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Presse

Datum:
10.03.2001

Zeitung:
Raum Zeit

Titel:
"Per Kronzeugentratsch Militanz abwickeln..."

"Per Kronzeugentratsch Militanz abwickeln..."

Interview mit Klaus Viehmann

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, den "Revolutionären Zellen" - unter diesem Verdacht wurde seit Oktober 1999 ein knappes Dutzend Menschen festgenommen. Gegen vier von ihnen beginnt am 22. März in Berlin der Prozess.

Zusammen mit Stefan Wisniewski (ehemals RAF) war Klaus Viehmann (ehemals "Bewegung 2. Juni") am 13. März in Nürnberg, um über die Politik der RZ und die anstehenden Prozesse zu sprechen.

Raumzeit: Aus welcher gesellschaftlichen Situation heraus entstand deiner Meinung nach das Konzept der "Revolutionären Zellen/ Rote Zora" Mitte der 70er? Was war wichtig für deren Entstehen und deren Politik?

Klaus Viehmann: Anfang der 70er, als die RZ entstanden, war bereits deutlich, dass die Linke keine schnellen Erfolge in der BRD erzielen würde. Dennoch war die Bereitschaft, die persönliche Lebensplanung mit politischen Überzeugungen eng zu verbinden, trotz Berufsverbot oder gar Knast, viel weiter verbreitet als heute. Alle linken Gruppen, legale wie illegale, fanden seinerzeit einfacher Mitglieder und Unterstützung. Die RZ hofften, durch eine nachvollziehbare und auch nachmachbare Militanz linke Aktionsmöglichkeiten zu erweitern, um sowohl staatlicher Repression als auch reformistischen Vereinahmungsversuchen entgegenzuwirken. Es ging darum, Konflikte - von Betriebskämpfen bis zu internationalistischen Themen - so zuzuspitzen, dass klar werden sollte, dass es innerhalb der Systemgrenzen keine Befreiung und keine wirklichen Lösungen gibt. In diesen Konflikten sollten sich revolutionäre Subjekte und eine revolutionäre Strategie herausbilden. Die Entstehung der Roten Zora , die sich in den 80ern von den RZ trennt, ist ganz eng mit der Entwicklung der Frauenbewegung verbunden, in der leider vergriffenen Broschüre "Milis Tanz" hat die Rote Zora dies Mitte der 90er dokumentiert.

Raumzeit: Wie würdest du heute - mit dem Abstand von vielen Jahren die Politik der RZ beurteilen? Wie erfolgreich waren sie, was würdest du kritisieren?

Klaus Viehmann: Eine kurze Frage, auf die keine kurze Antwort möglich ist. Zuviel haben die RZ in 20 Jahren gemacht und geschrieben, zu viele unterschiedliche Gruppen und Phasen gab es. Ich denke, dass die RZ auf Zustimmung in der Linken gestoßen sind, wo sie aktuelle Themen aufgegriffen haben von der Chile-Solidarität 1973 über Aktionen gegen Miethaie oder Fahrpreiserhöhungen bis zu Anti-Apartheid-Aktionen und der antirassistischen Flüchtlingskampagne in den 80er Jahren. Dort nicht isoliert worden zu sein, ist sicher ein Erfolg. Die staatliche Repression gegen die RZ war in Relation zur Vielzahl der Anschläge etwa 180 im Lauf von 20 Jahren - nicht sehr erfolgreich, auch wenn gerade versucht wird, das zu ändern. An seine Grenzen gestoßen ist hingegen das Organisationskonzept der RZ, aus der Legalität heraus zu agieren. Wenn Leute doch mal untertauchen müssen, müssten sie eine andere - illegale - Strukturen aufbauen, was aber eine Organisationsform wäre, die von der RZ politisch nicht gewollt war, es sollte ja gerade keine umfangreiche illegale Logistik und deren Sachzwänge geben. Ein ganz anderer Punkt war die Beteiligung von RZ-GenossInnen an der Entführung eines Flugzeuges mit israelischen Passagieren nach Entebbe 1976. Auch wenn es damals um eine Befreiung von politischen Gefangenen ging, war die Geiselnahme von unbeteiligten Passagieren schon damals innerhalb der RZ umstritten, zumal ausgerechnet israelische, jüdische Menschen, womöglich gar Überlebende des Holocaust, mit Waffengewalt festgehalten wurden. Das selbstkritisch zu reflektieren und später eine ganz andere Praxis zu machen, spricht jedoch auch für die Weiterentwicklung der RZ.

