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Presse

Datum:
19.04.2002

Zeitung:
ak - analyse & kritik, Nr. 461

Titel:
Revolutionäre Moral oder revolutionäre Politik

Revolutionäre Moral oder revolutionäre Politik

Anmerkungen zum Beitrag von Klaus Viehmann

(Alle kursiv gesetzten Zitate sind dem Text von Klaus Viehmann entnommen.)

Die Situation im Berliner RZ-Prozess hat sich entscheidend verändert. Hintergrund sind die Einlassungen von drei der fünf Angeklagten. Verändert hat sich zum einen die juristische Ausgangslage. Eine justiziable Demontage des Kronzeugen ist vor dem Staatsschutzsenat ungleich schwerer geworden, bewertet er die Teilgeständnisse doch als Bestätigung der Angaben des Kronzeugen. Mit den Einlassungen wurden aber zugleich der Version des Kronzeugen plausible Gegendarstellungen über die RZ der 80er Jahre in Berlin zur Seite gestellt. In der kritischen Öffentlichkeit ist damit einmal mehr deutlich geworden, dass die Geschichten Tarek Mouslis eine krude Mischung aus selbst Erlebtem, Halbwahrheiten und offensichtlichen Lügen sind, die als Grundlage einer Verurteilung nicht ausreichend ist.

In der Solidaritätsarbeit zum Berliner RZ-Prozess hat der Begriff "Freilassung" von Anfang an eine große Rolle gespielt. Das kurz nach den ersten Verhaftungen im Dezember 1999 zusammengekommene Soli- Bündnis nannte sich "Berliner Bündnis für Freilassung". Die Homepage der Kampagne firmiert unter "www.freilassung.de". Der im Herbst 2000 veröffentlichte Aufruf von BürgerrechtlerInnen, PolitikerInnen der Grünen und der PDS, RechtsanwältInnen und KünstlerInnen forderte ebenfalls "die sofortige Freilassung". Was allerdings genau mit dem Begriff Freilassung gemeint war, blieb unbestimmt und wurde unterschiedlich definiert. Für die einen kam darin zum Ausdruck, dass sie prinzipiell der politischen Justiz das Recht absprachen, über die Revolutionären Zellen zu richten. Auf der anderen Seite gab es aber auch diejenigen, die sich aus bürgerrechtlichen Bedenken für die Einstellung des §129a-Ermittlungsverfahrens und die Aufhebung der Haftbefehle einsetzten. Diese Unbestimmtheit der Forderung begleitet die Soli-Arbeit von Beginn an.

"Einlassung - Entlassung?" ist der Titel einer Wortmeldung von Klaus Viehmann. (vgl. ak 460) Darin gibt er vor dem Hintergrund der Aussagen dem Begriff einen neuen Bedeutungszusammenhang, wenn er zugespitzt formuliert: "Egoismus macht frei?". Die Teilgeständnisse der drei Angeklagten sind für ihn "eigennützige Ich-Politik" und "in gewisser Weise" Folge einer "Prozesstaktik, bei der von den Angeklagten und der Verteidigung auf eine politische Antwort verzichtet wurde - aus welchen Gründen auch immer."

Grundsätzlich setzt sich Klaus Viehmann im Weiteren mit den Einlassungen auseinander, der Problematik, die damit für die beiden Angeklagten verbunden ist, die von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch machen, und den speziellen Bedingungen in einem Verfahren, das geprägt ist von einem unerschütterlichen Verurteilungswillen. Da wird viel Richtiges gesagt. Stutzig macht allerdings, mit welcher Überzeugung er ein persönliches Opfer von den Angeklagten einfordert. Denn angesichts der momentanen Schwäche der radikalen Linken müsste klargemacht werden, worin der politische Gewinn eines solchen Opfers bestünde - und zwar konkret, hier und heute. Bislang hat es darauf keine Antworten gegeben.

Eine Antwort kann wahrscheinlich auch nur sehr schwer gefunden werden, wenn man bedenkt, dass hier (auch) einem politischem Projekt der Prozess gemacht wird, das Geschichte ist. Die Angeklagten stehen wegen einer Politik aus den späten 80er Jahren vor Gericht, die ihren damaligen Trägerinnen und Trägern angesichts der politischen Verhältnisse der 90er Jahre nicht mehr angemessen erschien. Schon 1992 erklärten die RZ das "Scheitern unserer Politik".

