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Ihr habt die Macht, uns gehört die Nacht
In der Nacht zum 24.7.95 haben wir die Werft der Firma Lürssen
in Lemwerder bei Bremen mit einem Sprengsatz heimgesucht. Sie ist
einer der Rüstungslieferanten für das türkische Regime,
das einen mörderischen Krieg gegen die KurdInnen führt.
Lürssen liefert seit Jahren Militärschiffe in die Türkei.
z. Zt. sind Flugkörperschnellboote in Lemwerder und in der
türkischen Marinewerft Tazkisac im Bau, und exportiert Produktionsanlagen,
das nötige Know- How sowie militärische Ausbildung in
alle Welt.
Die BRD unterstützt das türkische Regime in seinem Krieg
gegen die kurdische Bevölkerung als Waffenlieferant Nr. 2,
hinter den USA. BRD- Militärmaterial in Höhe von 1,5 Milliarden
DM (im sog. Materialhilfeabkommen für die Jahre 1990-95) wurde
zur Sicherung der imperialistischen Interessen in das strategisch
wichtige "Nato- Partnerland Türkei" in den letzten 5 Jahren
geliefert. Mit Großaufträgen wie dem Ausbau von Überwachungsanlagen
an der Grenze zu Syrien, wohin das türkische Regime eine erpresserische
Wasserpolitik betreibt, oder die Umrüstung von 450 NVA- Panzern,
die den türkischen Machthabern schließlich geschenkt
und in Kurdistan eingesetzt wurden, sichern sich die BRD-Konzerne
und - Rüstungsindustrie ihre Gewinne. 700 deutsche Rüstungsfirmen
produzieren heute direkt in der Türkei. In dem Krieg gegen
die KurdInnen werden seit mindestens 5 Jahren systematisch Dörfer
niedergebrannt: nach dem Menschenrechtsverein IHD sind bis Oktober
94 mehr. als 1300 Dörfer in Kurdistan zwangsgeräumt oder
zerstört worden. In den letzten Monaten konzentrierten sich
die Razzien und Vertreibungen sowie Folterungen und Hinrichtungen
auf DorfbewohnerInnen in der Provinz Dersim. Aus dieser Region kamen
schon seit den 60'er Jahren viele der hier in der BRD lebenden Flüchtlinge
und MigrantInnen, die vor der gezielten Verarmungs- und Zerstörungspolitik
flüchteten. Zunehemend werden heute auch die kurdischen Städte
aus Kampfflugzeugen bombadiert und Flüchtende in Internierungslager
außerhalb der kurdischen Großstädte eingesperrt.
Trotz z.T. massiver Proteste durch die kurdischen MigrantInnen
und teilweise durch parlamentarische Gremien gehen die Rüstungslieferungen
ungehindert weiter und "verzichtet" auch der Europarat in Straßburg
"auf Sanktionen gegen die Türkei" (FR vom 27.6.95).
Die Flucht vor dieser Vernichtungspolitik in die BRD bzw. Westeuropa
wird für Kurdinnen durch die rassistische Asylgesetzgebung
(und die Durchsetzung des Schengener 'Abkommens) immer schwieriger.
Innenminister Kanther konnte es "als großen Erfolg" darstellen,
"daß aufgrund des drastisch eingeschränkten Asylrechts
immer weniger Menschen die Möglichkeit haben, in Deutschland
Schutz vor politischer Verfolgung zu beantragen" (zit. nach FR vom
22.6.95).
Mit dem PKK- Verbot letztes Jahr hat sich das BRD- Regime noch
dazu ein beispielloses Mittel zur rassistischen Mittel Verfolgung
und Kriminalisierung einer ganzen Gruppe von MigrantInnen - der
Kurdlnnen- geschaffen.
Es ist uns ein Anliegen, die Passivität vieler Frauen- und
linker Zusammenhänge gegenüber dem kurdischen Widerstand
und der massiven Repression an den hier Zuflucht suchenden und den
Widerstand zuhause unterstützenden KurdInnen aufzubrechen.
Dieses Nichtverhalten wird oft mit Kritik an der Politik der PKK
begründet. Mit der PKK kann frau sich nicht identifizieren
- wir auch nicht -, und leider wird Solidarität meistens von
dieser Frage abhängig gemacht. Wir wollen hier über Politische
Solidarität diskutieren, die sich nicht länger an der
Identifikation mit Befreiungsbewegungen oder der Distanzierung von
ihnen mißt.
Über Identifikationen werden eigene Wünsche projiziert,
sie versperren den Blick auf die realen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
Sie sind keine tragfähige Basis für Solidarität.
Im Gegenteil, sobald eine andere Realität hinter der Projektion
sichtbar wird, ist es meistens Schluß mit der Soli.
Den Frauen in Kurdistan, die aus guten Gründen inner- oder
außerhalb der PKK gegen ihre Unterdrücker und für
umfassende Befreiung kämpfen, und allen vom türkischen
Regime im Verein mit seinen imperialistischen BRD- Aufrüsternunterdrückten
und bekämpften Menschen gehört unsere ungeteilte Solidarität.
Als in der BRD lebende Menschen müssen wir Verantwortung übernehmen
und eingreifen, wenn wir den von hier massiv unterstützten
und mitgeführten Krieg gegen die kurdischen Menschen nicht
mittragen wollen.
Der Versuch, den Krieg in seinen gegen die Bevölkerung und
gegen die Frauen gerichteten Dimensionen zu beschreiben, soll den
auf die militärische Konfrontation zwischen PKK und türkischen
Staat reduzierten Blick, der von herrschender Seite und den Medien
wie auch von der PKK vorgegeben wird, aufzubrechen.
Die PKK selbst legt keinen Wert auf eine klare Formulierung sozialer
Befreiungsvorstellungen oder Programme. Sie und ihre deutschen UnterstützerInnen
fordern dazu auf, die "nationale Befreiung des Landes" als Priorität
anzuerkennen und daher ihre militärischen Erfolge im bewaffneten
Kampf gegen das türkische Militär, in dem der "neue Mensch"
schon mithilfe der Partei geformt würde, zu unterstützen.
