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Früchte des Zorns

Brief von Hans- Joachim Klein [1] an den "Spiegel"

Hans-Joachim KleinMai 1977

(Dies ist die - im Gegensatz zu den "Früchten des Zorn" - ungekürzte Fassung, die im Pflasterstrand abgedruckt war)

Sie werden es (neben anderem) sicherlich ungewöhnlich finden, daß diesem Schreiben als "Anlage" ein Revolver, Kaliber 0,38, nebst Munition etc. beigefügt ist. Noch dazu von einem, der zu Gewalttaten jeglicher Art fähig ist und deshalb doch sein "Handwerkszeug" nicht aus den Händen geben sollte.

Doch ungewöhnliche und schwierige Situationen erfordern gelegentlich ungewöhnliche Methoden um diese zu klären. - Ich werde kurz erklären warum ich an Sie schreibe und gar einem Mitarbeiter von Ihnen eine Waffe ins Haus schicke.

Als ich mich von der schweren Schußverletzung - die ich in Wien während der Besetzung der OPEC [2]- Zentrale [3] erhielt wieder einigermaßen erholt hatte, bekam ich auch erstmals einen genaueren Überblick über das, was sich dort alles ereignet hatte.

So z. B.: Das in Wien nicht nur ein getöteter irakischer Sicherheitsbeamter von uns zurückgelassen wurde, sondern zwei weitere Menschen dort ihr Leben lassen mußten. Wie sich herausstellen sollte ohne jeglichen Grund, völlig sinnlos.

In einer späteren Diskussion, in der ein Fazit über die Wien- Geschichte gezogen wurde, kamen mir dann die ersten Zweifel was ich da mache und weiter machen soll.

Die Argumentationen von Mitgliedern und Nicht- Mitgliedern des damaligen "Kommandos" über das Warum zum Tod dieser drei Menschen waren gekennzeichnet von Zynik und Gefühllosigkeit. Sie waren schlicht und einfach menschenverachtend. Es waren jedoch nicht die ersten falschen Töne, die mir da am Ohr klangen.

Was ich in nur einem einzigen Monat so hörte, erzählt bekam und auch selber erlebte und wie man weiterhin gedachte, "Revolutionäre" Gewalt zu praktizieren - die als Endziel ja eine gerechtere und humanere Welt versprach - und dabei zu Mitteln und Methoden griff, für die ich früher auf die Straße gegangen wäre, brachte mich zum Kotzen und vor allem zum Nachdenken.

Und im Februar 1976 faßte ich den Entschluß, mich so schnell wie möglich aus dieser Art von Politik - die nicht meine war und sein konnte -zurückzuziehen. Nun könnte der Spiegel (und nicht nur der), pfiffig wie er ist, die Frage stellen, warum macht er das erst jetzt. Ganz einfach!

Die Damen und Herren der Guerilla hätten mich wohl kaum dabei unterstützt, und Unterstützung brauch' ich eben nun mal dafür. Immerhin suchen mich ja noch die Bullen (inzwischen nicht nur die) aller Herren Länder, und wo die mich hin haben wollen, will ich aber nicht.

Mich so einfach irgendwo niederzulassen geht auch nicht so ohne weiteres, und überhaupt lebt der Mensch nicht nur von Luft und Liebe. Und mir meinen weiteren Lebensunterhalt mit dem Revolver verdienen, wollte ich ja nun auch nicht ich habe genug angestellt.

In der Westdeutschen Wanzenrepublik bei befreundeten Genossen anzurufen oder zu schreiben. ging wegen dieser netten kleinen Tierchen auch nicht.

Also mußte ich warten, bis mir jemand über den Weg lief, den ich dann fragen konnte, ob er mir hilft, mich aus dieser Scheiße wieder rauszuholen.

Und der JEMAND lief mir erst über ein Jahr später über den Weg, und solange mußte ich dabeibleiben und versuchen. meine Person aus allem herauszuhalten. was geplant und ausgeführt werden sollte. Das klappte ganz vorzüglich, weil es da ja noch meine Schußverletzung gab, die dann just in dem Moment, wenn sie mich brauchten, Probleme machte.

Wie gesagt. der JEMAND ist mir endlich über den Weg gelaufen, und zwar zu einem Zeitpunkt. wo meine ehemaligen "Kollegen" nicht mehr so recht an die Problematik meiner Verletzung glaubten.

