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Datum:
31.1.2002
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Zeitung:
Freitag
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Titel:
Gut geschützter Zeuge
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Gut geschützter Zeuge
Das Geständnis eines Angeklagten bringt entscheidende Wende
Als Innenpolitiker von SPD und Grünen im November 1999 ihren
Entschluss erklärten, die 1989 beschlossene Kronzeugenregelung
auslaufen zu lassen, hatten sie überzeugende Argumente zur
Hand: mit dem Angebot eines Strafnachlasses werde ein "Anreiz zu
falschen Verdächtigungen und Denunziationen" gegeben, außerdem
bestünden "Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Kronzeugen"
und verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Einschränkung
des Legalitätsprinzips.
Während auf der politischen Bühne das Ende der Kronzeugenregelung
beschlossen wurde, arbeiteten Ende 1999 Bundesanwaltschaft (BAW)
und Bundeskriminalamt (BKA) bereits seit Monaten daran, einen Kronzeugen
für einen letzten so genannten "Terroristen-Prozess" aufzubauen.
Mit Hilfe dieses Kronzeugen sollte Jahre nach ihrer Auflösung
1992 endgültig mit den Revolutionären Zellen (RZ)
abgerechnet werden. Es folgte die Festnahme von vier Männern
und einer Frau zwischen Dezember 1999 und April 2000. Tarek Mousli,
zuvor noch von der BAW als "Rädelsführer" der RZ in Berlin
gehandelt, war quasi über Nacht Kronzeuge geworden und hatte
die fünf beschuldigt, Mitglieder der RZ gewesen zu sein und
sich an verschiedenen Anschlägen gegen die bundesdeutsche Asylpolitik
der achtziger Jahre beteiligt zu haben. Mousli selbst wurde in einem
abgetrennten Verfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Seit März vergangenen Jahres wird vor dem 1. Strafsenat des
Kammergerichts Berlins gegen die fünf mutmaßlichen RZ-Mitglieder
verhandelt. Am 18. Januar hat nun einer der Angeklagten, Rudolf
Schindler, zum erstenmal sein Schweigen gebrochen und zu den Vorwürfen
des Kronzeugen Stellung genommen. Seine Aussage beinhaltete ein
Teilgeständnis, gleichzeitig belastete er Mousli schwer.
Was Schindler über die Struktur der RZ erzählte, deckt
sich ebenso wenig mit den Behauptungen des Kronzeugen, wie dessen
Darstellung von seiner Rolle in den RZ: "Die Angaben Tarek Mouslis
zur Zusammensetzung der Gruppen und dem Modus ihrer Zusammenarbeit
sind total falsch." So sei Mousli etwa - entgegen seiner eigenen
Version - beim Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle
für Asylbewerber (ZSA) im Februar 1987 der Haupttäter
gewesen: "Die ZSA war von Anfang an Tarek Mouslis Projekt." Auch
die Durchführung der Knieschussattentate auf den damaligen
Chef der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg 1986
und den Asylrichter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher
1987 stellte Schindler anders dar als Mousli. Entschieden widersprach
er zudem der Selbstdarstellung Mouslis als angeblich unscheinbarer
Mitläufer: "Tarek Mousli war alles andere als 'schwach' oder
'weich', weder in seinen politischen Ansichten noch in seiner Praxis."
Obwohl die Angaben Schindlers in zentralen Punkten im Widerspruch
zur Aussage Mouslis stehen, hält die Bundesanwaltschaft ebenso
wie das Gericht die Einlassung Schindlers für glaubwürdig.
Das kann man sich nur erklären, wenn man davon ausgeht, dass
interne Zweifel schon lange bestanden. Der Senat hatte im Vorfeld
signalisiert, dass er die Einlassung mit der Garantie eines möglichen
Höchststrafmaßes von drei Jahren und neun Monaten, das
zur Bewährung ausgesetzt werde, und der sofortigen Entlassung
aus der U-Haft würdigen würde. Sabine Eckle, die sich
den Ausführungen ihres Mannes anschloss, wurde ebenfalls aus
der U-Haft entlassen.
Zwar hat die Aussage Schindlers Eindruck beim Gericht gemacht,
dennoch scheint die BAW weiterhin an ihrem Kronzeugen festzuhalten.
Seine Glaubwürdigkeit sieht sie nicht in dem Maße erschüttert,
dass die Anklage gegen die restlichen Beschuldigten fallen gelassen
würde. Mousli spielt noch immer die zentrale Rolle in diesem
Prozess. Das Gericht steht nun vor der Aufgabe, anders als in den
vergangen Monaten, ernsthaft dem Wahrheitsgehalt der beiden nun
vorliegenden Versionen auf den Grund zu gehen. Widersprüche
und Ungereimtheiten in den Aussagen des Kronzeugen hatte die Verteidigung
bereits mehrfach nachgewiesen. Einige Aussagen standen sogar im
Widerspruch zu den Ermittlungsergebnissen aus den achtziger Jahren.
BAW und Gericht zeigten sich davon bislang unbeeindruckt. Nach der
Aussage Schindlers dürfte diese Haltung nicht mehr aufrecht
erhalten werden können, decken sich seine Angaben zu den damaligen
Vorgängen doch mit den polizeilichen Ermittlungen und belasten
wiederum Mousli schwer.
Dessen Verhalten ist nicht nur in diesem Fall für einen Kronzeugen
typisch. Es werden gering belastende Verwicklungen in die Tat gestanden,
um so die eigene Beteiligung klein zu reden. Aussagen von Kronzeugen
sind, was die Glaubwürdigkeit anbelangt, in Relation zu setzten
zu den Vergünstigungen, die sie von staatlicher Seite erhalten.
Wo die Beschuldigung anderer um des eigenen persönlichen Vorteils
willen gefordert wird, sind falsche Bezichtigungen geradezu vorprogrammiert.
"Der Warencharakter solcher Aussagen liegt in der Natur der Kronzeugenschaft",
so der Rechtsanwalt Rolf Gössner. Die Kronzeugenregelung, die
über das Zeugenschutzprogramm in diesem Fall dem Kronzeugen
monatlich mehr als 2400 Mark bezahlt, ermutigt zur Verzerrung von
Tatsachen und steht einem fairen Verfahren im Grundsatz entgegen.
Das Fatale an diesem Prozess ist, dass den Angeklagten - falls
das Gericht weiterhin nicht ernsthaft bereit ist, den Widersprüchen
nachzugehen - jede Möglichkeit der Verteidigung genommen wird.
Ob sich daran etwas ändert, wird sich noch zeigen, denn gleichzeitig
machte der Senat deutlich, dass er nicht daran denkt, die überlange
und durch nichts gerechtfertigte Untersuchungshaft der übrigen
Angeklagten aufzuheben. Alles deutet darauf hin, dass es dem Gericht
und der BAW darum geht, das Verfahren unbedingt mit einer Verurteilung
abzuschließen, damit das Gesicht gewahrt werden kann. Für
die übrigen Angeklagten würde das bedeuten, sie hätten
keine andere Wahl als sich ebenfalls zu Einlassungen zu entscheiden,
egal ob und wenn ja, welche Rolle sie in den RZ gespielt haben.
Martin Beck
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