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Aus RADIKAL 147 3/1993
INTERVIEW MIT EINER REVOLUTIONÄREN ZELLE
Auf den folgenden Seiten gibt's ein Interview, das welche von uns
mit einer rz gemacht haben. Da die GenossInnen selber schon eine
Einleitung gemacht haben, sparen wir uns lange Worte. Wir wollen
euch noch mal auf das ID-Buch "Früchte des Zorns"
hinweisen, das eine hervorragende Dokumentation der bisherigen rz-Geschichte
darstellt. Lohnt sich auf jeden Fall ! Und sonst ? Mit dem Layout
wird's leider etwas eng, macht euch auf enge Buchstaben und Bleiwüsten
gefasst.
Im letzten Jahr ist von einer revolutionären zelle ein Papier
veröffentlicht worden, in dem sie das Ende ihrer Politik erklären
und begründen. Seither gab es eine umfassende Diskussion zu
den Positionen der revolutionären zellen und ihrer Aktionen
wie schon lange nicht mehr.
Wir, eine revolutionäre Zelle, die sich an der Flüchtlingskampagne
beteiligt hat, möchten uns zu der Kritik äußern
und unsere Positionen darlegen. Einige Genossinnen und Genossen
von der radikal haben Fragen aufgeschrieben, auf die wir nun schriftlich
und öffentlich antworten wollen.
Unser Interesse ist, daß an den Fragen und Antworten weiterdiskutiert
wird, weil wir die breite Auseinandersetzung zur Flüchtlingskampagne
und zur Politik der revolutionären zellen besonders jetzt dringend
für nötig halten. Wir können und wollen nicht losgelöst
von Menschen und Gruppen, die radikalen Widerstand entwickeln, unsere
bisherige militante Politik fortsetzen.
Die Diskussionsergebnisse werden einen Einfluß auf unsere
weitere Politik haben.
Unsere Diskussion bezieht sich hauptsächlich auf die Positionen
im Papier "Das Ende unserer Politik". Die Diskussionen um das Papier
"Gerd Albartus ist tot" finden wir genauso wichtig, obwohl wir jetzt
nicht darauf eingehen.
Lest und diskutiert den Text, spart nicht mit Kritik und schreibt
was dazu. Gebt die Sachen rum, veröffentlicht sie auch in euren
Medien.
Wer sich mit der Geschichte der revolutionären zellen und
der roten zora bis heute auseinandersetzen will, kann jetzt eine
aktuelle Zusammenfassung von ihren Texten unter dem Titel "Früchte
des Zorns" über den id-verlag beziehen.
radikal: Ihr gehört nicht zum Traditionsverein der revolutionären
zellen. Wie seid ihr dazu gekommen, euch revolutionäre zellen
zu nennen. Um euch mit der Flüchtlingskampagne des Traditionsvereins
in einen politischen Zusammenhang zu stellen und dazu kontinuierlich
was zu machen, hättet ihr euch auch einen anderen Namen geben
können. Ihr hättet dann rüberbringen können,
daß ihr andere seid die sich aber politisch auf die Flüchtlingskampagne
beziehen. Warum habt ihr euch anders entschieden?
Eine revolutionäre zelle: Dazu müssen wir etwas weiter
ausholen. Wir sind eine Gruppe von Frauen und Männern , die
sich zum autonomen bzw. feministischen Spektrum zählt. Schon
bevor wir uns als revolutionäre zelle an der Flüchtlingskampagne
beteiligten, ging es uns um die Entwicklung von militantem Widerstand.
Auf einen thematischen Bereich hatten wir uns nicht festgelegt,
aber internationalistische Bezüge versuchten wir immer herzustellen.
Unsere Aktionen begriffen wir auch als Beitrag für die Diskussion
über militanten Widerstand. Die erhoffte Auseinandersetzung
kam aber nicht zustande.
Wir stellten uns folgende Fragen: Wie können wir die Bewegungsorientiertheit
und die damit verbundenen Hochs und Tiefs mit einer politischen
Kontinuität in Einklang bringen?
Wie ist darin militanten Widerstand perspektivisch zu gewährleisten
und weiter zuentwickeln? Die revolutionären zellen standen
und stehen mit ihrem Konzept genau für dieses Bemühen,
dem militanten Widerstand eine Kontinuität zu verleihen. Sie
hatten den militanten Kampf nie als ausschließlichen Schwerpunkt
bestimmt. Ihr erklärter Anspruch war es immer , Teil der Bewegung
zu sein, deren Stand und Diskussionen mitzubekommen und ihre Stärken
und Schwächen zu kennen. Dieses Selbstverständnis hat
für uns auch heute noch seine Gültigkeit.
Das von den revolutionären zellen propagierte Konzept der
Vermassung" - wir nennen es Verbreiterung – daß sich also
möglichst viele Gruppen als revolutionären zellen eigenständig
organisieren sollen, finden wir nach wie vor richtig. Jede Gruppe
muß sich selbst die Voraussetzungen für ihren militanten
Kampf schaffen und sich in Diskussionen die eigenen Inhalte erarbeiten.
Dazu stehen wir, auch wenn wir Kritik daran haben, wie dieses Konzept
teilweise aufgegriffen und umgesetzt wurde.
Spätestens mit der Flüchtlingskampagne '86 war nicht
mehr klar, ob das Prinzip der revolutionären zellen noch seine
Gültigkeit hat. Die "Vermassung" wurde nicht mehr propagiert.
Zum .ersten Mal wurde mit der Flüchtlingskampagne ein thematischer
Schwerpunkt gesetzt , ohne daß es eine Bewegung im
linksradikalen Spektrum dazu gab. Dies und die Tatsache, daß
die Flüchtlingskampagne von einem geschlossenen Kreis von revolutionären
zellen getragen wurde, warf für uns die Frage auf, ob es überhaupt
möglich ist, sich als neue revolutionäre zelle an der
Flüchtlingskampagne zu beteiligen. Aus verschiedenen Überlegungen
haben wir uns dann dafür entschieden.
Für uns als gemischt Gruppe war es von Bedeutung daß
wir uns auf die Geschichte der beiden militanten Zusammenhänge
revolutionäre zellen und rote zora beziehen konnten. Uns ist
klar, daß sich der Widerspruch, aus einem gemischten Zusammmenhang
heraus gegen patriarchale Strukturen zu kämpfen, nicht auflösen
läßt. Nur durch ständige Auseinandersetzungen läßt
sich auch in einer militanten Gruppe eine Basis Zur Zusammenarbeit
erhalten bzw. weiterentwickeln. Das heißt nicht, daß
an ihr um jeden Preis festgehalten werden muß. Organisierung
von Frauen entwickelt sich unabhängig von Männern und
gemischten Zusammenhängen und zum Teil aus Konfrontation und
Abgrenzung heraus. Zwischen den Männern und Frauen der revolutionären
zellen sind solche Prozesse gelaufen und Frauen haben die ihnen
notwendig erscheinenden Konsequenzen gezogen.
Wir stehen hinter dieser Geschichte als Teil der Geschichte der
revolutionären Kampfes in der BRD, weil er nicht nur unsere
Köpfe, sondern auch unsere Herzen erreichte. Wir wollen uns
auf andere militanten Gruppen beziehen und eine gemeinsame Auseinandersetzung
beginnen. Dies schien uns mit den revolutionären. zellen aufgrund
ihrer langen Widerstandsgeschichte eher möglich zu sein als
mit anderen militanten Gruppen, deren Kontinuität wir nicht
einschätzen konnten. Die Entscheidung als revolutionäre
zelle zu kämpfen, war gleichzeitig die Entscheidung unseren
Teil an Kontinuität und Verbindlichkeit zur Weiterentwicklung
revolutionären Widerstandes beizutragen. Wir wollten unsere
Vorstellungen und Fragen vermitteln, um die Flüchtlingskampagne
weiter voranzubringen .
Wir hatten vor, unsere Überlegungen zu diesem Schritt vor
unserer praktischen Intervention öffentlich zu machen und eine
Diskussion zu beginnen. Diesen Ansprüchen sind wir aber aus
verschiedenen Gründen nicht gerecht geworden und wir sehen
es als Fehler an, daß wir diese Vermittlung nicht vor der
Aktion hingekriegt haben. Denn unser Ziel war es auch, den Mythos
um die revolutionären zellen abzubauen. Unser Vorgehen hat
diesen Mythos nur reproduziert.
radi: Was verbindet ihr mit dem ursprünglichen Ansatz der
revolutionären zellen ? Verfolgt ihr weiterhin ein Konzept
der sogenannten "Vermassung" ("Schafft eins, zwei, viele..."), wie
es die revolutionären zellen früher propagierten?
rz: Wir verbinden mit dem ursprünglichen Ansatz der revolutionären
zellen nach wie vor ein brauchbares Konzept für uns, um revolutionäre
Politik weiterentwicklen zu können. Die Qualität zeigt
sich in der autonomen Organisierung, die den politischen und strukturellen
Ungleichzeitigkeiten Rechnung trägt und trotzdem die Möglichkeit
beinhaltet, sich gemeinsam zu organisieren, um ein politischer Faktor
zu werden. Hinter dem Konzept steckt die Einsicht, daß im
Widerstand die praktischen Handlungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt
sein dürfen. Das Konzept transportiert die Erfahrung, daß
militante Politik aus dem Alltag heraus und aus legalen Zusammenhängen
entwickelt werden kann.
Wir sehen in dem Konzept immer noch die Möglichkeit einer
Verbreiterung nach der Parole "Schafft eins, zwei, viele...". Aber
nicht gedacht als ein Aktionsmodell, das die Mittel loslöst
aus der politisch-inhaltlichen Diskussion. Etwa nach dem Schema:
Aktion, Vermittlung, Verankerung, Vermassung. Das ist zu linear
und statisch angelegt. Vermittlung, Verankerung und politische Weiterentwicklung
müssen in einen Prozeß wechselseitiger Diskussionen eingebettet
sein. Unter politischer Vermittlung, verstehen wir mehr als Aktionserklärungen.
radi: Begreift ihr euch eher als Avantgarde Oder als Bestandteil
einer Bewegung, in der ihr nur eine andere Praxis habt?
rz: Die Beantwortung der Frage hängt im Wesentlichen davon
ab, wie der Begriff" Avantgarde" bestimmt und in welchem politischen
Kontext er benutzt wird. Er hat seinen Sinn in der ML-Politik. Für
unsere Strukturen ist der Begriff unbrauchbar, weil wir ein anderes
Politikverständnis haben (sollten), woraus sich eine andere
Organisierung ergibt.
