|
aus: radikal Nr.114, März 1983
Gratwanderung und Gletscherspalten
Vor etwa 15 Jahren leiteten Gruppen wie die westberliner Tupamaros
oder die Haschrebellen, die erste Phase in der Entwicklung bundesdeutscher
Bandenmilitanz ein. 2. Juni und RAF ließen nicht lange auf
sich warten - und 1973 übernahm zum ersten Mal eine Revolutionäre
Zelle die Verantwortung für einen Anschlag.
Diese Zeit markiert nicht nur erste Versuche sich mit allen Mitteln
gegen die Väter des und 4. Deutschen Reiches zur Wehr zu setzen,
sie sind auch der Beginn eines Erfahrungsprozesses, der in diesem
Land von Grund auf neu begonnen werden mußte.
Das Verhältnis zwischen dem traditionellen legalen Widerstand
und dem sich neu entwickelnden illegalen Teil war von Anfang an,
und ist es bis heute, gespannt. Angst, Mißtrauen und Borniertheit,
auf beiden Seiten, machen die Auseinandersetzung schwer. Erst zu
Beginn der 8Oer-Revolten lockerten sich die internen Fronten.
Wir wollen auf den folgenden Seiten versuchen, einen Teil der
gelebten Geschichte aufzuarbeiten, um bestimmte kollektive Prozesse
nicht als ständiges Ritual zu wiederholen, sondern gemachte
Erfahrungen in der Praxis umzusetzen. Avantgarde, Distanz, Mythos,
sowie Kontinuität und Konsequenz sollen in dieser Einleitung
als Stichworte genügen.
Auf der Suche nach Entwicklungsspuren organisierter Militanz,
haben wir uns hauptsächlich auf die Revolutionären Zellen
beschränkt, da sie für uns heute, von allen vergleichbaren
Gruppen, die mit der größten politischen Relevanz sind.
Im übrigen erheben wir mit diesem Artikel weder Anspruch
auf Vollständigkeit, noch auf die einzig vertretbare Position
- gell.
"Die Revolutionären Zellen sind gefährlichste deutsche Terroritengruppe", meint der oberste Kammerjäger dieser Republik, Kurt Rebmann. Ob diese Aussage aus so berufenem Munde nun Teil eines eingeübten Medienspektakels ist, pathologischer Auswuchs negativer Identifikation, oder eine Reaktion auf nicht mehr zu leugnende Verbreitung Strukturmodells, gewachsen im Sumpf autonomen und anarchistischen Widerstands, vermögen wir heute noch mit letzter Sicherheit behaupten. Doch Vermutung, es könne von jedem etwas sein, liegt nahe. Keine Bange, wollen hier schon wieder "Hitparade für Stammheim" kommentieren. Gleichnamigem Artikel unserem Dezemberheft zumindest unserer Seite, auch nichts hinzuzufügen.
Uns gehts im Moment vielmehr darum, wie wir als "Umfeld und Unterstützer"
mit den neuen Stars umgehen, bzw. ob der entstandene Mythos der
"Organisation RZ" unseren gemeinsamen Widerstand, im Moment nachlassender
radikaler Basiskämpfe (der VoBo ist noch nicht so weit, daß
er unter dieser Kategorie berücksichtigt werden kann), vorantreiben
kann, oder ob wir nicht (schon wieder) dabei sind, unser subversives
Handeln im Gefühl aufkommender Ohnmacht der avantgardistischen
Arbeitsteilung zu opfern. Denn nicht nur der Staat knüpft am
verschlungenen Gesetz des Mythos vom Staatsfeind Nr.1.
Einerseits delegiert die subjetive Hilfslosigkeit Taten gern an
den allmächtigen Zauber der Heiligen. Je schwieriger das eigene
Handeln scheint, desto lauter dröhnt im Chorgesang das Halleluja
auf die Guerilla. Helden sind das Opium des (Fuß-)Volks. Andererseits
läßt ein "tötet Lummer! RZ" an einer Berliner Hauswand,
oder ein mit RZ erklärter Stein in einem Scheibchen den Verdacht
aufkommen, das der Mythos dem Simplen die besondere Note verleiht
- was sich übrigens nicht gegen Steine in Scheiben als solches
richten soll.
