Datum:
22.02.2002
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Zeitung:
ak 459
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Titel:
Ein Vorgehen mit Methode
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Ein Vorgehen mit Methode
Interview mit Rechtsanwältin Edith Lunnebach
Frau Lunnebach, Sie vertreten im Berliner RZ-Prozess Matthias
Borgmann. An welchem Punkt sind wir in diesem Verfahren angelangt?
Edith Lunnebach: Inhaltlich ist das Verfahren sicher an
einem interessanten Punkt angelangt, da es darum geht, die Angaben
des Kronzeugen anhand von Nachfragen der Verteidigung bzw. der Präsentation
von eigenen Beweismitteln zu überprüfen. Allerdings hätte man bei
zügiger Prozessführung schon wenige Wochen nach Prozessbeginn im
März 2001 an diesem Punkt sein können.
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Tatsache der Aktenmanipulation
und das Zurückhalten von Beweismitteln seitens der Bundesanwaltschaft
(BAW) und die Reaktionen des Gerichts darauf?
Es hat in gewisser Weise Methode, dass es in diesem Prozess immer
wieder zu Verzögerungen kommt. Statt von Anfang an vollständige
Informationen über das Zustandekommen der Kronzeugenaussage zu liefern,
haben schon die Ermittlungsbehörden immer wieder nur Häppchen serviert,
die auch jetzt noch erst auf Grund von Anträgen der Verteidigung
langsam vervollständigt werden. Das zieht sich bis in das gerichtliche
Verfahren hinein, wobei zuletzt drei Monate lang die Befragung des
Kronzeugen ausgesetzt wurde, weil die Verteidigung umfangreiches
weiteres Aktenmaterial durchzuarbeiten hatte. Diese immer wieder
auftretenden Verzögerungen haben Methode, weil seitens der Ermittlungsbehörden,
und, so wie es im Moment aussieht, auch seitens des Gerichts der
Kronzeuge mit seinen Aussagen behandelt wird wie eine historische
Tatsache.
Es besteht wenig Bereitschaft, tatsächlich diesen Aussagen von
Anfang an kritisch zu begegnen und insbesondere die Interessensgeleitetheit
ihres Zustandekommens als grundsätzliches Manko ihrer Glaubwürdigkeit
anzusehen. In aller Regel ist der Kronzeuge, wie auch hier, ja zuvor
schon von einem Gericht auf Grund seiner Aussagen verurteilt worden,
was die Bereitschaft zur Kritik minimiert. Dieses strukturelle Problem
eines alleine auf Grund von Kronzeugenaussagen geführten Prozesses
ist generell zu erkennen.
In politischen Verfahren wie hier steht dem Interesse einer tatsächlichen
Aufklärung der unbedingte Wille der Ermittlungsbehörden, lange vergangene
politische Zusammenhänge aufzudecken und hierbei weniger Wert auf
täterbezogene Aufklärung zu legen, zusätzlich entgegen.
Das Gericht hat bislang keine Anstalten gemacht, den Widersprüchen,
die während der Beweisaufnahme thematisiert wurden, nachzugehen.
Steht das Urteil also schon fest?
Das Berliner Kammergericht hat bei der bisherigen Befragung erkennen
lassen, dass es bereit ist, über einen Großteil der Widersprüche
in den Aussagen des Kronzeugen hinwegzusehen und den Kern der Aussagen
des Kronzeugen, auf den die Anklagevorwürfe gestützt werden, zu
glauben. Dies muss misstrauisch stimmen, da die Angaben des Kronzeugen
zum einen vielfältig verändert und modifiziert wurden und es zum
anderen Aussagen vom Hörensagen sind, für die jegliche objektiven
Belege fehlen. Dies zeigt sich auch in der Behandlung der geständigen
Einlassung des Mitangeklagten Schindler durch das Gericht.
Welche Bedeutung hat die Einlassung von Rudolf Schindler für
Ihren Mandaten und den weiteren Verlauf des Prozesses?
Das Gericht ist bereit, dem Mitangeklagten Schindler das zu glauben,
was die Anklagevorwürfe gegen ihn stützt und damit ein Teilgeständnis
darstellt, nicht aber das zu glauben, was den Aussagen des Kronzeugen
zentral widerspricht.
Dies macht insbesondere die Verteidigung des Angeklagten Borgmann
misstrauisch, da gerade die Aussage, die der Kronzeuge nachgeschoben
hat, um seine Belastung gegenüber Matthias Borgmann glaubwürdig
zu machen, nämlich die Begegnung mit ihm als angeblichem RZ-Mitglied
während eines Waldspaziergangs, nach Angaben des Mitangeklagten
falsch ist. Es wird gerade in den nächsten Wochen darum gehen, durch
entsprechende Nachfragen der Verteidigung und eigene Anträge die
Unglaubwürdigkeit des Aussagekonstrukts auch für das Gericht unwiderlegbar
zu machen. Dies muss die zentrale Aufgabe für den weiteren Prozessverlauf
sein, da ansonsten eine Verurteilung der Angeklagten zementiert
erscheint.
Rudolf Schindler und Sabine Eckle wurde nach der Einlassung
aus der U-Haft entlassen. Ihr Mandant ist mittlerweile ebenfalls
gegen eine horrende Kaution wegen eines Unglücksfalls in der Familie
haftverschont. Sind das nicht untrügliche Beweise dafür, dass es
eigentlich bei allen Angeklagten keine stichhaltigen Gründe für
die U-Haft gab bzw. gibt?
In der Haftfrage ist das Verhalten von Gericht und Bundesanwaltschaft
besonders kritikwürdig. Dass eine Haftentlassung, wie bei den Mitangeklagten
Herrn Schindler und Frau Eckle geschehen, erst dann in Betracht
kommt, wenn geständige Einlassungen gegeben werden, spricht gegen
die Souveränität des Gerichts. Geständige Einlassungen dürfen nicht
durch Haft erzwungen werden. Zwei Jahre Untersuchungshaft sind bei
den Tatvorwürfen, die so weit zurückliegen, und bei den Kritikpunkten
an der Beweisführung zu viel.
Interview: mb., Berlin
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