Die Probleme und Widersprüche innerhalb unserer Strukturen
lassen sich mit diesem Begriff weder fassen noch lösen. Trotzdem
wird der Begriff oft benützt, um Konflikte und Widersprüche
klar zu kriegen (z.B. informelle Hierarchien, männliches Politikverständnis,
Unverbindlichkeiten, usw.). Auch die Gegenüberstellung " Avantgarde
oder Bestandteil einer Bewegung" trifft die Problematik nicht.
Wenn z.B. eine Gruppe eine Initiative ergreift und damit politische
Vorgaben macht, wird die Vermittlungsarbeit entscheidend. Gelingt
sie nicht oder wird sie unterlassen, isoliert sich die Initiative.
Die Distanz wird dann oft mit dem Vorwurf der Avantgarde erklärt.
Häufig wird das Spannungsverhältnis zwischen militanter
und nicht militanter Praxis zum Problem, weil eine hierarchische
Bewertung der Mittel vorgenommen wird.
radi: Der Traditionsverein hat dieses Konzept (also der Vermassung)
irgendwann über Bord geworfen, ohne noch was dazu zu sagen.
Wie stellt ihr euch die Zusammenarbeit zwischen der Politik der
revolutionären zellen und dem sogenannten legalen Bereich vor?
rz: In den letzten Jahren hat keine Zusammenarbeit mit den legalen
Bereichen stattgefunden. Das liegt unseres Ermessens daran, daß
der Austauschprozeß aufgegeben bzw. nicht entwickelt worden
ist. Dieses Unvermögen, als revolutionäre zelle kontinuierlich
im politischen Prozeß präsent zu sein, fällt uns
jetzt ALLEN auf die Füße. Die Praxis der revolutionären
zellen wird nur noch als randständig wahrgenommen und ihr Beitrag
zur revolutionären Politik erscheint als relativ gering. es
sind unseres Ermessens nicht die welthistorischen Veränderungen,
die für die Schwäche der revolutionären zellen verantwortlich
sind, sondern die eigenen Unterlassungen, Fehler und Ungenauigkeiten,
aber auch die fehlende Bezugnahme der Bewegung.
Wie steIlen wir uns also eine Zusammenarbeit vor, und welche Probleme
und Widersprüche müssen dabei berücksichtigt werden?
Ein Problem bei der Verankerung der Politik der revolutionären
zellen besteht in den Ungleichzeitigkeiten der linken Kämpfe
sowohl inhaltlich als auch in der Wahl der Mittel. Daraus ergeben
sich Probleme des Austausches und der Vermittlung. Dabei geht es
nicht, einfach nur festzustellen, daß eine politische Orientierung
nicht aufgegriffen wurde, wie das '89 in der Erklärung zu Münster/Düsseldorf
gemacht wurde. Damals kam noch verschärfend hinzu, daß
die Linke den Schwerpunkt auf die Zusammenlegungskampagne und die
Unterstützüng des Hungerstreiks der politischen Gefangenen
gelegt hatte und daneben die Solidaritätsbewegung zum Prozeß
von Ingrid Strobl lief. Da einfach mit der Flüchtlingskampagne
weiterzumachen, und der Tatsache der Ungleichzeitigkeit nur durch
einen Seitenhieb ("die Repression wird aber nicht im Protest gegen
die Repression selbst gebrochen, sondern durch die Verankerung sozial
revolutionärer Politik") Rechnung zu tragen, war falsch und
bringt nichts. Das Wechselverhältnis zwischen militanten Gruppen
und der Bewegung entsteht also nicht automatisch und ist durch die
Herausgabe von Aktionserklärungen allein noch nicht gewährleistet.
Militante .Aktionen können also nicht monolithisch in die politische
Landschaft gestellt werden, und es kann nicht der politischen Dynamik
überlassen bleiben, was daraus wird.
Um den Austauschprozeß wieder zu entwickeln bzw. zu erweitern,
sehen wir folgende Notwendigkeiten:
-Die Bewegung muß sich zu der begonnenen Selbstkritik der
revolutionären zellen und zu ihrem Verhältnis zu den revolutionären
zellen öffentlich verhalten und in die Diskussion eingreifen.
-Die militanten Gruppen müssen die Auseinandersetzung
um ihr Verhältnis zur Bewegung öffentlich machen.
Dazu wäre ein gemeinsames Diskussionsforum, wie beispielsweise
die radikal sicherlich hilfreich.
Die revolutionären zellen sollten insgesamt mehr Präsenz
zeigen, also auch zu aktuellen Debatten und Ereignissen Stellung
beziehen und in die Diskussion eingreifen. Die revolutionären
zellen müßten sich überlegen, ob sie nicht ihr eigenes
Medium (revolutionärer Zorn) wieder reaktivieren.
Der Austausch sollte sich auf Immigrantinnen und Immigranten und
Flüchtlingsfrauen und -männer erweitern, damit auch da
Diskussionen geführt werden können.
radi: Innerhalb des Traditionsvereins gab es offensichtlich sehr
wenig konkrete Vorstellungen, wie ihre eigene Strukturen in einen
größeren Rahmen eingebunden sein könnte. Die Autoren
und Autorinnen von "Das Ende unserer Politik" schrieben:
In der Fixierung auf unsere Kampfmethoden verzichteten wir darauf,
eine theoretische politische Orientierung zu entwickeln, die mehr
beinhaltete als einzelne Versatzstücke zu bestimmten Konflikten.
Unser sozialrevolutionäres Theorieverständnis setzte sich
bestenfalls mosaikartig aus der. Summe der Kommentare und Analysen
zu den einzelnen Widerstandsfeldern zusammen, eine feste Anbindung
war so nicht möglich."
Sie stellen fest, daß in der Propagierung ihrer eigenen Kampfmittel
als "Mittel für alle" eher ein AktionsmodelI als eine politische
Theorie steckte. Es gab Zeiten, in denen das Mittel relativ massenhaft
aufgegriffen wurde (z.B. in der Startbahn- und Anti-AKW / WAA-Bewegung.
Im Nachhinein hat das aber eher den Geschmack einer kleinen Rebellion,
eine längerfristige Organisierung entwickelte sich daran nicht.
Welche Bedeutung hat dieses Mittel für euch? Habt ihr Vorstellungen,
wie sich eure Praxis in eine Organisationsdebatte einbinden läßt?
rz: Die Einschätzung, daß es bisher nicht gelungen ist,
das Konzept der revolutionären zellen inhaltlich organisatorisch
weiterzuentwickeln, stimmt natürlich. Aber ein überzeugendes
inhaltliches Konzept allein hatte diese Weiterentwicklung nicht
unbedingt gewährleistet, denn auch das kann aufgesetzt sein.
Dasselbe gilt für die praktische Seite. Über die Praxis
allein kann keine dauerhafte Entwicklung stattfinden. Es kommt also
wesentlich auf den Prozeß innerhalb der Bewegung an, der es
ermöglicht, ein Konzept weiterzuentwickeln, da dies ja nie
statisch gedacht, bzw. angewendet werden kann. Eine militante Gruppe
muß, genauso wie andere Gruppen, so flexibel sein, daß
sie auf gesellschaftliche Veränderungen oder Entwicklung in
der Linken reagieren kann und diese in das weitere Vorgehen einbeziehen.
Das heißt aus, daß eine Fixierung auf ein Kampfmittel
falsch ist öder zum Ritual verkommt, weil sich nichts mehr
daran dynamisiert oder weiterentwickelt
Von einer Gruppe oder einem einzelnen Zusammenhang ist dieser Prozeß
nicht zu gewährleisten. Die Organisationsstruktur der Bewegung
zeigt da auch ganz deutlich ihre Mängel. Kein Zusammenhang
kann sich selbstverständlich darauf verlassen, daß andere
Gruppe inhaltliche oder praktische Vorschläge aufgreifen, sich
an der Vermittlung beteiligen, bzw. sie in ihre Arbeit einbeziehen.
Diese Bedingung muß bei allen Aktionen einbezogen werden,
denn eine Arbeitsteilung in gegenseitiger Verantwortung ist kein
diskutierter Konsens in der Bewegung! Jede Gruppe ist also mit der
Notwendigkeit konfrontiert, die ganze Arbeit selbst zu übernehmen,
was eine sehr hohe Anforderung bedeutet und sehr schnell zur Überforderung
führen kann. Das heißt aber auch daß begonnene
Kampagnen reflektiert und zur Diskussion gestellt werden müssen,
wenn die Einschätzung besteht, daß sich nichts daran
entwickelt.
Von den revolutionären zellen gab es ja durchaus auch Diskussionsangebote,
die viel zu wenig aufgegriffen und diskutiert wurden (Diskussion
zum Mord an Karry, Knieschüsse /Korbmacher, lovesong). Was
die Flüchtlingskampagne betrifft, hätte viel früher
eine Diskussion beginnen müssen, Eine Organisationsdebatte
ist also notwendig und muß inhaltlich geführt werden
und nicht primär über die Mittel, wenn eine breitere Basis
entstehen soll.
Es gab Phasen, in denen die militanten Mittel massenhaft aufgegriffen
wurden, was unseres Ermessens daran lag, daß vom Stand der
politischen Konfrontation her und aus den konkreten Erfahrungen
heraus mehr politischer Sinn darin gesehen wurde, die Mittel anzuwenden.
Daß es daran keine langfristige Organisierung gab, lag unserer
Einschätzung nach daran, daß die jeweilige Bewegung politisch
gescheitert ist, also keine Verständigung über die politischen
Inhalte und Perspektiven entwickelt werden konnte. Das Weiterführen
der militanten Aktionen kann das politische Scheitern nicht retten.
radi: Durch die öffentlichen Diskussionen, die im letzten
Jahr zwischen den revolutionären zellen liefen, wird offensichtlich,
daß ihre Organisierung an der Praxis orientiert war, d.h.
das Verbindende, das Gemeinsame war ihre gleichförmige Praxis.
