Tendenz für die internationale soziale Revolution
Mai 1992
Wir sind eine Gruppe aus dem Organisationszusammenhang der Revolutionären
Zellen. Die Veröffentlichung einer weiteren Gruppe der RZ zum
Tod von Gerd Albartus zwingt uns, öffentlich etwas zu sagen,
obwohl wir das wegen der unzureichenden Informationen nicht beabsichtigten.
Darüberhinaus werden wir kurz auf das Papier einer anderen
RZ- Gruppe eingehen, die den bewaffneten Kampf aufgeben will.
Inzwischen dürfte deutlich geworden sein, daß es innerhalb
der RZ verschiedene Tendenzen gibt. In dieser und anderen Veröffentlichung
werden wir uns deshalb durch einen Namenszusatz kenntlich machen.
Das Papier zum Tod von Gerd wurde gegen unseren Willen mit dem
Gesamtnamen RZ unterzeichnet. In vorausgehenden Diskussionen hatten
wir deutlich gemacht, daß dieses Papier nicht unserer Haltung
und unserer Praxis zum internationalen Befreiungskampf entspricht.
Der Nachruf auf Gerd wird mißbraucht zu einem selbstherrlichen
Rundumschlag auf Kosten der kämpfenden Völker im Trikont.
Mit der gleichen fehlenden Gewissenhaftigkeit werden die Umstände
seines Todes angedeutet. Die verantwortliche Organisation wird nicht
genauer charakterisiert; das leistet Spekulationen Vorschub, die
dem palästinensischen Widerstand nur schaden können. Es
handelt sich um eine sehr kleine Organisation, die auf der rein
militärischen Ebene kämpft und die sich selber dem internationalen
antiimperialistischen Befreiungskampf zurechnet.
Wir
lehnen eine Zusammenarbeit mit dieser Organisation ab, da die Stoßrichtung
ihrer Aktionen oftmals zu ungezielt oder falsch ist und der Kampf
auf der politischen Ebene vernachlässigt wird. Wir haben nur
vage Andeutungen darüber, weshalb die betreffende Organisation
an der Zuverlässigkeit von Gerd zweifelte, aber Gerd wußte,
worauf er sich einließ. Er kannte die Erfordernisse des zugespitzten
militärischen Kampfes. Die Zusammenarbeit mit dieser Organisation
verstand er als seinen Beitrag zum Kampf der unterdrückten
Völker gegen ihr Elend und ihre politische Unterdrückung.
Für ihn war es eine Alternative zu der Selbstzufriedenheit
vieler Menschen - auch vieler Linken - in den Metropolen.
In diesem Sinne teilen wir die Kritik von Gerd, die der politischen
Haltung der Nachrufschreiber widerspricht. Internationale Solidarität
bedeutet aktives und kritisches Miteinander der Kämpfenden
- und nicht arrogante Besserwisserei, die die konkreten und historisch
gewachsenen Kampfbedingungen der Befreiungsbewegungen und der unterdrückten
Klassen gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt.
In der öffentlichen Diskussion über den Nachruf gab es
einige Beiträge, die wichtige Kritikpunkte aufgriffen, auf
die wir uns beziehen: im Arbeiterkampf vom 13.1.92 die Stellungnahme
"Fragen und Anmerkungen zum RZ- Papier" und das Papier
"Ich geh weg, ich geh weg, ... und such was Neues" [32],
unterschrieben mit "3. Februar 92".
Die revolutionären Befreiungskämpfe in den Drei Kontinenten
- die immer auch Kämpfe um soziale Befreiung sind, die wir
besonders unterstützen - finden in den verschiedenen Ländern
unter spezifischen Bedingungen statt. Unsere Analyse dieser Kämpfe
und die Solidarität mit ihnen berücksichtigt die objektiven
Bedingungen sowohl in Hinsicht auf die jahrhundertelange koloniale
Ausplünderung und Zerstörung, als auch in Hinsicht auf
die aktuelle Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrategie des Imperialismus.
Die beschränkte Orientierung ausschließlich auf den "hiesigen
Sozialprozess" in den Metropolen, ohne ihn in seinen internationalen
Zusammenhang zu stellen, fördert neokoloniale Denk- und Handlungsweisen.
