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Datum:
18.03.2002
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Zeitung:
junge Welt
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Titel:
Um Kopf und Kragen geredet
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Um Kopf und Kragen geredet
Im Berliner RZ-Prozeß werden die Aussagen des Kronzeugen
immer unhaltbarer
Turbulent verliefen vergangene Woche zwei Prozeßtage im "Berliner
RZ-Verfahren". Im Mittelpunkt standen BKA-Videoaufnahmen der
zweiten Durchsuchung des MehringHofes im Mai 2000. Seit 1995 behauptet
der Kronzeuge Tarek Mousli, den genauen Ort des Sprengstoff- und
Waffendepots in dem alternativen Politik- und Kulturzentrum MehringHof
genau zu kennen. 1999 setzte er davon die Polizei in Kenntnis, die
darauf im Dezember 1999 mit 1000 Beamten das Zentrum durchsuchte
- mit einem Sachschaden von 70000 Euro. Sprengstoff und Waffen wurden
nicht gefunden. Auch die zweite Durchsuchung mit einer Videostandleitung
zu Mousli erbrachte keinen Waffen- oder Sprengstofffund. Durch die
gezeigten Aufnahmen und Mouslis Äußerungen gegenüber
dem BKA-Beamten "Torsten" wurde allerdings deutlich, daß
Mousli willkürlich Räumlichkeiten angab, um den Eindruck
zu erwecken, er habe Wissen zu einem Depot.
Während der anschließenden Befragungen durch Gericht
und Verteidigung wurde die Fabulierkunst Mouslis in Sachen Sprengstoff
so deutlich, daß selbst die Vorsitzende Richterin, Gisela
Hennig, sonst nicht gerade ein Ausbund an kritischer Befragungstechnik,
Mousli ermahnte: "Herr Mousli, das ist ja nun doch erklärungsbedürftig,
daß Sie, wie schon beim Sprengstoffdepot im Seegraben (jW
berichtete) erst eine konkrete Erinnerung haben wollen und dann
wieder einen ganz anderen Ort bezeichnen. Das kann man sich nur
schwer erklären." Noch deutlicher wurde das bei der Befragung
Mouslis durch die Verteidigung. Weder konnte Mousli erklären,
warum er den angeblichen Platz des Depots an drei unterschiedlichen
Orten jedes Mal "ganz klar" benennen konnte, um sodann
nur noch von "wichtigen Anhaltspunkten" zu sprechen. "Wir
waren Zeugen einer Lüge des Herrn Mousli", so Verteidiger
Hans Wolfgang Euler zum Abschluß des Prozeßtages. Deutlich
wurde, daß Mousli über ein angebliches Sprengstoff- und
Waffendepot im MehringHof keine Kenntnis hatte, sondern frei fabulierte.
Vergangenen Freitag wurde die Befragung Mouslis fortgesetzt, begann
jedoch aufgrund von Sprechchören der etwa 30 anwesenden Prozeßbesucher
zwanzig Minuten später. Mit zwei Transparenten ("Harald
muß raus!" und "Schluß mit der Erzwingungshaft!")
und Trillerpfeifen wurde die Vorsitzende Richterin veranlaßt,
den Saal räumen zu lassen. Ein Gerichtsdiener soll sich nach
unbestätigten Angaben eines Personenschützers dabei einen
Finger gebrochen haben. Unter Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA)
war danach die Rede von einem "Kollateralschaden".
In zwei weiteren Befragungskomplexen tauchten dann erstmals auch
Zweifel auf, ob Mousli überhaupt in RZ-Strukturen eingebunden
war. Mousli, der bis zu seiner Mitgliedschaft in den Revolutionären
Zellen (RZ) in der Zeitschrift radikal mitgearbeitet haben will,
konnte jedenfalls zu inhaltlichen Auseinandersetzungen in den RZ
keine Angaben machen. Auch an das Anfang der 80er Jahre höchst
umstrittene RZ-Buch "Der Weg zum Erfolg" konnte er sich
nicht erinnern. Es habe wohl "irgendwie eine Patriarchatsauseinandersetzung"
gegeben. Welchen Inhalts, das sei ihm nicht erinnerlich. Auch seine
Unkenntnis der Literatur aus den RZ vor allem der frühen 80er
Jahre - also der Zeit seiner angeblichen Mitgliedschaft - darf als
beispiellos gelten. Mousli, der nach eigenen Angaben zum ersten
und einzigen Mal den Bau eines Sprengsatzes beobachtet haben will,
als der Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber
(ZSA) vorbereitet wurde, konnte sich an keine Details der Herstellung
des Sprengsatzes erinnern. Gleichzeitig aber war er sicher, daß
die Angeklagten Sabine E. und Rudolf Sch. den Sprengsatz "auch
zu Schulungszwecken" in seinem Beisein gebaut hätten.
Vor diesem Hintergrund wird klar, warum eine Vielzahl von Beweisanträgen
der Verteidigung von der Bundesanwaltschaft (BAW) als "für
das Verfahren irrelevant" zurückgewiesen wurden: Je detaillierter
der Blick auf Mouslis Konstruktionen wird, desto schneller bricht
dessen Darstellung der Sachverhalte in sich zusammen.
Volker Eick
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