Das türkische Regime Und sein Militär führt einen
Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, um ihren Widerstand
gegen die Unterdrückung und ihre Unterstützung der Guerilla
zu brechen. Der Krieg gegen die kurdischen Menschen zielt darauf,
ihre teilweise noch weitgehend auf die gesellschaftliche Reproduktion
und Subsistenz gerichteten Lebensweisen zu zerstören: Hirten
und Bäuerinnen und ihre Tiere werden bei der Arbeit auf ihren
Feldern vom türkischen Militär erschossen, die Dörfer
überfallen und die Wintervorräte gezielt vernichtet. Aus
der Luft werden systematisch die Wälder, Weiden und Felder
in Brand geschossen, und Panzer zerstören ganze Landschaften.
Das türkische Regime hat den Menschen ihre Produktionsweise
regelrecht "verboten" und setzt dies mit Kriegsmitteln durch.
In den Bergregionen gab es jahrhundertelang Weidewirtschaft, im
Sommer ziehen die Menschen mit den Tieren zu den höheren Almen,
im Winter in die Dörfer in den Tälern. In den weiten Teilen
der 330 km langen Grenze, die die kurdischen Gebiete zwischen Türkei
und Irak durchschneidet, lebten fast alle Menschen von Weidewirtschaft
und vom lokalen grenzüberschreitenden Handel und Schmuggel.
Diese Existenz wurde ihnen mit den Verboten und der anhaltenden
Vertreibung geraubt. Nach der Devise, die Rückzugsmöglichkeiten
und Unterstützung der Guerilla abzuschneiden, sind hier in
den letzten Jahren riesige Gebiete als" Sicherheitszonen " und militärische
Aufmarschgebiete gegen die Nachbarländer entvölkert, die
Dörfer gänzlich dem Erdboden gleichgemacht. Fast alle
kurdischen Familien haben Kinder oder Verwandte, die vom Militär
verschleppt, gefoltert oder ermordet wurden. Kein Wunder also, daß
in vielen Gegenden bald aus jeder Familie Angehörige bei der
Guerilla sind, die natürlich unterstützt werden.
In den Jahrzehnten vor dem Erstarken der PKK diente die militärische
Besetzung und zeitweilige Kriegführung in Kurdistan einer Menschenvertreibung
für die Sicherung der binnen- kolonialen Ausbeutung. Auch unter
dem Druck des Weltmarktes und der IWF- und Weltbankauflagen setzt
das türkische Regime bis heute nur auf den Krieg, um seine
mörderischen bevölkerungspoitischen Ziele durchzusetzen.
Es will damit die alten Solidarnetze und den Widerstand der KurdInnen,
der mit ihren Lebensgrundlagen verwoben ist, zerschlagen.
Der Krieg, die Zerstörung und Vernichtung stehen der längst
geplanten und z. T. schon durchgesetzten (Herrschafts-) "Modernisierung"
nicht blockierend gegenüber, es sind vielmehr die Voraussetzungen,
um die "modernen", d.h. imperialistischen Formen der Ausbeutung
und Verwertung de ihrer Subsistenz beraubten Menschen aufzwingen
zu können. Die in der Eskalation des Krieges in den letzten
Jahren begonnene Vertreibung von Hunderttausenden kleinbäuerlichen
Familien für die Errichtung von Exportzonen im GAP1- Gebiet
ist nur die andere Seite der Medaille. In den 6 großen Provinzen
des GAP leben heute über 4 Millionen Menschen überwiegend
von Ernte-, Saison- und ihrer Subsistenzarbeit. Ihre kleinen Felder
werden im Zuge der "Landreform" nach und nach dem Staat angeeignet
und von den Investoren und Großgrundbesitzern der GAP- Region
einverleibt.
In unserer grundsätzlichen Ablehnung von Herrschaftmodernisierung
gehen wir davon aus, daß die "Entwicklungszonen", wie sie
z.B. in der GAP- Region vorgesehen sind, nichts mit den Wünschen
der KurdInnen nach Verbesserung ihrer Existenz zu tun haben 2. Denn
für die überwiegende Mehrheit der verarmten Bevölkerung
heißt das die Enteignung von Land und die nachhaltige Entwertung
und Zerstörung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Produktions-
und Lebensweisen.
Krieg gegen die Frauen
Der Krieg wird nicht nur in den Gegenden geführt, wo die Guerilla
sehr stark ist, sondern er konzentriert sich auch dort, wo die Frauen
eine vergleichsweise starke und freizügige Stellung in der
Gesellschaft haben: in den Bergregionen mit ihrer Tradition der
halb- nomadischen Weidewirtschaft und gegen die Yezidi und AlevitInnen,
die sich den patriarchalen und religiös verbrämten Unterdrückungsnormen
stärker verweigert haben. Bis heute ist dort die starke Position
und der Widerstand der Frauen gegen ihre Unterdrückung sowie
gegen ihre Ausbeutung durch die (kurdischen) Großgrundbesitzer
weitgehend lebendig.
Mit ihrer Vertreibung aus den Dörfern werden den Frauen ihre
eigenständigen Arbeitsbereiche weggenommen. Sie verlieren ihre
gesellschaftlich wichtige Rolle und finden sich als Flüchtlinge
in den Elendsgürteln der kurdischen und türkischen Städte
und in zunehmender Anzahl in regelrechten Internierungslagern wieder.
Unter diesen Bedingungen verlieren sie ihre traditionellen Solidarnetze
und wird ihre gesellschaftliche Ausgrenzung, Abhängigkeit und
Auslieferung gegenüber zunehmender Männergewalt in "modernen"
Formen von patriarchaler (insbes. sexistischer und Kleinfamilien-)
Unterdrückung erleichtert.
Mehr noch als den Verlust der Eigenständigkeit der Frauen
in den Städten und ihre Abhängigkeit von ihren arbeitssuchenden
Männern, schaffen die neu errichteten kriegsstategischen Wehrdörfer
und Internierungslager neue patriarchale Gewaltverhältnisse:
mit der militärischen Kontrolle, mit Hunger, Krankheit, Kindersterben,
Entwürdigung und Abhängigkeit infolge der Lebensmittelzuteilungen,
mit Folterungen und Vergewaltigungen. Die Verelendung und Verunsicherung
begünstigt patriachale Gewaltbereitschaft, die sich auch im
Zulauf solcher islamischer Gruppen niederschlägt, die frauenunterdrückende
Normen propagieren und durchsetzen.