Zweifellos ist eine Vernetzung an praktischen Punkten notwendig,
trotzdem läuft sie Gefahr, in sich zusammenzubrechen, wenn
es keine gemeinsam diskutierte inhaltliche Bestimmung dieser Struktur
gibt. Wie seht Ihr diesen Widerspruch zwischen praktischer Organisierung
und inhaltlicher Übereinstimmung?
rz: Ganz so wie ihr sehen wir es nicht. Zumindest in der Flüchtlingskampagne
muß es zwischen den beteiligten Gruppen eine inhaltliche Übereinstimmung
gegeben haben.
Es fällt uns schwer, auf diese Frage eine auch für uns
befriedigende Antwort zu finden. Wir haben bisher keinen Anteil
an den internen Diskussionen.
Allgemeine Kritikpunkte lassen sich formulieren, z.B. am " Aktionsmodell".
Aber die bisherige öffentliche Auseinandersetzung bietet noch
zu wenig Basis, um eine abschließende Bewertung machen zu
können. Die dafür nötige Transparenz müssen
die beteiligten Gruppen leisten. UnterschiedIiche Einschätzungen
über das, was war und wie es gelaufen ist, wurden ansatzweise
in den bisher veröffentlichen Papieren deutlich ("Das Ende
unserer Politik", "Wenn die Nacht am tiefsten... ...ist der Tag
am nächsten" , "wir müssen so radikal .sein wie die Wirklichkeit").
Für uns bleibt es unklar, wo es sich um grundliegende Unterschiede
oder um nachträgliches Zurechtrücken von Positionen handelt.
Mitte der 80er haben grundsätzliche Diskussionen stattgefunden.
Die inhaltlichen Differenzen haben auch zu Konsequenzen geführt
(Ausstieg der revolutionäre zelle, die das Papier "Wenn die
Nacht am tiefsten..." geschrieben hat). Diese ganzen Prozesse werden
erst jetzt im Nachhinein bruchstückhaft sichtbar. Das erschwert
die Diskussion. Der Alleingang der revolutionären zelle, die
"Das Ende unserer Politik" geschrieben hat, drückt vielleicht
tatsächlich einen ziemlich festgefahrenen Stand der internen
Auseinandersetzungen aus. Genauso schwierig ist die Einschätzung
der Situation der roten zora und ihres Verhältnisses zum Männer-
bzw. gemischten Zusammenhang. Wir finden es wichtig, daß sich
die rote zora dazu äußert.
Von außen betrachtet scheint uns z.B. der im Papier "Das
Ende unserer Politik" sichtbare Widerspruch zwischen ntirassistischem
und antipatriarchalem Schwerpunkt nicht unüberbrückbar.
Natürlich immer unter der Voraussetzung, daß wir nicht
umhin kommen, nach politischen Wegen zu suchen, Wie gemeinsames
und sich trennendes auch in der Praxis seinen Ausdruck finden kann.
Doch ohne Berücksichtigung der realen Konflikte, die an den
inhaltlichen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen gelaufen
sind, nützen solche Aussagen wenig.
radi: Ihr habt die Flüchtlingskampagne des Traditionsvereins
aufgegriffen. In wieweit habt ihr euch da auf "existierende" Gemeinsamkeiten
mit dem Traditionsverein bezogen, wo seht ihr die oben genannten
politischen Eckpfeiler, wo sind eure Differenzen?
rz: Unsere Positionen haben sich seit unserer Entscheidung, uns
in die lüchtlingskampagne einzuklinken, weiterentwickelt. Was
wir hier sagen, drückt unseren jetzigen iskussionsstand aus.
Die Flüchtlingskampagne hat uns deutlich gemacht, daß
sich antiimperialistische Politik und Solidarität auch auf
Flüchtlingsfrauen und -männer hier beziehen kann und muß.
Wir teilen die Einschätzung der revolutionären zelle von
'86: "Was momentan vor sich geht, ist eine gigantische Umschichtung
der Weltbevölkerung, deren Ausmaß die Migrationsbewegungen
des 19. Jahrhundertes in den Schatten stellt und deren metropolitane
Gestalt bisher nur die Spitze des Eisbergs darstellt."
Es wirft ein schlechtes Licht auf die Linke, wie wenig bis dahin
Flucht- und Migrationsbewegungen als Folge imperialistischer Ausbeutungs-
und Zerstörungspolitik im Bewußtsein waren, uns wie wenig
sie sich mit der Situation und den Lebensbedingungen der, Flüchtlingsfrauen
und -männer, der Imigrantinnen und Immigranten hier auseinandersetzte.
In der Flüchtlingskampagne sehen wir eine gute Möglichkeit,
die verschiedenen gesellschaftlichen Widerspruchslinien zu thematisieren,
d.h. die patriarchalen, rassistischen und kapitalistisch-imperialistischen
Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse deutlich zu
machen. Potentiell lassen sich mit der Flüchtlingskampagne
auch Bezüge zu anderen thematischen Bereichen und Kämpfen
wie z.B.. gegen Bevölkerungspolitik und Sextourismus, zu Häuserkampf
und Stadtteilarbeit; Antifa und gegen EG'92 herstellen.
Schon zum Zeitpunkt unserer Entscheidung war uns der sozialrevolutionäre
Ansatz, den die revolutionären zellen mit der Flüchtlingskampagne
verbanden, unklar und zu wenig präzisiert. Die Analyse und
Definition des revolutionären Subjekts, zu denen "ausgesteuerte
Proleten, arbeitslose Jugendliche und Marginalisierte" gezählt
werden ist geschlechtsneutral gehalten und doch männlich besetzt.
Frauen kommen, wenn überhaupt, nur am Rande vor. .
Dahinter versteckt sich unausgesprochen die Hoffnung, daß
sich ein nur nach sozialen und ökonomischen Kriterien bestimmbarer
Teil der Bevölkerung als revolutionäres Subjekt erweisen
soll. Wir. Finden diesen Ansatz falsch, weil die Revolten und Riots
dieser sogenannten Unterklasse verklärt und überbewertet
werden. Wir haben es aufgegeben, das revolutionäre Subjekt
ausfindig zu machen und wir sehen es auch nicht in den Flüchtlingsfrauen
und -männern.
Die Entscheidung für die Flüchtlingskampagne war für
uns mit dem Anspruch verbunden, nach Bezugspunkten zu öffentlichen
Gruppen, die in diesem. Bereich arbeiten, zu suchen.
Wir finden es wichtig, daß politisch auf allen Ebenen gegen
die imperialistische Flüchtlingspolitik gearbeitet wird. und
auch eine Zusammenarbeit mit Flüchtlingsfrauen und -männern,
Immigrantinnen und Immigranten entwickelt wird.
Ein weiterer Unterschied besteht darin daß wir uns bewußt
auf die
Erfahrungen beziehen, die in der Unterstützungsarbeit und
Antirassismusarbeit gemacht wurden. Sie haben wesentlich unsere
Diskussionen und Vorstellungen beeinflußt. Die Zusammenarbeit
mit Flüchtlingsfrauen und -männern, Immigrantinnen und
Immigranten und die Erfahrungen mit ihren eigenständigen Kämpfen
zwangen die Linke (die in diesem Bereich tätig war und ist)
zur Auseinandersetzung mit ihren eigenen rassistischen Strukturen
und zur Überprüfung ihres Verständnisses von antirassistischer
Arbeit. Zunächst mußte wir uns überhaupt erst mal
mit Rassismus als einem Grundpfeiler zur Durchsetzung von Herrschafts-
und Ausbeutungsverhältnissen und seinen jeweiligen Erscheinungsformen
auseinandersetzen. Eine Abschaffung eigener rassistischer Strukturen
läuft nicht per Willenserklärung, sondern gestaltet sich
viel anstrengender und schwieriger als rsprünglich gedacht.
radi: Wie lässt sich der Anspruch einer, Verbreiterung der
sozialen Basis mit dem Engagement bei der Flüchtlingskampagne
vereinbaren? Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik setzt doch
ein hohes Bewußtsein voraus, wird also nur bei einem engen
Kreis auf Interesse stoßen. Eine sozialrevolutionäre
Ausrichtung würde doch sicher z.B. im Stadtteil, Wohnungskampf,
Arbeit eher aufgegriffen werden?
rz: Natürlich haben wir den Anspruch ein Basis für unsere
Politik zu finden, die sich mögIichst noch verbreitert. Für
uns steIlt sich jedoch die Frage: Welche Inhalte werden in den jeweiligen
Kämpfen mitgetragen ? So wenig wie sich Männer selbstkritisch
zu antipatriarchaIen Inhalten bekennen und diese in ihrem Verhalten
umsetzen werden, genauso wenig werden Weiße einfach bereit
sein, rassistische Unterdrückungsverhältnisse konsequent
anzugreifen, von denen wir auch mitprofitieren. Dieser Ansatz setzt
ein Bewußtsein und eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung
mit der eigenen Eingebundenheit in dieses System voraus. Das ist
leider nicht die Regel. Aber gerade deshalb sind die Versuche der
Thematisierung dieser Unterdrückungsformen notwendig.
Unter bestimmten Bedingungen gibt es eine größere Chance,
daß sich in der Stadtteilarbeit, im Wohnungskampf und bei
der Lohnarbeit eher Kämpfe entwickeln und sich verbreitern,
weil sich die Betroffenen perspektivisch eine Verbesserung ihrer
Lage erhoffen. Doch müssen solche Kämpfe nicht durchweg
emanzipatorischen Charakter haben. Z.b. kann der Kampf für
die Erhaltung des eigenen Arbeitsplatzes mit rassistischem Verhalten
und rassistischer Ausgrenzung verbunden sein. Der rassistische Konsens
der Gesellschaft macht deutlich, daß antirassistische Arbeit
in allen gesellschaftlichen Bereichen notwendig ist.
radi: Bis auf einige analytische Einsprengsel in den Erklärungen
(Lufthansa Köln 10/86, Münster und Düsseldorf
5/89 und Ausländerbehörde in Böblingen 8/91) hatte
die Flüchtllngskampagne keinen antipatriarchalen Anspruch
und dementsprechend keine Formen der praktischen Umsetzung entwickelt.