Ja, ja - wir wissen, das klingt schon wieder ganz nach unserer
"bourgeois sozialisierten Überheblichkeiten" (0-Ton aus einem
Leserbrief). Doch unser bei solchen Themen immer wieder aufkommender
Zynismus entspringt nicht etwa einer zu großen Distanz, sondern
vielmehr der ungeduldigen Nähe. Und goldene Kälber reizen
nun mal - zur Ketzerei, versteht sich. Zum Beten fehlt uns der Glaube.
So opferten wir schon mal die "Internationale Solidarität"
unserem Endzeit-Bewußtsein, Sandinistas und PLO mußten
auf dem Altar der Autonomie solange Ader lassen, bis ihre blutleeren
Masken jede Faszination eingebüßt und unser Un-Gott besänftigt
war. Doch nicht nur in der Ferne riskierten wir eine dicke Lippe.
Die Jagd im eigenen Revier war mindestens ebenso einträglich.
Mag sein, daß der Glaube so mancher Sekte an die eigene Unfehlbarkeit
zu tollkühnen Taten verleitet, allein der Sieg im hiesigen
Volkskrieg rückt dadurch nicht näher. So mußten
Identifikationspotentiale von RAF bis zur eigenen Bewegung ständig
Federn lassen - oft mehr als überhaupt dran waren. Daß
uns die Priester dafür mit dem Bannspruch bestraften, nahmen
wir mit arrogantem Lächeln in Kauf. Canossa ist - und bleibt
- uns unbekannt. Doch genug davon. Bevor wir selbst im Predigerrock
erwischt werden, wechseln wir lieber wieder das Thema - und blättern
weiter.
Fische im Wasser
Ein erklärter Anspruch aller militant organisierten Gruppen,
so auch der Revolutionären Zellen, war schon immer, in Zeiten
eher flauer Basisbewegungen, Kontinuität im Widerstand zu demonstrieren.
"Die Guerilla schafft es, diesem Kampf durch ihre über den
Massenwiderstand hinausgehende Organisation eine Kontinuität
zu verleihen, ihn immer wieder zu eskalieren oder auch zurückzunehmen,
durch eigene Initiativen das Kampfniveau zu heben, neue Kampfformen,
Kampfziele anzubieten, immer größere Teile des Volkes
in diesen Kampf einzubinden". (Revolutionärer
Zorn Nr.6)
Dagegen scheint erst mal nichts einzuwenden zu sein. Doch das
Problem, daß sich solche Gruppen gerade durch diesen Anspruch
zur Avantgarde ernennen, indem sie ersatzweise für die Bewegung
handeln, führte bisher immer wieder zu Distanz und zwangsläufiger
Abgehobenheit. Außerdem wollen wir hier mal unterstellen,
daß es neben den vorgegebenen "objektiven" Gründen für
die Kontinuität, noch mindestens ebenso wichtige, doch nicht
offen benannte, "subjektive" Motive gibt. Aktionen, die anderen
zeigen sollen, daß der Kampf weitergeht, sind für die
eigene Identifikation mit der Rolle des Revolutionärs noch
viel bedeutender. Denn gerade in flauen Zeiten muß der Revolutionär
sich selbst beweisen, daß sein Weg richtig und sein Ich wichtig
ist.
Vielleicht wäre es mal an der Zeit, diese Strategie der "einsamen
Kontinuität" grundsätzlich zu überdenken. Vielleicht
wären die Erfahrungen aus mehrjähriger militanter Praxis
jetzt in einer VoBo-lnitiative besser aufgehoben, als im heroischen
Kampf gegen den US-Imperialismus. Und vielleicht wäre jetzt,
nach beinahe 15 Jahren Theorie und Praxis "bewaffneter Gruppen",
und vor allem nachdem sich das "Modell RZ" 1981 und 82 zum ersten
Mal vor dem Hintergrund revoltierender Basisbewegungen verbreitern
konnte, der richtige Zeitpunkt, sich einmal wieder ein paar grundsätzliche
Gedanken zu machen, um aus den Erfolge und Fehlern dieser 15 Jahre
zu lernen.
Wir können in dieser Republik auf keine längere Tradition
des militanten Widerstands zurückblicken. Nahezu alle Erfahrungen
sind in deutschen Gaskammern verreckt. Noch heute gipfelt das politische
Bewußtsein "unserer" Bürger in bajuwarischer Staatsloyalität
oder grün-friedlicher Halbherzigkeit. Hier ist noch lange kein
Krieg in Sicht - zumindest kein Volkskrieg; kein Wasser als notwendiges
Element des Fisches.