Widerstand der Frauen
Selbst über die faktische Ausradierung von tausenden Dörfern
gelingt es dem türkischen Regime bis heute nur schwer, den
Widerstand der KurdInnen zu zerschlagen. Obwohl die traditionelle
Subsistenz so gut wie ausgelöscht wurde, konnte die Frauenstärke
bisher nicht zerstört werden. Daran knüpfen die Frauen
an und entwickeln sie in den Städten weiter. "Immer mehr kurdische
Städte werden zu Pulverfässern, immer mehr Menschen gehören
zu der besitzlosen Masse, deren Subsistenzmöglichkeiten zerstört
sind und die in den Städten nicht einmal mehr die Möglichkeiten
finden, sich als TagelöhnerInnen zu verdingen. An vielen Orten
gelang es ihnen auch, die "eingessenen" Städter zu mobilisieren."
(Lissy Schmidt, 92/93). Gerade die aus den Bergdörfern vertriebenen
Landfrauen 3 waren die treibenden und organisierenden Kräfte
des Serhildan/ der "kurdischen Intifada", die seit Ende 89 bis März
92 immer wieder mit Steinen, Stöcken etc. und ihrer Wut bewaffnet
sich den Militärs entgegenstellten. Seither werden die Newroz-
Feiern mit riesigen Miltäraufgeboten und deutschen Panzern
"bewacht" 4, Städte als neue Widerstandszentren bombardiert,
immer mehr Menschen von Todesschwadronen entführt, gefoltert
und umgebracht. Viele der in die Städte vertriebenen Frauen
bilden neue Zusammenhänge, Solidaritäts- und Widerstandsstrukturen
in Menschenrechts- und Gefangenenunterstützungsvereinen, in
Stadtteilkomitees, gegen die Todesschwadronen, zur Veröffentlichung
der Hungerstreiks von Gefangenen und in eigenen Hungerstreiks gegen
die Folter und Verschwindenlassen ihrer Angehörigen und FreundInnen,
und entwickeln dort große Power. Auch hier der Kampf uni bessere
Lebensbedingungen und für die Menschenwürde zu den Triebfedern
des Widerstandes der Frauen.
Viele junge Frauen gehen in die Berge, zur Guerilla, in die Illegalität,
um sowohl gegen die Repression, Vertreibung, Krieg des türkischen
Militärs als auch für ihre Befreiung von ihrer traditionellen
patriarchalen Unterdrückung zu kämpfen.
Kurdische Frauen und die PKK
Ein wesentlicher Grund für die große Teilnahme und Organisierung
vieler Frauen auch an den Kämpfen der PKK ist, daß der
Krieg direkt gegen sie und ihre Familien, FreundInnen, Dörfer
und Städte geführt wird. Auch vor dem Krieg wurde ihr
Leben in Kurdistan bestimmt durch die türkische Kolonialpolitik
im Verein mit den kurdischen Großgrundbesitzern: immer mehr
Land im dörflichen Gemeinschaftsbesitz, eine der Grundlagen
der Weidewirtschaft. wurde beschlag nahmt und "kapitalisiert", die
Menschen mit rassistischen bürokratischen und militärischen
Repressionen terrorisiert und systematisch sozial unterversorgt,
die Bodenschätze und Produkte ihrer Landarbeit ausgeplündert.
Deshalb entschlossen sich seit den 50er Jahren bis heute immer mehr
Menschen zur Emigration. Im Prozeß dieser sogenannten Unterentwicklung
und der Repressionen und im anwachsenden Widerstand dagegen wuchs
auch die Sehnsucht vieler Frauen nach mehr Freiheit, Vielfalt, Erfahrungen
etc. und ihre Ablehnung derjenigen traditionellen Dorfstrukturen,
die sie einengten und unterdrückten. Mit der Auflösung
der Großfamilie ist zugleich ihre Aussicht auf Macht und Wertschätzung
als ältere Frau - die Frauen auch immer zu VerteidigerInnen
des Patriarchats machten - im Schwinden begriffen.
Unter den jungen Frauen bekämpfen viele ihre patriarchale
Unterdrückung in der Familie und entscheiden sich für
die PKK, um aus dieser auszubrechen.
Zudem knüpft( e) sie die Hoffnung vieler kurdischer Frauen
auf Befreiung aus diesem ganzen Elend von Zerstörung und Unterdrükkung
an die PKK, weil deren militärische Erfolge sich für sie
als einzig ernstzunehmende Kraft gegen das türkische Militär
und die Repressionsorgane erwiesen haben. Hauptverantwortlich für
ihre Unterstützung der PKK aber ist die türkische Politik
aus Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus 6. Der dagegen unter
den Kurdinnen sich entwickelnde Unterdrücktenstolz und die
Selbstbehauptung im Widerstand schafft( e) Verbindungen über
alle sozialen Unterschiede hinweg. Seit" Atatürk" ist die politische
Maxime, innerhalb des türkischen Machtbereichs alles Kurdische
und jede Erinnerung daran möglichst vollständig auszulöschen.
Die Erfahrung der KurdInnen, von kulturellen Selbstverständlichkeiten
des Alltagslebens und ihrer Geschichte ständig abgeschnitten
zu werden, verstärkt(e) ihren Wunsch nach "kurdischer Identität".
d.h. selbstverständlich wollen sie das sein und leben können,
was frau/ mann dort nicht sein darf, und dafür wollen sie nicht
der Repression ausgesetzt werden.
Zitat einer Gefangenen aus Diyarbakir 1983: "...den in meinem Inneren
seit meiner frühesten Kindheit gegen die Unterdrücker
angesammelten Haß hinauszuschreiben, hat gutgetan" ... "erst
hier im Knast habe ich mich selbst, mein Land und meine Geschichte
kennen gelernt" ... "die uns allen gemeinsame "Schuld" ist, Kurden
zu sein"
Nicht nur in Kurdistan, auch in der BRD wird in treuer Erfüllungsgehilfen-
Manier für die türkische Repression den oft nur kurdisch
sprechenden Angehörigen die Verständigung mit den kurdischen
Gefangenen in den BRD- Knästen untersagt, sie" sollen ,türkisch
sprechen" !
