Datum:
17.04.2004
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Zeitung:
Der Freitag
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Titel:
Gesinnungsurteil
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Gesinnungsurteil
URTEILDer
Prozess gegen die Revolutionären Zellen endet mit mehrjährigen Haftstrafen
Unerschütterlich hielten die Richter am Kronzeugen
der Bundesanwaltschaft fest, auf dessen Aussagen die Anklage im
Wesentlichen beruhte - trotz nachgewiesener Falschaussagen, zahlreicher
Widersprüche und Ungereimtheiten seiner Tatschilderungen sowie erheblicher
Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Am Ende verhängte das Gericht
mehrjährige Haftstrafen gegen die fünf Angeklagten. Keine Vorab-Pressemitteilung,
kein Hinweis am vorangegangenen Verhandlungstag, noch nicht einmal
alle Angeklagten und Anwälte waren informiert, dass an diesem Tag
die Urteile gesprochen würden.
Fast unbemerkt ist am 18. März in Berlin der Prozess
gegen mutmaßliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) zu
Ende gegangen. Von der anfänglichen Aufregung war am Ende nichts
mehr zu spüren. Im Dezember 1999 sorgte noch eine Großrazzia im
Berliner Alternativzentrum Mehringhof für Aufsehen. An die eintausend
Polizisten machten sich damals auf die Suche nach einem Sprengstoffdepot
der längst aufgelösten, aber immer noch Geheimnis umwitterten Gruppe.
Gefunden wurde nichts, ebenso wenig wie bei einer zweiten Durchsuchung
im Mai 2000, bei der der Kronzeuge die Beamten per Videostandleitung
durch Teile des Gebäudes dirigierte.
Dass die Revolutionären Zellen einem leitenden Beamten
der Berliner Ausländerbehörde sowie einem für Asylverfahren zuständigen
Richter am Bundesverwaltungsgericht in die Beine geschossen haben,
bewegte ganz offensichtlich auch mehr als 15 Jahre danach die Richter.
Im Rahmen ihrer so genannten Flüchtlingskampagne hatten die RZ in
den achtziger Jahren zahlreiche militante Aktionen gegen die immer
repressiver werdende Asyl- und Ausländerpolitik der Bundesrepublik
unternommen - darunter auch die beiden "Bestrafungsaktionen" in
Berlin. Der Prozess war von Anfang an als endgültige Abrechnung
mit der RZ angelegt worden. Die "Feierabend-Guerilleros" verübten
überwiegend Anschläge gegen Sachen.
Für die Ermittlungsbehörden war die Stadtguerilla
nie richtig zu fassen gewesen. Die meisten der Aktivisten blieben
unerkannt - bis sich das ehemalige RZ-Mitglied Tarek Mousli (45)
als Kronzeuge andiente.
Am Ende steht fest: Alle Bemühungen der Verteidigung,
die Glaubwürdigkeit des Zeugen der Anklage während der insgesamt
174 Verhandlungstage zu erschüttern, prallten an der Bundesanwaltschaft
und dem Kammergericht ab. Das Gericht sah es als erweisen an, dass
die Angeklagten im Alter zwischen 53 und 61 Jahren an den Knieschüssen
aus den Jahren 1986 und 1987 beteiligt waren. Verurteilt wurden
sie wegen Rädelsführerschaft bzw. Mitgliedschaft in einer "terroristischen
Vereinigung" nach § 129a StGB, Beteiligung am Anschlag auf die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin 1987 sowie einen
versuchten Anschlag auf die Berliner Siegessäule 1991.
Die Angeklagten, die teilgeständig waren, erhielten
Strafen zwischen zwei und vier Jahren. Das Gericht folgte in allen
Punkten der Anklage der Bundesanwaltschaft. Obwohl für viele Behauptungen
des Kronzeugen jeglicher Beweis fehlte. Die Verteidigung machte
vergeblich auf den Umstand aufmerksam, dass die Bundesanwaltschaft
Mousli mit einem langen Prozess und einer hohen Haftstrafe gedroht
hatte. Der Kronzeuge sei von den Ermittlungsbehörden nicht unter
Druck gesetzt worden, hielt das Gericht vielmehr fest. Das Vorgehen
sei "keinesfalls eine Nötigung, sondern ein zulässiges Mittel" gewesen.
Die Aussagen des Kronzeugen enthielten eine "Fülle von Täterwissen".
Die Frage, inwieweit Mousli von den Ermittlungsbehörden
unterstützt, gefördert und mit Informationen gespickt wurde, stellte
sich das Gericht jedoch nicht. Dabei hatte selbst das Verwaltungsgericht
Berlin festgestellt, dass dem Erinnerungsvermögen Mouslis mit "unterstützender
Hilfe" auf die Sprünge geholfen worden sei: Ihm waren unter anderem
Namen und Fotos "seitens der Vernehmenden vorgenannt" worden. Das
Verwaltungsgericht war von der Verteidigung angerufen worden, weil
die Protokolle der Gespräche zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) und dem Kronzeugen den anderen Prozessbeteiligten vorenthalten
worden waren. Mousli war nach dem Deal mit den Ermittlungsbehörden
zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden und lebt seitdem
unter neuer Identität im Rahmen des Zeugenschutzprogramms des BKA.
Tatsächlich beruhen die meisten Anschuldigungen Mouslis
lediglich auf Hörensagen. Er war nicht selbst Zeuge der Taten, sondern
sie wurden ihm nur erzählt. Über diesen Umstand ging das Gericht
unbekümmert hinweg. Es spielte für die Richter keine Rolle, dass
der von Mousli beschriebene Aufbau des Sprengsatzes, der beim Anschlag
auf die ZSA verwendet wurde, nicht den Ermittlungsergebnissen des
BKA entsprach. Es spielte keine Rolle, dass die Tatortspuren keine
DNA der Angeklagten auswiesen. Unerheblich auch, dass eine Zeugin
sich dazu bekannt hat, 1986 die Schüsse auf die Beine des Chefs
der Ausländerbehörde abgegeben zu haben und nicht ein Angeklagter,
wie von Mousli behauptet.
Die Sache sah für den Senat ganz einfach aus: Drei
Angeklagte hätten sich als RZ-Militante geoutet. Damit seien wesentliche
Teile der Anklage und die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen "erhärtet
worden". Dass die drei den Aussagen des Kronzeugen widersprachen,
objektive Beweise fehlten, spielte keine Rolle mehr. Die biographischen
Gemeinsamkeiten und die politische Gesinnung der Angeklagten genügten
für eine Verurteilung. Schließlich gibt es seit den siebziger Jahren
den Anti-Terrorismus- Paragraphen 129a. Wer Mitglied einer "terroristischen
Vereinigung" ist, dem wird Mitwisserschaft und Mitverantwortung
einer Tat unterstellt, eine konkrete Tatbeteiligung muss nicht nachgewiesen
werden. Ein dubioser Kronzeuge genügt.
Martin Beck
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