Man wollte das ich wieder ins Geschäft einsteige und deshalb mit. dem Genesungsurlaub Schluß mache.

Nun, aus dem JEMAND sind viele JEMAND geworden und die helfen mir auch ein wenig. Ich habe den ehemaligen "Kollegen" gesagt daß sie in Zukunft ohne mich auskommen müssen und wurde natürlich dafür massiv unter Druck gesetzt und bekam u. a. zu hören, daß ich zuviel wisse, vor allem im Internationalen Rahmen und es wurde versucht mich mit einer obskuren Begründung in ein arabisches Land zu lotsen aus dem ich wohl nicht mehr herausgekommen wäre. ..

Und immer weiß der Spiegel noch nicht so genau warum der H.-J. Klein an ihn geschrieben hat. Um ihm mitzuteilen, daß er aus der Sparte der Stadt, Land, See, Luft oder Wüsten- Guerilla ausgestiegen ist ganz bestimmt nicht. Das hätte er in ca. zwei Monaten auch so mitbekommen und seine schlauen Kommentare dazu gemacht.

Mit den JEMANDEN, die mir helfen, habe ich natürlich auch Gespräche geführt. Warum ich in Wien beteiligt war, was ich danach an Sachen erlebt habe die einen revolutionären Deckmantel erhielten und erhalten, die aber im Kern schon fast faschistisch sind. Was westdeutsche Guerilla alles macht, damit die Beziehungen zu einer Gruppe, von denen sie mehr oder weniger abhängig sind. nicht getrübt werden und damit die Logistik stimmt...

Ich habe erzählt das dort ein Gefühlsleben vorherrscht gegen den man selbst ein Grönlandgletscher noch als warm bezeichnen kann. Und ich habe erzählt, was die an Wahnsinns- Aktionen noch geplant haben oder an denen - sie gerade dran sind.

Ich faßte den zweiten guten Entschluß nach Wien. Es war klar. daß die JEMAND nicht ihr Wissen weitervermitteln konnten. Es ist ja noch immer strafbar, einen steckbrieflich gesuchten zu unterstützen. (Diese Gefahr ist aber sekundär. Die eigentliche Gefahr geht hier von den "Genossen" der anderen Seite aus.) Ich kauf mir eine Schreibmaschine. ging in meine Wohnung zurück und brachte alles zu Papier. Ich meinte und meine, daß die legale Linke (und auch andere) ein Recht darauf hätten, zu wissen. warum ich in Wien dabei war und das westdeutsche (und Internationale; das kann man nicht mehr voneinander trennen) Guerilla unter revolutionärer Politik verstehen. Und wie sie das in die Praxis umsetzen. ..

Das ist dann halt nicht mehr so schön wie es die wohIgefeilten Argumentationen sind, wenn sie die legale Linke oder' ihre Sympathisanten von der Notwendigkeit des bewaffneten revolutionären Kampfes überzeugen wollen.

Der Stapel Papier, der jetzt von mir und meinen Erfahrungen im nationalen wie im Internationalen Guerilla- Theater und zwar hinter deren Kulissen vorliegt, soll außer einem tiefen Einblick auch was wichtiges erreichen.

Nämlich den Genossen, die sich bestimmt unter Stadt- Guerilla was ganz anderes vorgestellt haben als es tatsächlich betrieben wird, die aber damit spekulieren da mitzumachen, den Sprung in den ,.Untergrund" zu ersparen. Denn, wenn man noch einen Funken politischer Sensibilität und politisches Selbstverständnis besitzt, wird man, sobald da eingetaucht, kotzelend wieder rausspringen.

Einige werden trotzdem springen, aber ich bin mir sicher viele werden sich das noch mal überlegen und dann sein lassen. Es ist schon was anderes, wenn einer der mittendrin war, dazu Stellung nimmt und mal sagt wie die Revolutionäre Politik verstehen und praktizieren als wenn das von legalen Genossen kommt von denen der Sympathisant eh weiß, daß die damit nichts am Hut haben und haben wollen.

So, jetzt komme ich dazu, warum ich Sie bzw. den SPIEGEL bemühe. Wir wollen zwei Morde verhindern!

Die zu nichts anderem dienen, als wieder bei einer Organisation lieb Kind zu machen, bei der man in der letzten Zeit durch einige Pannen unliebsam aufgefallen ist und der man es schon länger versprochen hatte.

