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Datum:
19.08.2003
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Zeitung:
junge Welt
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Titel:
Ohrfeige für Schily
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Ohrfeige für Schily
RZ-Prozeß: Verwaltungsgericht hob Sperrerklärung des
Bundesinnenministeriums auf
"Die Entscheidung hat sich der Innenminister sehr schwer gemacht",
verteidigte der Rechtsvertreter des Bundesinnenministeriums, Dr.
Selner, am Montag die sogenannte Sperrerklärung, mit der das
Ministerium die ungeschwärzte Weitergabe von Akten des Verfassungsschutzes
an die Verfahrensbeteiligten im Berliner RZ-Prozeß verhindert
hat. Die 34. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin sah das anders.
In ihrer gestern verkündeten Entscheidung hob sie die Sperrerklärung
auf, da diese das Recht von Harald G. auf ein rechtsstaatliches
Verfahren unzulässig eingeschränkt habe, hieß es
zur Begründung.
Harald G., einer der fünf Angeklagten im Prozeß gegen
mutmaßliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen"
wegen mehrerer Sprengstoffanschläge, hatte auf Herausgabe der
ungeschwärzten Gesprächsprotokolle zwischen VS-Beamten
und dem Kronzeugen Tarek Mousli geklagt. Da Mousli in diesem Verfahren
das wesentliche Beweismittel sei, so G.s Verteidigerin Silke Studzinsky,
sei es erforderlich, Mouslis Glaubwürdigkeit überprüfen
zu können und gewisse Entwicklungen im Aussageverhalten nachzuvollziehen.
Dies sah das Verwaltungsgericht ähnlich. In mehreren Entscheidungen
habe das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß eine Sperrerklärung
aus ihrer Begründung selbst heraus tragfähig sein müsse.
Dies aber, so die Verwaltungsrichter, treffe in diesem Fall nicht
zu. Weder finde in der Sperrerklärung eine sorgfältige
Abwägung der im Spannungsfeld stehenden Rechtsgüter, noch
eine entsprechende Würdigung des gesamten Sachverhalts statt
- insbesondere der Schwere der Straftat, des Ausmaßes der
dem Beschuldigten drohenden Nachteile und des Stellenwerts des Beweismittels.
Bereits in einem Beschluß zu einem Eilantrag von Harald
G. im März 2003 hatten die Verwaltungsrichter zu der Sperrerklärung
festgestellt, daß sie "dem Hauptanliegen der Verteidigung,
nämlich eine bestimmte "Entwicklung" des Aussageverhaltens
des Kronzeugen Mousli belegen zu wollen, nur einen kurzen Absatz
widmet". Allerdings sei bereits den nicht geschwärzten
Protokollteilen zu entnehmen, "daß eine bestimmte Vernehmungsweise
quasi Geschäftsgrundlage" gewesen sei, "die naturgemäß
zu einer Veränderung der Aussageinhalte geführt haben
muß". Dem Erinnerungsvermögen Mouslis sei, so die
Richter, mit "unterstützender Hilfe" auf die Sprünge
geholfen worden, als ihm unter anderem Namen und Fotos "seitens
der Vernehmenden vorgenannt" wurden.
Insofern konnten die Verwaltungsrichter auch den Beteuerungen des
Bundesinnenministeriums wenig abgewinnen, man sei zusammen mit dem
Verfassungsschutz die Gesprächsprotokolle Abschnitt für
Abschnitt durchgegangen und habe alle prozeßrelevanten Stellen
nicht geschwärzt. Mit einem solchen Vorgehen, so die Verwaltungsrichter
in ihrer mündlichen Begründung, sei dem Anliegen der Verteidigung
nicht gedient, seien doch gerade solche Gesprächsinhalte von
Bedeutung, an denen sich eine Entwicklung der Aussage zeigen lasse,
die aber nicht unbedingt mit dem Verfahrensgegenstand im Zusammenhang
stehen müsse. Konsequent lehnte das Verwaltungsgericht deshalb
auch den Vorstoß des Bundesinnenministeriums ab, die VS-Gesprächsprotokolle
in einem In-camera-Verfahren unter Ausschluß der Verteidigung
in den Strafprozeß einzuführen.
"Wir werden mit dieser Entscheidung erneut einen Aussetzungsantrag
vor dem Kammergericht stellen", kündigte Rechtsanwältin
Studzinsky nach der Bekanntgabe an, "und vom Gericht verlangen,
die Protokolle erneut anzufordern." Somit ist erst einmal wieder
das Kammergericht am Zug. Allerdings dürfte in dieser Sache
noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Das Bundesinnenministerium
wird vermutlich gegen diese Entscheidung in Berufung gehen.
Beat Makila
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