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Datum:
14.09.2001
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Zeitung:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
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Titel:
Geschrei und leise Töne
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Geschrei und leise Töne
"Er hat gesagt, er habe auf den Richter geschossen",
erklärte am vergangenen Freitag Karmen T, im Prozeß gegen
fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen
(RZ) über ihren früheren Lebensgefährten Tarek M.,
den jetzigen Kronzeugen der Anklage. Am gestrigen Verhandlungstag
kämpften Verteidigung und Bundesanwaltschaft mehrere Stunden
um die Interpretation dieser an und für sich eindeutigen Aussage.
Am Ende sah die Sache dann wieder ganz anders aus als zu Beginn
des Interpretationsgefechts.
Tarek M, selbst hatte zwar die Beteiligung an der Vorbereitung
des Schusswaffenattentats auf Bundesverwaltungsrichter Günter
Korbmacher im Jahr 1987 zugegeben, eine unmittelbare Tatbeteiligung
jedoch bestritten. Er habe sich zum Zeitpunkt der Tatausführung
in einer konspirativen Wohnung aufgehalten, um den Polizeifunk abzuhören.
Tarek M, bezichtigte den Angeklagten Rudolf S., die Schüsse
auf den Richter abgegeben zu haben. Am gestrigen Verhandlungstag
bekräftigte Kramen T. zunächst nochmals ihre Aussage,
daß Tarek M. ihr gegenüber erklärte, er selbst habe
auf Korbmacher geschossen. Als der Beisitzende Richter Hanschke
von der Zeugin Näheres zu Anzahl und Dauer der Gespräche
wissen wollte, die sie 1995 mit ihrem damaligen Lebensgefährten
über sein terroristisches Vorleben geführt hatte, erwiderte
Kramen T., daß sie sich nicht konkreter an einzelne Unterredungen
erinnern könne. Tarek M. habe ihr seine Verstrickung in den
Untergrundkampf der Revolutionären Zellen nur "scheibchenweise"
gestanden. Heute füge sich das Stückwerk in ihrem Kopf
zu einem Gesamtvorgang zusammen. Über Einzelheiten habe sie
Bilder im Kopf, die sie beschreiben könne. Eine dieser bildhaften
Erinnerungen betraf ein Waffenlager, von dem ihr Tarek M. berichtete.
Es habe sich in einem Schacht befunden, der mit einem Fahrstuhl
zu erreichen war. Die Frage von Richter Hanschke, ob sich dieses
Versteck im Kreuzberger Mehringhof befunden hat, konnte Kramen T,
nicht beantworten.
Während die Zeugin mit leiser, zeitweise ersterbender Stimme
aussagte, brach Rechtsanwalt Becker mitten in der Befragung von
Kramen M, durch Bundesanwalt Hohmann plötzlich in lautes Geschrei
aus. "Nein, nein, nein", rief er mit sich überschlagender
Stimme, als Hohmann eine frühere Aussage von Kramen T, vorlas.
Im Dezember des vergangenen Jahres hatte sie demnach während
ihrer Vernehmung in dem Schnellverfahren gegen Tarek M, gesagt,
sie könne sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit erinnern,
ob er ihr tatsächlich den eigenhändigen Schußwaffengebrauch
eingestanden hat. Beckers lautstarke Intervention galt nicht dem
Vorhalt, sondern der Quelle auf die der Bundesanwalt sich dabei
stützte. Es handelte sich dabei nämlich nicht um Gerichtsakten,
sondern um eigene Prozeßnotizen der Bundesanwaltschaft. Der
Zeugin indes waren diese feinen juristischen Unterschiede schnuppe.
Mitten in dem Streit um die Zulässigkeit des Vorhalts erklärte
sie: "Mir war es so, als hätte er gesagt, er habe geschossen.
Ich bin mir darüber aber nicht tausend Prozent sicher."
Am Schluß des Verhandlungstages würdigten die Anwälte
Euler Becker und Lunnebach in ausführlichen Erklärungen
die Glaubwürdigkeit der Zeugin.
Jochen Staadt
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