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Datum:
10.08.2002
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Zeitung:
Junge Welt
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Titel:
Anklagebehörde schwimmt
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Anklagebehörde schwimmt
Im "Berliner RZ-Verfahren" ist vor Januar 2003 kein Ende abzusehen
Nach knapp vierwöchiger Sommerpause wurde am Donnerstag und
Freitag in Berlin der Prozeß gegen die fünf Angeklagten
fortgesetzt, denen Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen"
(RZ) und mehrere Anschläge in den späten 80er Jahren vorgeworfen
werden, die insbesondere gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung
gerichtet waren. Einziges angebliches Beweismittel: der Kronzeuge
Tarek Mousli, der mittlerweile im dritten Monat "krank" und damit
nicht vernehmungsfähig ist. Aus guten Gründen, denn neben
zahlreichen polizeiinternen Ungereimtheiten zeigt sich auch nach
der Sommerpause die Unglaubwürdigkeit des Kronzeugen. Dessen
Anschuldigungen sorgen dafür, daß der Prozeß noch
bis Januar 2003 terminiert ist.
So konnte jetzt ein 57jähriger Kriminalbeamter das Verschwinden
zweier Fotomappen nicht erklären, die für das jetzige
Verfahren von großer Bedeutung sind, weil aus ihnen hätte
hervorgehen können, wie es zur angeblichen Identifizierung
einiger Angeklagter gekommen ist. Das wird sich nun nicht mehr klären
lassen, denn Mitte 2001 hat der Beamte die Mappen "im Zuge von Aufräumarbeiten"
durch den Schredder geschoben: "Ich war davon ausgegangen, die haben
nichts mehr zu bedeuten." Warum die Aufräumaktion kurz vor
einem Anruf der Vorsitzenden Richterin zum laufenden RZ-Verfahren
stattfand, warum erst fünf Jahre, nachdem er dieses Büro
bezogen hatte, konnte er nicht klären. Vielmehr gestand er
ein, er habe vom in Berlin seit März 2001 laufenden Verfahren
gewußt, sogar die Namen der jetzt angeklagten Sabine E. und
Rudolf Sch. gelesen. "Das", so Rechtsanwältin Studzinsky, sei
ja wohl doch ein "komischer Zufall."
Ähnliche Ungereimtheiten bezeugte auch der frühverrentete
Kriminalbeamte Bernd K. (55). Er war am Fund der 4,8 Kilogramm Sprengstoff
beteiligt, die 1995 aus dem Keller Mouslis gestohlen worden sein
und drei Jahre später die Polizei auf die Spur Mouslis gebracht
haben sollen. Obwohl der Polizei bekannt war, daß der vermeintliche
Dieb im Kreuzberger Böcklerpark versucht hatte, Teile des Sprengstoffs
zur Explosion zu bringen, gab es weder eine Suche danach, noch gab
es eine detaillierte Analyse des Sprengmittels. Selbst als sich
herausstellte, daß der aus der damaligen DDR stammende Sprengstoff
nur an "Sonderbedarfsträger wie das MfS oder die NVA ausgegeben
werden durfte", will laut K. kein Beamter nachgehakt haben. Während
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck es "einigermaßen unglaublich"
nannte, daß es im besagten Park keine Nachsuche gegeben habe,
war aus der Sicht der Bundesanwaltschaft alles in Ordnung: "In jeder
Behörde verschwindet schon mal was."
Offen bleibt vorerst auch die Frage, wann und für wie lange
der Kronzeuge Mousli ein Sprengstoffpaket in einem Wassergraben
in Berlin-Buch versenkt hat. Ein von der Firma "Tesa" (Beiersdorf)
geladener Gutachter, der sich zur Frage äußern sollte,
ob es sich bei dem Klebeband, mit dem das Sprengstoffpaket umwickelt
war, um ein Produkt seiner Firma handelte, sprach davon, daß
es sich "mit hoher Wahrscheinlichkeit" um ein Band aus der Produktion
der dänischen Tochterfirma "Nopi" gehandelt habe, die ein solches
Klebeband "zwischen 1985 und 1996" hergestellt habe. Das "Terrortape",
so der Gutachter, müsse jedoch von einem "unser alten Nopi-Opis
untersucht werden", um über das Seegraben-Band Aufschluß
zu gewinnen. Daß das von der Bundesanwaltschaft (BAW) nicht
wirklich gewünscht wird, machte diese in einer Stellungnahme
deutlich. Sie lehnte einen Ortstermin am Seegraben ab, auf den wiederum
die Verteidigung besteht, denn in einem gerade gefertigten Gutachten
ist deutlich geworden, daß Mouslis Aussage, er habe das Paket
"versenkt", falsch ist. Ein Paket, wie der Kronzeuge es mehrfach
beschrieb, hätte, so das Gutachten, nicht sinken können,
sondern schwimmen müssen. Das tut nun offenbar auch die Anklagebehörde.
Volker Eick
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