s Presseschau: Der Berliner Prozess
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Presse

Datum:
26.08.2002

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Untiefen im "RZ-Verfahren"

Untiefen im "RZ-Verfahren"

Berlin: Professorin will mit Algenanalyse Licht in den Prozeß bringen

Der Seegraben im Norden Berlins rückt immer mehr ins Zentrum des sogenannten "Berliner RZ-Verfahrens". Der Kronzeuge Tarek Mousli hatte behauptet, dort 1999 den Sprengstoff "Gelamon 40", den er von den "Revolutionären Zellen" (RZ) erhalten haben will, in einem plastikumhüllten Paket versenkt zu haben. Diese Version wird mittlerweile stark bezweifelt. Die wissenschaftlich exakte und juristisch stichhaltige Beweisführung gestaltet sich jedoch schwierig, nicht zuletzt, weil umfassende und kostenträchtige Untersuchungen notwendig wären, zu denen das Berliner Kammergericht bisher nicht bereit scheint. Das nährte schon in der Vergangenheit mehrfach den Verdacht bei Prozeßbeteiligten wie -besuchern, die Urteile stünden ohne jede Beweisführung schon fest.

Am vergangenen Donnerstag wurde auf Betreiben der Verteidigung nun der 36jährige Bauingenieur Harald K. gehört, der seit 1994 bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wasserbaulich für den Seegraben zuständig ist. Er legte dar, daß, anders als dies die Bundesanwaltschaft (BAW) zu suggerieren versucht, keinerlei Veränderungen im Areal am und um den Seegraben vorgenommen wurden. Damit kann davon ausgegangen werden, daß Untersuchungen mit dem heutigen Seegrabenwasser und den darin enthaltenen Mikroorganismen für einen Vergleich mit der Situation 1999 möglich sind. Das in Pankow-Nord gelegene Gewässer sei regelmäßig durch monatliche Kontrollgänge sogenannter "Grabenläufer" überprüft worden, die dortigen Wehre sogar 14tägig.

Nicht nur durch kautschukfressende Organismen (jW berichtete), auch durch Algen läßt sich die Lagerzeit von Gegenständen im Wasser ermitteln. Zu diesem Ergebnis kam die als Sachverständige geladene emeritierte FU-Professorin Ursula Geissler. "Voraussetzung", so die Hydrobiologin, die sich mit einer umfassenden Analyse aller im Großraum Berlin vorkommenden Algenarten einen Namen gemacht hat, sei allerdings "eine ausreichende Menge." Teile dieser Algenreste, die sich an dem Sprengstoffpaket befunden haben, sind nun jedoch, entweder vor oder während einer Untersuchung beim Bundeskriminalamt (BKA), verschwunden, wie die Kölner Rechtsanwältin Edith Lunnebach mitteilte.

Dennoch zeigte sich Geissler nach einer ersten Sichtung von Bildmaterial, das von dem Asservat angefertigt wurde, zuversichtlich. Angaben zur Liegedauer könnten gemacht werden, denn schon jetzt seien "genug Algen zu erkennen". Besondere Aufmerksamkeit verdienten dabei, so die bis 1996 an der Freien Universität forschende Wissenschaftlerin, sogenannte Diatomeen oder Kieselalgen, denn deren Vorkommen und Wachstumsverhalten lasse Schlüsse auf den Liegezeitraum zu. Entschieden widersprach Geissler daher einem BKA-Gutachten ihres Fachkollegen Demmelmeier. Dieser war zu dem Schluß gekommen, eine Analyse der Kieselalgen brächte keine verwertbaren Ergebnisse. "Der Kollege denkt offenbar an andere Analysemethoden. Ich will über Ergebnisse nicht spekulieren," so die Hydrobiologin, "denn erst eine Untersuchung kann Aufschluß bringen. Aber es geht." Über eine Beauftragung hat das Kammergericht indes noch nicht entschieden.

Einen Erfolg konnten der Angeklagte Rudolf Sch. und dessen Ehefrau Sabine E. außerhalb des Gerichtssaals verbuchen. Nachdem Sch. schon vor zwei Jahren im sogenannten OPEC-Verfahren vom Vorwurf der Beteiligung an dem Überfall auf die Ölminister-Konferenz freigesprochen wurde, ist nun auch ein damals gegen ihn und seine Frau angestrengtes Verfahren eingestellt worden. Die Bundesanwaltschaft hatte versucht, beide für den Mord am damaligen hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry verantwortlich zu machen, der 1982 getötet worden war.

Volker Eick

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