RAF, 2.Juni und RZ's haben die ersten Erfahrungen mit organisierter
Militanz gemacht - so auch die ersten Fehler. Und wenn wir darauf
rumreiten, dann nicht um zu diffamieren, sondern um zu lernen, um
positive Ansätze rauszufiltern und auszubauen. Erstmal finden
wir es wichtig, endlich mit der falschen Analyse der RAF sowie Teilen
vom 2.6. und RZ aufzuräumen, daß die objektiven gesellschaftlichen
Verhältnisse hier die Strategie eines Guerilla-Krieges rechtfertigen
bzw. notwendig machen. Jede Theorie und vor allem jede Praxis von
revolutionärer Kriegsführung kam bisher zu dem Ergebnis,
daß diese Strategie nur dann mit Erfolg angewendet werden
kann, wenn die wichtigste Voraussetzung erfüllt ist, nämlich
die inhaltliche und praktische Verankerung im Großteil der
Bevölkerung. Diese Voraussetzung ist und war in diesem Land
nach 1945 noch nie gegeben. Teile des 2. Junis und der RZ's haben
das sehr wohl erkannt. So steht z.B. im Revolutionären Zorn
vom Januar 81:
"Angriffe gegen zentrale staatliche Institutionen halten wir zur
Zeit für politisch unmöglich: wir können die Machtfrage
nicht stellen! Wir führen keinen Krieg! Wir stehen vielmehr
immer noch am Anfang eines langwierigen, mühseligen Kampfes
um die Köpft der Menschen - nicht in irgendeiner Etappe um
einen militärischen Sieg!"
Wie sich diese Einschätzung der RZ's allerdings mit einem
Teil der Aktionen (z.B. dem Anschlag auf Karry und auf das Hessische
Wirtschaftsministerium, im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen
die Startbahn) in Einklang bringen lassen, ist uns vorerst noch
unklar.
Bleiben wir mal bei den Revolutionären Zellen. Wir glauben,
daß wir eine kritische Aufarbeitung der ersten acht Jahre
(1973-81) kaum besser leisten können, als die RZ's selbst mit
Auszügen aus ihrer 6.Zeitung zu Wort kommen zu lassen. Die
folgenden Passagen verstehen sich als selbstkritische Verarbeitung
der eigenen Geschichte, in einer Schärfe und Qualität,
wie sie die RAF niemals leisten konnte oder wollte. Doch nicht deshalb
veröffentlichen wir sie zu diesem Zeitpunkt. Einmal vermissen
wir jetzt, 2 Jahre nach dem Erscheinen dieser "Reflexionen", noch
jede praktische Konsequenz, und zum zweiten drängen sich bestimmte
Parallelen zwischen 1973/74 und 1982/83 auf. Wir finden den folgenden
Text für die heute im Zusammenhang mit organisierter Miltanz
anstehenden Fragen hochaktuell.
Vom Kern zur Zellteilung
1973, als eine Revolutionäre Zelle erstmals namentlich Verantwortung
für Aktionen übernahm, hatten wir uns am Ausgangspunkt
von Massenbewegungen geglaubt, die die verschiedensten Sektoren
der Gesellschaft erfassen würden. Anzeichen gab es zu Genüge:
die Streikwelle, die auf Fabriken wie Hoesch, Mannesmann, John Deere,
Klöckner usw. überschwappte, signalisierte eine für
deutsche Verhältnisse neue Qualität in den Kampfzielen
und -formen, an den Fabriktoren der Kölner Fordwerke kristallisierten
sich Umrisse einer sich autonom organisierenden multinationalen
Arbeiterklasse heraus.
Gleichzeitig gärte es in den Stadtteilen. Die Jugendbewegung
hatte mit dem Kampf für selbstverwaltete Jugendzentren wieder
ein verbindendes politisches Motiv gefunden, das bis in die kleinsten
Provinzstädte widerhallte. In den Hausbesetzungen kam radikaler
Wille zum Durchbruch, sich tatsächlich das zu nehmen, was wir
brauchen. Mit dem Schwarzfahren, dem Ladenklau, dem Krankfeiern
wurden andere Formen des Widerstands als eminent politisch entdeckt,
die bis dahin lediglich privaten Charakter hatten. Zu gleicher Zeit
entwickelte sich in rasantem Tempo mit der Frauenbewegung eine neue
politische Kraft, (...).