Raumzeit: Nach den jüngsten Festnahmen gab es Diskussionen innerhalb der Linken:Die Solidaritätsarbeit mit den Gefangenen eindeutig in den Vordergrund stellen oder die Verhaftungen als Anlass nehmen, sich mit Politik und Geschichte der RZ auseinanderzusetzen? Welche Position vertrittst du?

Klaus Viehmann: Praktische Solidarität mit Gefangenen ist unabdingbar. Eine Auseinandersetzung über die Politik, für die die Leute da angeklagt werden, steht in gar keinem Widerspruch dazu, sie ist ebenso wichtig. Außer den legitimen Interessen der Gefangenen gibt es das legitime Interesse, die RZ als Teil der linken Geschichte darzustellen, die ja unabhängig von den Gefangenen existiert. Dass sich ein breiteres Interesse an dieser Geschichte erst nach den Verhaftungen ergeben hat, ist vielleicht schade, aber so läuft das nun mal. Meine eigene Knasterfahrung ist auch, dass die politische Auseinandersetzung draußen sehr wichtig ist, weil sie belegt, dass das, wofür du sitzt, noch wichtig und nicht schon vergessen ist.

Raumzeit: Wie siehst du das Verhalten der Bundesanwaltschaft - späte Rache an einem recht erfolgreichen Ansatz militanter Politik, oder nimmt sie die Zeugenaussagen einfach als gefundenes Fressen, da sie nie wirkliche Erfolge gegen die RZ verbuchen konnte?

Klaus Viehmann: Wahrscheinlich beides, wobei es sicher kein Zufall ist, dass die Verfahren zu diesem Zeitpunkt kamen. Die Verhaftung von Hans-Joachim Klein in Frankreich und der OPEC-Prozess sind offensichtlich ferngesteuert worden um die heute laufende Kampagne gegen "68" anzuschieben. Gegen die RZ Jahre nach ihren letzten Aktionen nachzutreten, hat vermutlich etwas mit der Absicht zu tun, Militanz als in der BRD nicht erfolgreich abzuwickeln. Das per Kronzeugentratsch zu versuchen, zielt auf eine moralische Diskreditierung "seht, wie sie sich verraten" -, da eine politische Diskreditierung der antirassistischen Aktionen, die da angeklagt werden, kaum möglich ist. Die neue Hauptstadt Berlin von militanten Resten - oder dem, was die Sicherheitsbehörden dafür halten - zu säubern, ist wohl auch ein Aspekt. Letztlich ist es aber wichtiger den linken Umgang damit zu diskutieren, als die Motive der BAW.

Raumzeit: Wie beurteilst du die derzeit stattfindende "Fischer-Debatte"? Wird hier auf die Schnelle Geschichte entsorgt und wenn ja, wessen? Fischers, die der militanten Linken, die Debatte um den bewaffneten Kampf ... ?

Klaus Viehmann: Den bewaffneten Kampf haben Fischer und andere ja schon Ende der 70er entsorgen wollen - ein Treppenwitz der Geschichte, dass ihnen das heute nichts nützt und sie dennoch damit in Verbindung gebracht werden. Wie zynisch, dass sich diese wendigen Aufsteiger eilfertig für jede Zeile eines 25 Jahre alten Artikels über den von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt Buback entschuldigen, aber nicht für die von ihnen zu verantwortenden Bomben auf Belgrad. Bei dieser Kampagne geht es darum, jede Rebellion - und dafür steht "68" trotz aller etablierten "68er" - als falsch darzustellen. An dieser Feststellung haben Fraktionen der Herrschenden heute anscheinend ein gesteigertes Interesse. Ich frag mich nur, wieso? Was sehen die kommen? Und sehen die schon was, was wir nicht sehen?

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http://www.freilassung.de/presse/berlin/rz190301.htm