die Entscheidung der meisten Angeklagten und Verteidigerlnnen diese politische Dimension aus dem Prozesssaal herauszuhalten, war und ist eine Entscheidung von großer politischer Tragweite. Man versucht eine rein juristische Verteidigung und wundert sich nach nun fast zwei Jahren immer noch, warum diese nicht greift. Sicher, würde hier zum Beispiel gegen Klaus Landowsky oder ähnliche Größen der Berliner Politik verhandelt, der Prozess wäre längst eingestellt.

Doch hier möchte das Berliner Kammergericht über die Aktionen einer sozialrevolutionären Guerilla urteilen, und da gelten nun mal andere Maßstäbe. Da hält der Apparat zusammen, auch wenn noch so offensichtlich ist, dass die von der BAW und BKA vor Gericht präsentierte Geschichte nicht die "wahre Geschichte" ist. Doch da niemand bereit ist, die "echte Geschichte" zu erzählen, verkommt der Prozess zum privaten Problem von fünf Leuten. Völlig egal, ob sie nun zu unrecht von Tarek Mousli beschuldigt werden.

Warum sonst verlieren sich denn nur fünf Besucher am 103. Prozesstag auf den Zuschauerbänken im Moabiter Saal 500? Hier wird seit über eineinhalb Jahren gegen die Angeklagten Matthias Borgmann, Sabine Eckle, Harald Glöde, Axel Haug und Rudolf Schindler wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) verhandelt. Doch obwohl sich inzwischen drei der Angeklagten zu ihrer zeitweiligen Mitgliedschaft in den RZ bekannt haben, wird wenig versucht. über die politischen Ziele, Träume und Inhalte der RZ zu reden. Sicher ist ein Gerichtssaal nicht der "richtige" Ort dafür. aber auch außerhalb passiert dies nicht. Interessant wurde das Thema überhaupt nur wieder wegen des Verfahrens. Und dort ist seit Monaten gähnende Langeweile angesagt. Nachdem in den letzten Wochen sich fast alles um die chemische Zusammensetzung eines Klebebands um ein Sprengstoffpaket gedreht hatte, ist an diesem 103. Prozesstag der Kronzeuge Tarek Mousli wieder da. Zehn Verteidiger befragen ihn zu diesem und jenem, doch den Eindruck, dass sie hilflos im Nebel stochem, können sie nur mühsam verbergen.

Am Ende des Tages geben selbst die Verteidiger die Befragung des Kronzeugen Mousli auf "keine weiteren Fragen mehr". Zum wiederholten Mal sind sie an dem rhetorisch vom BKA bestens geschulten Kronzeugen gescheitert - der allen Fragen geschickt ausweicht und sich letztlich auf nichts festlegen lässt. Die ganzen Widersprüche in der Beweisführung der Anklage und den Aussagen Mouslis haben die drei Kollegen von der Initiative "bis gleich ..." im letzten telegraph bestens dargestellt. Nur es nützt nichts.

Die Strategie der Verteidigung, Mousli über seine eigenen Widersprüche stolpern zu lassen, ist offensichtlich gescheitert. Nur so ist zu erklären, warum die eigentlich völlig nebensächliche Geschichte mit dem Sprengstoffpaket auf einmal so wichtig wird, weil die Verteidigung sich davon einen "objektiven" Beweis erhofft, dass Mousli lügt. Doch selbst der gelingt nicht, in allen Gutachten sucht und findet das Gericht noch ein Hintertürchen zur Interpretation. Bleibt die Frage, ob es alternative Prozessstrategien gegeben hätte? Sicher, doch diese wurden gleich nach den Durchsuchungen und den Verhaftungen von einem Teil der VerteidigerInnen abgewürgt.

Was wäre passiert, wenn man Mousli im Dezember 1999 öffentlich - durch Veröffentlichung seiner damaligen Aussagen - auf diese Aussagen festgenagelt hätte? Mousli hätte keine Chance mehr zum nach bessern gehabt, dass zum Beispiel Harald Glöde nie und nimmer am Anschlag auf die ZSA beteiligt gewesen sein konnte, weil er an diesem Abend im Knast saß. So aber hatten das BKA genügend Zeit, dies von alleine zu bemerken und "justierten" die Aussagen von Mousli entsprechend nach. Mousli hätte nicht in den Tagen nach Weihnachten dem in Kanada mit einem Auslieferungsverfahren konfrontierten Lothar Ebke eine ganz andere Rolle zuweisen können, als in den Tagen vor Weihnachten. Nur um zwei Beispiele zu nennen. Aber die Verteidigung setzte alles daran, diese Aussagen unter Verschluss zu halten. Heute werden die Namen von weiteren Verdächtigen, die an Aktionen der RZ beteiligt gewesen sein sollen, nicht nur von Mousli für jeden hörbar so mal nebenbei im Prozess erwähnt. Warum also die ganze Mühe?

