Datum:
21.12.2001
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Zeitung:
tageszeitung
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Titel:
"Keine Beweise von Seiten der Anklage"
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der prozessbeobachter
"Keine Beweise von Seiten der Anklage"
Marcel Bosonet, Schweizer Jurist
taz: Herr Bosonet, Sie haben den Angeklagten Matthias Borgmann
im Gefängnis besucht. Wie war die Stimmung?
Marcel Bosonet: Persönlich gehts ihm ganz gut. Aber
nach fast zwei Jahren in Untersuchungshaft ist die Stimmung natürlich
gedrückt. Von Seiten der Anklage sind bisher keine Beweise
vorgebracht worden, die diese lange Untersuchungshaft rechtfertigen
würden.
Aber es gibt doch die Aussagen von Tarek Mousli?
Die Problematik ist doch, dass im Prozess seit über dreieinhalb
Monaten keine Befragung dieses Kronzeugen mehr stattfindet. Vielmehr
werden Straftaten verhandelt, die nur dann relevant sind, wenn dieser
Kronzeuge glaubhaft wäre. Borgmann hat so keine Chance, die
Aussagen durch seine Verteidiger widerlegen zu lassen. Stellte sich
heraus, dass der Kronzeuge lügte, müsste der Prozess eingestellt
werden.
Sie nehmen als internationaler Beobachter teil. Warum?
Weil ich schon in verschiedenen anderen Ländern an solchen
politischen Prozessen teilgenommen habe, bin ich von den Demokratischen
Juristen der Schweiz angefragt worden. Ich habe außerdem Länderberichte
zur allgemeinen Menschenrechtssituation verfasst, etwa zu Guatemala,
Kolumbien und zu Prozessen in der Türkei.
Wie war Ihr persönlicher Eindruck vom Prozessverlauf?
Die Anklage stützt sich in erster Linie auf diesen Kronzeugen.
Und dieser müsste nun das zentrale Prozessthema sein. Kann
man ihm Glauben schenken? Was sind die Hintergründe, die zu
diesen belastenden Aussagen geführt haben? Das Gericht unternimmt
bisher nichts, um wirklich Licht in diese Anschuldigungen zu bringen.
Alles, was die Glaubwürdigkeit dieses Kronzeugen hinterfragt,
wird verhindert.
Wie geschieht dies?
Es werden Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt. Akten
werden den Verteidigern vorenthalten, Berichte werden unvollständig
zu den Akten gereicht. Das sind alles Punkte, die nicht zur Klärung
des Verfahrens beitragen. Es gibt übrigens Prozessordnungen
in anderen Ländern, nach denen allein die Aussage eines Kronzeugen
nicht zur Verurteilung genügt.
Das ist laut Bundesgerichtshof auch in Deutschland so.
Mit diesem Kronzeugen steht und fällt die ganze Anklage.
Würde das Verfahren in irgendeinem anderen Land Europas
anders ablaufen?
Mit guten Grund gibt es in der Schweiz bisher kein Kronzeugengesetz, weil es
verfassungswidrig ist. Ein solches Gesetz ist rechtsstaatlich nicht
zu rechtfertigen. Es widerspricht dem Grundsatz, dass ein Zeuge
ohne Druck aussagen soll und dass keine Vergünstigungen in
Aussicht gestellt werden dürfen.
Marcel Bosonet (52), Strafverteidiger in Zürich, Mitglied
der Schweizer Demokratischen Juristinnen und Juristen
Interview: Christoph Villinger
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