Das einzige Papier zum. Thema "Was ist das Patriarchat?" tauchte
unvermittelt, ohne Bezug zur Flüchtlingskampagne auf
und ging in der Folge auch wieder ohne Reaktionen oder Diskussionen
unter den revolutionären zellen unter. Innerhalb der revolutionären
zellen hat sich weder ein theoretischer noch praktischer Ansatz
daraus entwickelt, es wurde sich nicht mal darauf bezogen und das
Thema aufgegriffen. Die Autorinnen und Autoren des Papiers "Das
Ende unserer Politik" bezeichnen ihren Entwicklungsstand zum. Thema
als nicht politikfähig. Wie seht ihr das? Diskutiert ihr über
Möglichkeiten, wie Männer- oder gemischte Gruppen. praktische
Ansätze oder Aktionen gegen patriarchale und sexistische Strukturen
entwickeln können? Wenn nein, warum nicht?
rz: Die in den 3 genannten Erklärungen gemachten Aussagen
zum. Patriarchat sind nicht sehr umfassend. Wir denken, sie drücken
das gemeinsame Niveau der jeweiligen Gruppe in Bezug auf die antipatriarchale
Diskussion aus. Für Frauen sind sie sicher nicht Ausdruck des
Stands ihrer eigenen Diskussionen, wohl mehr für den der Männer
in den Gruppen.
In unserer Gruppe ist es so, daß wir Frauen keine Positionen
mittragen, die die Männer sich nicht selbst erarbeitet haben.
Das bedeutet einen permanenten politischen Widerspruch für
uns Frauen in der Gruppe. Für uns Männer bedeutet das
den Anspruch, eine eigenständige Patriarchatsdiskussion weiterzuentwickeln,
um für die weitere Praxis eine bessere Grundlage in der Gruppe
zu gewährleisten. Wir Frauen verstehen unter besserer Grundlage
nicht nur die Auseinandersetzung mit feministischen Theorien und
die Erarbeitung antipatriarchaler Ansätze, sondern wir erwarten
vor allem auch, daß sich dies im Verhalten gegenüber
uns unter den Männer niederschlägt .
Real ist von uns Männer diese eigenständige Entwicklung
nicht gelaufen, sondern sie läuft nur über Konflikte und
Konfrontationen. Dadurch begrenzen wir die Handlungsfähigkeit und
Ausdrucksmöglichkeiten der Frauen in der Gruppe. Wenn wir Frauen
uns die ganzen Widersprüche und unterschiedlichen Ausgangsbedingungen
zwischen uns und den Männern herholen, finden wir nur wenig
Gründe, die für einen gemischten Zusammenhang sprechen.
Daß er besteht, ergibt sich vor allem auch aus unserer Geschichte
und den daraus entstandenen Beziehungen. Die Widersprüchlichkeit
und Brüchigkeit, die hinter dieser Entscheidung steht, bedeutet,
daß der Zusammenhang auch immer wieder in eine Krise fällt
oder in Frage steht.
Dieses Gefälle in der Patriarchatsdiskussion zwischen Männer
und Frauen ist unseres Erachtens bis heute in der bundesweiten gemischten
linksradikalen Bewegung gegeben und somit die Ausgangsbedingung
für gemischte Politik. Der Diskussionstext "Was ist das
Patriarchat?" ist für uns Männer ein Beispiel dieses Gefälles.
Er brachte die Diskussion unter Männer nicht viel weiter, weil
typischerweise die eigene männliche Rolle rausgelassen wurde.
Die Distanz drückte sich für uns unter anderem in der
Sprache aus. Ein Gruppendiskussionsprozeß wurde nicht sichtbar.
Eine Diskussion um diese Problematik hat uns ganz aktuell wieder
einmal in heftige Widersprüche und Konflikte gestürzt.
Nicht nur theoretische Unklarheiten, sondern vor allem unser Verhalten
als Männer gegenüber Frauen und unter uns Männern
hat uns die Kluft zwischen Anspruch und mangelnder Umsetzung vor
Augen geführt. Für diese Auseinandersetzung müssen
wir uns die nötige Zeit nehmen. Doch genau diese eigenständige
Auseinandersetzung unter den Männern muß für uns
Frauen sichtbar werden, damit die Grundlage für eine weitere
gemischte Politik möglich bleibt.
Um es noch einmal zusammenzufassen: Was die Möglichkeit der
praktischen Ansätze und Aktionen explizit gegen sexistische
Strukturen betrifft, überwiegen bei uns die Unsicherheiten
und Vorbehalte. Auf der theoretisch-analytischen Ebene haben wir
einen Konsens gefunden, der sich trotz der Konflikte als tragfähig
erweist, was aber nicht damit gleichgesetzt werden kann, daß
er für uns .Frauen immer befriedigend ist. Die Objekte, Strukturen,
Täter, die aus feministischen Zusammenhängen heraus angegriffen
werden, können wir uns als gemischte Gruppe vom jetzigen Stand
aus nicht als Angriffsziele vorstellen. Als gemischte Gruppe halten
wir es für richtig an allen Angriffszielen die sexistischen
Strukturen herauszuarbeiten, auch da gibt es noch viel zu tun und
das schafft vielleicht die Basis, daß sich auf der praktischen
Ebene perspektivisch mehr Möglichkeiten ergeben.
Die Konflikte, die auch in den gemischten militanten Zusammenhängen
zwischen den Männern und den Frauen aufbrechen, müssen
öffentlich diskutiert werden, um eine inhaltliche und praktische
Weiterentwicklung zu ermöglichen.
radi: Die praktischen Angriffsziele von revolutionären zellen
Innerhalb der Flüchtlingskampagne waren fast ausschließlich
die Institutionen u.a. ausführender Organe des staatlichen
Rassismus gegen Flüchtlingsfrauen und -männer, Immigrantinnen
und Immigranten. Die theoretische Grundlage der Flüchtlingskampagne
ist weiter gefaßt. Da wird der Zusammenhang zwischen imperialistischer
Vernutzung, Ausbeutung ganzer Kontinente, Zerstörung von Subsistenzwirtschaft
und damit der Lebensgrundlage von Millionen von Menschen usw. als
Ursache der weltweiten Flüchtlingsströme benannt Dieser
Zusammenhang wurde in den Angriffszielen selbst nicht sichtbar.
Es hätten doch im Rahmen der Flüchtlingskampagne ja auch
einzelne Aktionen laufen Können, worin sich auch diese imperialistischen
Grundlagen der staatlichen Flüchtlingspolitik verdeutlichen
wie z.B. durch die Aktionen der roten zora gegen Adler, in deren
Bestimmung mehrere Bezugslinien zusammenlaufen: 1. Ein Metropolenunternehmen
läßt in einem Trikontland produzieren. 2. Ausbeutung
von Frauenarbeit. 3. Eingriff in einen aktuellen Arbeitskampf.
Sind da Diskussionen gelaufen, das nicht zu tun, z.B. weil's vielleicht
kräftemäßig nicht machbar war? Gab's politische
Argumente dafür sich ausschließlich auf Objekte und Personen
des staatlichen Rassismus zu konzentrieren?
rz: Diese Frage können wir nur von uns aus beantworten, da
wir nicht an der internen Diskussion in den revolutionären
zellen beteiligt waren und sind. So wie die Flüchtlingskampagne
inhaltlich begonnen hat und weiterentwickelt wurde, schien es uns
einleuchtend, sich vorläufig auf den staatlichen Rassismus
als Angriffsziel zu konzentrieren. Es wurde deutlich, welche Funktion
die herrschende FlüchtIingspolitik hat, und wie sie auf den
verschiedenen Ebenen durchgesetzt wird vom Sozialamt, über
die Ausländerbehörden bis zu den Verwaltungsgerichten.
Neben der strukturellen Funktionsweise ist durch die Kampagne die
Auseinandersetzung um die verantwortlichen, also die Schreibtischtäter
und Schreibtischtäterinnen und deren Rassismus ins Licht gerückt
worden.
Perspektivisch können wir uns aber trotzdem vorstellen, daß
eine praktische Erweiterung der Kampagne möglich ist, weil
dies auch theoretisch angelegt ist. Sie bietet die Möglichkeit,
alle Ausbeutungsverhältnisse und Ausgrenzungsstrukturen praktisch
anzugehen, sowohl in ihrer Unterschiedlichkeit als auch in ihrem
Zusammenwirken.
Eine praktische Umsetzung sollte aber nur auf einer inhaltlich
erarbeiteten Grundlage geschehen (siehe dazu die Patriarchatsdiskussion
in der vorherigen rage). Natürlich könnten innerhalb der
Flüchtlingskampagne Angriffe gegen Frauenhändler stattfinden,
die ihr Geld über den Sklavinnenhandel mit Flüchtlingsfrauen
und Immigrantinnen machen. Genauso Angriffe auf Firmen und Kapitalisten,
die Kapital daraus schlagen, daß sich Flüchtlingsfrauen
und -männer, Immigrantinnen und Immigranten zu Billigstlöhnen
hier in den Metropolen verkaufen müssen. Ebenso Angriffe auf
Faschisten und ihre Propandastrukturen, aber auch Angriffe auf die
bürgerlichen Medien, die sich an der rassistischen und sexistischen
Hetze gegen Flüchtlingsfrauen und -männer, Immigrantinnen
und Immigranten beteiligen. Daß solche Aktionen innerhalb
der Flüchtlingskampagne bisher nicht gelaufen sind, drückt
der Stand der inhaltlichen Auseinandersetzung oder der Widersprüche
aus.
In Bezug auf die Adler-Aktion haben wir eine andere Sichtweise.
Die Adler-Aktion wurde aus Frauenzusammenhängen heraus entwickelt
und umgesetzt. Ein Vergleich mit Aktionen aus gemischten Zusammenhängen
ist daher aus oben erwähnten Gründen nicht so ohne weiteres
möglich. Daß sich die Aktion so gut vermittelt hat, hängt
unserer Meinung nach an der Kombination von Öffentlichkeitsarbeit,
angewandtem Mittel, großem Schaden und der Tatsache, daß
letztlich die Forderungen der koreanischen Arbeiterinnen erfüllt
wurden. Die Meinung, daß sich an der Adler-Aktion mehr Bezugslinien
praktisch umgesetzt hätten als an einer Aktion innerhalb der
Flüchtlingskampagne, teilen wir nicht.
