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Presse

Datum:
10.09.2001

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
"Er sagte, er hat geschossen"

"Er sagte, er hat geschossen"

Im "Berliner RZ-Prozeß" wird es eng - für den Kronzeugen Tarek Mousli

"Glauben Sie, das hätte mir gereicht?" Die ehemalige Lebensgefährtin von Tarek Mousli, Karmen T., blickte am Freitag vor dem Berliner Kammergericht entgeistert auf die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig. Die mag nicht verstehen, daß Karmen T., Mutter eines damals achtjährigen Kindes, "außer sich" war, als sie feststellte, daß ihr einstiger Freund Sprengstoff, Funkanlagen und gefälschte Papiere für eine "linksextremistische Organisation" im gemeinsamen Keller lagerte. "Ich hatte doch mit dieser >Organisation< nichts zu tun, ich wußte nicht mal, wie die heißt. Er hat gesagt, er macht da nicht mehr mit, nur noch Hilfsdienste, und ich wollte nur, daß die Sachen wegkommen." Karmen T. wird derzeit im Verfahren gegen die fünf Angeklagten Harald G., Matthias B., Axel H., Sabine E. und Rudolf Sch. als Zeugin vernommen. Die fünf werden von Mousli beschuldigt, mit ihm als Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) in den 80er Jahren an Anschlägen beteiligt gewesen zu sein.

Doch was Karmen T. von Mousli erzählt bekam und seit vergangener Woche detailliert schildert, dürfte nicht nur Mousli, sondern auch das Gericht in Schwierigkeiten bringen. Mousli verstrickt sich mehr und mehr in Widersprüche. Schon Mitte 1999 hatte Karmen T. - zunächst gegenüber Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesanwaltschaft (BAW), dann erneut in Mouslis Verfahren - erklärt, Mousli habe beim Anschlag auf den damaligen Verwaltungsrichter Günter Korbmacher selbst geschossen.

Mousli, der für seine Kooperation mit der BAW im Dezember zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde, behauptet demgegenüber, nicht einmal am Tatort gewesen zu sein. Karmen T. aber kann sich sogar noch daran erinnern, wie er schilderte, daß er mit einem zweiten Mann in dunkelblauen Motorrad-Kombis vor das Haus des Richters fuhr und "zwei- oder dreimal, das weiß ich heute nicht mehr so genau, geschossen hat." Mousli hätte ihr gegenüber zwar nie Namen genannt, aber erklärt, er mußte diesen Sprengstoff als "kleinen Dienst" für eine "Gruppe" aufbewahren, der er früher einmal als "führender Kopf" angehört hatte, von der er sich jetzt aber getrennt habe: "Ganz 'raus komme man da nie", habe er gesagt. Auch das bestreitet Mousli heute, der in diesem Verfahren mehrfach ein flexibles Verhältnis zur Wahrheit an den Tag gelegt hat.

Noch mehr Details spülte ein Rohrbruch im gemeinsamen Keller an den Tag. Kiste um Kiste, so Karmen T., habe Mousli aus dem überfluteten Keller nach oben getragen. Neben Unterlagen und Papieren auch gefälschte Ausweise. Damit konfrontiert, habe Mousli geantwortet, die Papiere seien für Treffen mit "Genossen" notwendig, auch Brillen mit Fensterglas dienten zur Tarnung. Noch vor zwei Wochen behauptete Mousli zu allen Details, seine damalige Freundin müsse da "etwas verwechseln."

Tatsächlich sieht das ein bißchen anders aus: Mindestens dreimal - noch immer liegen der Verteidigung nicht alle Unterlagen vor - wurde Karmen T. von BKA und BAW verhört und machte im Juli 1999 umfassende Aussagen, mit denen die BAW Mousli unter Druck setzte. Karmen T. wurde vom BKA eng betreut und sollte gar in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden. Sie war das Pfund, mit dem die BAW wuchern wollte. Mousli, mit den Aussagen seiner damaligen Lebensgefährtin konfrontiert und nun als "Rädelführer einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt, packte, so die Darstellung der BAW, im November 1999 aus. Karmen T. wurde überflüssig. Bis dahin regelmäßig zu Hause und an ihrem Arbeitsplatz unter der Obhut von BKA-Beamten, wurde sie zu den widersprüchlichen Angaben Mouslis, der Rudolf Sch. beschuldigt, der Schütze auf Richter Korbmacher gewesen zu sein, nicht einmal mehr verhört.

Mousli hingegen begann, eine eigene Geschichte der Berliner "RZ" zu entwerfen, die ihn entlasten und den derzeit Angeklagten eine mittlerweile fast zwei Jahre dauernde Untersuchungshaft einbringen sollte. Bis zum Frühjahr 2000, dem Prozeßbeginn in diesem Verfahren, dauerte es, bis auch die Bundesanwaltschaft mit dieser Geschichte einverstanden war - der bisherige Prozeßverlauf zeigt neben der Selbstdemontage des Story-Dealers ein zunehmend ratloses Gericht.

Volker Eick

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http://www.freilassung.de/presse/berlin/jw100901.htm