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Datum:
20.12.2001
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Zeitung:
ak 457
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Titel:
2 Jahre Justizskandal - und kein Ende
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2 Jahre Justizskandal - und kein Ende
Im Berliner "RZ-Prozess" scheinen die Urteile schon seit März
2001 gefällt
Vor zwei Jahren, am 19. Dezember 1999, inszenierten die Bundesanwaltschaft
(BAW) und das Bundeskriminalamt (BKA) ein wahres Großereignis.
Das war auch bitter nötig, war doch das, was man da jagte,
schon seit Jahren Geschichte. An diesem Tag durchsuchten an
die 1.000 Beamte der Berliner Polizei und des Bundesgrenzschutzes
(GSG 9) das Berliner Kultur- und Politikzentrum MehringHof.
Gleichzeitig wurden eine Frau in Frankfurt am Main und zwei
Männer in Berlin festgenommen. Seit über neun Monaten
wird nun in diesem Zusammenhang im Saal 500 des Kriminalgerichts
Moabit in Berlin gegen insgesamt vier Männer und eine Frau
der Prozess gemacht.
Verhandelt wird gegen Axel Haug, ein Hausmeister des MehringHofs,
Harald Glöde, Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht
und Migration, Matthias Borgmann, Leiter des Akademischen Auslandsamtes
der Technischen Universität Berlin, Sabine Eckle, Frankfurter
Galeristin, und ihren Ehemann, Rudolf Schindler. Sie sollen
wegen Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen" (RZ)
und verschiedener Anschläge im Berlin der achtziger und
frühen neunziger Jahre verurteilt werden, zu denen der
Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für
Asylbewerber (ZSA) mit 5.000,- Mark Schaden vom Februar 1987
und ein misslungener Anschlag auf die Berliner Siegessäule
vom Januar 1991 gehören. Das einzige "Beweismittel" in
diesem Prozess ist ein Kreuzberger Karatelehrer, ein so genannter
"Kronzeuge", dessen Erzählungen vom Hörensagen die
Inhaftierungen auslösten.
Die Dauer des Verfahrens und sein bisheriger Verlauf sind die
eine Seite dieses Justizskandals, die andauernde Untersuchungshaft
- nachweislich ohne Flucht- oder Verdunklungsgefahr - die andere.
Doch bereits die Vorgeschichte zu diesem Prozess hat es in sich,
wie sich nun peu à peu herausstellt. Angefangen hatte
alles mit einem Sprengstoffdiebstahl im März 1995 aus dem
Keller des "Kronzeugen" Tarek Mousli. Als die Diebe ihren Fund
zu Geld machen wollten - den zurückgelassenen Rest des
Sprengstoffs will Mousli sofort nach dem Diebstahl in einem
Wassergraben versenkt haben -, kam die Polizei ins Spiel. Sofort
setzte das Landeskriminalamt (LKA) Berlin das BKA von dem Sprengstofffund
in Kenntnis. Bei dem Sprengstoff handelte es sich um Gelamon
40, einen Sprengstoff, der seit 1987 bei mehreren RZ-Anschlägen
verwandt worden war. Doch es geschah (angeblich) nichts. Also
stellte das LKA im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Dieter
S., der in Mouslis Keller eingestiegen war, eigene Recherchen
über den Sprengstoff an. Die Auskunft des Herstellers aus
der DDR, des VEB Schönebeck, ergab, dass der Sprengstoff,
der mit einer entsprechenden Losnummer gekennzeichnet war, mit
großer Wahrscheinlichkeit 1987 an so genannte Sonderbedarfsträger
- also die Nationale Volksarmee (NVA) oder das Ministerium für
Staatssicherheit (MfS) - ausgehändigt worden war.
Obwohl das LKA Berlin bereits 1995 den Fund an das BKA meldete,
wollen BAW und BKA davon erst im November 1997 erfahren haben.
Erst zu diesem Zeitpunkt beginnen angeblich ihre Ermittlungen.
Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass der Sprengstoff aus einem
Einbruch bei der Firma Klöckner Durilit in Salzhemmendorf
stammt. Ermittlungen im Herstellerwerk Schönebeck selbst
wurden nicht angestellt. Unklar ist auch, warum das BKA drei
Jahre verstreichen ließ, bis es nach eigenen Angaben die
ersten Ermittlungen anstellte. Erklärungsbedürftig
ist dies vor allem deshalb, weil man weiß, wie schnell
die BKA-Maschinerie normalerweise bei einer solchen Meldung
anspringt. Von dieser normalerweise sofort anlaufenden Maschinerie
berichtete ein BKA-Beamter mittlerweile in der Hauptverhandlung
auch sehr anschaulich. Um wenigstens etwas Licht ins Dunkel
zu bringen, hat die Verteidigung inzwischen verlangt, die Ermittlungsakten
zu den Aktivitäten des BKA seit 1995 beizuziehen, die bisher
weder dem Gericht noch der Verteidigung bekannt sind.
Ungereimtheiten gibt es auch an anderer Stelle. Im Zuge der
BKA-Ermittlungen fand sich die damalige Lebensgefährtin
Mouslis, Karmen T., bereit, gegen ihren Freund auszusagen. Mousli,
so machte sie vor der Polizei deutlich, hatte ihr gegenüber
zugegeben, für die Knieschüsse auf den damaligen Richter
am Asylsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin, Dr. Günther
Korbmacher, im Jahre 1987 verantwortlich zu sein: "Ich habe
geschossen", so Mousli ihr gegenüber. Für diese Aussage,
deren Glaubwürdigkeit weder vom BKA noch von der BAW in
Zweifel gezogen worden war, wurde ihr 1999 das Zeugenschutzprogramm
angeboten - zum Schutz vor Mousli und "seiner" RZ, denn mittlerweile
wurde gegen ihn als "Rädelsführer" und damit "Kopf"
der Berliner "Revolutionären Zellen" ermittelt. Und genau
diesen Kopf versuchte Mousli sodann Stück für Stück
aus der Schlinge der Bundesanwaltschaft zu ziehen - wie sich
zeigen sollte, weitgehend mit Erfolg.
Unterschlagenes Beweismaterial ...
Denn die Aussage seiner damaligen Lebensgefährtin wurde
fortan ignoriert. Mousli machte sich stattdessen zum vermeintlichen
Informanten des BKA und wurde dafür im Dezember 2000 mit
zwei Jahren auf Bewährung für einfache Mitgliedschaft
in den RZ belohnt. Seitdem wird er monatlich mit 2.400,- Mark
alimentiert - plus Pkw, Telefon und Spesen.
Seit März 2001 wird nun gegen die Angeklagten verhandelt.
Zur Zeit kann jedoch das einzige "Beweismittel" nicht vernommen
werden, weil zunächst unterschlagenes Beweismaterial gewürdigt
werden muss. Aus einem Teil dieses Materials - insgesamt sind
über 700 Stunden abgehörte Telefongespräche der
Verteidigung und dem Gericht vorenthalten worden - geht bereits
jetzt hervor, dass das BKA einer Zeugin, der letzten Freundin
Mouslis, aufgetragen hatte, gegenüber dessen Anwalt so
lange zu lügen, bis Mouslis Geschichte als "wasserdicht"
galt. Frühestens im Januar 2002 kann auch sie erst vernommen
werden, denn auch diese Anweisung zum Lügen befindet sich
in dem unterschlagenen Material. So ist der Prozess bereits
jetzt bis April 2002 terminiert und schickt sich offenbar an,
dem Schmücker-Skandalprozess Konkurrenz zu machen.
All das ficht den 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts
mit seiner Vorsitzenden Richterin, Gisela Hennig, nicht an.
So wurde der Antrag der Verteidigung abgelehnt, das durch die
Unterschlagungen in Schieflage geratene Verfahren so lange auszusetzen,
bis eben dieses unterschlagene Beweismaterial gesichtet und
ausgewertet werden kann. Ebenso wenig wurde den Anträgen
entsprochen, die Gefangenen aus der Untersuchungshaft zu entlassen,
obwohl für alle auf Grund familiärer Bindungen und
beruflicher Integration von Fluchtgefahr nicht gesprochen werden
kann. Das belegt bereits das Verhalten des in Frankfurt am Main
angeklagten und im so genannten OPEC-Verfahren freigesprochenen
Rudolf Schindler, der nach seinem Freispruch - schon mit der
drohenden Anklage in Berlin konfrontiert - keinesfalls untertauchte
und nun wieder inhaftiert ist. Auch ein weiterer von Mousli
Beschuldigter, der seit Jahren in Kanada lebende und dort arbeitende
Lothar Ebke, entzieht sich dort keinesfalls den Verfolgungsbehörden,
was er durchaus könnte, denn dort ist er nicht inhaftiert
worden.