An einer Aktion innerhalb der Flüchtlingskampagne können
kapitalistische, rassistische und sexistische Ausbeutungsinteressen
gleichermaßen deutlich werden. So sichern beispielsweise die
Abschiebegesetze und die Bestimmungen der "Ausländergesetze"
in ihrer Funktion als Selektionsinstrumente unmittelbar die kapitalistische
Verwertung der Flüchtlingsfrauen und -männer, Immigrantinnen
und Immigranten. Darüber hinaus werden die sexistischen Aspekte
der Gesetze deutlich in der Nichtanerkennung eigenständiger
Frauenfluchtgründe, was mit dafür verantwortlich ist,
daß Frauenmigration auch auf die Ebene von Heiratsmarkt und
Zwangsprostitution gezwungen wird. Außerdem wird über
die Thematisierung der Fluchtursachen auch das Wüten der Konzerne
im Trikont sichtbar.
radi: Die Orientierung der Flüchtlingskampagne auf die ausführenden
Organe des staatlichen Rassismus läßt den Rassismus "im
Volk" völlig außen vor. Dazu ein Zitat aus dem "zorn
- extra, 9. Zeitung der revolutionären zelle Okt '86:"
Antiimperialistische Politik in der BRD hat sich bisher an den beiden
Polen der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen der 3. Welt
und der Bekämpfung der imperialistischen Kriegsmaschine orientiert.
Wir haben nicht die Illusion, daß die Immi grantinnen und
Immigranten, Flüchtlingsfrauen und -männer in der BRD
mit Teilen der westdeutschen Unterklassen rasch gemeinsame Interessen
entwickeln können. Trotzdem muß Antiimperialistische
Politik genau da angesiedelt sein, wo sich rassistisch vermittelte
Klassenspaltungen tendenziell aufbrechen lassen. "
Die Autorinnen und Autoren gehen in diesem Zitat, sowie im
gesamten Text davon aus, daß Rassismus als Herrschaftsinstrument
zur Spaltung der Unterklassen, des Proletariats genutzt wird.
Heute zeigt das Proletariat und andere Schichten, daß
es einen eigenen Ausdruck des Rassismus hat (z.B. Pogrome wie
in Hoyerswerda, Mannheim, Rostock...) und auch gewissermaßen
eigene Interessen verfolgt ("Ausländer raus!"), die teilweise
über das hinausgehen, was staatlicher Rassismus, gutheißt
(z.B. Morde in Mölln).
Die Pogrome, die massiven Angriffe und Morde an Flüchtlingsfrauen
und -männern, Immigrantinnen und Immigranten beweisen in längst
vergessener Weise, daß das Proletariat, genauso wie alle anderen
Schichten deutscher Frauen und Männer eine Art Herrenmenschentum
verinnerlicht hat, das Haß auf alles "Andere", Nicht-selbstgelebte
bedeutet. Dieser Rassismus unterscheidet im Gegensatz zu staatlichem
Rassismus nicht, ob ausländische Menschen verwertbar sind oder
nicht. Dieses verinnerlichte Herrenmenschentum ist in der Rassismusanalyse
bislang wenig berücksichtigt worden. Das weiße Metropolenproletariat
ist zumindest für die hiesigen Linken immer noch Hoffnungsträger
revolutionärer Umwälzungen, dessen Rassismus als "Manipulation
-von oben" verharmlost wird.
Die Flüchtlingskampagne hat sich in erster Linie gegen den
staatlich verordneten Rassismus gerichtet. Ihr seid davon ausgegangen,
daß der Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht der Flüchtlingsfrauen
und -männer unter Umständen von den weißen Schichten
das Proletariats isoliert bleibt.
"Noch wissen wir nicht, ob sich an der Flüchtlings antiimperialistische
Politik mit Konfrontationslinien im entgarantierten Sektor verbinden
wird, aber der Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht für
Flüchtlingsfrauen und -männer ist auch dann richtig, wenn
er vorerst von den weißen Schichten des hiesigen Proletariats
weitgehend isoliert bleibt."
Wie geht ihr mit der Entwicklung in den letzten 3 Jahren um, wo
Rassismus nicht nur von. breiten Teilen der Bevölkerung ignoriert
wird, sondern diese Bevölkerung samt dem Proletariat sich als
zutiefst rassistisch erweist?
rz: Die bisherigen Mängel der Flüchtlingskampagne
werden zum Teil in den öffentlichen Stellungnahmen selbstkritisch
reflektiert: "Die Mängel sehen wir u.a. darin, daß
wir unseren Kampf nur auf den staatlichen Rassismus bezogen haben,
auf die Ausländerämter, die Gerichte, auf die Täter
von Ausweisung und Abschiebung. Den Rassismus großer Teile
der Bevölkerung haben wir zur Kenntnis genommen." (aus: "Wir
müssen so radikal sein wie die Wirklichkeit").Wir schließen
uns dieser Selbstkritik an, obwohl wir das schwerpunktmäßige
Ansetzen am staatlichen Rassismus zum damaligen Zeitpunkt richtig
finden.
85/86 eröffneten die Politiker, und Politikerinnen eine neue
Runde in der Hetze gegen die Flüchtlingsfrauen und -männer,
die weitere Abschreckungs- Abschottungs- und Selektionsmaßnahmen
legitimieren sollte. Z.B. wurde die DDR mit zinslosen Krediten
geködert und ließ daraufhin keine Flüchtlingsfrauen
und –männer mehr ohne Visa nach Westberlin; die Asylrechtssprechung
wurde verschärft, indem die Verwaltungsgerichte massenhaft
die Anerkennungsbescheide von Flüchtlingsfrauen und -männern
kippten. Das Klima in der Bevölkerung wurde angeheizt, z.B.
durch Errichtung von Zeltstädten. Die Folgen drückten
sich unmittelbar in Anschlägen und Gewalt gegen Flüchtlingsfrauen
und männer und ihre Unterkünfte aus.
Diese Dimension des Rassismus uns seine Ursachen in der Bevölkerung
sind sehr vernachlässigt worden, nicht nur von den revolutionären
zellen, sondern von der gesamten Linken, der autonomen und der feministischen
Bewegung. Der Rassismusbegriff war entweder reduziert (Spaltungsmittel
der Herrschenden) oder inhaltlich kaum gefüllt.
Inzwischen ist uns bewußt geworden, daß die verinnerlichten
rassistischen Denk-, Handlungs- und Gefühlsstrukturen wesentliche
Organisationsmerkmale der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur
sind. die koloniale Geschichte und BRD-speziell die nationalsozialistische
Vergangenheit widerspiegeln. Der Prozeß der Verinnerlichung
reproduziert sich ständig in Menschen. Daß das fast
immer zugunsten der Herrschenden aufgeht, liegt unseres Ermessens
daran, daß es sich für jede Person scheinbar auszahlt.
Das heißt, daß das eigene Selbstwertgefühl durch
Ausgrenzung oder Abwertung anderer erhöht wird, bis hin zur
realen Sicherung eigener Privilegien und materieller Interessen.
In diesem Prozeß sind die Menschen also nicht nur Opfer oder Verführte
der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern auch aktiv
Beteiligte.
Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre und die damit
einhergehende Schärfe des Aufbrechens von Rassismus war
in seiner Gesamtdimension für uns nicht vorhersehbar. Ein
wesentlicher Kristallisationspunkt für diese Entwicklung, war
die "Wiedervereinigung" und das damit verbundene massenhafte Aufbrechen
von Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus. Das Bestehen zweier
deutscher Staaten war zwar immer der sichtbare Ausdruck der Niederlage
des Nationalsozialismus. Mit der "Wiedervereinigung" wurde die Nachkriegsära
für beendet erklärt. Deutschland darf wieder aus seinem
braunen Schatten treten. Die Zeit der Zurückhaltung und Sühne
ist vorbei. Deutschland darf und soll sich wieder als vollständige
Nation fühlen. Doch dieses Nationalgefühl läßt
sich nach 40 Jahren Zweistaatlichkeit nicht ohne weiteres wiederherstellen.
Dafür sind die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen
Unterschiede zu groß. Das Einzige was die Menschen über
alle bestehenden Unterschiede und Widersprüche an Gemeinsamkeit
an ge boten wird, ist ihr Deutschsein zw. eine angebliche deutsche
Identität. Diese macht sich an der deutschen Volkszugehörigkeit
fest. Mit ihr verbindet die Vorstellung der Überlegenheit deutscher
Kultur, Normen und Werte. Mögen diese Begriffe im Einzelnen
noch so verwaschen sein, so wird damit doch die freiwillige Einbindung
in die bestehende Herrschaftsstruktur erreicht. Die Konstruktion
einer deutschen Identität braucht die gleichzeitige Konstruktion
einer als minderwertig eingestuften ethnischen Gruppe und sie gelingt
nur in Abgrenzung von fremd konstruierten Menschen. Die Wiedervereinigung
hat so mehrere Tabus gebrochen. Das Volk ist wieder stolz, deutsch
zu sein, die deutsche Geschichte wird revidiert, antisemitische
und rassistische Muster nehmen wieder zu und Pogrome, Vertreibungen,
antisemitische Aktionen und rassistische Morde werden von vielen
als legitime politische Handlungsweise empfunden und offen befürwortet:
Der Nationalismus großer Teile der Bevölkerung macht
es den Herrschenden möglich, jetzt z.B. den uneingeschränkten
Einsatz der Bundeswehr durchzusetzen. Somit ist es dem BRD-Imperialismus
möglich, neben seiner ökonomischen auch seine militärische
Vormachtstellung innerhalb der EG und weltweit zu festigen und auszubauen.
Die radikale Linke ist dieser Entwicklung gegenüber relativ
hilflos, weil die Begrenztheit unserer bisherigen politischen Theorie
und Prags offen zu Tage tritt. Auch der militante Angriff auf den
staatlichen Rassismus ist eben nur ein Teil des Kampfes.