Vor diesem Hintergrund entstand ein Konzept bewaffneten Kampfes,
in dem die Stärkung der Massenninitiativen durch klandestin
operierende autonom und dezentral organisierte Gruppen der erste
Schritt eines langwierigen Angriffs auf die Macht sein sollte.
"Was wir wollen, ist, die Gegenmacht in kleine Kernen organisieren,
die autonom in den verschieden gesellschaftlichen Bereichen arbeiten,
kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil von der politischen
Massenarbeit sind. Wenn wir ganz viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung
für die Stadtgtierilla als Massenperspektive geschaffen." (Revolutionärer
Zorn Nr.1)
Die Kriterien, denen eine solche Praxis unterlag, nämlich
Orientierung an gesellschaftlichen Konflikten, Vermittelbarkeit
von Aktionen, Nachmachbarkeit, Verteidigung erkämpften Gegenmilieus,
zeigen worum es uns schon damals ging: um das Bewußtsein der
Menschen, um die Zerstörung des Gefühls der Ohnmacht,
um Überwindung der Hoffnungslosigkeit, also um den Kampf gegen
jene spezifischen Formen der Verelendung, wie sie für die Metropolen
charakteristisch ist. Rückblickend ist es leicht, hinter dieser
Sorte von optimistischer Vorausschau auch Naivität gegenüber
der tatsächlichen Bewegung revolutionärer Prozesse vermuten.
Und auch die Hoffnung, die Klassenbewegung wäre einmal ins
Rollen gekommen, aus sich heraus fähig zu Kontinuität,
erwies sich als Illusion. Weder sollten sich die verschiedenen Bewegungen
in jener Geradlinigkeit fortentwickeln, die wir unterstellt hatten,
noch sprang aus der Initiative einer "Handvoll Kämpfer" der
Funke über, der den Steppenbrand hätte entfachen sollen.
Die Zeiten für die Vermassbarkeit illegaler Politik standen
fürs erste schlecht. Der Zerfall der Bewegung erwies sich als
unaufhaltsam. Die sozialliberale Einkreisung der Jugendrevolte zeigte
erste Wikungen:
Während sie der Mehrheit der mittelständischen Schichten
des Massenprotestes mittels Amnestie und Hochschulreform eine Weg
zurück offen gehalten hatte, um sich so langfristig deren Fähigkeiten
zu sichern, präsentierte sie sich eine Etage tiefer von ihrer
rüderen Seite. Mit Bullenrazzien und einstweiligen Verhaftungen
machte sie alle verfrühten Hoffnungen darauf, daß die
eroberten Freiräume (wie das Georg von Rauch-Haus) schon Bastionen
einer neun Gesellschaft seien, ein rasches Ende. An die Stelle der
radikalen Utopie, die Fantasie, Selbstbestimmung, Entschlossenheit
bedeutet hatte, trat nüchterne Realpolitik in deren Folge die
Auflösung der Einheit der Bewegung ihre verklärende Bemäntelung
erfuhr.
Die neuen/alten Organisationen hatten sich zu Instrumenten des Angriffs auf antiautoritären Inhalte und Verhaltensweisen der Revolte entwickelt, Prolet war zur Waffe geworden, mit Aufsässigkeit Anpassungsverweigerung zurechtgewießen wurden. rückwärtsgewandten Selbstproletarisierung studentischen Teils 68er Generation Disziplin, Opferbereitschaft, Geduld ebenso in Scene zurückgekehrt, wie Monogamie Faconschnitt. langfristigen Früchte mühseliger Aufbauarbeit wurden verhießen, während Orientierung
am unmittelbaren Erfolg, eine entscheidenden Triebfedern APO, als kleinbürgerlich denunziert
wurde. (...)
Die objektive Entwicklung hatte einer Praxis bewaffneten Widerstands
teilweise den Boden entzogen, der Bezugspunkt, der Adressat unserer
Politik - die Jugendrevolte hatte sich in die Basisprojekte aufgelöst
und darüber fundamentale Elemente des ursprünglichen Selbstverständnisses
preisgegeben, ein gemeinsamer Nenner, Voraussetzung des inneren
Kontaktes zwischen Guerilla und Bewegung, existierte nicht mehr.
