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Datum:
21.12.2001
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Zeitung:
tageszeitung
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Titel:
Im Dickicht des Tarek Mousli
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Im Dickicht des Tarek Mousli
Vor zwei Jahren wurden bei einer großen Sprengstoffrazzia
im Mehringhof Ermittlungen gegen angebliche Terroristen publik.
Gefunden wurde nichts. Es war der Anfang des RZ-Prozesses
Wie in einem Pokerspiel sitzen sie sich seit neun
Monaten im Moabiter Kriminalgericht gegenüber. Auf der einen
Seite die Bundesanwaltschaft (BAW), ihr Kronzeuge Tarek Mousli,
42, und meist Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) als Zeugen der
Anklage. Auf der anderen Seite zehn VerteidigerInnen und die fünf
Angeklagten. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in den Revolutionären
Zellen (RZ).
"Daran kann ich mich nicht mehr erinnern", das ist eine
beliebte Standardantwort der beiden leitenden BKA-Fahnder Klaus
Schulzke und Ralf Trede. "Wenn es so in den Akten steht, dann
stimmt das auch so", parieren sie jeden Vorhalt der Verteidiger,
die Unterlagen enthielten Widersprüche. Auf keinen Fall wollen
sich die Beamten in die Karten schauen lassen, wie sie wirklich
agiert, kombiniert und schließlich zugeschlagen haben. Aber
auch die Verteidigung ist vorsichtig, erst sollen die Staatsanwälte
ihre Karten auf den Tisch legen. Die Angeklagten schweigen, was
ihr gutes Recht ist.
Das 1. Kammergericht unter Vorsitz von Gisela Hennig schaut dem
Spiel anscheinend gelangweilt zu. Müsste es ihr zum Beispiel
nicht auffallen, wie der BKA-Fahnder Schulzke im Gerichtssaal versucht,
den debilen Rentner zu spielen, aber - kaum draußen vor dem
Gerichtsgebäude - wie ein junger Hirsch durch die Gegend rennt?
Bei der nun seit neun Monaten andauernden juristischen Bewältigung
einer der größten Polizeiaktionen in der BRD spielt das
BKA entgegen seinem gesetzlichen Auftrag zur Wahrheitsfindung nicht
mit offenen Karten.
Verdeckte Ermittlungen nach einem Sprengstofffund 1995 stehen am
Anfang der Geschichte. Sie wurden erst vor zwei Jahren publik, als
das alternative Kulturzentrum Mehringhof in einer groß angelegten
Razzia nach dort verstecktem Sprengstoff und Waffen durchsucht wurde
- das alles aufgrund der Aussagen des vom hochkarätig "als
Rädelsführer der Berliner RZ" Beschuldigten zum Kronzeugen
mutierten Tarek Mousli. Gefunden wurde nichts. Trotzdem wurden drei
von Mousli als Mittäter Beschuldigte - der Hausmeister des
Mehringhofes Axel Haug, der Politologe Harald Glöde und die
Frankfurterin Sabine Eckle - in Untersuchungshaft genommen. Ein
weiterer Beschuldigter, Rudolf Schindler, saß zu diesem Zeitpunkt
bereits dort. Wenige Monate später verhaftete die Polizei noch
den Leiter des Auslandamtes der TU Berlin Matthias Borgmann und
strengte ein Auslieferungsverfahren gegen den in Kanada lebenden
Lothar Ebke an.
Allen Beschuldigten wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft
in den Berliner RZ, die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen
sowie an den Knieschussattentaten 1986 auf den Leiter der Berliner
Ausländerbehörde Harald Hollenberg und 1987 auf den leitenden
Asylrichter Günter Korbmacher vor. Mousli wurde im Dezember
2000 in einem vorgezogenen Prozess bereits zu zwei Jahren auf Bewährung
verurteilt.
In vielen Details gelang es den Verteidigern bisher, die Geschichte
des Kronzeugen Mousli zerbröseln zu lassen. So konnten Silke
Studzinsky und Andrea Würdinger nachweisen, dass Harald Glöde
an einem Anschlag gar nicht beteiligt gewesen sein konnte. Er saß
zum Tatzeitpunkt in Polizeigewahrsam. Auch behauptete Mousli, dass
Fluchtfahrzeug im Fall Korbmacher sei gestohlen worden. Tatsächlich
wurde es selbst nach Erkenntnissen der Polizei gekauft. Völlig
unklar ist weiterhin, ob nicht doch Mousli auf Korbmacher geschossen
hat. Dies legt die Aussage von Mouslis ehemaliger Lebensgefährtin
Karmen T. nahe. Ihre Aussage hielten die BKA-Fahnder so lange für
glaubwürdig, wie sie Mousli damit erpressen konnten. Um den
Druck auf ihn zu erhöhen, zerstörte das BKA dem anfangs
nicht kooperationswilligen Mousli systematisch die ökonomische
Existenz als Karatelehrer. Parallel lockte es ihn mit finanziellen
Angeboten in die Rolle des Kronzeugen. Heute wirkt Mousli im Prozess
bei oberflächlichem Zuhören recht souverän.
Nach Ansicht des Rechtsanwalts von Sabine Eckle, Johannes Eisenberg,
trägt Mousli ein "undurchdringliches Konglomerat von tatsächlich
Erlebtem, vielleicht Gehörtem und wahrscheinlich Erdachtem"
vor. Völlig offen bleibt, was Mouslis Geschichten mit "der
Wahrheit" und den angeklagten Personen zu tun haben. Für
Rechtsanwältin Undine Weyers, Kollegin von Studzinsky, stellt
sich der Prozess inzwischen als "kleines Schmücker-Verfahren"
heraus: "Am Anfang gibt es eine scheinbar runde Geschichte,
die aber im Verlauf des Verfahrens zerbröselt, immer mehr andere
Details kommen ans Tageslicht, und am Ende sieht die Geschichte
ganz anders aus."
Doch das Gericht bleibt in der Haftfrage hart. Da bei einer Verurteilung
mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren zu rechnen sei,
ist eine Untersuchungshaft von bis zu zweieinhalb Jahren "nicht
unverhältnismäßig", urteilte es vor wenigen
Wochen.
Christoph Villinger
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