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Datum:
17.05.2002
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Zeitung:
ak - analyse & kritik
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Titel:
Schallende Ohrfeige vom Bundesgerichtshof
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Schallende Ohrfeige vom Bundesgerichtshof
Letzter Angeklagter im Berliner RZ-Prozess haftverschont
Am 7. Mai wurde Harald Glöde nach mehr als 28 Monaten unter
Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Offizieller Grund
für diese "Großzügigkeit" des 1. Strafsenats des
Kammergerichts Berlin, die er sich auch noch mit 60.000 EUR Kaution
bezahlen ließ, war die Tatsache, dass die Mutter von Harald
Glöde schwer erkrankt ist. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Harald Glöde war der letzte Angeklagte im Berliner RZ-Prozess,
der noch in U-Haft saß. Zuvor waren Matthias Borgmann ebenfalls
wegen eines Unglückfalls in der Familie und die übrigen
Angeklagten nach ihren Einlassungen in der Hauptverhandlung von
der Haft verschont worden. Gegen die andauernde Inhaftierung ihres
Mandanten legten die Anwältinnen Silke Studzinsky und Andrea
Würdinger Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Bereits
Anfang März hatten die beiden Verteidigerinnen von Harald Glöde
in einer Presseerklärung auf den offensichtlichen Grund hingewiesen,
warum ihr Mandant weiterhin in U-Haft sitzen muss: "Unter Umgehung
des grundgesetzlich verbrieften Rechts des Angeklagten zu schweigen,
schafft der Senat einen neuen, in der Strafprozessordnung nicht
vorgesehenen Haftgrund, und zwar den der Aussageerzwingung."
Zwar wies der BGH mit Beschluss vom 25. April die Beschwerde ab.
Gleichzeitig aber er knüppeldick in Richtung Kammergericht
aus, heißt es doch in der Begründung: "Der Senat weist
jedoch ausdrücklich darauf hin, dass die zunehmende Dauer der
Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der zu erwartenden
Strafe nicht nur die Fluchtgefahr vermindern kann, sondern auch
die Verhältnismäßigkeit in Frage stellt. Sofern
die Hauptverhandlung nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen werden
kann, erscheint eine erneute Behandlung der Haftfrage veranlasst."
Mit anderen Worten: Selbst der BGH sah das Ende der Fahnenstange
erreicht und drohte damit, demnächst selbst aktiv zu werden
und die Haft aufzuheben. Es hat ganz den Anschein, als habe das
Kammergericht daraufhin die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um
ohne Gesichtsverlust einer Haftentlassung zuzustimmen. Noch am 3.
Mai hieß es nämlich, die Erkrankung seiner Mutter könne
höchstens dazu führen, dass Harald Glöde sie in Begleitung
von Bullen im Krankenhaus hätte besuchen können.
Und auch in einer zweiten Angelegenheit handelten sich die Berliner
RichterInnen einen Rüffel des BGH ein. Das Kammergericht hatte
vor einiger Zeit einen Brief von Harald Glöde "als Beweismittel"
beschlagnahmt, in dem er sich bitterlich über die "kriminelle
Energie" seiner RichterInnen beschwerte. Das Kammergericht wollte
in diesem Brief deutliche Indizien für eine bestehende Fluchtgefahr
erkennen. Der BGH wies dieses Unterfangen zurück ("dem kann
nicht gefolgt werden") und hob die Beschlagnahmung auf.
mb., Berlin
Harald ist raus!
Am 7. Mai war es so weit: Harald verließ, offensichtlich
gut gelaunt, die Justizvollzugsanstalt Moabit. Schon ab 10.30 Uhr
hatte sich eine Gruppe von ca. 20 UnterstützerInnen eingefunden,
die trotz der Kälte und des ab und zu einsetzenden Nieselregens
den fast vierstündigen Wartemarathon überbrückte,
bis Harald um 14.28 Uhr durch die dicke Glasscheibe erkennbar wurde.
Von BeobachterInnen war zu erfahren, dass ein Großteil des
Empfangskomitees auch schon am wohl kämpferischsten Block der
diesjährigen 1.-Mai-Demonstration teilgenommen hatte, der die
Freilassung von Harald forderte. Als Harald dann plötzlich
da stand mit einer Reise- und zwei Stofftaschen, keine sprungbereiten
Bewacher neben sich, war die Freude groß: Küsse, Umarmungen,
ein paar Blumen und auch ein paar Tränen - alles was zu einer
Haftentlassung dazu gehört. "Ein bissel kurz war das schon",
mäkelte einer mit bayerischem Akzent schmunzelnd, als Harald
in dem roten Auto davonfuhr.
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