Für uns, die wir ungeachtet dessen an dem Ziel einer Massenguerilla
festhielten, bedeutet dieser Prozeß zweierlei:
(1) Mit der Zerspliterung der Bewegung reduzierte sich die Bedeutung
gesellschaftlicher Konflikte, in denen die Linke präsent war,
auf Auseinandersetzungen, die nur in den seltensten Fällen
wenigstens lokale Außmaße erreichten. Ob nun die Forderung
nach einer Klimaanlage in einer Fabrik oderdie Propaganda gegen
die Sanierungsprojekte in einem Stadtteil oder der Ärger über
einen besonders miesen Vermieter - all diese Aktivitäten wurden
nicht mehr als Teil eines ganzen begriffen, sondern waren Ausdruck
weitgehend isolierter und gruppenspezifischer Interessen. Da es
hunderte solcher Konflikte gab, mußten Aktionen zwangsläufig
einen gewissen Grad an Beliebigkeit haben. Die typische Auseinandersetzun
innerhalb derer bewaffnete Politik ihre Funktion und konkrete Wirksamkeit
hätte faktisch unter Beweis stellen können, war eine leere
Wunsch vorstellung.
Da theoretische Verpflichtung und praktische Möglichkeiten
ohnehin in einem disproportionalem Verhältnis standen, stieg
die Tendenz, auf symbolische Interventionen auszuweichen. Benennbare
konkrete Zielsetzungen gerieten in den Hintergrund, während
das Argument, es ginge um den Nachweis, daß illegaler Widerstand
in diesem Land überhaupt möglich ist, zunehmend an Gewicht
gewann. Kontinuität entwickelten wir nicht am einzelnen "Fall",
sondern anhand der Tatsache, daß es von Zeit zu Zeit und hier
wie dort überhaupt mal wieder brannte und krachte.
Erschwerend wirkte sich aus, daß eine personelle Verbindung
zu den verschiedensten Gruppen und Initiativen unter den gegebenen
Bedingungen nahezu ausgeschlossen war, wir folglich mehr und mehr
von Diskussionen abgeschnitten und auf indirekte Informationen angewiesen
waren, um die Objekte, die Zielrichtung, die Form und den Zeitpunkt
von Aktionen zu bestimmen. Klar, daß sich damit das Risiko
erhöhte, ungenau, abstrakt, unverständlich zu bleiben.
Und selbst in den Fällen, wo Aktionen der Guerilla Erfolge
hatten, wo sie auf Zustimmung und Sympathie stießen, also
populär waren, zogen wir nur selten die richtigen Schlußfolgerungen.
Fixiert auf eine nicht-existente Einheit der Bewegung liefen wir
dem falschen Adressaten hinterher, anstatt zu registrieren, in welchen
Teilen der Gellschaft bewaffnete Politik tatsächlich Hoffnung
und Kraft freisetzen konnte.
Die einseitge Ausrichtung am Stand von Bewegungen, ohne gleichzeitig
den sozialen Bezugspunkt der eigenen Praxis zu definieren, hatte
zur Folge, daß wir die tatsächlichen Folgen solcher Aktionen,
wie die gegen Kaußen, das Verteilen von Fahrscheinen etc.,
nur selten angemessen zu werten wußten.
(2) Als Folge dieser Schwierigkeiten, aber auch als Kritik am
Zerfall der Linken, der sich mit erschreckender Ignoranz und Gleichgültigkeit
gegenüber gesellschaftlichen Prozessen paarte, die sich jenseits
der eigenen Unmittelbarkeit durchsetzten, veränderte sich die
Stoßrichtung unserer Aktionen. Statt sich an dem zu orientieren,
was die Bewegung machte, gingen wir dazu über, die Bewegung
an dem orientieren zu wollen, was wir für politisch brisant
und notwendig hielten. Durch eine exemplarische Praxis sollten verlorengegangene
Inhalte wieder ins Bewußtsein gerückt, frühere Gemeinsamkeiten
wieder benannt werden. Die Kampagne gegen die Fahrpreiserhöhung
in verschiedenen Städten der BRD und Westberlin stehen für
den Versuch, die Linke dadurch zu remobilisieren, daß an alte
Traditionen angeknüpft und zugleich die Möglichkeit der
Wiederaufnahme dieser Tradition mittels neuer, nämlich illegaler
Methoden demonstriert wurde.
Gleiches galt für die internationalistischen wie für
die "staatsfeindlichen" Aktionen - mit ihnen sollte jene antiimperialistische
und antiinstitutionalistische Dimension des Massenprotestes wieder
in Erinnerung gerufen werden, die die Linke auf dem Marsch an die
Basis weitgehend hinter sich gelassen hatte.