Dieser Umstand drückte von Beginn an diesem Verfahren seinen Stempel auf und bestimmt das Verhalten der Angeklagten vor Gericht, die Schwierigkeiten der Soli-Arbeit und nicht zuletzt die Kontroversen, die es darüber in den letzten zwei Jahren gab, ohne dass diese hätten positiv gewendet werden können. Vorzuwerfen ist Viehmann, dass er so tut, als würde dieses Problem gar nicht existieren. Denn nur so kann sein Halbsatz "aus welchen Gründen auch immer" verstanden werden, mit dem er seine Kritik an der bisherigen Prozesstaktik abschließt.

Die Auflösung der RZ wurde in den eigenen Reihen nicht kritiklos und widerspruchsfrei hingenommen. Darauf hat Matthias Borgmann hingewiesen, wobei er auf die "eine oder andere widersprüchliche Auflösungserklärung" der RZ Bezug nahm. "Und wenn man den damals veröffentlichten Erklärungen glauben darf, dann hatten sie offensichtlich ihre massivsten Kritiker in den eigenen Reihen organisiert." (ak 459) Ob dabei die Angeklagten eine Rolle gespielt haben, und wenn ja, welche Haltung sie dabei eingenommen haben, ist unerheblich. Aber mensch kann annehmen, dass der Auflösungsprozess der RZ für die daran Beteiligten selbst ein widersprüchlicher Vorgang war, der nicht ohne Brüche, Verwerfungen und Neuorientierungen vonstatten ging. Der gemeinsame politische Zusammenhang konnte gerade eben noch in einem selbstbestimmten Akt aufgelöst werden. Ein knappes Jahrzehnt später wird dann diese Vergangenheit zum Gegenstand eines Staatsschutzprozesses. Das Ergebnis ist bekannt und kann im Gerichtssaal 500 des Kriminalgerichts Moabit begutachtet werden. Natürlich wäre ein kollektives, solidarisches Verhalten der Angeklagten wünschenswert gewesen. Doch gab es die Bedingungen dafür?

Problematisch von Anfang an

"Der geforderte Preis, der Macht ein wenig zu Gefallen zu sein, widerspricht den eigenen (linken) Ansichten und Erkenntnissen und auch der eigenen (linken) Praxis, weswegen man in den Knast gekommen ist", gibt Viehmann zu bedenken. "Ein Deal wird mit Einzelnen auf Kosten anderer versucht, er funktioniert nie mit Kollektiven. Das vertrauensvolle solidarische Leben, Arbeiten und Kämpfen, was jede linke Organisierung herstellen will, wird gesprengt und das bürgerliche eigennützige Individuum wiederhergestellt." Die Organisation, die ein "vertrauensvolles, solidarisches Leben, Arbeiten und Kämpfen" herstellen wollte, ist Geschichte. Und wie jede/r interessierte ProzessbeobachterIn feststellen kann, verstehen sich die Angeklagten nicht als politisches Kollektiv. Nicht einmal ist geklärt, ob denn überhaupt alle Angeklagten Teil dieser Strukturen waren. Das einmal beiseite gelassen, ist diese Tatsache kaum überraschend, erinnert mensch sich an den Auflösungsprozess der RZ. Einen kollektiven politischen Neuanfang hat es nicht gegeben. Das Projekt war einfach zu Ende. Die Loyalität und Verantwortung gegenüber dem politischen Projekt, für das man Kopf und Kragen riskiert hatte, fiel somit auf den Einzelnen zurück. Warum das im Prozess nicht aufgefangen werden konnte, das müsste diskutiert werden. Matthias Borgmann gab jedenfalls zu bedenken: "Die Frage wäre leicht zu beantworten, wenn es die RZ noch gäbe. Dann hätte vielleicht durch den Bekennermut Einzelner die Organisation profitieren können. So eine Art bescheidenes Märtyrertum wäre dann zumindest möglich gewesen." (ak 459)

Dies hätte nur dann aufgefangen werden können, wenn der Prozess in einem politischen Umfeld stattgefunden hätte, das eine Auseinandersetzung mit den RZ eingefordert, umgesetzt und getragen hätte. Viehmann kritisiert, dass "die damals und heute herrschende Flüchtlings- und Kriegspolitik und die politischen Ziele dieses Verfahrens nie thematisiert oder gar angegriffen (wurden)". Aber welche Antworten hätte ein politischer Prozess über die RZ-Flüchtlingskampagne für die heutige antirassistische Praxis geben können? "Was eine antirassistische Flüchtlingspolitik anbelangt, kann ich nicht erkennen, dass diejenigen, die in den letzten Jahren aktiv waren, ihre politischen Bezüge in RZ-Erklärungen gesucht hätten. Daher empfinde ich eine Verengung auf das RZ-Thema als einen Rückschritt", gab ein FFM-Aktivist einen Monat nach der Verhaftung seines Kollegen Harald Glöde zu bedenken (ak 434). Man mag über diese Einschätzung streiten und hätte das vermutlich auch besser getan, eine solche Auseinandersetzung aber hat es nicht gegeben. Festzustellen ist auch, dass niemand diese Verbindung ernsthaft herzustellen versucht hat.

