|
Datum:
19.01.2002
|
Zeitung:
Berliner Zeitung
|
Titel:
Wende im Prozess gegen Revolutionäre Zellen
|
Wende im Prozess gegen Revolutionäre Zellen
Der Hauptangeklagte redet und wird auf freien Fuß gesetzt
Die Erklärung, die Verteidiger Hans Euler im Namen seines
Mandanten Rudolf Schindler verlas, dauerte 45 Minuten. Schindler
las leise mit, seine Frau, die in Saal 500 neben ihm auf der Anklagebank
sitzt, nickte beifällig. Es stimmt, dass Schindler Mitglied
der Revolutionären Zellen (RZ) war, einer terroristischen Vereinigung,
die in den 80er-Jahren eine Reihe von Anschlägen in Berlin
verübte. Es stimmt auch, dass er an Anschlägen beteiligt
war. "Ich schoss Günter Korbmacher in den Unterschenkel", las
Verteidiger Euler in Schindlers Namen vor.
Günter Korbmacher war Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
und wurde am 1. September 1987 durch Beinschüsse schwer verletzt.
Harald Hollenberg, einst Chef der Ausländerbehörde, trafen
am 28. Oktober 1986 ebenfalls gezielte Schüsse in die Beine.
Den Schützen will Schindler zum Tatort gefahren haben, es sei
eine Frau gewesen. Namen nannte er nicht.
Der heute 59- jährige Rudolf Schindler war vor einem Jahr
im Frankfurter Opec-Prozess aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der
Beteiligung an dem Überfall auf die Wiener Ölministerkonferenz
im Jahr 1975 freigesprochen worden. Seit Mai 2001 steht er wegen
Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung
vor dem Landgericht. Mit ihm sind vier weitere mutmaßliche
Terroristen angeklagt, darunter seine Ehefrau Sabine Eckle.
Schindler war der erste Angeklagte, der sich in dem Prozess zu
den Vorwürfen äußerte. Seine Erklärung kam
nicht überraschend. Der gelernte Werkzeugmacher sitzt seit
etwa zwei Jahren in Untersuchungshaft. Seit Ende November führten
er und seine beiden Verteidiger Gespräche mit der Bundesanwaltschaft.
Wie die Richterin am Freitag mitteilte, haben die Bundesanwälte
Schindler im Gegenzug für eine Aussage zugesagt, eine Strafe
von nicht mehr als drei Jahren und neun Monaten Haft zu beantragen.
Laut Anklage hält die Bundesanwaltschaft Schindler und seine
Frau für die führenden Köpfe der RZ. Sie stützt
sich dabei auf die Aussagen des einzigen Kronzeugen und ehemaligen
RZ-Mitglieds Tarek Mousli. Dieser war bei einem ersten Prozess im
Dezember 2000 in Berlin lediglich zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe
verurteilt worden. Mousli habe in wesentlichen Punkten nicht die
Wahrheit gesagt, sondern nur kleine Dinge zugegeben, um für
große Sachen nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, sagte
Schindler. So sei es Mousli selbst gewesen, der ihn bei dem Attentat
auf Korbmacher zum Tatort gefahren habe. Als Zeuge hatte Mousli
gesagt, er könne sich nicht erinnern, wer das Motorrad fuhr.
Anders als von Mousli behauptet will Schindler weder zu den Gründungsmitgliedern
der RZ gehört haben, noch sei er deren Rädelsführer
gewesen. Zudem sei seine Ehefrau nie an Anschlägen direkt beteiligt
gewesen. Laut Anklage soll Eckle die Schüsse auf Hollenberg
abgegeben haben. "Sabine Eckle war damals noch gar nicht in Berlin",
sagte Schindler.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft nannten die Erklärung
"glaubhaft". Es dürfte spannend werden, wie sie Mouslis Aussage
bewerten, wenn es um die anderen Angeklagten geht. Die schweigen
weiter. Schindler und Eckle wurden am Freitag aus der Untersuchungshaft
entlassen. Ein Ende des Prozesses ist noch nicht in Sicht.
Sabine Deckwerth
|