Mit der Veränderung der Stoßrichtung unserer Aktionen
änderte sich auch unter er Hand das organisatorische Selbstverständnis.
Wir begriffen uns zunehmend weniger als integrierter Teil einer
Bewegung, ohne jedoch gleichzeitig zu reflektieren, daß wir
uns unmerklich in die Rolle der seibsternannten Avangarde wiederfanden.
Die Entäuschung über die Entwicklung der Linken verschaffte
sich Raum in einem uneingestandenen globalen Führungsanspruch
gegenüber eben dieser Linken. Das ursprüngliche Selbstverständnis
"endlich Subjekt sein zu wollen in diesem Kampf' anstatt" andere
in den jeweiligen Bereichen agitieren zu müssen und zu können"
(Revolutionärer Zorn Nr.1) geriet in den Hintergrund angesichts
der als vordringlich empfundenen Aufgabe, die Kontinuität der
Bewegung gerade in Zeiten ihrer Zersplitterung aufrechtzuerhalten.
Fortan ging es deshalb weniger darum, innerhalb der Aktivitäten
der Linken zu wirken als auf die Linke einzuwirken; in der Tendenz
wurde die eigene Linie zur einzigen Linie, wurde die Aktionen zu
Appellen, die Erklärungen zu Vorwürfen; aus Vielfalt drohte
Unvereinbarkeit zu werden, aus Differenzen Gegensetzlichkeiten,
aus unterschiedlichen Prioritäten Rangstufen in einer Hierarchie
politischer Wertigkeit. So trugen die internen Prozesse aus sich
heraus zu jener Auseinanderentwicklung von Bewegung und illegaler
Gruppe bei, die im Herbst 77 ihren einstweiligen Höhepunkt
erreichte.
Gerade in einem Land wie der BRD - einem Land mit ohnehin nur
schwach entwickelter Klassen- und Massenbewegung - kann ein solcher
Auseinanderfall bedeuten, daß die Guerilla buchstäblich
auf dem Trockenen sitzt. Zu keinem Zeitpunkt war die Kluft zwischen
legaler und illegaler Linker größer und für die
Herrschenden die Gelegenheit somit günstiger, der Guerilla
mit integrativen wie repreissiven Maßnahmen "das Wasser abzugraben",
das deren politische, moralische und logistische Existenzberechtigung
ist. Kein Wunder also, daß sich der heimliche Innenminister
Herold gerade in dieser Situation eines Kitson erinnerte und einen
neuen Akzent in der "Terrorismus"-Bekämpfung setzte: nun gelte
es, das "terroristische" Umfeld lahmzulegen, den Sumpf auszutrocknen,
um dann in einem zweiten Schritt die auf sich gestellten Kerne endgültig
abzuräumen. Wir können hier nur bruchstückhaft beschreiben,
in welche Sackgasse eine Gruppe zu geraten droht, die das Problem
ihrer Basis vernachlässigt.
Als eine Tendenz innerhalb der Bewegung lebt die Guerilla von
wechselseitigem Austausch mit dieser, und zwar in einem wesentlich
umfassenderen Sinne als dem der bloß materiellen Unterstützung.
Die Basis in der Linken gibt dem Einzelnen den notwendigen moralischen
Rückhalt wie sie der Gruppe insgesamt erst ihren perspektivischen
Zweck verleiht. Zerbricht dieser Zusammenhang, so reduziert sich
der Kampf um ein menschenwürdigeres Leben sehr schnell auf
einen Kampf um's nackte Uberleben. Die Organisation ursprünglich
nur Mittel zum Zweck, rückt in den Mittelpunkt; ihrem Erhalt
wird alles andere nachgeordnet:
1. Die Sorgfalt und Verantwortung gegenüber jedem einzelnen
Militanten werden dem Zwang zur Reproduktion geopfert. Durch persönlichen
Einsatz muß er wettmachen, was die Struktur nicht mehr gewährleistet.
Es mag paradox klingen, ist in der Tendenz dennoch real: bei dem
Versuch zu überleben, geht die Gruppe das Risiko ein, ihre
letzten Kräfte zu verschleißen.
2. An die Stelle von Kontinuität, Zeichen der Stärke
einer Guerilla, treten sporadische Anschläge oder das große
Schweigen, da ihre Kräfte durch den Zwang zur Selbstversorgung
zunehmend anderweitig gebunden sind. Das Dilemma gipfelt in der
gleichermaßen falschen Alternative, daß politische Aktionen
entweder gänzlich abgeblasen werden, oder aber quasi als Ausgleich
zur fehlender Kontinuität das Spektakel gesucht wird.
