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Datum:
17.09.2001
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Zeitung:
Junge Welt
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Titel:
Die Zeugin ist sich sicher
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Die Zeugin ist sich sicher
Berliner RZ-Verfahren fortgesetzt. Schlechte Karten für
Bundesanwaltschaft
Am vergangenen Donnerstag wurde beim RZ-Prozeß vor dem Berliner
Kammergericht erneut die ehemalige Lebensgefährtin des Kronzeugen
Tarek Mousli vernommen. Karmen T. bestätigte alle bisher gemachten
Aussagen und konnte weitere Details zu den eklatanten Widersprüchen
geben, in die sich Mousli im bisherigen Prozeßverlauf bereits
verwickelt hat. Erneut spielte dabei auch dessen Finanzgebaren eine Rolle,
denn nach wie vor ist ungeklärt, was den hochverschuldeten Mousli dazu
bewogen haben könnte, fünf derzeit in Berlin Angeklagte und
seinen langjährigen Freund, den derzeit in Kanada inhaftierten Lothar
E., der Mitgliedschaft in der "terroristischen Vereinigung
Revolutionäre Zellen (RZ)" zu beschuldigen.
Karmen T. berichtete, wie sich Mousli, obgleich verschuldet und in
stetem Kontakt mit Gerichtsvollziehern, ein BMW-Cabrio im Wert von etwa 20
000 Mark zulegte und sein altes Fahrzeug - "das war mehr so die
Kategorie >besser schlecht gefahren, als gut gelaufen<, würde
ich mal sagen" - verschrotten ließ. Ungewollt brachte die hoch
konzentrierte, aber nach mehrstündiger Vernehmung sichtlich
erschöpfte Zeugin damit die Situation des Kronzeugen auf den
Punkt.
So gab die Zeugin detailliert wieder, wie Mousli ihr freimütig vom
Schußwaffenanschlag auf den damaligen Verwaltungsrichter Korbmacher
berichtet hatte. Auch an dessen Begründung, dieser sei für die
Abschiebung seiner Schwester in den Libanon
"mitverantwortlich", konnte sie sich erinnern. Mousli selbst
hatte später behauptet, zur Tatzeit nicht einmal in der Nähe des
Tatortes gewesen zu sein - schlecht gelaufen.
Die Bundesanwaltschaft - nach dem ausgiebigen Sommerurlaub der
Bundesanwälte Bruns und Homann nun wieder vollzählig versammelt
-, die händeringend bemüht war, der Zeugin ihre detaillierten
Erinnerungen auszureden, war erstmals mit harschen Widerworten der
Vorsitzenden Richterin, Gisela Hennig, konfrontiert: "Also Herr
Homann, daß sich die Zeugin sicher ist, daß Mousli ihr gesagt
hat, er hat geschossen, ist doch nun wirklich bekannt" - schlecht
gelaufen.
995 Kassetten mit seit September 1999 abgehörten
Telefongesprächen sind dem Gericht und der Verteidigung bis heute
vorenthalten worden, Abschriften weiterer 500 Kassetten, die den Zeitraum
von November 1998 bis Mai 1999 umfassen, erreichten die Rechtsanwälte
erst einen Monat später. Daß Karmen T. das Zeugenschutzprogramm
angeboten wurde, weil ihre Aussagen der Bundesanwaltschaft (BAW) bis zum
November 1999 als "besonders glaubwürdig und präzise"
galten, stellte sich erst vergangene Woche heraus. Auch daß die
Zeugin "aus Sicherheitsgründen" an einen sicheren Ort
verbracht wurde, während Tarek Mousli zeitgleich ihre Aussagen mit
seiner Darstellung der Binnenstrukturen der "Revolutionären
Zellen" und vor allem seiner Beteiligung abglich, ergab erst die
Befragung der Zeugin in der ersten Septemberwoche. Wieder schlecht gelaufen
- diesmal für die Bundesanwaltschaft.
Bisher hat freilich das Berliner Kammergericht nicht erkennen lassen,
daß es von nun an im Sinne der Wahrheitsfindung besser laufen soll.
Ein Antrag der Verteidigung, das Verfahren solange auszusetzen, bis endlich
alle Akten und Beweismittel dem Gericht und der Verteidigung zur
Verfügung stehen und gesichtet werden konnten, soll erst diese Woche
entschieden werden. Auch über den Antrag auf Haftverschonung aller
Angeklagten will das Gericht erst dann befinden. Noch ist also unklar, ob
das Kammergericht seiner Verantwortung gerecht wird und die Aussagen der
Zeugin sowie die Aktenmanipulation der Bundesanwaltschaft angemessen
würdigt. Solange das nicht geschieht, ist Mousli, der seit dem
Frühjahr 2000 für seine - wie sich jetzt zeigt - zahlreichen
Falschaussagen mit monatlich 2400 Mark und weiteren Vergünstigungen
alimentiert wird, gut gefahren.
Noch gilt das auch für das Kammergericht. Denn bisher waren die
Richterinnen und Richter weitgehend gut damit gefahren, Desinteresse an den
Bemühungen der Rechtsanwälte um Wahrheitsfindung zu zeigen und
auch den bisweilen bis an die Schmerzgrenze polemisierenden Rechtsanwalt
Johannes Eisenberg zu ignorieren. Jetzt aber ist es für Gisela Hennig
und ihre Kollegen dringend angezeigt, auf Wahrheitsfindung und
Rechtsstaatlichkeit umzusteigen. Alle dafür notwendigen Türen
haben die Zeugin Karmen T. und die Verteidigung weit aufgestoßen.
Volker Eick
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