Deshalb ist es wichtig, daß auch im legalen Bereich am Aufbau
von Strukturen gearbeitet wird, die nicht nur Schutz und Verteidigung
oder Angriffe gegen Rassisten und Faschisten oder deren Strukturen
möglich machen, sondern auch die Voraussetzung bieten in die
öffentliche Auseinandersetzung einzugreifen. Wir halten es
aber auch für falsch wenn in Bezug auf die Bevölkerung
ein entweder/oder Denken das politische Handeln bestimmt. Wir müssen
versuchen, die Menschen für eine antirassistische Alternative
zu gewinnen, auch wenn sie nicht gleich und von a bis z unsere Positionen
teilen. Eine antirassistische Perspektive wirklich zu füllen,
also nicht nur in den Kampf gegen... ist eine Aufgabe die wir nicht
vor uns her schien dürfen.
radi: Neben diesem eben angesprochenen "völkischen Rassismus"
stellen wir immer wieder fest, daß auch die "Linke" nicht
frei von Rassismen ist. Seht ihr das auch so? Wenn ja: Wie geht
ihr mit dieser Selbstkritik um?
rz: In eurer vorherigen Frage bezeichnet ihr die Bevölkerung
und das Proletariat , als "zutiefst rassistisch", während
ihr jetzt von der Linken sagt, daß sie nicht frei von Rassisten
sei. Die Art der Formulierung und Unterscheidung drückt für
uns. schon die Ungenauigkeit des Umgangs mit dem eigenen Rassismus
aus. Linke sind wir nicht weniger "zutiefst rassistisch" in dem
Sinne, daß unsere Wahrnehmung, unser Denken, unsere Gefühle
und Verhaltensweisen rassistisch geprägt und verinnerlicht
sind. Nur drückt sich das oft subtiler aus. Bei der Auseinandersetzung
über die weißen Flecken antirassistischer Politik steht
die Linke noch an ihrem Anfang. In der Flüchtlingskampagne
wurde dieser Punkt fast garnicht thematisiert. Der Rassismusvorwurf
an uns Linke und Feministinnen hat seine Berechtigung. Dies muß
zur Bereitschaft führen die eigenen theoretischen Ansätze
auf eurozentristische Sichtweisen hin zu überprüfen. Wir
könne nicht von einer gemeinsamen Front von Kreuzberg bis Los
Angeles oder Rio reden. Was wir für uns hier in den Metropolen
als Erklärung der Verhältnisse anzubieten haben und was
wir daraus an Politik ableiten, kann nicht einfach auf die Verhältnisse
anderer Gesellschaften vor allem im Trikont übertragen und
den Menschen dort übergestülpt werden. Schnell formulierte
Gemeinsamkeiten werden der Komplexität der Herrschaftsverhältnisse
nicht gerecht. Das gilt für die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsfrauen
und -männern, Immigrantinnen und Immigranten. Im politischen
Alltag und in der Zusammenarbeit mit Flüchtlingsfrauen und
-männern, Immigrantinnen und Immigranten besteht die Notwendigkeit,
das eigene Verhalten auf seinen Rassismus hin zu überprüfen.
Über die Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Rassismus können
wir zwar unsere Wahrnehmung sensibilisieren, aber gegen die Gefahr
weiterhin rassistische Verhaltensweisen - oft in sehr subtiler Weise
- auszuüben, sind wir nicht gefeit. Darunter fällt für
uns auch der "positive Rassismus", mit dem Flüchtlingsfrauen
und -männern, Immigrantinnen und Immigranten Eigenschaften
zugeschrieben werden, die in unser Bild von ihnen hineinpassen.
Sicher besteht auch die Gefahr, daß wir Linke lernen, unser
Verhalten äußerlich der Kritik anzupassen, ohne
uns um eine gründliche Auseinandersetzung und Veränderung
zu bemühen. In ähnlicher Weise haben auch Männer
auf die Patriarchatsdiskussion reagiert, ohne sich eigenständig
Gedanken zu machen. Aber genau das ist unsere Aufgabe, wenn wir
eine Basis für eine Zusammenarbeit mit Flüchtlingsfrauen
und -männern, Immigrantinnen und Immigranten schaffen wollen.
Das heißt für uns auch, unseren Rassismus offensiv zu
thematisieren.
radi: Was steht ihr zu dem "triple-opression"-Ansatz, der u.a..
in dem "3:1" - Papier vertreten wird?
rz: Wir bewerten den "triple-opression"-Ansatz im "3:1"- Papier
als einen Versuch, zusammenhängend die unterschiedlichsten
Gewaltverhältnisse und ihre wechselseitige Durchdringung darzustellen.
Er bringt damit einen theoretischen Ansatz, der sich in der schwarzen
Frauen- und Lesbenbewegun in den letzten Jahren entwickelt hat:
in die gemischte autonomen und militante Linke. Es ist daher ein
wichtiger Text.
Daß er so begeistert aufgenommen wird, was nicht gleichsetzt
werden kann mit seiner wirklichen Aufarbeitung und Auswirkung auf
das politische Verständnis hauptsächlich von Männern,
wundert uns etwas. Vielleicht entlastet er viele Männerherzen,
weil er zu den wenigen Ausnahmen von Texten gehört, in denen
von männlicher Seite aus der Versuch gemacht wird, 'sich ernsthaft
mit Rassismus und Sexismus auseinanderzusetzen und differenzierter
Position zu beziehen.
Wir können jetzt auf den "3:1"-Text nicht inhaltlich eingehen,
weil wir das nicht so kurz machen können und wollen. Wie aus
unseren Antworten deutlich geworden ist, stehen wir in unserer analytischen
Herangehensweise diesem Ansatz nicht so fern. Genauere Diskussionen
um den Ansatz müssen auch bei uns noch geführt werden.
radi: Die Autorinnen und Autoren des Papiers "Das Ende unserer
Politik" knüpften den Erfolg der Flüchtlingskampagne an
den eigenständigen .Widerstand der hierhergekommenen Flüchtlingsfrauen
und -männer und stellen jetzt frustriert das Ausbleiben solcher
Prozesse und Kämpfe fest. Aus dem Papier "Das Ende unserer
Politik": "Zwar hatten wir nicht die Hoffnung, daß sich rasche
Verbindungslinien zwischen Flüchtlingen und hiesigen proletarischen
Schichten ergeben würden, die eine rassistische Spaltung überwinden
könnten. Aber wir phantasierten den Willen der Flüchtlinge,
in den Metropolen ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum einzuklagen,
als direkten antiimperialistischen Kampf verbunden mit trikontinentaler
Widerstandserfahrung und damit als ein mögliches Terrain unserer
eigenen Politik. Als die Kämpfe in dieser Form ausblieben,
auf die wir hätten Bezug nehmen wollen (wobei wir die vielen
"reformistischen" Forderungen von Asylsuchenden leicht übersahen),
kompensierten wir dies mit der Analyse der staatlichen Flüchtlingspolitik
und mit Angriffen auf deren zugängliche Agenturen. Habt ihr
eure Praxis zur Flüchtlingskampagne auf solche Erwartungen
gestützt und welche Rolle spielt es für euch, daß
die Flüchtlingsfrauen und -Männer sich nicht als das erhoffte
Unruhepotential herausstellen? Daß Prozesse zwischen Flüchtlingsfrauen
und - männern, unteren sozialen Schichten und radikaler, linker
Scene nicht in diesem Maße gelaufen sind, obwohl es durchaus
auch Ansätze gibt? Die Erfahrung von Unterstützer- und
Unterstützerinnengruppen, die zusammen mit Flüchtlingsfrauen
und -Männern gegen die staatliche Unterdrückung und rassistische
Angriffe Widerstand leisten, wollen wir keinesfalls unter den Tisch
kehren.
rz: Auch die Erfahrungen, die Unterstützer- und Unterstützerinnengruppen
. in ihrer Arbeit gemacht haben, zeigen; daß wir einen eurozentristischen
Blick haben und positiven Rassismus produzieren. Flüchtlingsfrauen
und -Männer, Immigrantinnen und Immigranten kommen zwar teilweise
aus Befreiungskämpfen und dem politischen Widerstand ihrer
Herkunftsländer. Sie bringen jedoch oft daraus andere politische
Erfahrungen mit hierher und sie leben und wehren sich hier auch
unter anderen Bedingungen als wir. Das Interesse von vielen Flüchtlingsfrauen
und -Männern ist nicht primär hier den antiimperialistischen
Kampf (ob mit oder ohne uns) zu führen. Viele Flüchtlingsfrauen
und - Männer unterstützen erst mal den Kampf und den Widerstand
in ihren Ländern. Oft besteht das Interesse von Flüchtlingsfrauen
und -Männern vor allem darin in Europa sicher zu leben und
ihre Existenz zu gewährleisten. Daß sie dies häufig
auf aus unserer Sicht reformistischen Wegen oder mit Überlebens-
und Existenzsicherungstechniken machen, die wir nicht kennen bzw.
ablehnen, hängt mit ihren Bedingungen und Interessen zusammen.
Daß wir allzu schnell ihre so bedingte politische mit und
ihren Widerstand aus unserer Sicht als inakzeptabel ablehnen
oder gar nicht wahrnehmen, ist unser Problem. Ein weißes Problem.
Diesen "Frust" aus falscher Erwartung haben wir dann zu recht, und
er wäre eigentlich Anlaß genug, um uns mit unserem Rassismus
und unseren Projektionen auseinanderzusetzen. Wir sollten differenzieren:
- Zwischen individuellem Fluchtinteresse bzw. Fluchtgründen
und der Tatsache, daß eine verstärkte Migration den
Herrschenden und der Bevölkerung in den Metropolen ein Problem
geworden ist, nämlich ein Problem für ihren Wohlstand
und ihre Herrschaft;
- Zwischen Lebens- und Kampfbedingungen von Flüchtlingsfrauen
und männern im Trikont und hier.
Flüchtlingsfrauen und -männer, Immigrantinnen und Immigranten
können genauso wenig als homogene politische Gruppe betrachtet
werden wie die "Unterklasse", das "Proletariat" oder die Frauen.
Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern; waren bzw. sind in
unterschiedlichen politischen Parteien organisiert, was ihre Zusammenarbeit
untereinander auch nicht einfach macht. Das wurde von weißen
Linken oft nicht wahrgenommen oder ignoriert. Wenn wir uns auf Flüchtlingsfrauen
und - männer, Immigrantinnen und Immigranten beziehen, sollten
wir unsere Vorstellungen und Erwartungen gründlicher hinterfragen,
da sonst die Gefahr besteht, wir eine auf gesetzte Solidarität
üben und paternalistisch (= bevormundend d.S) "Politik machen",
statt solidarisch zusammen Widerstand zu entwickeln bzw. zu unterstützen.
radi: Die revolutionäre zelle, die das Papier "Das Ende unserer
Politik" schrieb, stellte darin fest, daß in der antirassistischen
Arbeit sehr viele Strukturen zusammengebrochen seien, und ihre Kampagne
nicht die erwartete Resonanz gefunden hat. Für uns stellt sich
das anders dar. Erstens gibt es, zumindest in einigen Regionen wesentlich
mehr Gruppen, die sich mit der Problematik beschäftigen, wie
'86, als die revolutionären zellen mit ihrer Kampagne begonnen
haben. Außerdem sind wir der Meinung, daß die Kampagne
ein ganz wichtiger Grund dafür war, daß sich viele Autonome,
auch schon vor den jetzt stattfindenden faschistischen Pogromen,
in diese Arbeit eingeklingt hatten. Auch wir selbst sind durch die
Kampagne sensibilisiert worden. Viele Aktionen in den Jahren '90
und '91 wären ohne die "Vorarbeit" der revolutionären
zellen vielleicht so nicht gelaufen. Wie seht ihr das?
rz: Für uns ist die Feststellung, daß viele Strukturen
in der antirassistischen Arbeit zusammengebrochen sind, in dieser
Allgemeinheit auch nicht nachvollziehbar Es mag sein, daß
dies vielleicht für einzelne Städte doch bundesweit betrachtet
sieht das eher anders aus.