3. Obwohl eine Lösung des Dilemmas wesentlich von der Überwindung
des Bruchs mit der Bewegung abhängt, tendiert die Gruppe zum
entgegengesetzten Extrem: sie sondert sich ab, nicht nur weil ihr
nun die Zeit für den inneren Kontakt fehlt, sondern auch, weil
sich aus der Not heraus der eigene Maßstab verschiebt. Alles
was läuft, wird daran gemessen, ob es der eigenen Gruppe zugute
kommt oder nicht. Das linke Spektrum wird in zwei Lager getteilt:
wer uns hilft ist unser Freund, wer uns Unterstützung versagt,
ein Gegner.
Da sie über den eigenen Horizont kaum noch hinausschaut,
verliert die Gruppe mit der Zeit den Sinn für tatsächliche
Entwicklungen und damit überhaupt die Möglichkeit, ihre
Isolierung zu Überwinden. Die zwangsläufige Folge sind
Ausweichmanöver:
- die fehlende politische Unterstützung wird durch den Versuch
einer technischen Spezialisierung ausgeglichen;
- dem Verschleiß an Kräften folgt die Auflösung
der autonomen und dezentralen Strukturen, um als zentralisierte
Gruppe überhaupt noch handlungsfähig zu sein.
- angewiesen auf Ünterstützung geht die Gruppe "Bündnisse"
ein und riskiert dabei den Verlust ihrer Autonomie, gerade weil
sie in der Regel ein Produkt der Schwäche sind.
Soweit die Selbsteinschätzung der Revolutionären Zellen.
Zwar erkennen sie klar, daß ihr Verhältnis als militante
"Organisation" zu den Basisbewegungen immer ihrem eigenen Anspruch
nicht gerecht wird. So werden sie in einem Interview, veröffentlicht
in der Autonomie Nr.4/5, noch deutlicher:
"Es ist eine Gratwanderung entweder man wirft uns vor, wir würden
uns an eine Bewegung anhängen, oder wir würden uns isolieren."
Doch auch heute noch hinkt die Praxis der Zellen dem eigenen Diskussionsprozeß
hinterher. Die Konsequenz fehlt.
Zu dem selben Ergebnis ist auch ein Teil der Autonomen aus der
Atiti-Startbahn-Bewegung gekommen. Im Widerstand gegen die Flughafenerweiterung
haben die RZs eine wichtige Rolle gespielt und ihre "begleitenden"
Aktionen waren Zündstoff für grundsätzliche Diskussionen.
Deshalb auch hier ein längerer Textauszug - diesmal hat die
"Basis'' das Wort:
Thesen zur Anti- Startbahnpolitik der
Revolutionären Zellen
1. Revolutionäre Bewegungen lernen nur aus ihren Fehlern
und Niederlagen. Die damit verbundenen Erfahrungen können nicht
einfach erdacht werden. In unserer Kritik an der konkreten Politik
der RZ in Zusammenhang mit der Bewegung gegen die Startbahn-West
soll unser eigener Standpunkt, Praxis und Theorie miteinbezogen
werden. Es soll der Versuch gemacht werden die Aktionen der RZ zu
messen an:
- ihrem eigenen Anspruch und Konzeption,
- an der Bedeutung der Anti-Startbahnbewegung als Massenbewegung
- soweit vorhanden, an Grundsätzen revolutionärer Politik.
2. Der unserer Meinung grundlegende Unterschied im Selbstverständnis
von RZ und RAF bestand darin, daß die RZ sich als militanter
Teil linksradikaler Bewegung in der BRD begriff und weniger als
Avantgarde mit der ML-Ideologie. Ihre grundsätzliche Überlegung
ging davon aus, den Entwicklungsstand der Klassenauseinandersetzung
in der BRD zugrundezulegen, was sich in der Vermittelbarkeit der
Aktionen (Sympathie des Volkes) und in dem Versuch, voraussehbare
Folgen miteinzukalkulieren, niederschlug, sowie im Anspruch, unmittelbar
auf bestehende gesellschaftliche Bewegungen Einfluß zu nehmen.
