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Datum:
21.12.2001
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Zeitung:
Neues Deutschland
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Titel:
Nur wegen Aussagen des Kronzeugen in Haft
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Nur wegen Aussagen des Kronzeugen in Haft
Verfahren um "Revolutionäre Zellen" manipuliert
Seit zwei Jahren sind drei der fünf Angeklagten im Berliner
RZ-Prozess in Haft. Alleine wegen unbewiesener Anschuldigungen eines
Kronzeugen
Am 19. Dezember 1999 überfielen rund 1000 Polizeibeamte und
Einheiten der GSG 9 das Berliner Politik- und Kulturzentrum Mehringhof.
Gleichzeitig wurden in Frankfurt (Main) eine Frau und in Berlin
zwei Männer festgenommen. Seit neun Monaten wird vier Männern
und einer Frau vorm Kammergericht Berlin der Prozess gemacht. Sie
sind wegen Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen"
(RZ) und verschiedener Anschläge angeklagt: Sprengstoffanschläge
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber 1987 und
auf die Berliner Siegessäule 1991 sowie Knieschussattentate
auf den damaligen Chef der Berliner Ausländerbehörde 1986
und einen Richter am Asylsenat des Bundesverwaltungsgericht 1987.
Das einzige relevante Beweismittel ist ein Berliner Karatelehrer,
der als Kronzeuge im Prozess auftritt.
Stutzig machen die vielen Ungereimtheiten und die bislang bekannt
gewordenen Prozessmanipulationen. Sie legen nahe, dass Bundesanwaltschaft
(BAW) und Bundeskriminalamt (BKA) ihren Kronzeugen Tarek Mousli
derart präpariert haben, dass von Wahrheitsfindung nicht mehr
gesprochen werden kann. So wurde Mousli von einer ehemaligen Lebensgefährtin
beschuldigt, er sei der Schütze beim Anschlag auf den Asylrichter
Dr. Korbmacher gewesen. Im Herbst 1999 reichte diese Aussage den
Ermittlungsbehörden noch aus, den Vorwurf gegen Mousli auf
Rädelsführerschaft in den RZ auszuweiten und der Frau
das Angebot zu machen, sie in das BKA-Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.
Nach den Verhaftungen im Dezember 1999 wurde diese Aussage ignoriert
und der Vorwurf fallen gelassen. Die BAW hat auch umfangreiches
Beweismaterial unterschlagen, das bislang von der Verteidigung nur
in Auszügen ausgewertet werden konnten. Aus abgehörten
Telefonaten des Kronzeugen von über 700 Stunden geht hervor,
dass das BKA einer anderen Zeugin untersagt hatte, Kontakt zum Anwalt
Mouslis aufzunehmen, bis dessen Geschichte als "wasserdicht"
galt.
Aus Anlass des Jahrestags der Verhaftung haben sich Bürgerrechtsorganisationen
und über zweihundert Bürger mit einer Petition ans Berliner
Kammergericht gewandt. Darin fordern sie die Richter auf, zumindest
die "übermäßig lange" Untersuchungshaft
"umgehend auszusetzen". Nur so könnte weiterer Schaden
vom Rechtsstaat abgewendet werden.
Inakzeptabler Handel
Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke forderte in einer Erklärung,
aus diesem Prozess müsse "die Lehre gezogen werden, dass es
eine Neuauflage der Kronzeugenregelung nicht geben darf. Ein Handel
mit der Strafe, in den der Täter sein Täterwissen als
Geschäftsgrundlage einbringt, ohne dass an die Tatumstände
und die Schuld angeknüpft wird, ist nicht akzeptabel."
Martin Beck
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