Ab 90/91 haben viele Menschen aus der radikalen Linken und der
feministischen Bewegung begonnen antirassistische Initiativen zu
entwickeln oder sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Ob die Flüchtlingskampagne
auslösendes Moment dieser antirassistischen Arbeit war ist
fraglich. Sicherlich ist es so, daß viele Genossinnen und
Genossen zur Flüchtlingskampagne eine positives Verhältnis
haben, aber bei der Bekundung von Freude über einzelne Aktionen
der revolutionären zellen stehen geblieben sind. Inwieweit
die Flüchtlingskampagne auf die jeweilige politische Arbeit
indirekt gewirkt hat, ist schwer einzuschätzen und bleibt im
Augenblick offen. Eine beiderseitige politische Bezugnahme fand
nicht statt. Uns ist keine antirassistische Gruppe bekannt, die
sich öffentlich zur inhaltlichen Bestimmung der Flüchtlingskampagne
geäußert hat. Wir denken, daß ein viel entscheidenderer
Faktor für die Mobilisierung der radikalen Linken der eigenständige
Kampf von Flüchtlingsfrauen und -männer war. Sei es der
Bettelmarsch der Roma in Nordrhein-Westfalen '90, die Kirchenbesetzung
der Roma in Tübingen '90/'9, die Kirchenbesetzungen in Neumünster
'91 bzw. in Norderstedt oder die TU-Besetzung in Berlin 91/92. Bei
all diesen Aktionen war die Linke gefordert, ihre Parole "Hoch die
internationale Solidarität" in die Praxis umzusetzen. Und gerade
durch die Unterstützung dieser Kämpfe wurden viele Erfahrungen
gemacht, aber auch Fragen aufgeworfen, die bei einigen Gruppen zu
einer kontinuierlichen antirassistischen Praxis führten. Was
wir besonders gut und wichtig fanden, war, daß viele Gruppen,
die Unterstützungsarbeit geleistet hatten, ihre politische
Arbeit reflektierten und zur Diskussion stellten. Die weitergehende
inhaltliche Diskussion wurde aber nur von antirassistischen Gruppen
bzw. von Teilen der radikalen Linken geführt. Die revolutionären
zellen trugen bisher dazu wenig bei. Im Gegenteil, die politische
Entwicklung in den letzten Jahren wurde von den revolutionären
zellen, insbesondere der Gruppe, die das Papier "Das Ende unserer
Politik" geschrieben hat, ignoriert.
radi: Mittlerweile bemühen sich Teile der Linksradikalen um
einen antirassistischen Politikansatz, einen Ansatz, der sich mit
der Antifa-Arbeit verbindet. Gegen die faschistische Offensive und
die täglichen Angriffe auf Flüchtlingsfrauen, -männer
und ausländische Menschen ist praktischer Antifaschismus und
Antirassismus zu einem breit aufgegriffenen Handlungsfeld geworden.
Könnt ihr euch vorstellen, als revolutionäre zelle Teil
dieser Bewegung zu sein?
rz: Durch die inhaltlichen Überschneidungen ist der Bezug
der Flüchtlingskampagne zur Antifa-Bewegung eigentlich hergestellt.
Das Entsetzen über die Morde und Angriffe auf Flüchtlingsfrauen,
-männer und -kinder, Immigantinnen und Immigranten, obdachlose
Menschen, behinderte Menschen und Linke hat vor allem auch für
die Zusammenhänge praktische Konsequenzen gehabt: Z.B. Kontaktaufnahme
zu Flüchtlingsfrauen und - männern, Schutz vor Wohnheimen,
Abwehr von Angriffen und eigene Angriffe auf Faschistenund deren
Strukturen. Der Handlungsdruck drängt aber die Reflexion von
Fehlern und genaueren Strategien in den Hintergrund. Rassismus und
Antisemitismus wurden bisher zumeist innerhalb der Faschismusdiskussion
abgehandelt, bzw. hinten angestellt. Auch die Parole: "Gegen Rassismus,
Sexismus und Faschismus" ist, was die gemischten Zusammenhänge
angeht, nicht wirklich gefüllt. Beim Kampf gegen den Rassismus
fällt die Thematisierung des patriarchalen Gewaltverhältnisses
wieder häufig weg. Wirksame Strategien gegen das massenhafte
Aufbrechen von Rassismus und die rechte Organisierung gibt es noch
nicht. Mit der Parole "Schlag die Faschisten, wo ihr sie trefft!",
die vor allem in Verhinderungsaktionen von Faschotreffen zum Ausdruck
gebracht wurde, kann nicht dem Rassismus in der Bevölkerung
begegnet werden. Da gilt es andere Strategien zu entwickeln. Dies
beinhaltet natürlich eine Selbstkritik, der sich die revolutionären
zellen stellen müssen, da sich der rassistische Konsens in
der Bevölkerung genausowenig nur durch Anschläge gegen
Institutionen des staatlichen Rassismus aufbrechen läßt.
Ob sich also aus Antifa-Zusammenhängen eine kontinuierliche
antirassistische Arbeit entwickelt, hängt von einer inhaltlichen
Aufarbeitung sowie einer Diskussionsbereitschaft zwischen antifaschistischen
und antirassistischen Gruppen ab. Im Kampf gegen die herrschende
Flüchtlingspolitik und den Rassismus auf der Straße gibt
es genügend gemeinsame Möglichkeiten durch mehr Bezugnahme
könnte sich eine stärkere Basis für den Widerstand
entwickeln.
radi: Demnächst wird das Asylgesetz erneut verschärft.
Zwischen der BRD und Rumänien wurde ein Roma- "Deportationsvertrag",
abgeschlossen. Dach werden weniger Flüchtlings - frauen und
-männer legal in die BRD kommen können. Viel mehr Flüchtlingsfrauen
und -männer werden illegal einreisen und sich hier aufhalten
müssen. Wird diese verschärfte Situation bei euch Auswirkungen
in Theorie und Praxis haben?
rz: Die Auswirkungen der neuen Asylpolitik auf unsere grundsätzlichen
Einschätzungen sind nicht so wesentlich. Die staatliche Politik
war spätestens seit '86 unter anderem auf die Illegalisierung
von Flüchtlingsfrauen und -männern angelegt. Seither ist
es offensichtlich, daß die Politik der Abschottung eine für
die Selektion von Flüchtlingsfrauen und -männern ist.
Weitere Bausteine dieser Politik sind das Ausländergesetz,
das Asylverfahrensgesetz, die Änderung des Artikels 16 GG,
usw. Wir denken, das Abkommen mit Rumänien, und die daraus
resultierenden Abschiebungenen, ermöglicht auch eine billige
Verwahrung eines Teils der Flüchtlingsfrauen und -männer
und ein kostengünstiges Abrufen von notwendig werdendem Arbeitskräften.
Das Abkommen mit Rumänien hat sicherlich eine Pilotfunktion
für andere osteuropäische Länder. Den absolut unerwünschten
Flüchtlingsfrauen und -männern bleibt nur noch, sich illegal
in Europa zu bewegen und zu arbeiten.
Die Flüchtlingsfrauen und -männer und besonders die Illegalen
sind faktisch entgarantiert, hoch mobil, extrem billig und jederzeit
austauschbar. Illegale Arbeitskräfte werden von den Herrschenden
in Europa schon seit Jahren einkalkuliert. Sie sind für's Kapital
in vielen Wirtschaftsbereichen nicht mehr wegdenkbar. Illegale Frauen
müssen sich immer häufiger sexistisch verkaufen (Pornoindustie,
Prostitution, Ehe, usw.).
Ein weiteres Ziel der rassistischen und sexistischen Arbeits-
und Marktpolitik in Europa ist, unter anderem durch die Existenz
Illegalen, den Druck zu erzeugen, damit die einheimischen Arbeiter
und Arbeiterinnen ihren Marktpreis selbst nach unten korrigieren.
Dieser Druck wird noch erhöht durch den aktuellen Angriff auf
die Sozikohle, das Wohngeld, die sozialen Leistungen bei gleichzeitiger
Erhöhung der Lebenshaltskosten und Steuern? Dadurch geschieht
zwangsläufig eine weitere Umverteilung der sozialen Arbeit
zu Lasten der Frauen.
Nach Mölln verlangen die Herrschenden, daß die Menschen
ihre rassistische Gewalt gegenüber den Arbeitsimmigrantinnen
und - immigranten zu unterlassen haben, weil sie hier gebraucht
werden. Die Illegalen könnten für den offenen Rassismus
ein "neues" Haßobjekt werden, die dann keinen Schutz von gesellschaftlichen
Gruppen zu erwarten haben. Deshalb müssen die illegalen Flüchtlingsfrauen
und - männer auch ein Bezugspunkt in unserem Kampf gegen Rassismus
sein. Es besteht die Notwendigkeit, unsere Sichtweise bezüglich
der Lebensbedingungen und Widerstandsstrukturen der illegalen Flüchtlingsfrauen
und -männer in Europa zu ändern und auf diesem Hintergrund
unsere Praxis zur Unterstützung ihres Kampfes abzuleiten und
zu entwickeln. Das staatliche Interesse ist, die Flüchtlingsfrauen
und -männer, von den Immigrantinnen und Immigranten zu spalten.
