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Presse

Datum:
05.10.2001

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Kriegserklärung vor Gericht

Kriegserklärung vor Gericht

Berliner "RZ"- Prozeß: Bundesanwaltschaft nach Unterschlagung von Beweismitteln unter Druck

Die in den vergangenen Monaten von der Bundesanwaltschaft (BAW) im Berliner Prozeß gegen vier angebliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen" unterschlagenen Akten und erste Beweisführungen der Verteidigung aus diesem unterschlagenen Material gegen den Kronzeugen Tarek Mousli haben am gestrigen Prozeßtag dazu geführt, daß die BAW, so wörtlich, der Verteidigung den "Krieg" erklärt hat. Man sehe "keine Grundlagen mehr für eine gemeinsame Prozeßführung" und werde diesen Krieg "mit allen rechtlichen Mitteln" führen.

Anlaß dafür sind, wie Bundesanwalt Michael Bruns im Namen der BAW erklärte, die "Vorfälle" in der vergangenen Woche. Die Verteidigung hatte in der vergangenen Woche in einer ersten Auswertung bereits nachweisen können, daß Bundesanwalt Homann das Kammergericht und die Verteidigung in Hinblick auf Beweismaterial permanent belogen hat.

Die Telefonüberwachungen endeten nämlich keineswegs im Mai 1999, sondern gingen weit in den Herbst jenes Jahres weiter. Auch zeigen sie, daß die über 950 unterschlagenen Bänder der Telefonüberwachung Beweismittel enthalten, aus denen hervorgeht, daß auch der Kronzeuge Mousli lügt. Für die BAW ist aber noch bedrohlicher, daß aus den Bändern auch klar wird, daß weitere Zeugen – darunter die ebenfalls im Zeugenschutzprogramm befindliche damalige Lebensgefährtin Mouslis – zum Lügen angehalten wurden.

Dazu schwieg sich die Bundesanwaltschaft aus. Deren Vertreter empfand es vielmehr als "völlig unerträglich", daß "ausgerechnet dieses Schriftstück" der Verteidigung ins Internet gestellt worden sei, zumal es auch Angaben zu den "Sexualpraktiken Mouslis" enthalte. Das Ziel der Veröffentlichung, so Bruns, sei es offenbar, "Abweichlern zu zeigen, was Aussagen bei der Bundesanwaltschaft für Folgen haben". Aus Sicht der Bundesanwaltschaft bestehe daher eine "Grundlage für eine gemeinsame Prozeßführung nicht mehr", so Bruns weiter. Er kündigte "einen Krieg gegen die Verteidigung mit allen rechtlichen Mitteln" an, der das "Ziel, die Totalvernichtung der bürgerlichen Existenz des Zeugen Mousli", verhindern werde.

Dabei ging Bruns davon aus, daß es sich bei der Veröffentlichung um eine "vorher abgesprochene Strategie in der Soligruppe" handele. Ein Vorwurf, den ein Mitglied des "Berliner Bündnisses für Freilassung" mit der Bemerkung quittierte, man konzentriere sich "auf die Falschaussagen sowie Rechtsbrüche im Verfahren. Sexuelle Vorlieben interessieren uns nicht, da kann auch Michael Bruns ganz gelassen bleiben."

Unübersehbar ist, daß genau die beiden Verteidigerinnen ins Visier der Bundesanwaltschaft geraten sind, die im Verfahren bisher am deutlichsten auf Rechtsbrüche und Unterschlagungen hingewiesen hatten.

Sie sind es auch, die sich - bisher offenbar weitgehend allein - mit dem jetzt zur Verfügung stehenden Beweismaterial intensiv auseinandergesetzt haben. Als tiefe Wunde wird bei der BAW offenbar auch empfunden, daß dem Oberstaatsanwalt Volker Homann Lügen nachgewiesen werden konnten. Die derzeitige Strategie der Bundesanwaltschaft zielt daher darauf ab, einen Keil in die Verteidigung zu schlagen. Die Isolierung der beiden Verteidigerinnen Silke Studzinsky und Andrea Würdinger von deren Kollegen soll, so das Kalkül, auch deren Anstrengungen, den Kronzeugen Mousli als Konstrukt der BAW zu enttarnen, ins Leere laufen lassen. Am heutigen Prozeßtag wird sich zeigen, ob diese Strategie aufgeht.

Volker Eick

MAIL
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