"Identität" wird als Widerstand, als Verbotenens durchgesetzt,
auch Traditionen wie z.B. das Newroz- Fest werden als Formen des
Widerstandes neu angeeignet und mit Leben gefüllt; aber auch
als Hoffnung auf eine zukünftige und erst zu befreiende Gesellschaft,
weil der Krieg zwar viel Kraft und Selbstbehauptungswillen ("Identität")
mobilisiert, aber auch vieles verhindert und zerstört, Leiden,
Ohnmacht, Beschränkung, Kampf ums Überleben erzeugt.
Die offizielle PKK- Propaganda setzt die Befreiung der Frauen mit
ihrer Teilnahme am militärischen nationalen Befeiungskampf
gleich.
Damit die fortschreitende Radikalisierung vieler junger Frauen
gegen alte und neue Machtverhältnisse sich nicht gegen die
PKK selbst richtet und ihren HERRschaftanspruch gefährdet,
versucht die Partei in den letzten Jahren, über viel Propaganda,
Druck und "Erziehung" mithilfe ihrer FührerInnen in der YJWK
7, die Frauen in modernisierte patriarchale Familiennormen wiedereinzubinden.
Die Reform besteht u.a. darin, in der Familie sog. "nationale Traditionen"
wiederauferstehen zu lassen und ihr ein folkloristisches Einheitsgewand
als "Hort kurdischer Kultur" und Disziplinierungsmittel gegen zu
weitgehende oder als "westlich" beschimpfte " Frauenemanzipation"
von oben überzustülpen.
Solidarität und Kollektivität sind mit Sicherheit lebendige
Inhalte der Frauenkämpfe. In vielen Eigeniniativen solidarischen
HandeIns mit- und füreinander haben Frauen Selbstverantwortung
übernommen und darüber kollektiv- selbstbestimmte Strukturen
erkämpft, auch und gerade in den Bergen und gegen über
den männlichen Genossen. Damit stellen sie die sowieso schon
erodierte und weit verstreute Familie in ihren patriarchalen Werten
infrage und zugleich das für die Machtausübung der Partei
wichtige Disziplinierungs- und Unterordnungsprinzip. Deshalb wird
das "Kollektiv" der Familie als Keimzelle des Nationalstaates beschworen
8, und mit moralischem Druck wird versucht, die Frauen wieder in
den Griff zubekommen. "Jegliche Ansichten über Kurdistan, die
den nationalen Konflikt nicht als Hauptkonflikt betrachten, dienen
dem Kolonioalismus und der Reaktion" ist ein Zitat aus dem PKK-
Programm 1978, das heute von den Frauenführerinnen weitgehend
beherzigt wird 9.
Obwohl wir das Bestreben vieler kurdischer Frauen nach "kurdischer
Identität" als treibende Kraft im Widerstand gegen die rassistische
türkische Repression verstehen und akzeptieren, ist die Behauptung
einer "kurdischen Identität", die erst im "befreiten Kurdistan"
sich entwickeln könnte, für uns eine Fiktion. Die Parteiideologie
benutzt dieses Bedürfnis nach "Identität", indem sie auf
die konsequente Verleugnung und Verdrängung kurdischen Geschichtsbewußtseins
durch die türkische Politik baut und den vom Krieg vertriebenen
Menschen Mythen über ihre Geschichte anbietet, anstatt ihren
Kampf um Verteidigung und Anknüpfen an ihre lebendige Geschichte
- z.B. im Widerstand gegen ihre Vertreibung - zu unterstützen.
Die frühere Verschiedenartigkeit kurdischer Kulturen mit ihren
von den Zentralgewalten reletiv unabhängigen Produktionsweisen
der Selbstversorgung sollen auch nach dem Willen der PKK - nicht
nur nach dem der türkischen Besatzer -verschwinden, denn nur
so kann sie ihre Vorstellungen zur HERRschaftsmodernisierung durchsetzen.
Der Krieg als Medium der Zerstörung der vielfältigen Sozialstrukturen
schafft die für den Macht- und zukünftigen Ausbeutungsanspruch
der Partei benötigte Polarisierung und Zwangsvereinheitlichung.
Sie wird von der PKK untermauert mit dem Mythos einer uralten Geschichte
von der "Herausbildung der kurdischen Nation" und mir der Konservierung
bestimmter kurdischer Traditionen. Mit der Zuschreibungdessen, was
"kurdisch" zu sein hat und was nicht, soll all das, was
dem Machtanspruch der Partei abträglich ist unterdrückt
und sogar aus dem Geschichtsbewußtsein der Menschen getilgt
werden 10. Dabei ist Geschichte kurdischer Lebensweisen und Kämpfe
derart wechselvoll und unterschiedlich, daß vielleicht gerade
diese sie charakterisiert. Ihre relativ autonome Dezentralität
und Heterogenität konnte mit dazu beitragen, daß sie
weder von der Zentralgewalt der osmanischen HERRschaft zerstört
noch von den modernen Nationalstaaten und von den imperialistischen
Ausbeutunginteressen bisher vereinnahmt werden konnte. Auch deshalb
werde ihre Le bens grundlagen vernichtet.
Wir lehnen die Umformung gemeinsam verstandenen lebendigen Widerstandes
gegen die Unterdrückung kurdischer Menschen, die ihr Kurdischsein
im Widerstand gegen die Repression, gegen die Unterdrückung
ihrer Lebensweisen, von Sprache, Kultur etc. erkämpfen, in
nationale Ideologie und erstarrte Kultur ab, weil das den alleinigen
Zielen der Partei auf die eigene Macht und en zukünftigen Ausbeutungsanspruch
im eigenen Staat entspricht und die sozialen und antipatriarchalen
Widersprüche und Kämpfe zukleistert und verhindert.
Kritik am Befreiungnationalismus
Im Unterschied zum kolonial- imperialen Nationalismus zur Durchsetzung
und Ausübung seiner HERRschaft bildet sich der Befreiungsnationalismus
in der Unterdrückung und als Widerstand verschiedener sozialer
Gruppen gegen die Kolonisatoren und Imperialisten. Von daher ist
er zeitweise identisch mit der Gegenwehr gegen jede Unterdrückung.