Dem müssen wir z.B. durch gemeinsame antirassistische Aktionen
entgegenwirken. Den Wegbereitern der rassistischen Selektion - bis
hinein in die Gewerkschaften, Grüne und christliche Kreise
muß politisch offensiv entgegengetreten werden. Angriffe auf
staatliche Institutionen, die Selektion und Abschottung organisieren,
genauso wie auf Kapitalrepräsentanten, die direkt von der Arbeitskraft
der Illegalen profitieren, sind notwendig.
radi: Randale auf den Straßen und Plünderungsaktionen,
der Gebrauch von Mollis, militante Angriffe auf Bullen, vieles,
was lange Zeit hierzulande hauptsächlich von Linken praktiziert
wurde, wird mittlerweile von den Rechten als Mittel im politischen
Kampf benutzt und ist daher nicht mehr eindeutig zuzuordnen. Als
Beispiel seien nur die massenhaften Brandanschläge, die Plünderungen
und Randale von Rechten (mit Bevölkerungsunterstützung)
in Rathenow (Brandenburg) oder die Angriffe von rechten Jugendlichen
auf die Bullenwache in Senftenberg genannt. Das Mittel an sich ist
nicht mehr nur von links besetzt. Es besteht die Gefahr, daß
unsere Aktionen in eine Reihe mit den tagtäglichen rechten
Aktionen gestellt werden. Der Anschlag der revolutionären zellen
auf das Ausländeramt in Böblingen im August 91 wurde in
den Medien als Anschlag von Rechtsradikalen dargestellt. Die Autorinnen
und Autoren des Papiers. "Das Ende unserer Politik" vertraten die
Ansicht, daß sich der Gebrauch von Feuer und Flamme heutzutage
verbiete. Die Aktionen des Traditionsvereins gegen Korbmacher und
Hollenberg oder Aktenklau und Aktenvernichtung in Ausländerbehörden
sind z.B. Angriffsziele, die sich klar gegen den rechten Apparat
richten. Das sind allesamt keine Angriffsziele der Rechten. Wir
würden das eher so sehen, daß wir uns ganz genau und
phantasievoll überlegen müssen, wie das Ziel jeweils zu
erreichen ist. Wenn es z. B. um die ZAST geht bzw. um die Akten
und Computerdaten dadrin, ist es vielleicht besser und eindeutiger,
die Akten und Disketten rauszuholen, als das Gebäude abzubrennen.
Wir finden es gerade heute notwendig, mit solchen Aktionen den von
Staat und Wirtschaft propagierten "antirassistischen Konsens der
Deutschen" in Frage zu stellen. Für uns wäre es also eher
eine Frage der Genauigkeit und nicht des Mittels an sich. Oder wie
seht ihr das?
rz: Wie wir schon sagten, sollte kontinuierliche militante ]Praxis
nicht nur durch Aktionen sichtbar werden. Die differenzierte inhaltliche
Vermittlung unserer Analysen und Ziele sind wesentlicher Bestandteil
unserer Politik und von militanter Praxis nicht abtrennbar. Deshalb
kann die Frage nach dem Mittel nicht isoliert diskutiert werden.
In jedem praktischen Schritt sollte die Notwendigkeit und Möglichkeit
einer revolutionären Veränderung hier sichtbar werden,
und darin auch die Erfahrung, daß Widerstand möglich
ist. Dabei stimmen wir euch zu, daß unser Repertoire um ideenreiche
Mittel erweitert werden könnte, wenn die Bedingungen ' en es
zulassen. Wann welche Aktionen gerechtfertigt sind, um dem Ziel
revolutionärer Gegenmacht näher zu kommen, müssen
wir politisch genau bestimmen. Die aktuelle gesellschaftliche Situation
muß einbezogen werden, d.h. auch die Tatsache daß Rechte
und Faschisten sich ähnlicher Mittel bedienen wie wir. Dadurch
werden die Mittel an sich, wie z.B. Brandanschläge, nicht falsch.
Entscheidend ist die Vermittelbarkeit von Aktionen, die von verschiedenen
Aspekten abhängt. Schon am angegriffenen Objekt sollte eindeutig
klar werden, warum und von welcher politischen Seite der Angriff
erfolgte. Heute ist es um so wichtiger, die Unterscheidbarkeit zu
faschistischen Angriffen sicherzustellen. Z.B. schließt sich
deshalb für uns ein Angriff auf nicht bewohnte Lager aus, auch
wenn wir für die Abschaffung von Lagern sind. Darüber
hinaus sollte die Anwendung der militanten Mittel der Akzeptanz
in der Bewegung entsprechen. Bei jeder Aktion muß gewährleistet
sein, daß ein Risiko für unbeteiligte Menschen ausgeschlossen
ist. Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist die jeweilige
Stärke der Linken und der Stand der antirassistischen Bewegung
gesamtgesellschaftlich gesehen Je nach dem Kräfteverhältnis
ist die Vereinnahmung und Kanalisierung von Protestpotential innerhalb
der Bevölkerung durch Staat und Medien größer oder
kleiner. Beispielsweise wird aktuell von den politisch Verantwortlichen
die Kampagne gegen Haß und Gewalt inszeniert, um unter anderem
damit linksradikale Politik und militante Praxis zu denunzieren
und zu isolieren. Wir müssen diesem Versuch durch politische
Diskussion und Praxis entgegensteuern (Unseres Erachtens ist das
ansatzweise am 8.10.92 in Berlin bei der Weizsäcker Kundgebung
gelungen).
radi: Ein Teil des Traditionsvereins schreibt im Papier "Das Ende
unserer Politik": "Wir ziehen heute die Konsequenz aus der Erkenntnis,
daß die Form und Struktur unseres Kampfes Ausdruck einer bestimmten
Phase der Entwicklung der gesellschaftlichen Widersprüche in
der BRD nach 1968 war, die unwiderruflich mit dem Zusammenbruch
des Realsozialismus und den darauffolgenden Zersetzungsprozessen,
der deutschen Wiedervereinigung und der im zweiten Golfkrieg skizzierten
"Neuen Weltordnung " ihr Gepräge verändert haben. Die
objektive Analyse dessen, was seit 1989/90 historisch gelaufen ist
(...) erforderte im Grunde eine , ganz andere Stufe der Organisierung
des militanten und revolutionären Widerstands. Aber wir können
das nur noch als leeren Anspruch formulieren. In Wahrheit sind wir
von der Geschichte überrollt worden."
Die Autorinnen und Autoren ziehen unter anderem daraus die Konsequenz
ihre militanten Aktionen, einzustellen. Wir gehen davon aus, daß
ihr diese Konsequenz nicht gezogen habt. Heißt das, daß
ihr die zitierte Einschätzung nicht teilt oder aus der gleichen
Einschätzung andere Schlüsse zieht?
rz: Das Papier "Das Ende unserer Politik" hat uns betroffen gemacht
und erst einmal - wohl nicht nur bei uns - eine Verunsicherung ausgelöst.
Zusammen mit dem Papier zu Gerd Albartus und dem Papier der raf
(vom August 1992) kommt zum Ausdruck, wie schlecht es um die Wechselbeziehung
zwischen militanten und nicht-militanten Gruppen steht. Wir wollen
die auf geworfenen Fragen und Probleme mit vom Tisch wischen. Wir
sehen die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Aufarbeitung
wie wir es schon gesagt haben. Aufreden Fall sind wir nicht am Ende
unserer Politik. Die gesellschaftlichen Widersprüche und Gewaltverhältnisse
haben zwar ihr "Gepräge" verändert, aber es sind immer
noch die selben und sie sind nicht weniger geworden. Die Erosion
der ehemaligen sogenannten sozialistischen Staaten hat eine längere
Geschichte, die lange vor '89 begann. Sie war sichtbar, auch wenn
der Zusammenbruch nicht so schnell vorhersehbar war. Vor fast 10
Jahren haben die revolutionären zellen und die rote zora in
ihrem Diskussionspapier schon Einschätzungen in diese Richtung
formuliert (im Papier zur Friedensbewegung) Und wir müssen
es nicht betonen, daß wir mit dieser Art von Sozialismus keine
Vorstellung einer befreiten Gesellschaft verbinden.
Natürlich haben sich die Bedingungen für linksradikale
Politik durch den Zusammenbruch weiter verschlechtert. Nichtkapitalistische
Utopien sind für noch weniger Menschen hier als Alternative
vorstellbar. Im Gegenteil, viel mehr Menschen reproduzieren nationalistische
und rassistische Ideen, und sehen darin eine Lösung , ihrer
Probleme. Dadurch ist es schwieriger geworden für linksradikale
Inhalt ein Bewußtsein zu schaffen oder über hau t Gehör
zu finden. Angesichts der veränderten Verhältnis müssen
wir noch mehr gegen das Gefühl von Ohnmacht ankämpfen.
Aber weder die Großmachtbestrebungen der BRD, noch die Ausrichtung
nach Osten oder die so genannte neue Weltordnung stellen etwas völlig
neues dar. Wer von dieser Geschichte überrollt wurde, hatte
entweder die Augen fest verschlossen oder gebraucht diese Geschichte
jetzt vielleicht nur als Vorwand, um der Mühe mit revolutionärer
Politik ein' Ende zu machen. Es ist auch keine Organisierung des
Widerstandes auf einer ganz anderen einer "höheren" - Ebene
erforderlich, sondern überhaupt erstmal eine tragfähige
Organisierung. Wer es aufgegeben hat, die "Wechselbeziehung zwischen
legalen und illegalen Kampfmethoden" mitzubestimmen und sie nicht
einmal mehr einfordert, darf sich nicht wundern, wenn die "Vermassung"
nicht eintritt.
Die Krise der Linksradikalen rührt unseres Ermessens nicht
daher, daß sie in den Strudel der Auflösung der ehemaligen
Ostblockstaaten gerieten. Unsere Krise begann nicht erst mit der
"Wiedervereinigung ". Das Elend und die Fehler linksradikaler Politik
- mangelnde Organisierung und verbindliche Strukturen - wurden schon
länger kritisiert. Zu all dem ist schon viel geschrieben worden.
Alle sind aufgefordert ihren Teil zur Verbesserung unserer Bedingungen
beizutragen. Wir sind aber nicht an dem Punkt gelangt, militante
Formen des Widerstands von vornherein ad Acta zu legen. Ob und wie
es mit linker Politik, ihren Strategien und Kampfmitteln weitergehen
wird, wird die gemeinsame zukünftige Diskussion zeigen.
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