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Zellen, Zorn und Rote Zora
Kleine Geschichte der Revolutionären Zellen/ Rote Zora
Die Revolutionären Zellen (RZ) waren im Verlauf ihrer Geschichte
nicht nur für die bundesdeutschen Staatssicherheitsbehörden
schwer zu fassen. Auch der legalen Linken fiel es nicht immer leicht, sich
ein Bild von den militanten Gruppen zu machen, die unter diesem Namen
Anschläge gegen ganz unterschiedliche Ziele machten und
ausführliche Analyse-Papiere veröffentlichten. Erstmals aktiv in
Erscheinung getreten ist die damals noch singuläre
"Revolutionäre Zelle" am 16. November 1973 mit einem
Anschlag gegen den us-amerikanischen Konzern ITT in Westberlin, um auf
dessen Beteiligung am Putsch in Chile hinzuweisen. 1974 fand erstmals eine
Sprengstoffaktion der "frauen der rz" statt. Ziel des Angriffs
ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, "weil wir ja alle die
abschaffung des paragraphen 218 wollen und nicht diese jederzeit
manipulierbare indikationslösung". In der ersten Ausgabe des
Revolutionären Zorn (1975) unterteilte die RZ selber ihre Aktionen
in drei Bereiche: "Antiimperialistische Aktionen ...; Aktionen gegen
die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD; Aktionen, die den
Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die
ihre Feinde bestrafen und angreifen."
Dieses thematische Spektrum blieb über die Jahre hinweg erhalten.
Für den internationalen Flügel der RZ, der eng mit
palästinensischen Gruppen zusammenarbeitet, standen dabei die
antizionistischen Aktionen im Vordergrund. Der Überfall eines
palästinensisch-lateinamerikanisch-deutschen Kommandos auf die
OPEC-Ministerkonferenz 1975 in Wien sollte Unterstützung für den
Kampf der Palästinenser mobilisieren. Als im Juni 1976 eine Air France
Maschine auf ihrem Flug von Tel Aviv nach Paris entführt wurde und in
Entebbe die jüdischen Passagiere selektiert als Geiseln genommen
wurden, die nicht-jüdischen aber freikamen, waren zwei deutsche
RZ-Mitglieder an der Aktion beteiligt, die von israelischen
Befreiungskommando erschossen wurden. Die beiden Geiselnahmen lösten
auch innerhalb der RZ eine scharfe Kontroverse aus, die zur Spaltung des
Inlandflügels von der "Carlos-Gruppe" führte.
Als 1976 in bundesdeutschen Kinos ein Film vorgeführt wurde, der
die Befreiung der gekaperten Maschine in Entebbe durch israelische
Spezialeinheiten heroisierte, kam es durch die RZ zu mehreren
Brandanschlägen. Dabei wurden zwei Männer, Gerd Albartus und Enno
Schwall, verhaftet, denen Mitgliedschaft in den RZ zur Last gelegt wurde.
Das anschließende Verfahren unterschied sich deutlich von den
gleichzeitig ablaufenden RAF-Verfahren: Die Angeklagten bekannten sich
nicht zu den RZ und zwangen die Staatsanwaltschaft so, einen
Indizienprozess zu führen, der mit einer mehrjährigen Haftstrafe
endete.
Die Feierabend-Guerilla war fast nie zu knacken
Auch in den nächsten Jahren ging das Konzept der RZ auf, dass
autonom und dezentral organisierte Gruppen, deren Aktive in den legalen
Bewegungen tätig waren, Anschläge machten. Erst durch einen
schweren Unfall erhielten die Fahnder eine neue Zugriffsmöglichkeit:
Eine Bombe, die Herman Feiling im Generalkonsulat des von einer Junta
regierten Argentiniens legen wollte, explodierte frühzeitig. Feiling
verlor beide Augen und beide Beine. Kurz nach dem Unfall, am Tage nach
einer langen Operation bei der die Reste seiner Beine amputiert wurden,
während Feiling noch traumatisiert und hilflos war und unter Einfluss
der hochwirksamen Schmerzmittel stand, vernahmen ihn Ermittler an einem
geheimen Ort und protokollierten über vier Monate etwa 1.300 Seiten,
ein Vorgehen, das nach § 136a StPO verboten ist. Resultat dieser
Vernehmungen waren sieben Haftbefehle, von denen aber nur zwei vollstreckt
werden konnten. Im Verfahren vor dem OLG Frankfurt wurde eine Angeklagte
freigesprochen, eine zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, das
Verfahren gegen Feiling wurde eingestellt.