Er mobilisiert Befreiungsutopien der Menschen im gemeinsamen Kampf
gegen Ausplünderung und Okkupation, Widerstanskultur gegen
die HERRschende Dominanzkultur, die den Menschen ihre Lebensweisen,
ihre Sprache, Geschichte, Erfahrungen etc.raubt.
Trotzdem sehen wir in der Ideologie der "nationalen Befreiung"
kaum eine Möglichkeit zum Erkämpfen einer Gesellschaft
auf dem Weg zur Abschaffung von Ausbeutung und pariachaler- wie
rassistischer Unterdrückung: Für die PKK zielt die "nationale
Befreiung" darauf, die Macht in Kurdistan zu erobern und über
die Besitzansprüche auf das Land mit seinen Reichtümern
an Wasser, Öl und Bodenschätzen den eigenen Zugriff auf
die kapitalistisch zu modernisierende Ausbeutung der Menschen und
Ressourcen zu sichern.
Die Kämpfe der Menschen gegen die HERRschaftssicherung (z.B.
ihr Widerstand gegen Zwangsumsiedlung, Besteuerung, Weide- und Handelsverbote)
werden von der PKK umgemünzt in "nationale" Ziele: sie sollen
sich gegen das türkische Regime richten, nicht aber "Modernisierung"
als Zerstörung und Vertreibung und Verschärfung des Gegensatzes
zwischen (Grund-) Besitzenden und Besitzlosen ablehnen.
Soziale Forderungen verschwinden hinter der Dominanz der nationalen
Forderung nach dem eigenen Staat. z.B. hat die PKK den Kampf gegen
die Vertreibungen in der GAP- Region nicht unterstützt, selbst
frühere Angriffe auf GAP- Ingenieure waren nur gegen die westlich-
türkischen Ausplünderungspläne gerichtet. Die BäuerInnen
mit ihrer Subsistenz in der "traditionellen Gesellschaft" werden
oft als feudal- rückschrittlich bezeichnet, der Großgrundbesitz
und Landverteilung aber nicht bekämpft. Rückgriffe auf
die Traditionen gibt es da, wo es dem Ziel des Nationalstaates dienlich
ist. Selbst Großgrundbesitzer sind "fortschrittlich", wenn
sie die nationalstaatlichen Ziele unterstützen.
Die Ausrichtung der Kämpfe auf die nationale Eroberung bejaht
die Zerstörung der Subsistenz und setzt auf die zukünftige
Anbindung an den imperialistischen Weltmarkt
Die von der Gesellschaft getrennte Guerillastrukturen mit dem Schwerpunkt
militärischer Gegenmacht gegen die türkische Armee und
dem Ziel nationaler Abtrennung machen eine Guerillaformation nötig,
die sich ausschließlich gegen die "FremdHERRschaft" richtet
und infolgedessen ihre militärischen Angriffe nur gegen die
militärischen- und polizeilichen Besatzerorgane ausführt.
Damit wird die Bildung einer Guerilla verhindert, die sich an den
sozialen, gegen Ausbeutung und pariarchaler und rassistischer Unterdrückung
gerichteten Befreiungsinteressen orientieren könnte.
Auch wenn für viele Frauen in Kurdistan die Bildung einer
eigenen Frauenarmee innerhalb der PKK als notwendiger und zu begrüßender
Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung gesehen wird, ist das
für uns keine Orientierung. Auch die Beteiligung oder eigene
Frauenorganisierung ändert nichts daran: die militärische
und von den sozialen Kämpfen losgelöste Formierung bleibt
eins der Stützpfeiler und Erneuerer des Patriarchats. Wir wollen
den Mythos von der revolutionären Qualität des "bewaffneten
Kampfes" per se hier nicht unterstützen. Denn der "bewaffnete
Kampf' führt nicht durch seine militärische Ausrichtung
und Bewaffnung auf den zur Befreiung, sondern nur durch seine Verbindung
mit den sozialen und gegen jede Unterdrückung und Ausbeutung
gerichteten Kämpfen.
Unsere Solidarität gilt v.a. den Frauen, die nicht bereit
sind, in den Kämpfen ihre Forderungen nach einer befreiten
Gesellschaft ohne Frauenunterdrückung und Ausbeutung den national-
ethnischen Parolen zu opfern.
Überlegungen zu Internationalismus, Antirassismus und feministischer
Solidarität
Heute ist der radikale Teil der feministischen Bewegung in der
BRD öffentlich kaum mehr sichtbar, zurückgezogen und zersplittert
in Grüppchen, die nur noch wenig Außenwirkung haben.
Viele ehemals aktiven Frauen haben ihre politischen Bedürfnisse
in Berufsperspektive und Job verlagert oder nur noch auf die Veränderung
im eigenen Alltag beschränkt und damit so gut wie aufgegeben.
Die großen gesellschaftlichen Umbrüche in den letzten
Jahren haben uns teilweise den Boden unter den Füßen
weggezogen, sodaß es nahe lag, innzuhalten und uns selbstkritisch
mit unseren Politikformen und Schwächen auseinanderzusetzen.
Auch die Kritik von MigrantInnen iund Frauen aus den 3 Kontinenten
an der weißen FrauenLesbenbewegung trug zur Einsicht bei,
daß wir die Widersprüche bei uns selbst- unseren Rassismus,
Antisemitismus, Hetero- /Sexismus, Produktivismus... – zum Thema
machen müssen, wenn wir wieder zu einer starken Bewegung werden
wollen.
Das bisherige feministische Selbstverständnis von Politik
in erster Person (als Frauen sind wir ALLE, wenn auch unterschiedlich,
unterdrückt und "Objektiv" gegen das Patriarchat)
wurde infrage gestellt durch die Auseinandersetzung mit unseren
Eingebundensein in diese Metropolen- Frauen- Realität, in der
wir nicht nur Opfer oder widerständige subjekte, sondern auch
Beteiligte und Nutznießerinnen der patriarchalen HERRschafts-
und Ausbeutungsverhältnisse sind. Die – notwendige und wichtige!
