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Datum:
10.10.2001
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Zeitung:
jungle world
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Titel:
Nie wieder schwindeln
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Nie wieder schwindeln
Immer mehr skandalöse Details aus der Vorgeschichte des Kronzeugen
Tarek Mousli werden bekannt. Doch der Berliner RZ-Prozess wird fortgesetzt.
Du brauchst in dieser Hinsicht nicht mehr zu lügen",
sprach "Thorsten" vom Bundeskriminalamt (BKA) Mitte
Dezember 1999 in die Mailbox von Janet Olbrich. Zusammen mit ihrem
damaligen Lebensgefährten Tarek Mousli hatte Olbrich bereits
am 23. November desselben Jahres entschieden, dass Mousli das Angebot
der Bundesanwaltschaft (BAW), als Kronzeuge aufzutreten, annehmen
sollte. An diesem Tag war Mousli wegen des Vorwurfs der Rädelsführerschaft
in den Revolutionären Zellen (RZ) verhaftet worden. Drei Wochen
lang ließ das Paar mit Wissen und Unterstützung des BKA
und der BAW Mouslis damaligen Anwalt Frank Assner im Glauben, sein
Mandant werde keine Aussagen machen. Dabei plauderte Mousli längst
vor BKA-Beamten über angebliche Mittäter. Erst am 14.
Dezember erfuhr Mouslis Anwalt von den Aussagen und legte sein Mandat
nieder.
Das ist nicht das einzige brisante Detail, das die Anwältinnen
Silke Studzinsky und Andrea Würdinger, die im Berliner RZ-Prozess
den Beschuldigten Harald Glöde vertreten, auf Bändern
von der Telefonüberwachung Mouslis und seiner Freundin gefunden
haben. Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Prozesses gegen fünf
Angeklagte wegen ihrer Mitgliedschaft in den RZ und ihrer Beteiligung
an diversen Sprengstoffanschlägen deutet sich eine Wende an.
Nachdem Mousli wochenlang relativ ungestört seine Geschichte
referieren konnte, kommen inzwischen auf Nachfrage der Verteidigung
immer neue Details ans Tageslicht, die seine Erzählungen durcheinander
bringen.
So händigte das BKA nach längerem Drängen der Verteidigung
955 Tonbandkassetten und 23 Aktenordner aus ihren Beständen
aus. Auf den Kassetten befinden sich die Mitschnitte aus der Telefonüberwachung
Mouslis seit dem Herbst 1998. Damals begann das BKA, Mousli ins
Visier zu nehmen. Das BKA stufte den Inhalt der Kassetten als unerheblich
für das Verfahren ein. Die beiden Anwältinnen sehen darin
eine Beweismittelunterschlagung. In der vergangenen Woche beantragten
sie die Aussetzung des Verfahrens für einen längeren Zeitraum,
um die Bänder anhören zu können.
So lange seien auch die Haftbefehle außer Vollzug zu setzen,
da für diese Prozessverzögerung nicht die Angeklagten,
sondern das BKA verantwortlich sein. Die Vorsitzende Richterin Gisela
Hennig vertagte am vergangenen Freitag den Gerichtsentscheid darüber
nochmals um eine Woche. Wenige Tage zuvor blieb sie schon in der
Haftfrage hart. Da bei einer Verurteilung mit einer Strafe von mindestens
fünf Jahren zu rechnen sei, sei eine Untersuchungshaft bis
zweieinhalb Jahre "nicht unverhältnismäßig".
Die beiden Anwältinnen fanden auf den Kassetten auch einen
ausführlichen Bericht Mouslis über ein etwa dreistündiges
Treffen mit den BKA-Beamten Barbian und Pankok. Sie hatten ihn wenige
Tage vor seiner ersten Verhaftung am 19. Mai 1999 bei einem Freund
am Gorinsee bei Berlin aufgesucht. Bereits zu diesem Zeitpunkt,
als er nur der verbotenen Lagerung von Sprengstoff verdächtigt
wurde, boten sie ihm den Kronzeugenstatus an. Das hatten sowohl
Mousli als auch der leitende Ermittler in Sachen RZ beim BKA, Klaus
Schulzke, in ihren Zeugenaussagen vor Gericht ganz anders dargestellt.
Erst im November 1999 sei darüber gesprochen worden.
