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Presse

Datum:
20.03.2004

Zeitung:
junge Welt

Titel:
Drei Jahre umsonst

Drei Jahre umsonst

Beweisaufnahme spielte keine Rolle: Das Urteil im Berliner RZ-Prozeß stand von Anfang an fest

Am Donnerstag ging der Berliner Prozeß in Sachen »Revolutionäre Zellen« überraschend zu Ende. Das Kammergericht verhängte gegen die fünf Angeklagten mehrjährige Haftstrafen (siehe jW vom 19. März). Unerschüttert hielten die Richter am Kronzeugen fest, auf dessen Anschuldigungen die Anklage im wesentlichen beruhte.

Am Ende steht fest: Alle Bemühungen der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit des Zeugen der Anklage Tarek Mousli während der 174 Verhandlungstage zu erschüttern, waren vergeblich. Alle entsprechenden Bemühungen prallten an der Bundesanwaltschaft (BAW) und dem Berliner Kammergericht ab. Daß für viele Behauptungen des Kronzeugen jeglicher Beweis fehlt, spielte keine Rolle.

Vor fast drei Jahren begann das Mammutverfahren vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin unter Vorsitz von Gisela Hennig. Gestützt vor allem auf die Vorwürfe Mouslis, verhandelte der Senat seit Mai 2001 gegen die Frankfurter Galeristin Sabine Eckle (57), ihren Ehemann Rudolf Schindler (61), den früheren Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin, Matthias Borgmann (55), den Mitarbeiter der »Forschungsgesellschaft Flucht und Migration«, Harald Glöde (55), sowie den Hausmeister des Berliner Alternativzentrums Mehringhof, Axel Haug (53). Die Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« nach § 129a StGB, Beteiligung an den bereits strafrechtlich verjährten Knieschußattentaten auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, 1986 und den Vorsitzenden Richter des Asylsenats des Bundesverwaltungsgerichts, Günther Korbmacher, 1987 sowie in wechselnden Konstellationen an den Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987 und die Berliner Siegessäule 1991.

Der Bewertung der Bundesanwälte, die Anschuldigungen Mouslis seien glaubwürdig, schlüssig und wahrheitsgetreu, schloß sich der Senat ohne Abstriche an. Hatte die BAW noch eingestanden, es sei »nicht zu verkennen, daß für Tarek Mousli ein starkes Motiv bestand, ein Geständnis abzulegen«, wollte der Senat jedoch nicht einmal dies eingestehen. »Der Senat ist überzeugt, daß er die Angeklagten nicht aus Eigennutz über Gebühr belastete«, führte Hennig aus. Mousli, gegen den wegen Rädelsführerschaft ermittelt wurde, sei von den Ermittlungsbehörden nicht unter Druck gesetzt worden. In Wirklichkeit hatte man ihm jedoch mit einem langen Prozeß und einer hohen Haftstrafe gedroht. Das sei »keinesfalls eine Nötigung, wie es ein Verteidiger ausdrückte, sondern ein zulässiges Mittel der Strafverfolgungsbehörden« gewesen, so Hennig. Die Aussagen des Kronzeugen enthielten eine »Fülle von Täterwissen«.

Für das Gericht war es nicht wichtig, daß die meisten Anschuldigungen Mouslis lediglich auf Hörensagen beruhen. Es spielte z.B. auch keine Rolle, daß der von Mousli beschriebene Aufbau des Sprengsatzes, der beim Anschlag auf die ZSA zur Verwendung kam, nach Aussage von BKA-Experten nicht diese Sprengwirkung hätte entfalten können. Es spielte keine Rolle, daß trotz zweimaliger intensiver Suche im Mehringhof kein Waffen- und Sprengstoffdepot gefunden wurde. Es spielte keine Rolle, daß der Sprengstoff, den Mousli 1995 in einem Seegraben im Norden Berlins entsorgt haben will, nach Aussage von Gutachtern dort nie so lange gelegen haben kann. Unerheblich auch, daß eine Zeugin sich dazu bekannt hat, 1986 die Schüsse auf die Beine Hollenbergs abgegeben zu haben und nicht Schindler, wie von Mousli behauptet.

Die Sache sah für den Senat ganz einfach aus: Eckle, Schindler und Haug hätten sich als RZ-Militante geoutet. Obwohl alle den Aussagen des Kronzeugen in Kernbereichen widersprachen, betonte der Senat, wesentliche Teile der Anklage und die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen seien dadurch »erhärtet worden«. Die Angeklagten hätten lediglich »das Mindeste und nicht Bestreitbare zugegeben. Dieses Taktieren hat den Angeklagten mehr geschadet als genutzt.« Wären die eigenen rechtsstaatlichen Grundsätze ernst genommen worden, wäre eine Verurteilung nach den ursprünglichen Anklagepunkten unmöglich gewesen.

Im wesentlichen beruhen die Aussagen Mouslis auf Hörensagen; dort, wo er angebliches Täterwissen offenbarte, erwies es sich als falsch oder allgemein zugänglich. Im Kern bleiben deshalb für eine Verurteilung nur biographische Gemeinsamkeiten und die politische Gesinnung der Angeklagten. Mit dem Paragraphen 129a hatte der Senat dafür das richtige Werkzeug in der Hand. Mit ihm kann verurteilt werden, ohne konkrete Beweise vorlegen und Tatbeteiligungen nachweisen zu müssen.

Beat Makila

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