... und sich überschlagender Verurteilungswille
Diese Verweigerungshaltung und insbesondere das offensichtliche
Desinteresse des Gerichts nährt mehr als den Verdacht,
dass es hier zu einer Verurteilung um jeden Preis kommen soll.
Und tatsächlich lehnte auch der 2. Strafsenat des Berliner
Kammergerichtes den Antrag auf Befangenheit des 1. Strafsenats
rundheraus ab, ohne die von der Verteidigung vorgebrachten Argumente
überhaupt zu prüfen. Dabei haben bereits die wenigen
Auftritte Mouslis - bevor seine Vernehmung wegen des unterschlagenen
Materials unterbrochen werden musste - mehr als deutlich gezeigt,
dass seine "Erinnerungen" ebenso konstruiert und widersprüchlich
sind, wie er offensichtlich das Gericht mehrfach belogen hat.
So ist seine Behauptung, Harald Glöde sei am Anschlag
auf die ZSA beteiligt gewesen, nachweislich falsch. Harald Glöde
hat ein Alibi. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt im Polizeigewahrsam.
Dass nach Mouslis Aussage Rudolf Schindler - in Begleitung von
Sabine Eckle - bei den Knieschüssen auf den damaligen Chef
der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg,
der Schütze der RZ gewesen sei, deckt sich ebenso wenig
mit den Ermittlungsergebnissen. Das Opfer sprach von einer Frau,
die geschossen habe. Die Beweisaufnahme vor Gericht ergab, dass
Tatzeugen bereits vor 14 Jahren - also unmittelbar nach der
Tat - Personenbeschreibungen geben konnten, die auf beide nicht
zutreffen. Und bei Vorlage von Lichtbildern haben dieselben
Tatzeugen die beiden nicht wiedererkannt, sondern andere Personen
als Tatbeteiligte identifiziert. (Dass die vorgelegten Lichtbilder,
die nach Auskunft eines Polizeizeugen bis 1999 noch vorhanden
waren, heute unauffindbar sind, ist da nur ein weiteres Detail.)
Angeblich will Mousli für diese Aktion zusammen mit einem
anderen RZ-Mitglied das Fluchtauto gestohlen haben. Doch tatsächlich
ist das damalige Tatfahrzeug gekauft worden.
Ähnliche, höflich formuliert, Ungereimtheiten gibt
es auch bei seinen Aussagen zum Anschlag auf Dr. Korbmacher.
So haben zwei Zeugen das Tatfahrzeug, ein Motorrad, zwei Tage
vor dem Anschlag am damaligen Kontrollpunkt Drewitz gesehen.
Nach Angaben des Kronzeugen sei das Motorrad jedoch schon Wochen
vorher nach Berlin gebracht worden. Und obwohl er angeblich
alle Details der Aktion schildern kann, will er sich ausgerechnet
nicht an den Fahrer des Motorrads erinnern können.
Am deutlichsten - und an sich schon ein Skandal - wurde das
Lügen des Kronzeugen bei den beiden Durchsuchungen des
Berliner Kultur- und Politikzentrums MehringHof, das Mousli
als Sprengstofflager denunzierte. Mehr als 1.000 Beamte von
Berliner Polizei und Bundesgrenzschutz (GSG 9) richteten bei
der Durchsuchung Zerstörungen von über 100.000,- Mark
an, fanden aber weder Waffen noch Sprengstoff. Auch eine zweite
Durchsuchung, diesmal mit einer Videodirektschaltung unter Anleitung
von Tarek Mousli, brachte weder Waffen noch Sprengstoff zu Tage.
Wie sich jetzt herausstellte, sind aber in dieser Sache erneut
Beweismaterialien, diesmal Videobänder, vom BKA unterschlagen
worden - offenbar um zu vertuschen, dass Mousli keineswegs "zielgerichtet
Angaben" gemacht hatte, sondern ein Sprengstofflager erst herbeifantasieren
musste.
Initiative "bis gleich ..."
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