Aus den Telefongesprächen geht allerdings auch hervor, dass
die Beamten des BKA Mousli die Rolle eines Kronzeugen aufnötigten,
indem sie seine bürgerliche Existenz zerstörten. So beklagte
sich Mousli am 19. September 1999 in einem Gespräch mit seiner
Mutter, das BKA habe beim deutschen Karateverband seine Entlassung
als Trainer mit der Drohung durchgesetzt, andernfalls alle staaatlichen
Fördermittel zu streichen.
Allerdings stolperte er auf seinem Weg zum Kronzeugen wohl auch
über sich selbst. So wiederholte seine Freundin aus dem Jahr
1995, Karmen T., vor Gericht ihre Aussage, dass Mousli sich vor
ihr der Knieschüsse auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht,
Günter Korbmacher, gerühmt habe. Das sagte sie im Sommer
1999 gegenüber BKA-Beamten aus, als sie wegen eines gemeinsam
mit Mousli gemieteten Kellers verhört wurde.
Ihre Aussage vor Gericht brachte noch andere Details ans Tageslicht.
So kümmerte sich das BKA fürsorglich um sie, solange sie
als Zeugin gegen Mousli interessant war. Fast jede Woche fragte
der BKA-Beamte Trede bei einem persönlichen Besuch nach ihrem
Wohlbefinden. Ihre Aussage stufte das BKA als sehr glaubwürdig
ein, da sie Details über den Anschlag auf Korbmacher wusste,
die nur eine Tatbeteiligte kennen konnte. Sie lebte zum Tatzeitpunkt
1987 allerdings in der DDR.
Man bot ihr auch eine Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm des BKA
an. Aber als Mousli das Angebot als Kronzeuge annahm, wurde Karmen
T. von den Ermittlern einfach vergessen. Ein ganzes Jahr lang wurde
sie nicht mit den Aussagen ihres ehemaligen Freundes konfrontiert.
Mousli dagegen meinte, sie müsse sich bei seinen Äußerungen
zum Fall Korbmacher wohl verhört haben. Im Prozess gegen Mousli
im Dezember 2000 sagte sie aus, sie könne nicht hundertprozentig
beschwören, dass Mousli dies so gesagt habe. Der Frage, woher
sie dann die Details vom Anschlag auf Korbmacher kenne, ging das
Gericht nicht nach. Mousli wurde im Dezember 2000 nur zu zwei Jahren
auf Bewährung wegen einfacher Mitgliedschaft in den RZ verurteilt.
Das war die im Gerichtssaal erwähnte Belohnung für seine
Zusammenarbeit mit den Ermittlern.
Mousli berichtete in diesem Verfahren als Beschuldigter ausführlich
über seine angeblichen Erfahrungen aus dem Innenleben der RZ.
Hört man ihm aber nun im laufenden Verfahren als Kronzeugen
zu, drängt sich der Eindruck auf, dass er vieles nur vom Hörensagen
zu kennen scheint. Simpelste Fragen an einen angeblich Tatbeteiligten,
ob und wo das Fluchtauto bei der Aktion gegen Korbmacher oder bei
dem ein Jahr zuvor stattgefundenen Attentat auf den Leiter der Berliner
Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, geklaut wurde, bringen
Mousli durcheinander. Trotzdem wirkt er im Prozess recht souverän,
der Rhetorikkurs ist unüberhörbar. "Meiner Erinnerung
nach" und "wenn ich mich nicht irre" sind seine
am häufigsten gebrauchten Redewendungen.
Nach Ansicht des Rechtsanwalts Johannes Eisenberg, der die Beschuldigte
Sabine Eckle vertritt, trägt Mousli ein "undurchdringliches
Konglomerat von tatsächlich Erlebtem, vielleicht Gehörtem
und wahrscheinlich Erdachtem" vor. Es bleibt völlig offen,
was Mouslis Geschichten mit der Wahrheit und den auf der Anklagebank
sitzenden Personen zu tun haben. Für die Rechtsanwältin
Undine Weyers, eine Kollegin der Anwältinnen Studzinsky und
Würdinger, stellt sich das Verfahren inzwischen als "kleines
Schmücker-Verfahren" heraus. "Am Anfang gibt es
eine scheinbar runde Geschichte, die aber im Verlauf des Verfahrens
zerbröselt, immer mehr andere Details kommen ans Tageslicht
und am Ende sieht die Geschichte ganz anders aus." So bleibt
nur die Frage, wann "Thorsten" vom BKA bei Mousli anruft
und ihm sagt, er brauche nicht mehr zu lügen.
Christoph Villinger
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