Bezeichnende Unmöglichkeit

Auch der Verweis auf die Veranstaltungen "Zeiten des Zorns - zur Geschichte und Politik der RZ", an denen über 2.000 Leute teilgenommen haben, helfen da nicht weiter. Schon gar nicht, als damit der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei über 2.000 Veranstaltungsbesuchern und -besucherinnen per se um das Potenzial für eine derartige kontinuierliche Thematisierung. Festzuhalten bleibt doch, dass sich alle bisherigen Versuche, die Soli-Arbeit an solchen Überlegungen auszurichten, als nicht tragfähig erwiesen haben. Was vielleicht fataler ist, weil bezeichnend für die Situation der radikalen Linken: Über das Stadium der Kritik an der Soli-Arbeit ist dieser Ansatz nie hinausgekommen.

Aber wäre das nicht eine Vorbedingung gewesen, um die Angeklagten mit solch hohen Ansprüchen konfrontieren zu können. "Hier und heute aus dem Knast zu kommen, ist nicht das Wichtigste", so Viehmann. "Solidarität mit den Mitgefangenen ist wichtiger. Die Wirkung des eigenen Verhaltens auf die verbliebene politische Öffentlichkeit ist wichtiger. Eine ungebrochene Persönlichkeit und Biografie sind wichtiger, denn sie sind ein guter Start in das Leben nach dem Knast. Ob der ein paar Monate oder gar Jahre früher oder später erfolgt, ist gerade bei halbwegs erträglichen Haftbedingungen zweitrangig."

Die Gegenüberstellung, die Viehmann hier aufmacht, ist schief. Sollte es sich wirklich um eine reale Alternative handeln, müsste geklärt werden, was diesen hohen persönlichen Einsatz rechtfertigt. Mehr als ein politisches Symbol persönlicher Widerständigkeit wäre das nicht. Sicherlich, für den Einzelnen mag ein Durchhalten für den "guten Start in das Leben nach dem Knast" eine notwendige Bedingung sein. Ein solches Handeln jedoch, vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und des Standes der Klassenkämpfe, als die einzig gangbare politische Handlungsalternative sehen zu wollen, erscheint einigermaßen borniert.

Solidarität gilt für alle

Bleibt allerdings die Frage zu klären, wie die Gefangenen - und zwar alle - möglichst ungeschoren aus dem Prozess herauskommen. Unter den gegebenen Bedingungen kann der Maßstab dafür wohl nur sein, was die Einzelnen persönlich bereit sind, auf sich zu nehmen. Auch wenn sich die Ausgangsbedingungen verschlechtert haben, die Notwendigkeit der Solidarität mit den Gefangenen bleibt bestehen. Das gilt allerdings auch für die Gefangenen untereinander. Denn wie Klaus Viehmann zu Recht schreibt, "ein von Angeklagten direkt oder indirekt bestätigter Kronzeuge ist eine härtere Nuss". Ob die Gemeinsamkeiten unter den Angeklagten aufgebraucht sind, wird sich im weiteren Prozessverlauf zeigen. Ein klärendes Wort könnte da hilfreich sein, zum Beispiel, indem man die Haltung von Matthias Borgmann und Harald Glöde gegenüber den Anwürfen des Gerichts und der Bundesanwaltschaft verteidigt, die sich einem Deal nach dem Motto "Sagen Sie irgendwas (Belastendes), und Sie sind (erst mal) raus'" verweigern. So könnte man eventuell auch das Misstrauen Klaus Viehmanns ein wenig zerstreuen, der zu Recht auf ein weiteres Problem der Einlassung hinweist: "Wenn ehemalige Militante ... Aussagen machen, werden sie in ein paar Monaten oder Jahren noch schweigend sechs Monate Beugehaft oder gar eine neue Anklage hinnehmen?"

mb., Berlin

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/ak190402.htm