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Anschlag im Berliner Reichstag
(Juni 91)
Wir
haben am 11.6.91 zwei Brandsätze im Berliner Reichstag abgelegt,
um damit wenige Tage vor der Entscheidung des Bundestages über
den zukünftigen Regierungssitz Entscheidungshilfe zu geben.
Anders als es uns Presse, Parteien und Senat weismachen wollen,
bringt ein Regierungssitz Berlin keine Verbesserung der Lebensbedingungen
für die Mehrheit der BerlinerInnen. Im Gegenteil: wir, die
weniger Verdienenden, die Arbeitslosen, AusländerInnen, Auszubildenden,
RenterInnen und SozialhilfeempfängerInnen würden aus der
Stadt herausgedrängt werden. Berlin würde eine Bonzenmetropole,
in der zwischen Verwaltungsgebäuden, Firmensitzen und luxussanierten
Appartements der Regierungsangestellten Wohnungsmieten von 25 DM
pro Quadratmeter und mehr zu zahlen wären. Wir, die Ärmeren,
müßten in die Betonsilos in Hellersdorf und Marzahn ziehen,
um von dort aus zuzusehen, wie gutgekleidete AufsteigerInnen in
Edelkarossen durch die Stadt kreuzen.
Nicht einmal während der Bauphase der Regierungsgebäude
würden wir hier profitieren. Es ist in Bonner Regierungskreisen
schon mehrfach diskutiert worden, daß bei dem Bau aus Sicherheitsgründen
Firmen aus Westdeutschland einzusetzen seien, weil die ostdeutschen
Firmen angeblich mit Stasi- Leuten durchsetzt sind. Was also hätten
wir schon vom Regierungssitz - außer der zweifelhaften "Ehre",
wieder "richtige" Hauptstadt Großdeutschlands zu
sein? Nichts - und viele wissen das, trotz der albernen Versuche,
zu einer Zeit, wo die Stimmung in der Stadt aggressiv ist wie lange
nicht mehr, den Konsens aller BerlinerInnen herbeizuschreiben, sozusagen
den Einheits- Berliner zu konstruieren ("Entscheidung für
Bonn - Schlag ins Gesicht aller Berliner").
Sicherlich
wird in den nächsten Tagen in der Öffentlichkeit der Vergleich
zu 1933, zu der Einzeltat des Marinus van der Lubbe [1]
gezogen werden, die damals den Nazis die Gelegenheit zur Ausrufung
der "Notverordnung" [2]
und zur Verfolgung tausender Andersdenkender gegeben hat. Wir finden
diesen Vergleich blödsinnig. Ebenso wie uns der "real
existierende" Sozialismus immer wieder als Beispiel für
die Unmöglichkeit einer anderen, besseren Gesellschaft eingehämmert
werden soll, wird uns der Reichstagsbrand 33 als Beweis für
die fatalen Folgen militanter Aktionen vorgehalten.
Dabei sind die Ausgangssituationen grundverschieden: weder stehen
wir vor der unmittelbaren Ausrufung einer faschistischen Diktatur
(dann könnte es natürlich nicht darum gehen, das Symbol
der bürgerlichen Gesellschaft, das Parlament, anzugreifen,
sondern ein möglichst großes aktives Bündnis gegen
rechts zu schaffen) noch ist unsere Aktion eine individuelle Verzweiflungstat.
Im Gegenteil sehen wir nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus
und den sich daraus ergebenden Diskussionen Chancen, einen neuen,
radikalen und umfassenden Begriff von Befreiung zu entwickeln, der
mit der Bürokratenherrschaft in Osteuropa nichts zu tun hat.
Unsere Aktionen sind kein Ausdruck blinder Wut oder ideologischer
Verbohrtheit, wie es die Medien seit Jahr und Tag behaupten. Wenn
wir nicht wüßten, daß eine befreite und kollektive
Gesellschaft möglich ist, hätten wir längst aufgehört
zu kämpfen.
Eine der Voraussetzungen dafür wird sein, uns das politische
Terrain zu erhalten und in aktuellen Auseinandersetzungen konkrete
Ziele zu benennen und durchzusetzen.
Wir lassen uns nicht vertreiben - nie wieder Regierungssitz Berlin!
Es gibt kein Ende der Geschichte [3]
- machen wir sie selbst!
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