|
Datum:
05.07.2001
|
Zeitung:
ak 452
|
Titel:
Jagdtrophäen fürs Dienstzimmer
|
Berliner RZ- Prozess: Szenen vor dem Saal 500
Jagdtrophäen fürs Dienstzimmer
Oberstaatsanwalt Homann ist fasziniert. Auf dem Flur vor dem
großen Saal 500 des Kriminalgerichts Moabit, in dem der Berliner
"RZ-Prozess" stattfindet, hält er einen Schwatz mit der
Gerichtszeichnerin. Homann darf in ihrer Bildermappe blättern. Eine
Zeichnung zieht den Mitte-50-jährigen, etwas steif wirkenden
Staatsbediensteten besonders an. Sie ist am vorausgegangenen Prozesstag
entstanden, dem Tag, an dem Rudolf Sch. das erste Mal in diesem Verfahren
angeklagt wurde. Die Zeichnung zeigt Sch. und Sabine E. nebeneinander
sitzend. Rechts im Hintergrund ist die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig
zu erkennen. Sie schaut über die runden Gläser ihrer Lesebrille
hinweg, freundlich lächelnd. Es ist ihr typischer - einige
ProzessbeobachterInnen meinen "mütterlicher" - Blick, immer
dann, wenn sie den Faden verloren hat oder Kritik der Verteidigung erntet.
Im Zentrum des Bildes stehen jedoch Herr Sch. und Frau E.. Beide wirken
eher entspannt, Sch. mit einem leichten Lächeln. Irgendwie hat die
Zeichnung etwas Intimes. Vielleicht ist es aber auch nur das Wissen darum,
dass die beiden ein Paar sind und der Gerichtssaal zur Zeit für sie
den einzigen Treffpunkt darstellt.
Homann, der Oberstaatsanwalt, findet das Bild - wie er
sich ausdrückt - authentisch. Besonders "Sch.", betont er
gegenüber der Zeichnerin, sei hervorragend getroffen.
Schließlich wäre das Zeichnen vor Gericht eine besondere Kunst,
säßen die Protagonisten doch nie richtig still. Der Mann, der
nach den Worten von Rechtsanwalt Nicolas Becker im Verfahren eher
"fürs Grobe" zuständig ist, scheint sich über
Gerichtszeichnungen Gedanken gemacht zu haben. Heute hat er endlich mal
Zeit darüber zu sprechen. Frau E., so war gleich am Morgen bekannt
gegeben worden, hat sich wegen eines akuten Migräneanfalls geweigert,
vor Gericht zu erscheinen. Wie alle Prozessbeteiligten seit dem ersten
Verhandlungstag wissen, leidet Frau E. seit Jahren an dieser Krankheit, die
sich durch die Haft verschlimmert hat. Ein Gerichtsarzt, so nun die
Anweisung der Vorsitzenden Richterin, soll Frau E. im Gefängnis in
Pankow untersuchen und später dem Gericht ihren Zustand schildern.
Zwei Stunden sind schon vergangen. Die Vorsitzende Richterin telefoniere
fieberhaft, so ist von einer Anwältin zu erfahren. Einige der zehn
VerteidigerInnen stehen draußen vor dem Saal, rauchen Zigaretten oder
trinken Kaffee. Noch fünf weitere KollegInnen von der Presse sind
anwesend. Auch die Gerichtszeichnerin erkundigt sich, ob denn am heutigen
Tag überhaupt noch was passieren werde. Ein Anwalt zieht die Schultern
hoch. Er wisse nur, dass Frau Henning die Anweisung erteilt habe, die
Angeklagten aus den Wartezellen im ersten Stock durch die unterirdischen
Gänge, die das Gerichtsgebäude mit dem angrenzenden
Gefängnis von Moabit verbinden, zurückbringen zu lassen. Auf
Grund der besonderen "Sicherheitsvorkehrungen", die auch auf Frau
Hennig zurückgehen, darf im Gerichtssaal nicht gewartet werden.
Zumindest für die Gerichtszeichnerin zahlt sich das Warten aus.
