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Presse

Datum:
19.12.2003

Zeitung:
ak - analyse + kritik, Nr. 479

Titel:
Berliner RZ-Prozess: BAW fordert mehrjährige Haftstrafen

Berliner RZ-Prozess: BAW fordert mehrjährige Haftstrafen

Der Berliner Prozess in Sachen "Revolutionäre Zellen" neigt sich dem Ende zu. Am 11. Dezember forderte die Bundesanwaltschaft (BAW) Haftstrafen zwischen zweieinhalb Jahren und vier Jahren und drei Monate für die fünf Angeklagten. Die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen sahen die Karlsruher Anklagevertreter in keinem Punkt erschüttert. Das Urteil des Kammergerichts Berlin wird im Januar erwartet.

Gut Ding will Weile haben, heißt es im Volksmund - für den Berliner RZ-Prozess will diese Volksweisheit allerdings nicht stimmen: Ungeachtet der massiven Widersprüche, die in den Aussagen des Zeugen der Anklage Tarek Mousli während der inzwischen mehr als 150 Verhandlungstage zu Tage getreten sind, ist der Verurteilungswille der BAW ungebrochen. Alle entsprechenden Bemühungen der Verteidigung prallten an den Sitzungsvertretern des Generalbundesanwalts und dem Berliner Kammergericht ab. Dass für viele Behauptungen des Kronzeugen jeglicher Beweis fehlt, spielt keine Rolle.

Vor mehr als zweieinhalb Jahre begann das Mammutverfahren gegen die fünf Angeklagten vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. Gestützt im wesentlichen auf die Vorwürfe Mouslis verhandelt der Senat seit Mai 2001 gegen die Frankfurter Galeristin Sabine E. (57), ihren Ehemann Rudolf Sch. (61), den früheren Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin, Matthias B. (55), den Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM), Harald G. (55), sowie den Hausmeister des Berliner Alternativzentrums Mehringhof, Axel H. (53). Die BAW wirft ihnen neben der Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" in wechselnden Konstellationen die Beteiligung an den bereits strafrechtlich verjährten Knieschussattentaten auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, 1986 und den Vorsitzenden Richter des Asylsenats des Bundesverwaltungsgerichts, Günther Korbmacher, 1987 sowie an den Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987 und die Berliner Siegessäule 1991 vor.

Die Anschuldigungen Mouslis wurden von den Bundesanwälten in ihrem rund sechsstündigen Plädoyer durchgängig als glaubwürdig, schlüssig und wahrheitsgetreu hingestellt. Zwar sei "nicht zu verkennen, dass für Tarek Mousli ein starkes Motiv bestand, ein Geständnis abzulegen", gestand Bundesanwalt Bruns ein. Die Aussagen seien "aber nicht als unverwertbar anzusehen", vielmehr würden sie sich widerspruchsfrei in den gesamten Geschehensablauf einpassen und die tatsächlichen Tatgeschehen widerspiegeln, so der Bundesanwalt.

Es spielt also keine Rolle, dass die meisten Anschuldigen Mouslis lediglich auf Hörensagen beruhen. Es spielt keine Rolle, dass der von Mousli beschriebene Aufbau des Sprengsatzes, der beim Anschlag auf die ZSA zur Verwendung kam, nach Aussage von BKA-Experten nicht diese Sprengwirkung hätte entfalten können. Es spielt keine Rolle, dass trotz zweimaliger intensiver Suche im Mehringhof kein RZ-Waffen- und Sprengstoffdepot gefunden wurde. Es spielt keine Rolle, dass der Sprengstoff, den Mousli 1995 in einem Seegraben im Norden Berlins entsorgt haben will, nach Aussage von Gutachtern dort nie so lange gelegen haben kann, usw. und usf.

Unerheblich, dass Sabine E., Rudolf Sch., die sich als RZ-Militante bekannten, und Axel H., der Unterstützungsleistungen eingestand, in Einlassungen der Version des Kronzeugen widersprochen haben. Unerheblich auch, dass eine Zeugin sich dazu bekannt hat, die Schüsse auf Hollenberg 1986 abgegeben zu haben, und nicht Sabine E., wie von Mousli behauptet. Unerheblich auch, dass Rudolf Sch. erst jüngst erklärt hat, er und Sabine E. hätten sich nach dem Knieschussattentat auf Korbmacher 1987 entschlossen, "die Arbeiten mit und in den Revolutionären Zellen zu beenden". Es habe damals "für weitere Aktionen der Revolutionären Zellen weder Anlass noch Legitimation" gegeben, so Rudolf Sch. Deshalb hätten sie die übrigen "Beteiligten" aufgefordert, "die gleiche Konsequenz zu ziehen". Was dann auch erfolgt sei. "Da wir kein offizieller Verein waren", so Rudolf Sch., "konnten wir keinen Auflösungsantrag stellen, um unsere Haltung zu dokumentieren." Auch Sabine E. widersprach dem Kronzeugen: "In der Zeit von Ende 1987 bis zu unserem Weggang aus Berlin 1990/91 hat es in Berlin keine Revolutionäre Zelle(n) gegeben." Gleichzeitig nahm sie für sich in Anspruch: "Ich habe mein Bestes getan, und wir sind nicht für Leute verantwortlich, die partout nicht aus ihrem sozialrevolutionären Denkschema herauskamen."

Doch auch hiervon zeigten sich die Bundesanwälte unbeeindruckt. Und genutzt haben diese offenherzigen Worte auch nur wenig. Für Bundesanwalt Bruns sind Sabine E. und Rudolf Sch. "wichtige, wenn nicht die wichtigsten Personen der RZ". Gemeinsam mit Matthias B. hätten sie ein "Dreigestirn" gebildet und seien deshalb als "Rädelsführer" zu verurteilen - drei Jahre neun Monate für Sabine E. und Rudolf Sch., für Matthias B., der im Prozess geschwiegen hat, beantragte die BAW vier Jahre und drei Monate. Für den ebenfalls jegliche Aussage verweigernden Harald G. forderte Bruns zwei Jahre und neun Monate, für Axel H. zwei Monate weniger. Zwar seien die Taten der Angeklagten "hochkriminell", doch sei bei den beantragten Strafen zu berücksichtigen, dass die Taten über zehn Jahre zurücklägen und die Angeklagten zwischenzeitlich ein "bürgerliches Leben" geführt hätten. Bruns konnte es allerdings nicht unterlassen, die Angeklagten zu verhöhnen, sie hätten sich mit Unterstützung ihrer AnwältInnen "wie eine Autoschieberbande" verhalten und nur "opportunistisch taktiert".

Auch wenn im Januar die Urteile in diesem Verfahren gesprochen werden sollten, ist die juristische Aufarbeitung in Sachen RZ Berlin damit noch nicht beendet. Ende Oktober wurde der ebenfalls von Mousli beschuldigte Lothar E. von Kanada in die BRD ausgeliefert.

mb., Berlin

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