– Auseinandersetzung über unsere Unterschiede hat uns von unserem
Sockel gehoben: wir sind nicht die Durchblickerinnen, die schon
"befreiter" oder emanzipierter als die Frauen Osteuropas
und der 3 Kontinente sind. Denn unsere "Befreiung" ist
zugleich Form und Ausdruck der Komplizinnenschaft an der Unterdrückung
unserer Schwestern.
Diese Einsicht hat uns bescheidener gemacht: wir sprechen nicht
mehr von revolutionären Ansprüchen und für ALLE Frauen,
sondern nur noch für UNS, und da lassen wir das Wort "revolutionär"
lieber weg- das kann es ja nur für ALLE geben, sonst verkehrt
sich jeder Befreiungsschritt unweigerlich in den Ausbau von Privilegien.
Der Rückzug in Positionen, die wenigstens für die eigenen
4 Wände noch Gültigkeit beanspruchen können, führte
außerdem zur neuerlichen Abgrenzung von anderen Frauen.
Zumindest verbal und manchmal auch tiefgehend haben wir die Forderungen
von MigrantInnen und sozialer Diskriminierung ausgesetzer Frauen
eingesehen, die Unterschiede zwischen uns wahrzunehmen, zu respektieren
und darauf gründende Hierarchien und Machteingebundenheiten,
d.h. den eigenen Rassismus, Antisemitismus, Hetero-/Sexismus bei
uns zu bekämpfen. Das blieb allerdings oft beim bloßen
Benennen stehen, indem sich ein korrektes Bewußtsein sich
einer korrekten Sprache ausdrücken sollte. Als ob ein "richtiges"
Bewußtsein in "falschen" Verhältnissen geben
könne, ohne das frau diese aktiv bekämpft.
Hier entpuppt sich unsere gewachsene Sensibilität und Bereitschaft
zur Selbstkritik als Schein. Sie wiederspiegelt zunächst nur
die Unsicherheit infolge des Auflösungsprozesses("Deregulierung")
des alten metropolitanen Gesellschaftsgefüges und er Erneuerungsoffensive
patriarchaler Macht und Ausbeutung, worin auch frühere feministische
Forderungen integriert wurden. Mit den Rückzug auf UNS und
mit der vorrangigen Beschäftigung, unser Bewußtsein zu
sensibilisieren, befinden wir uns voll im HERRschenden gesellschaftlichen
Trend zur weiteren Individualisierung und Auflösung gemeinsamer
sozialer Erfahrungen. In Teilen unserer praktischen wie unserer
theoretischen Auseinandersetzungen vollziehen wir die Zerstörung
sozialer Gemeinsamkeiten mit, die einmal Grundlage für Widerstand
waren.
Einer kämpferischen und revolutionären Perspektive können
wir uns nur wieder annähern, indem wir über unsere Interesse
und unseren Kampf für die Abschaffung sexistischer Gewalt und
patriarchaler Macht hinaus, Verbindungen eingehen, Netze knüpfen
zu den Frauen und ihren Strukturen, die hier rassistisch und sozial
ausgegrenzt/ausgebeutet und mißhandelt werden. Wir müssen-
bei Respektierung der Differenzen- uns konkreter einlassen auf die
Frauen, deren rassistische, sexistische, rechtliche und soziale
Diskriminierung sie den krassesten Ausbeutungs- und Gewaltverhältnissen
aussetzt und sie so zu den Hauptangriffszielen für die HERRschaftsmodernisierung
macht, wogegen sie aber auch ihre Gegenstrategien und kämpferische
Solidarität setzen. Die Entrechtlichung und Illegalisierung
von MigrantInnen ist eine strategische Waffe der HERRschenden, hierauf
errichten sie die Neuformierung von Ausbeutung und Gewalt in der
Gesellschaft, hierüber wollen sie auch eine Testabilisierung
der Machtverhältnisse erreichen. Weil über die Illegalisierung
Arbeitskraft und sexuelle Dienstleitung fast umsonst und egal mit
welchen brutalen Gewaltmitteln zu haben ist, werden die Reproduktionskosten
für alle gesenkt, d.h. fast jedeR profitiert noch davon, und
so können alle anderen Arbeitskraftkosten für alle Typen
von Ausbeutern (Frauen und MigrantInnen eingeschlossen) verbilligt
werden.
Frau darf dabei nicht stehenbleiben, für das Bleiberecht und
von Männern unabhängige Aufenthaltsrecht geflüchteter
Frauen sich einzusetzen und dann vor ihrer Ausbeutbarkeit die Augen
zu verschließen. Die Kämpfe von Migrantinnen zu unterstützen
muß auch heißen, gegen die vielen Abstufungen ihrer
Rechtlosigkeit vozugehen, also für sie grundsätzliche
und ersatzlose Abschaffung des "Ausländerrechts"
(und jedern anderen Rechts, das geschaffen wurde, um Diskriminierungen
festzuschreiben) zu kämpfen, mit unseren Möglichkeiten
und den von uns zu entwickelnden Waffen und Widerstandsformen, denn
wir wollen ja ihre Ausgrenzung und Ausbeutung ja nicht mittragen.
Außerdem ist es lustvoll und lebendig, die uns zugedachten
Kleinkreise sozialer Zuordnung und Individualisierung zu durchbrechen,
dem (postfordischen") Auflösungstrend sozialer Gemeinsamkeiten
neue Zusammenhänge "von unten" entgegenzusetzen und
das eigene Eingebundensein in die Widersprüche und Machtbeteiligungen
in diesem menschenverachtenden System immer wieder zu überschreiten.