Wer sich von den Kämpfen in den Drei Kontinenten entsolidarisiert,
steht damit auf der gleichen Seite der Barrikade wie jene Kräfte,
die sowohl offen wie verdeckt ökonomisch, militärisch
und nicht zuletzt psychologisch Krieg gegen alle Völker des
Trikonts führen, die sich den unmittelbarsten Formen der imperialistischen
Zerstörungsgewalt widersetzen. Solidarität bedeutet auch
immer kritische Solidarität untereinander. Nur so wird ein
gemeinsamer revolutionärer Entwicklungsprozeß der internationalistischen
Kräfte ermöglicht.
Mit
der Entführung der Air- France- Maschine nach Entebbe (1976)
auf dem Flug Tel Aviv - Paris sollten 53 gefangene Genossinnen und
Genossen aus Knästen in Israel, der BRD, Kenia, der Schweiz
und Frankreich durch den Austausch von Geiseln befreit werden. Von
diesen fünf Staaten waren nur Passagiere aus Israel und Frankreich
an Bord. Diese Passagiere mit israelischer sowie französischer
Staatsbürgerschaft sowie die französische Crew wurden
als Geiseln festgehalten, alle anderen aus ganz anderen Ländern
entlassen. Eine Auswahl von Jüdinnen und Juden hat es nicht
gegeben. Indem die Verfasser des Nachrufs in völlig unkritischer
Weise die bürgerliche Medienpropaganda ("Selektion von
Juden" ...) zur Wahrheit erklären, zeigt sich nicht nur
ihre politische Unreife, sondern auch ein unsägliches Mißtrauen
gegenüber den eigenen beteiligten GenossInnen.
In einer politischen Bewertung der Aktion - einer auch in unseren
Augen problematischen Flugzeugentführung - müssen die
Existenzbedingungen des palästinensischen Volkes berücksichtigt
werden. In Stichworten: Leben unter israelischer Besatzung oder
als Flüchtlinge, Erfahrung von Massakern (in Palästina,
Libanon) bis hin zum Völkermord (Jordanien 1970). Vor der Entführungsaktion
wurden etwa 6.000 EinwohnerInnen des Flüchtlingslagers Tel- Al- Zaatar
in Beirut von christlichen,
faschistischen Milizen mit Unterstützung der syrischen Armee
ermordet; Israel verstärkte dabei seine ständigen Luft-
und Raketenangriffe gegen die palästinensischen Flüchtlingslager.
Die "Weltöffentlichkeit" schwieg. Der palästinensische
Widerstand befand sich im Kriegszustand mit Israel. Die Entführung
des aus Israel kommenden Flugzeugs und das Festhalten der Geiseln
sollte als Druckmittel gegen die israelische und französische
Regierung benutzt werden.
Die Aufkündigung der Solidarität mit dem palästinensischen
Widerstand aufgrund der Kritik an dieser Aktion, ohne Berücksichtigung
der damaligen Bedingungen, steht in einem schiefen Licht, denn im
palästinensischen Widerstand fand anschließend eine Selbstkritik
der Aktionsform Flugzeugentführung statt. Militärische
Aktionsformen dieser Art wurden allgemein von den politischen Organisationen
nicht mehr angewandt, weil die Entführung beliebiger Menschen
aus den imperialistischen Staaten verwischt, daß der Befreiungskampf
gegen die herrschenden Klassen und Militärapparate dieser Länder
gerichtet ist.
Die Existenz eines rassistischen Staates Israel bedeutet die Verweigerung
des Existenzrechtes für die PalästinenserInnen. Die Aufrechterhaltung
eines solchen Systems, das mit den reaktionärsten Diktaturen
auf der ganzen Welt zusammenarbeitet, kann keine Lösung sein.
Eine Lösung kann nur eine Revolution herbeiführen, die
allen Menschen eine gleichwertige Existenz erkämpft. Der palästinensische
Widerstand hat dieses Ziel schon vor Jahrzehnten formuliert.
Zum Papier einer anderen Gruppe der RZ, die die Aufgabe des bewaffneten Kampfes
befürwortet:
Die Ursache für die Krise der RZ und die Krise bewaffneter Politik sehen
wir in entscheidenden Punkten anders als ihr.