In den 80er Jahren waren die RZ gegen die Kriegspolitik der NATO aktiv,
kritisierten aber auch den Nationalismus und Anti-Amerikanismus von Teilen
der Friedensbewegung. Die Rote Zora machte durch Aktionen gegen
humangenetische Beratungsstellen von sich reden und schaffte Unterlagen aus
Forschungsinstituten an die Öffentlichkeit. Schwerpunkt der
RZ-Aktivitäten wurden ab Mitte der 80er Jahre aber ihre Aktionen gegen
die rassistische Ausländerpolitik der BRD. Mit Anschlägen gegen
Ausländerämter versuchten sie die Infrastruktur der
Ausländererfassung zu stören, sie gingen gegen die
Abschiebepraxis der Justiz vor und machten Anschläge auf ein
Gebäude der Lufthansa, die sich an Abschiebungen beteiligte, schoss
aber auch einem Bundesverwaltungsrichter, der die maßgeblichen
Urteile, die Flüchtlingen ein Recht auf Asyl aberkannten, mit zu
verantworten hatte.
In diese Phase fiel 1987, im Rahmen einer Razzia gegen 33 Personen, die
Verhaftung der feministischen Journalistin Ingrid Strobl. Gegen andere
Männer und Frauen wurden Haftbefehle verhängt, konnten aber nicht
vollstreckt werden. Ingrid Strobl wurde Mitgliedschaft in den RZ und
Beteiligung am Anschlag auf die Lufthansa, bei dem ein Stück Mauer zu
Schaden gekommen war, zur Last gelegt. Im Zuge des Prozesses, der bis zum
Bundesgerichtshof ging, wurde sichtbar in welchem Ausmaß das BKA
gegen die RZ fahndete: Es waren zahllose Telefonanschlüsse
abgehört worden. Sämtliche Läden, in denen ein bestimmter
Wecker verkauft wurde, den die RZ oft als Zeitzünder verwendet hatte,
waren über Monate überwacht worden. Es hatten im gesamten
Bundesgebiet dutzende von langanhaltenden Observationen stattgefunden. Der
Erfolg blieb bescheiden. Trotz schwacher Indizienlage wurde Ingrid Strobl
vom OLG Düsseldorf zu einer hohen Haftstrafe verurteilt, das Urteil
wurde vom BGH aber aufgehoben, weil eine Mitgliedschaft in den RZ nicht
erwiesen worden sei. Bestand hatte schließlich lediglich die
Verurteilung wegen Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag, die allerdings
auch für knapp drei Jahre Haft reichte.
Im Zuge der Aussteigerkampagne, die der Verfassungsschutz initiiert
hatte, um vor allem RAF-Mitglieder zum Auftauchen zu bewegen, organisierte
auch eine Frau, die 1987 untergetaucht war, ihre Rückkehr. Ihr wurde
schließlich vor dem OLG Stuttgart der Prozess gemacht. Wegen ihrer
partiellen Aussagebereitschaft kam sie mit einer niedrigen
Bewährungsstrafe davon. Mit den gegenwärtig laufenden Verfahren,
in denen erstmals Kronzeugen gegen angebliche RZ-Mitglieder aussagen,
versuchen die Ermittlungbehörden wenigstens jetzt, nach Auflösung
der RZ 1992/1993, den solange vergeblich gesuchten großen Schlag
gegen die militante Gruppe zu führen, die lange Zeit für viele
radikale Linke auch eine wichtige Sympathieträgerfunktion hatte.
Oliver Tolmein
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