Im Einlassen auf die "anderen" Frauen nehmen wir nicht
nur ihre andere Subjektivität, ihre anderen- weniger am hier
HERRschenden Produktivismlus und der "Unabhängigkeit des
Individuums" und mehr auf ihre soziale Reproduktion gerichteten
- Werte, Handlungen und Kämpfe wahr. Sondern wir können
uns auch ein wenig mit den Augen der anderen sehen und infrage stellen
lernen, z.B. indem sie uns mit unseren produktivistischen und rassistischen
Werten und Handlungen konfrontieren. Wichtig ist, die Unterschiede
wahrzunehmen und zu respektieren, aber genau so wichtig ist es,
aus den die HERRschaft stärkenden Abgrenzung auszubrechen und
ein kämpferisches Miteinander zu entwickeln, das die Durchsetzung
alter und neuer patriarchaler Macht und kapitalistischer Verwertungsziele
behindert, wo immer wir das schaffen. Unsere Hoffnung auf Frauenbefreiung
und unsere Vorstellung von Kommunismus 11 schon hier und jetzt und
auch im sozialen Alltag kann als Tendenz nur dann sicht- und lebbar
werden, wenn wir unsere von einander abgegrenzten und gegeneinander
ausspielbaren Frauenunterdrückungen und unsere unterschiedlichen
Strategien dagegen in die Kraft vernetzter Widerstandsstrukturen
umwandeln. In dieser Verbindung und in den verschiedenen Kämpfen
um Existenzrecht und Leben in Würde für ALLE, jenseits
von Verwertungszwang, sozialer und kultureller Zugehörigkeit
und Paßverordnungen ect., können wir manche Facetten
unserer Integration in diese HERRschaftssystem abbauen oder auch
umdrehen zum Nutzen gemeinsamer Befreiung (z.B. durch unseren leichteren
Zugang zu Information und Umgang mit der Verwaltungsbürokratie
und unseren gesicherten gesellschaftlich Status..). Und in der Wahrnehmung
dieses Systems, wie es sich in den Augen hierher geflüchteter
und eingewanderter Frauen als Komplex miteinander verwobener rassistischer
und sexistischer wie ausbeuterischer Macht zeigt, lernen wir die
Personifizierungen und Verantwortlichkeiten dieser Macht besser
kennen und werden sie für uns angreifbar.
Solidarität mit den Kurdinnen
Von solchen mittelfristigen Zielen sind wir bisher noch weit entfernt
- Solidarnetze gibt es bisher nur in den Strukturen der MigrantInnen
selbst.
Nicht im " Austausch", sondern im praktisch- solidarischen
Verhalten werden sich unsere Kontakte zu KurdInnen entwickeln und
können Fäden zu diesen Netzen gesponnen und verknüpft
werden.
Der Krieg in Kurdistan hat zu einer Verschärfung nationalistischer
Abgrenzungen der Menschen verschiedener Herkunft in der Türkei
und auch hier beigetragen. Im Zusammenkommen von kurdischen, türkischen
und deutschen. Frauen müssen wir darum kämpfen, diese
Barrieren zu überwinden.
Ansätze für die kritische praktische Solidarität
können wir in den verschiedensten Formen von öffentlichen
und subversiven Protest- und Aktionsformen umsetzen:
- für das Bleiberecht für ALLE: Aktionen zur Behinderung
der staatlichen rassistischen Politik, gegen Abschiebungen und
Abschiebeknäste, dafür Verantwortliche aus dem Schutz
ihrer Anonymität reißen.
- daran sich bereichernde Firmen angreifen
- Aktionen gegen Rassisten, Faschisten, Sexisten und Ausbeuter
illegalisierter Billigstarbeit in der Bevölkerung (auch Frauen!)
- Soliaktionen gegen das Verbot der PKK und kurdischer Vereine.
Praktisch alle Solidarnetze der KurdInnen sind von der Zerschlagung
durch die bundesdeutsche Repression zusammen mit dem Parteiverbot
betroffen. Für die ungehinderte und selbstbestimmte Organisierung
der MigrantInnen.
- Tourismus ist eine moderne Form kolonialer Ausbeutung. Die
Tourismusindustrie wirbt auch dieses Jahr wieder besonders für
das "Reiseland Türkei 95" .Aktionen zur Forderung "Kein Tourismus
in die Türkei" verbinden wir jedoch mit dem Ziel, die dicken
Geschäfte der BRD-Konzerne zu behindern und nicht kleine
türkische Reisebüros anzugreifen. Das Schweigen der
PKK zu den gegen türkische MigrantInnen gerichteten Aktionen
in diesem Frühjahr begünstigt die weitere rassistische
und nationalistische Formierung in der BRD-Gesellschaft, insbesondere
zwischen KurdInnen und TürkInnen. Das steht unseren Zielsetzungen
grundsätzlich entgegen.
- die ökonomische und politische Zusammenarbeit zwischen
BRD und Türkei behindern, von öffentlichem Protest bis
zu Aktionen, die Firmen und PolitikerInnen für ihre blutigen
Geschäfte zur Verantwortung ziehen.
Lürssen ist eine mittelständische Firma, die zu 100%
im Kriegsschiffbau verdient. z.Zt. baut Lürssen für das
türkische Regime ein mit Flugkörpern und Schnellfeuergeschützen
bewaffnetes "Flugkörperschnellboot". Es gehört zu einem
Paket von 3 Lürssen- Schnellbooten Marke "Dogan", zwei davon
werden in der türkischen Marinewerft Tazkisac produziert. Die
Finanzierung der 3 Kriegsschiffe - über die BRD- Hermesbürgschaft
- beträgt 400 Millionen DM. Spätestens seit 1987 floriert
für Lürssen das Geschäft mit dem BRD- Staat gesponsorten
türkischen Militär, denn seitdem wurden entweder in Tazkisac
oder in der Lürssen- Werft 10 Dogan- Kriegsschiffe fertiggestellt.
Lürssen liefert neben Kriegsschiffen an Regime weltweit alles,
was zu deren eigener militärischer Produktion nötig ist:
Konstruktionspläne, Lizenzen, Know- How, Ausbildung bis hin
zu ganzen Werftanlagen. Über 130 Schiffe wurden in den letzten
Jahrzehnten nach Lürssen Plänen und Lizenzen gebaut. "Die
Lürssen- Werft hat mehr Kriegsschiffe in mehr Länder dieser
Welt geliefert und mehr Menschen auf Kriegsschiffen ausgebildet
als jede andere Werft der Welt", so ein Lürssen- Firmensprecher
auf der Rüstungsmesse 1994 in Malaysia.