Aber auch der Versuch von Rudolf Schindler, im Frühjahr diesen Jahres nach über einem Jahr Prozess den Tisch umzuschmeißen, und sich zu seiner Mitgliedschaft in den RZ und seiner Beteiligung an den Aktionen gegen Korbmacher und Hollenberg zu bekennen, kam viel zu spät. Ebenso die Präsentation der Entlastungszeugen.

Sicher gab es im Winter 1999/2000 auch gute Argumente, das Verfahren nicht politisch anzugehen. Niemand stellt sich acht Jahre nach der Auflösung der RZ hin und verteidigt etwas historisch Gescheitertes. Und doch gab es diese Versuche einer Geschichtsaufarbeitung, zum Beispiel von Klaus Viehmann und Stefan Wisniewski mit ihrer Vortragsreihe zur Geschichte der RZ, oder etlichen anderen publizierten Texten zur Geschichte der RZ, die alle versuchten, sich den realen Problemen und Schwierigkeiten in der Geschichte der RZ zu stellen.

Um ein Beispiel zu nennen: man kann und muss sich mit der Verstrickung von einzelnen Leuten der RZ mit der Ostberliner Stasi auseinandersetzen, wie zum Beispiel Gerd Albartus, der auch gleichzeitig etwas mit der Carlos- Gruppe zu tun hatte. Warum bewegte sich Mousli in den 90er Jahren in Ostberlin in einem Umfeld von ehemaligen Mitarbeitern der Stasi? Was machte Mousli bei der Schwiegermutter des jungen StasiAnwalts Wetzenstein- Ollenschläger? Alles nur Zufall? Kannte er die alle nur vom Karate, da diese ja zwangsläufig sportlich auch ganz fit waren? Einzig der Anwalt von Rudolf Schindler, Hans Euler spielt ab und an im Prozess Fragen In diese Richtung an. Doch da auch er nicht nachhakt, enden viele seiner Fragen als Rohrkrepierer.

Was wusste Mousli über Gerd Albartus vom Anschlag auf das Maison de France 1983? Was machte er am Tag des Anschlags in der Wohnung der so genannten Funkgruppe in der Uhlandstraße? Wurde er vom BKA vielleicht mit der Drohung eines Prozesses wegen dieses Anschlags mit einem Toten und über zwanzig Verletzten erpresst?

Fragen über Fragen, die aber auch etliche politische Sprengsätze über das Wegschauen geschulten Kronzeugen gescheitert - der allen Fragen geschickt ausweicht und sich letztlich auf nichts festlegen lässt. Die ganzen Widersprüche in der Beweisführung der Anklage und den Aussagen Mouslis haben die drei Kollegen von der Initiative "bis gleich ..." im letzten telegraph bestens dargestellt. Nur es nützt nichts.

Die Strategie der Verteidigung, Mousli über seine eigenen Widersprüche stolpern zu lassen, ist offensichtlich gescheitert. Nur so ist zu erklären, warum die eigentlich völlig nebensächliche Geschichte mit dem Sprengstoffpaket auf einmal so wichtig wird, weil die Verteidigung sich davon einen "objektiven" Beweis erhofft, dass Mousli lügt. Doch selbst der gelingt nicht, in allen Gutachten sucht und findet das Gericht noch ein Hintertürchen zur Interpretation. Bleibt die Frage, ob es alternative Prozess strategien gegeben hätte? Sicher, doch diese wurden gleich nach den Durchsuchungen und den Verhaftungen von einem Teil derVerteidigerinnen abgewürgt.

Fragen über Fragen, die aber auch etliche politische Sprengsätze über das Wegschauen von Teilen der Westberliner Szene zu den Taten der Carlos- Gruppe beinhalten. So handelt es sich auch nicht um den "letzten großen Terroristenprozess", wie die Autoren im letzten telegraph schreiben. Nächstes Jahr wird vor einem Berliner Gericht erneut gegen den bereits wegen des Maison de France zu lebenslänglich verurteilten Johannes Weinrich, ehemaliges RZ- Mitglied und späteres Mitglied der Carlos- Gruppe verhandelt. Verhandelt werden unter anderen die Anschläge 1982/83 auf TGVs in Frankreich mit mehreren Toten, um Carlos' damalige Lebensgefährtin Magdalena Kopp aus dem französischen Knast freizupressen.

Da jedoch diese Entscheidungen für eine rein juristische Verteidigung im Berliner RZ- Verfahren gefallen sind, wird man nie wissen, ob es anders besser gelaufen wäre. Und wer wen mal dringend auf ein Bier einladen müsste.

Benjamin Kaminski lebt und arbeitet in Berlin.

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/tg107.htm