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Presse

Datum:
17.12.2001

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Grabenkrämpfe im RZ-Prozeß

Grabenkrämpfe im RZ-Prozeß

Bundeskriminalamt blamiert sich: Sprengstoff gefunden, nicht untersucht und schließlich vernichtet

In dem seit über neun Monate währenden Prozeß gegen vier Männer und eine Frau, denen vom "Kronzeugen" Tarek Mousli die Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen" (RZ) und mehrere Anschläge aus den 80er und frühen 90er Jahren vorgeworfen werden, spüren Gericht und Verteidigung vor dem Berliner Landgericht derzeit einem Sprengstoffpaket nach, das Mousli im März 1995 in einem Wassergraben in Berlin versenkt haben will. Mousli selbst wurde bereits im Dezember 2000 mit einer Bewährungsstrafe und 2400 Mark für seine Arbeit belohnt, während die Angeklagten seit zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzen.

Sofort nachdem Mousli den Diebstahl eines Teils des Sprengstoffs aus seinem Keller bemerkte, will der Kreuzberger Karatelehrer die Reste in einem Seegraben in Berlin-Buch entsorgt haben. Der entwendete Sprengstoff tauchte wenig später als Hehlerware auf, und rief so die Berliner Kriminalpolizei auf den Plan. Diese machte dem Bundeskriminalamt (BKA) sofort mit einem Fernschreiben Meldung, als sich herausstellte, daß es sich um den Sprengstoff Gelamon 40 handelte, einen seit 1987 von den RZ verwandten Sprengstoff. Doch erst im November 1997 will das BKA davon erfahren haben, noch einmal fast zwei Jahre sollen vergangen sein, bis der Restsprengstoff im August 1999 in dem Graben "gefunden" wurde. Zu diesem Komplex wird derzeit Ralf Trede, seinerzeit Leitender BKA-Beamter, als Zeuge gehört.

Trede (41), direkt nach Abschluß des Mousli-Verfahrens nach Bogotá versetzt und dort für das Auswärtige Amt tätig, ist in diesem Verfahren aufgefordert, die Lücken, die ein damaliger BKA-Kollege, Kriminalhauptkommissar Schulzke, wegen beginnender Debilität nicht schließen konnte, zu füllen.

Nach bisherigem Stand der Vernehmung - der Prozeß wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt - behauptete Mousli bei seiner Vernehmung im Juni 1999, er habe in besagtem Wassergraben Sprengstoff versteckt. Berliner Polizeitaucher begannen daher unter der Leitung Tredes am 16. Juli mit der Suche, nachdem Mousli eine detaillierte Skizze angefertigt hatte. Mit negativem Resultat. Während Trede nun vor Gericht behauptet, Mousli sei über den genauen Ort verunsichert gewesen, und er, Trede, habe, an ihn gekettet, mehrere hundert Meter des Wassergrabens absuchen müssen, geht aus den Akten anderes hervor. Danach hatte Mousli die Fundstelle "präzise bezeichnet", und die Taucher hatten nichts finden können. Das Suchgebiet sei "ausgeweitet worden", an das genaue Gebiet könne er sich jedoch "heute nicht mehr erinnern", kommentierte er diese "Aktion Wasserschlag".

Die Situation beim BKA sei zu diesem Zeitpunkt - zwischen Juni und August 1999 - "äußerst chaotisch gewesen". Er sei unter massiven Druck der Kollegen geraten, weil außer ihm keiner seiner Kollegen, auch Schulzke nicht, noch an einen Sprengstofffund geglaubt habe. Nur er, Trede, traute offenbar noch den Angaben Mouslis, "weil ich mir tausendprozentig sicher war". Und das, obwohl schon vor den Suchaktionen die damalige Lebensgefährtin Mouslis, Karmen T., ausgesagt hatte, daß Mousli den Graben gar nicht hatte kennen können: "Ich habe ihm den Graben erst im Herbst 1995 gezeigt", hatte sie beim BKA und später auch vor Gericht ausgesagt.

Als dann am 24. August 1999 BGS-Einheiten, wieder unter Leitung Tredes, doch noch Sprengstoff der Marke Gelamon 40 fanden, war die Freude groß. So groß, daß weder Fundort noch Verpackung fotografiert wurden. Auch ein Gutachten, das über die Liegedauer des Sprengstoffs hätte Auskunft geben können, wurde nicht in Auftrag gegeben. Und das Gelamon 40 wurde kontrolliert gesprengt. Trede, dessen Erinnerungsvermögen nahe an der Qualität seines damaligen Vorgesetzten Schulzke lag, konnte zur Begründung für diese und andere Versäumnisse keine Auskunft geben.

Volker Eick

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