1. Die Frage der Macht und revolutionärer Gegenmacht:
Die bewaffnete Propaganda, die als Opposition bestimmte Mißstände
aufzeigt, bestimmte zu sehr die Politik der RZ. Um die Frage, wie
revolutionäre Gegenmacht entwickelt werden kann, wurde sich
stets herumgedrückt. Diese Position ist anscheinend unangreifbar:
Schlaglichter werden auf bestimmte Probleme geworfen und es der
so benannten "Öffentlichkeit" überlassen, sie
aufzugreifen oder nicht. Das kann zu einem Ritual erstarren, an
dem sich nichts mehr bewegt, weder persönlich noch gesellschaftlich.
Es wird keine Verantwortung übernommen für die Weiterentwicklung
eines politischen Prozesses, bei dem es darum geht, die Macht der
Unterdrücker zunächst einzuschränken, später
in entwickelteren Kämpfen Vieler sie zu zerschlagen, um eine
klassenlose und antipatriarchale Gesellschaft zu ermöglichen.
Wer
dies wirklich zum Ziel hat, sich aber nicht die Kernfrage stellt,
wie die Macht erobert werden kann, ist ein/e Träumer/in, der/die
an den bestehenden Verhältnissen kleben bleibt. Wichtig ist
doch die Auseinandersetzung darüber, wie Gegenmacht positiv
entwickelt werden kann, wie dem Machtmißbrauch entgegengewirkt
werden kann. Das erreichen wir nicht, wenn die Frage der Macht überhaupt
zum Tabu gemacht wird. Wie sollen wir - wie ihr schreibt - "Entwicklung
von mehr Selbstbestimmung" erreichen, wenn nicht durch die
Entwicklung von Gegenmacht? Geschenkt wird uns nichts außer
den Spielwiesen, den Nischen - die uns korrumpieren sollen. Gerade
die Erfahrungen aus Chile 1973 [33]
und Spanien 1936- 39 [34]
sollten uns lehren, wie die internationale Bourgeoisie mit unseren
Träumen und unserer "Selbstbestimmung" umspringt,
wenn wir den Herrschenden keine Grenzen setzen und das heißt:
politisch und militärisch.
2. Zum Wechselverhältnis zwischen Guerilla und Bewegung:
Ihr beschreibt das Koordinatensystem, in dem sich die RZ bewegt
haben, als sehr gradlinigen Weg: Bewaffnete Opposition - Vermittlung
- Verankerung - Vermassung. Das ist ein enormer Anspruch, denn gesellschaftliche
Prozesse laufen nicht so in einer geraden Reihe ab. Ihr legt dies
als Meßlatte an und konstatiert dann das Scheitern bewaffneter
Politik. Das heißt: die Bestätigung der Richtigkeit wäre
eine massenhafte Aufnahme der politischen Anregung der RZ gewesen.
Das ist eine starke Vereinfachung.
Entgegen eurer ausdrücklichen Willenserklärung formuliert
ihr hier einen klaren pädagogischen Avantgardeanspruch. Ihr
erhebt den bewaffneten Zeigefinger und erwartet, daß das Thema
von der Öffentlichkeit aufgegriffen wird. Wir meinen, daß
das die Menschen jeweils selber entscheiden müssen und andersherum
die Guerilla an den Reaktionen überprüfen kann, ob ihre
Erwartungen realistisch waren oder nicht. Sich von der Reaktion
der Öffentlichkeit derart abhängig zu machen, ist ein
Kennzeichen reformistischer bewaffneter Politik, die selbst nicht
strategisch politisch eingreifen will. Ebenso wichtig ist naütrlich,
daß dies auf der anderen Seite nicht zum abgehobenen "Privatkrieg"
zwischen Guerilla und Staat führen darf.
Es gibt auch gesellschaftliche Situationen, wo die Guerilla nicht
tiefer in die unterdrückten Klassen wirken kann, weil der politische
Prozeß stagniert. Hierfür sind viele Faktoren verantwortlich.
Es bedeutet für uns jedoch keineswegs, daß bewaffnete
Politik überflüssig wird, sondern sie kann verstärkt
Aufgaben übernehmen, die nicht auf unmittelbare Aufmerksamkeit
zielen, sondern im Hinblick auf eine langfristige Entwicklung und
zukünftige Kämpfe andere Schwerpunkte setzen. Die revolutionären
bewaffneten Kräfte aufzugeben heißt, den revolutionären
Kampf abzuschreiben, weil dieser - mal mehr, mal weniger - auf diese
Kraft angewiesen ist. Die Guerilla sichert und erweitert das politische
Terrain.