Schon mehrmals geriet das mörderische Geschäft von Lürssen
durch Veröffentlichungen oder Protestaktionen gegen den Rüstungsexport
in die öffentliche Kritik, zuletzt mit einer symbolischen Blockade-
Aktion Ende 1994 aufgrund seiner Kriegswaffenlieferungen an das
Militärregime in Indonesien.
Während seit einigen Jahren eine öffentliche Kampagne
zur Einstellung der bundesdeutschen Militär- und Wirtschaftshilfe
den Druck gegen ein paar große Türkei- Rüstungslieferanten
verstärken konnte, versucht Lürssen in aller Stille seine
Geschäfte abzuwickeln, Das soll ihm nicht gelingen!
- Lürssen raus aus dem mörderischen Geschäft mit
dem türkischen Regime!
- Keine Finanzierung der deutschen Rüstungsindustrie durch
das BRD- Regime!
- Schluß mit jeder BRD- Rüstungs- und "Wirtschaft"Hilfe
für das türkische Regime!
- Kein Tourismus in die Türkei (anderswohin auch nicht)!
- Weg mit dem PKK- Verbot und der Verfolgung kurdischer Vereine!
- Kampf dem "Ausländerrecht" und allen anderen
Gesetzen, die Diskriminierung von Menschen festschreiben und so
Ausbeutung und Gewalt Tür und Tor öffnen!
- Anerkennung eigener Fluchtgründe und eigenständiges
Aufenthaltsrecht für Frauen!
- Für eine praktische Solidarität mit dem Widerstand
der frauen in Kurdistan und der kurdischen Migrantinnen hier!
- Gegen Nationalismus, für internationale Frauenbande und-
banden!
Rote ZORA
Fußnoten:
- das "Ostanatolienprojekt" umfaßt eine ganze Reihe z.T.
riesiger Staudämme, u.a. zur Bewässerung von Export-
Landwirtschaft. sog. agro- industriellen cahcrops, die Errichtung
von Vieh-, Leder-, Tabak- und anderen Industriezonen, Tourismuszonen
usw.
- in einer von der 1994 durch den irakischen Geheimdienst ermordeten
Journalistin Lissey Schmidt veröffentlichten Umfrage lehnten
zur Zeit des Baubeginns Anfang der 80'er Jahre 70% der betroffenen
Bevölkerung das Projekt ab,
- besonders bekannt wurden die von Frauen angeführten Aufstände
v.a. in Sirnak: im Februar '91 erschossen die Militärs hunderte
von Mauleseln, um das Verbot des eigenständigen Kohleabbaus
und -verkaufs durchzusetzen, worauf kaum eine Verwaltungseinrichtung
von den wütenden Frauen (und Männern) verschont blieb
und sie den Widerstand bis zum Newroz in einen Volksaufstand ausgeweitet
hatten.
- während des Newroz '92 wurde ein kurdischer Junge von
einem deutschen NVA- Panzer zu Tode geschleift. Die weltweit bekanntgewordenen
Pressebilder konnten ausnahmsweise das BRD-Regime daran hindern,
diese Tatsache des direkten Einsatzes deutscher Kriegsmittel gegen
die kurdische Bevölkerung weiter zu leugnen, weshalb für
kurze Zeit die Forderung nach Stornierung deutscher Rüstungslieferungen
ein wenig Wirkung zeigte. Nach dem Abebben der Schlagzeilen und
dem massiven Protest in der Türkei wurde das aber schnell
aufgehoben.
- "zuhause" befiehlt immer der Vater, und wenn er nicht
da ist, der Bruder. Bei der Guerilla kann ich mich endlich selbst
bestimmen, auch Kommandeurin werden...", sinngemäßes
Zitat einer jungen Frau von der PKK.
- "Bergtürken" = minderwertig. Verbot alles Kurdischen,
der Sprache, Geschichte, Traditionen etc., schon in der Schule
werden kurdisch sprechende Kinder von den türkischen Lehrern
verprügelt.
- YJWK = Verband patriotischer Frauen Kurdistans, Frauenorganisarion
der PKK. Zitat aus einem Beitrag zur Situation emigrierter kurdischer
Frauen 1992: "Die Kurden als Menschen aus einer fremden Gesellschaft
haben andere soziale und politische Eigenschaften als andere Völker
wie z.B. die Griechen, Jugoslawen, Türken usw.".
- mit "Kollektiv" ist die Unterordnung unter den Willen der pariarchalen
Führung in Familie und Partei gemeint. YJWK: "Sie (gemeint
sind die Frauen in Kurdistan) haben das Bewußtsein erlangt,
daß Befreiung nur durch ein befreites Land möglich
ist. Genauso die Befreiung der Frau." zit. nach radikal von Dez.
94.
- "...ist es wichtig, daß die Frau die Verantwortung ihrer
Aufgabe als Brücke zur Einbeziehung der Familie in den Dienst
der Revolution sich bewußt macht und ausfüllt", zitiert
aus einem PKK- Frauentext in der BRD zum 8. März '94. mit
der Naturalisierung des "Kurdischen" werden sowohl die kurdischen
Menschen ethnitisiert, indem "das Kurdische" von der Partei festgelegt
und alles unerwünschte Verhalten als "der kurdischen Natur,
der kurdischen Nation und dem kurdischen Menschen zuwiderlaufend"
bekämpft wird, als auch diejenigen ausgrenzend und unterdrückend,
die "kurdisch" sind oder sein wollen.
- aus dem Kontext geht hoffentlich hervor, daß wir NICHT
die marxistische Konzeption gesellschaftlicher Kämpfe zur
"Fortschrittsentwicklung" auf dem Weg zur "klassenlosen Gesellschaft"
im Kopf haben. "Kommunismus" verstehen wir als kritischen Kampfbegriff
für eine Gesellschaft, die den patriarchal- kapitalistischen
Kult des Produktivismus mit seiner Gier zur immer weiter modernisierten
und technologisierten Verwandlung alles sich "nur" reproduzierenden
menschlichen Lebens in VerWERTung und in immer mehr NICHT verWERThares,
d.h. in Menschen ohne Existenz"berechtigung", aufhebt und jede
Ausbeutung, Macht und Gewalt und damit die sexistischen und rassistischen
Grundlagen dieses Systems beseitigt.
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