Eigentlich wollte ich das durch die Veröffentlichung des von mir geschriebenen verhindern. Nachdem es aber gelesen wurde (da wird noch mehr verhindert), war es klar, daß das Material zu brisant ist um im normalen Linken Verfahren gedruckt zu werden.

Und alles andere was in Frage kommt, dauert zu lange um die zwei Morde zu verhindern.

Ist ja nicht ganz ungefährlich das zu veröffentlichen. Die Guerilla aller Art wird da was dagegen haben. Nicht nur weil da einige Aktionen verhindert werden, die Wahnsinn sind sondern weil es ihnen bestimmt politisch eine Menge Minuspunkte einbringen wird, das da ein ehemaliger, der ausgestiegen ist seine Schnauze nicht hält. Und ein Fazit seiner Erfahrungen zieht.

Die zwei, die umgebracht werden sollen damit die Logistik der "Revolutionären" Zelle wieder stimmt, sind zum einen: der Gallinski von der jüdischen Gemeinde in West-Berlin; wo es (vor zwei Monaten) nur noch um das Problem der Beschaffung zweier Fluchtwagen geht. Alles andere ist,.klar". Der geht nach dem was die RZ mir erzählte immer zu Fuß zur Arbeit. Der andere ist der Leiter der jüdischen Gemeinde in Ffm. Ich bin mir da nicht ganz sicher. Der heißt Schmitz, Schmiedke oder so ähnlich.

In den zugänglichen Zeitungen würde so gut wie nichts über ihn stehen, dafür um so mehr in den jüdischen.

Die sollen beide erschossen werden und zwar in allernächster Zeit. Die Vorbereitungen laufen dazu auf Hochtouren. Viele werden mich bestimmt als Verräter beschimpfen. Ich kann es nicht ändern. Ich habe niemanden verraten sondern nur was verhindert. von dem ich meine das es eine Wahnsinnstat ist. Vielleicht kommt man ja auch irgendwann drauf, daß zwischen Verrat und Verhindern ein klitzekleiner aber wichtiger Unterschied besteht. Würde mich mächtig freuen.

Was die Guerilla dazu meinen wird ist mir klar: Die wird suchen, nach mir.

Noch kurz was dazu, daß ich Ihnen diesen Revolver überließ. Logischerweise läuft ein Guerilla in Europa mit der Knarre durch die Gegend. Dem konnte auch ich mich nicht entziehen. Ich lief zwar nie mit dem Ding in Europa rum aber eine in Empfang nehmen mußte ich doch. Ich konnte schlecht nein sagen, man wäre da sicherlich etwas erstaunt drüber gewesen. Ich packte das Ding in den Koffer und ließ es da, obwohl ich oft genug Krach bekam weil ich das Ding nicht mit mir rumschleppte. Und jetzt kann ich das Ding endlich aus dem Koffer rausschmeißen.

Nur wohin damit. Einfach so auf die Straße schmeißen geht doch nicht. Erstens sind die dreckig genug und zweitens könnte jemand drüber stolpern und sich verletzen., Überhaupt wird die Umwelt schon genug durch Atomkraftwerke und ähnlichem zerstört. Da muß ich meinen Mist nicht auch noch dazu laden. Und da sagte ich mir: Mensch du schreibst doch gerade an den Spiegel und der ist doch auch ein Gegner jeglicher Umweltverschmutzung und Zerstörung. Geb doch einfach dem Spiegel das Ding und die Patronen (da ist ja ne Menge umweltfreundliches Zeugs drin) der wird bestimmt wissen wohin damit. Bei den Kontakten zur Vernichtungs- Industrie.

Das sei hiermit nun getan und ich hoffe, daß ich mal nicht in ne Situation komme wo ich das dann bitter bereuen werde. Wahrscheinlich werde ich dann wohl auch keine Zeit mehr dazu haben.

Die Fingerabdrücke habe ich nicht deswegen hier drauf gedrückt, weil ich dem Baader nacheifern will, sondern damit man auch sicher gehen kann, daß ich es auch tatsächlich bin. Ich verlange von niemandem und schon gar nicht vom Spiegel. das man mir einen Lernprozeß zugesteht und glaubt. Aber die zwei geplanten Attentate sollte man schon ernst nehmen.

Ich bin zwar nicht vom Saulus zum Paulus geworden. Aber vom Saulus zum wieder vernünftig politisch denkenden und handelnden Menschen. Und um einiges vernünftiger sogar. Der Preis dafür war verdammt hoch.


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