Oberstaatsanwalt Homann kauft die Zeichnung des Ehepaars Sch. und E..
Zufrieden lächelnd rollt er sie mit großer Vorsicht zusammen.
Später zeigt er das Stück seinen beiden Kollegen Mägerle und
Bruns von der Bundesanwaltschaft. Auch sie scheinen angetan. Die Zeichnerin
erzählt, dass ihre Werke ganz unterschiedliche Preise hätten,
allerdings, unter 500 Mark ginge nichts.
Eine weitere halbe Stunde ist vergangen. Die meisten der Herumstehenden
sind vorübergehend verschwunden, vermutlich in die Gerichtskantine.
Plötzlich zeigt sich ein ungewöhnliches Bild: die drei
Staatsanwälte sitzen der Gerichtszeichnerin auf der steinernen Bank
gegenüber der großen Tür zum Saal 500 Modell.
Oberstaatsanwalt Homann, der Chef der drei, hat das Gruppensitzen
organisiert. Die Stimmung ist locker, die Ankläger freuen sich
über die Abwechslung. Allerdings, so gibt Bundesanwalt Mägerle zu
bedenken, solle die Zeichnung den notwendigen bundesanwaltlichen Ernst
bekommen. Sehr ernst blickt er denn auch drein, als er an der Reihe ist und
von der Zeichnerin fixiert wird. Es ist wieder Herr Homann, der später
Vorschläge für den Hintergrund der Zeichnung macht. Zwei Frauen
aus Stein, rechts und links über dem Trio angeordnet, dies könne
er sich gut vorstellen. Die ausladende Haupthalle der Moabiter Gerichts
bietet genügend Anregungen. Die Zeichnerin ist begeistert.
Inzwischen ist früher Nachmittag. Der Ruf des immer gleichen, viel
zu lauten Gerichtsdieners mit seinem Bundesadleramulett auf der behaarten
Brust: "Die Verhandlung E. und andere wird fortgesetzt"
ertönt. Nun sehen auch die AnwältInnen zufriedener aus, bekommen
sie doch mit Eröffnung "ihr Sitzungsgeld", egal wie lange
die Verhandlung dauert. Die Bundesanwälte haben ihre roten Roben
wieder übergeworfen und sich im Sitzungssaal rechts neben der
Richterin hinter ihrer Glasscheibe verschanzt. Weniger zufrieden sehen die
hereingeführten Angeklagten aus. Harald G., einer von ihnen, ergreift
sofort das Wort. Er ist ungehalten, zornig. Seit dem frühen Morgen
hätten er und die Mitangeklagten in den
"Rattenlöchern", gemeint sind die Zellen im ersten Stock,
auf den Verhandlungsbeginn warten müssen. Die Wände seien dort
mit Hakenkreuzen beschmiert, der Gestank kaum auszuhalten. Er fühle
sich vollkommen verdreckt und verschwitzt und begreife nicht, warum man mit
ihnen derart verfahre.
Gisela Henning schaut über die runden Gläser ihrer Lesebrille
hinweg, freundlich lächelnd. Etwas erstaunt, vielleicht auch leicht
verunsichert, erklärt sie, dass sie morgens die Rückführung
in die Untersuchungshaft angeordnet habe. Ihr Blick wandert durch den
Gerichtssaal und bleibt an einem der Gerichtsdiener hängen. Dieser
klärt auf: Im Untersuchungsgefängnis Moabit herrsche
Personalmangel. Es hätte niemand gegeben, der die Angeklagten
außerplanmäßig wieder hätte abholen können. Die
Richterin ist zufrieden, das "Problem" hat sich aufgeklärt,
schließlich ist sie für den Personalmangel in Moabit nicht
zuständig. Die kleine Ablaufstörung ist beseitigt. Ein Arzt
berichtet, was alle schon wissen: Frau E. hat schwere Migräne und kann
deshalb nicht der Verhandlung beiwohnen. Die Verhandlung wird bis zum
nächsten Sitzungstag unterbrochen.
Leon Grabowski
|