Anstatt als Konsequenz aus der wenig aufrüttelnden Flüchtlings-
Kampagne zu schließen, Guerilla sei gescheitert, sollten die
einzelnen Gesichtspunkte genauer unter die Lupe genommen werden.
Die Forderung nach "offenen Grenzen" setzt nicht an der
Ursache des Problems an, sondern an den Auswirkungen, nämlich
die Migrationsbewegung in den Metropolen. Sie muß daher mit
einer gleichzeitigen konsequenten antiimperialistischen Politik
des Angriffs auf die Urheber des Elends der Völker der Drei
Kontinente verknüpft werden. Sonst kann die Forderung hier
gesellschaftlich gar nicht greifen oder geht in die falsche Richtung.
Die Vorstellung von Millionen von EinwanderInnen löst bei vielen
Menschen hier zumindest Besorgnis aus und bietet sozialen Sprengstoff
in Richtung Ausgrenzung und Ausländerhaß. Diese Forderung
muß mit einer realistischen Vorstellung verbunden werden,
wie der Imperialismus zu bekämpfen ist und wie die Existenzbedingungen
der Menschen in den Drei Kontinenten verändert werden können.
Nur an Humanismus und Mitleid zu appellieren ist keine revolutionäre
Politik, zeigt keine Lösung gesellschaftlicher Probleme auf.
Was den Anspruch betrifft, dieses Thema mit sozialen Problemen
hier zu verknüpfen: Gerade dieses Thema ist nur sehr schwer
mit sozialen Problemen im Herzen der Bestie zu verknüpfen.
Natürlich setzt es trotzdem an einem richtigen Punkt an, nämlich
der Hunger- und Ausrottungspolitik der Imperialisten im Trikont,
dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen, sollten wir nicht jegliche
moralische und revolutionäre Legitimation verlieren. Die Flüchtlings-
Kampagne blieb ohne breiteren revolutionären Rahmen und Einbettung
doch eine ein- Punkt- Politik, trotz anderer Absicht. Der Unterschied,
der die Sache nicht gerade vereinfachte, war lediglich, daß
sich diesmal nicht auf eine vorhandene Bewegung bezogen wurde, sondern
die Erwartung da war, daß sie entstehen würde.
Ein weiterer Fehler unserer gesamten Politik in Bezug auf die Bewegungen
war unserer Meinung nach außerdem der ausschließliche
Bezug auf die linksradikale Szenerie. Diese war in den letzten 10
Jahren jedoch gesellschaftlich kaum relevant, sondern fristet ein
- größtenteils selbstgewähltes - Ghettodasein, von
dem keine soziale Außenwirkung ausging. Dies aufzuarbeiten
und zu verändern, ist eine wesentliche Aufgabe.
3. Der Zusammenbruch des Realsozialismus und die Auswirkungen
auf die Linke hier:
Der Zusammenbruch ist doch nicht der Punkt, an dem die Linke
niederging. Sie war doch schon längst vorher an ihre Grenzen
angelangt, auf die zwangsläufig erst einmal ein Rückzug
erfolgt, um die Fehler und Mängel aufzuarbeiten und um den
neuen Anlauf entwickeln zu können. Es ist besonders bitter,
daß das alles zugleich mit dem vorläufigen triumphierenden
Siegeszug des Imperialismus über Trikont und Osteuropa zusammenfällt;
aber was nützt es, darüber zu klagen.
Die "neue Weltordnung" ist rissig und die Zukunft stellt
an uns neue Anforderungen. Strategie und Taktik bewaffneter Politik
weiterzuentwickeln, steht auf der Tagesordnung, nicht das Aufgeben.
Die persönliche Entscheidung Einzelner oder einzelner Gruppen,
bewaffnete Politik aufzugeben und sich im offenen Rahmen zu betätigen,
akzeptieren wir selbstverständlich. Diese Politik aber aus
strategischen Überlegungen zu verwerfen, halten wir für
falsch.
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