Datum:
23.02.2002
|
Zeitung:
Jungle World
|
Titel:
Den Tisch umwerfen
|
Aussagen im RZ-Prozess
Den Tisch umwerfen
Es gibt Situationen im Leben, da kann man nur noch den Tisch umwerfen.
Zum Beispiel in dem Pokerspiel, das seit über einem halben
Jahr im Saal 500 des Moabiter Kriminalgerichts stattfindet. Auf
der einen Seite fünf Angeklagte, denen die Beteiligung an Aktionen
der Revolutionären Zellen (RZ) Mitte und Ende der achtziger
Jahre vorgeworfen wird. Auf der anderen Seite die Bundesanwaltschaft
(BAW), ihr Kronzeuge Tarek Mousli und Ermittler des BKA.
Dann eine Verteidigung, der es detailliert gelingt, dem Kronzeugen
seine falschen Aussagen nachzuweisen. Und dazu ein Gericht, an dem
das alles abprallt. Da die Angeklagten nicht Klaus Landowsky oder
Helmut Kohl heißen, sondern Mitglieder einer sozialrevolutionären
Guerilla gewesen sein sollen, spielen rechtsstaatliche Grundsätze
kaum eine Rolle. Das Gericht ist von Anfang an irgendwie von der
"Schuld" zumindest einiger der Angeklagten überzeugt.
Rudolf Schindler, einer von ihnen, hatte davon die Schnauze voll.
Ja, "ich war Mitte der 80er Jahre Mitglied der RZ" und
ja, "ich habe auf die Unterschenkel des Vorsitzenden Asylrichters
Günter Korbmacher geschossen", erklärte er am vergangenen
Freitag vor Gericht. Für nichts entschuldigt er sich. Noch
einmal zitiert er die Meinung von amnesty international zu den Asyl-Urteilen
Korbmachers. Ein existentialistischer Bekenntnisakt.
Seine Aussage ermöglicht es, endlich die Gegengeschichte
zu Mousli zu erzählen. Mousli war nach Angaben von Schindler
der Fahrer des Motorrads beim Anschlag auf Korbmacher. Nichts ist
mehr mit: "bin nur ganz weit entfernt Schmiere gestanden ..."
Trotzdem ist Schindlers Aussagebereitschaft gewagt. Wird seine
Einlassung nicht eher als Teilgeständnis wahrgenommen und untermauert
somit, dass an Mouslis Aussagen doch "irgendwie" etwas
dran sein könnte? Oder gelingt es den Verteidigern nun, die
Lügen Mouslis juristisch dingfest zu machen. Als Beschuldigter
darf Mousli lügen, so viel er will, nicht aber als Zeuge.
Zumindest in einem normalen rechtsstaatlichen Verfahren ist keine
Anklage aufrechtzuerhalten, die fast ausschließlich auf den
Aussagen eines Lügners beruht. Warum sollte Mousli bezüglich
der anderen Angeklagten die Wahrheit sagen? Die Richter könnten
sich schon mal die Paragrafen zum Thema "falsche Beschuldigung"
durchlesen. Insofern ist offen, was nun mit den drei anderen Angeklagten
und dem Auslieferungsverfahren gegen Lothar Ebke passiert. Doch
die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig zeigte sich am Freitag entschlossen,
das Verfahren am kommenden Donnerstag fortzusetzen. Dann dürfen
Schindler und seine im Windschatten der Aussage ebenfalls freigekommene
Ehefrau Sabine Eckle erneut nach Berlin reisen.
Aber auch menschlich ist nachzuvollziehen, dass sich der inzwischen
59jährige Werkzeugmacher Schindler und die 55jährige Eckle
für ihr weiteres Leben etwas Besseres vorstellen können,
als in einer Gefängniszelle Adorno und Benjamin zu studieren.
Trotzdem bleibt ein fahler Beigeschmack. Es ist nicht schön,
vorher mit dem Gericht dealen zu müssen, welche Zusagen es
für welche Aussagen zu welchem Themenkomplex gibt. Zum zweiten
Mal in seinem Leben war Schindler mit einem gut bezahlten Kronzeugen
konfrontiert, der kurz vor Ablauf der Verjährungsfristen die
jahrzehntelangen Vermutungen der Ermittler referierte. Im Frankfurter
Opec-Prozess reichte es für einen Freispruch, in Berlin hat
er nun zumindest die Zusage, dass seine Strafe mit der U-Haft abgegolten
ist.
Manche werden die Einlassung auch als "Verrat" empfinden.
Aber politisch sind die RZ im Jahr 2002 Geschichte. Die Organisation
hatte wohl ihre guten Gründe, sich Anfang der neunziger Jahre
aufzulösen. Aber nicht aufgelöst sind die Hoffnungen auf
einen neuen kulturellen und sozialen Aufbruch.
Christoph Villinger
|