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Erklärungen

Datum:
18.11.2000

VerfasserIn:
Berliner Bündnis für Freilassung

Knast - Kundgebung in Moabit vom 18.11.2000

Redebeitrag

Der Knast von Moabit, vor dem wir hier stehen, wurde vor über hundert Jahren errichtet. Es war die Zeit, in der Berlin die Hauptstadt Deutschlands geworden war und Deutschland als neue imperialistische Macht weltweit auf Eroberungsfeldzüge ging. Innerhalb weniger Jahre hatte die Repression nach innen diesen Knast gefüllt. In derselben Zeit war Deutschland Kolonialmacht über schätzungsweise zwölf Millionen Menschen geworden.

Das Knastsystem, das vor hundert Jahren in Deutschland vereinheitlicht und auf eine neue Grundlage gestellt wurde, stellte beides zugleich dar: Mittel der Repression nach innen und Mittel der absoluten Entrechtung nach außen. Ausländer im Kaiserreich und im deutschen Kolonialreich hatten keine Rechte. Für sie galt die Polizeiwillkür.

Der Rassismus, der in den Fundamenten der Knäste wie der Gesellschaft steckt, kommt jetzt, hundert Jahre später, zugespitzt wieder zum Vorschein. Die Razzien auf den Straßen, die Einknastung von Nichtdeutschen und die Arbeit der Ausländerbehörden eine neue Vernetzung der rassistischen Repression ist entstanden. Es ist ein System der Doppelbestrafung, das es vergleichbar nur zu Kolonialzeiten gegenüber nichtdeutschen Menschen und während des Nationalsozialismus als System der Schutzhaft und der Lager gegeben hat. Neben den Gerichten hatten die Polizeien ganz direkt Macht über sie. Die Polizeien und Verwaltungen konnten sie in Haft nehmen, in Lager stecken und abschieben.

Was heißt Doppelbestrafung heute? Es begann verschärft ab 1991, als das neue MoabitAusländergesetz in Kraft trat. Vorher wurden Nichtdeutsche nach dem Ende ihrer Haft in der Regel wieder freigelassen. Seit 1991 wird immer systematischer an das Ende ihrer Haft oder U-Haft die Abschiebung gesetzt. Die Verschärfungen im Laufe der Jahre haben alle Regierungsparteien mit durchgesetzt und getragen: Die CSU, die CDU, die FDP, die SPD wir erinnern uns an Gerhard Schröder, der mit diesem Thema Wahlkampf machte, und die Grünen. Wie sieht die Doppelbestrafung konkret aus?

Nehmen wir an, die Pforte vom Knast Moabit geht hier und jetzt auf. Jemand, der in U-Haft gesessen hat, wurde im Prozess heute freigesprochen, und nun kommt er heraus. Doch wenige Stunden später ist er wieder ein Gefangener, nicht etwa der Justiz, sondern der Ausländerbehörden. Er wird direkt nach seiner Entlassung in Abschiebehaft genommen. Ihm droht nach dem Freispruch die härteste Bestrafung, die man sich vorstellen kann: Zwangsdeportation. Sein einziges Delikt ist, dass er Migrant ist: Flüchtling. Ausländer. Nichtdeutscher. Passloser. Visumsloser. Seine pure Existenz wird ihm zum Verhängnis. Der Knast, vor dem wir stehen, endet nicht an dieser Mauer. Die Schließer laufen nicht nur auf den Gängen zwischen den Zellen herum. Es sind die Ausländerbehörden, die für die Fortsetzung des Knasts und für die Abschiebung sorgen. Es ist das berüchtigte Referat IV b des Landeseinwohneramts, das die Bestrafung durch Abschiebung durchsetzt.

Nehmen wir an, die Tore gehen auf, heraus kommt eine Person, die drei Jahre Haft abgesessen hat, wegen politischer Delikte. Landfriedensbruch. Auch sie: ohne deutschen Pass, aber mit dem nötigen Aufenthaltstitel. Sie spricht nicht die Sprache, die seine Eltern vor Jahrzehnten anderswo gesprochen haben. Die deutsche Blut- und Boden-Leitkultur hat verhindert, dass sie als Kind automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit bekam. Jetzt, nach drei Jahren Haft, ist die Person frei. Aber es dauert nicht wenige Stunden, und die Ausländerbehörden lassen sie wieder einfangen. Abschiebung in ein Land, in dem sie nie gelebt hat, dessen Sprache sie nicht spricht, in dem sie keine Verwandten und FreundInnen hat. Einreiseverbot für die Staaten der Europäischen Union. Das ist die Doppelbestrafung, der viele hier in Moabit ausgesetzt sind.

Gehen wir noch weiter. Stellen wir uns vor, die Tore von diesem verdammten Knast Moabit gehen auf, und heraus kommen Harald, Matthias, und die dann hierher verlegten Axel und Sabine, und alle anderen auch!! Sie kommen heraus, und sie werden herauskommen. Aus diesem beschissenen Knast. Und es gibt für sie im Anschluss zwar nicht die Doppelbestrafung, die auf die MigrantInnen und Flüchtlinge lauert. Aber für alle, die wir politisch aktiv sind, die wir die Gesellschaft von Grund auf ändern wollen, wird die Repression damit nicht zuende sein. Der Kampf geht weiter. Die Freilassung, die wir fordern, ist ein erster Schritt: Es geht darum, dass die Knastmauern einstürzen, dass die Abschiebungen ein für allemal beendet werden, und dass die Grenzen der Festung Europa fallen. Dass die Festung Europa fällt.

MAIL
http://www.freilassung.de/erkl/knared2.htm