3. In ihren Aktionen in Rahmen des Kampfes gegen den Bau der Startbahn
West schwanken die RZ jedoch zwischen Sabotageaktionen, die sich
eng an der Bewegung orientieren und Aktionen, die diese Ebene verlassen
und Angriffe auf Symbolfiguren und Machtzentren des hessischen Staatsapparates
darstellen.
4. Die Angriffsaktionen (Anschlag auf Karry, ehemaliger Wirtschaftsminister,
Frühjahr 81, Bombenanschlag auf das hessische Wirtschaftsministenum,
Dezember 81) dokumentieren in praktischer Ausführung und politisch-theoretischer
Begründung eine derartige Fülle von Fehlern, sodaß
für uns deutlich wird, daß die RZ weder politisch noch
praktisch in der Lage ist, Aktionen, die den Staat zentral angreifen,
durchzuführen. Zudem widersprechen sie den eigenen, im Januar
81 formulierten Grundsätzen der RZ.
5. In ihrem Verhältnis zur Massenbewegung sind die RZ immer
mehr dazu übergegangen, den Anspruch, an Massenbewegungen anknüpfen
zu wollen, dadurch zu erfüllen, daß sie die Massen mittels
ihrer Aktionen zur Militanz oder Offensive erziehen wollen, wobei
Brand- und Sprengstoffanschläge als pädagogischer Rohrstock
dienen. Ein solches erzieherisches Verhältnis kann nicht akzeptiert
werden, weder von den Linksradikalen noch von der bis ins bürgerliche
Lager reichenden Anti-Startbahnbewegung.(...) Zudem fällt auf,
daß die RZ wenig von den realen Auseinandersetzungen und Erfahrungsprozessen
innerhalb dieser Bewegung weiß.
6. Trotz dieser Kritik waren die RZ die Haupträger der militanten
Politik, welche bestrebt war, eine Kontinuität und Weiterführung
des Kampfes gegen die Startbahn als Symbol dieses imperialistischen
menschenfeindlichen Systems herzustellen. (...)
Erläuterungen zu den Thesen
Exemplarisch soll auf folgende Aktionen der RZ eingegangen werden:
a) Anschlag auf den damaligen hessischen Wirtschaftsminister Karry
(FDP) im Frühsommer 81
b) Anschlag auf das Funkfeuer in der Nacht vom 2/3.11.81
c) Die Bombe vorm Wirtschaftsministerium
- Die "Selbstkritik", man habe Karry nur ins Knie schießen
wollen, enthält überhaupt keine Reflexion über die
grundlegende Veränderung, d.h. darüber, wie es kommen
kann, daß etwas ganz anderes herauskommt, als man geplant
und angestrebt hat. Es wird sogar cool zum Nicht-Problem erklärt,
indem auch für die Zukunft das Inkaufnehmen von Toten propagiert
wird. Damit wird ein "Egalfaktor" eingebaut, der die Frage Leben-Tod
zu einem nebensächlichen, eher technischen Faktor werden laßt.
- In den Gedankengängen der Akteure findet ebenfalls kein
Zutritt, welche Wirkung die einkalkulierte unmittelbare Gefährdung
eines weiteren Menschen, Kartys Frau, auf die Beurteilung durch
die Masse des Volkes hat - ebenso die Nichterwähnung. Gut,
diese Wirkung können wir nicht im einzelnen begründen,
für uns ist es ein ganz dicker Kritikpunkt.
- Überhaupt vermittelt die ganze Art und Durchführung
(nachts im Bett erschossen, knapp über seine Frau hinweg) genau
das Bild, welches die Regierung immer von den Militanten oder "Guerilla"
zeichnen: Terrorkommandos, welche für alle bedrohend sind.
- Die Erklärung, in dem Teil, wo sie sich auf Linke bezieht,
wohl um die eigene Position darzustellen, ist ausgesprochen schlampig;
wichtige Bereiche, wie Häuserkampf, fehlen. In dem Teil, wo
sie glaubt, den Tod Karrys erläutern zu wollen, nur eine globale
Verantwortlichkeit als Kapit alverbrecher feststellen kann, was
wiederum bedeuten kann, daß jeder, der für das System
arbeitet, Funktionen besetzt, mit dem Tod als Bestrafung durch Revolutionäre
rechnen muß - pauschal. (...)
Konfrontieren wir diese Fehler in der Aktion und in der Erklärung
mit grundsätzlichen Überlegungen aus der 6. Zeitung der
RZ (1/81), so wird deutlich, wie diese Aktion den formulierten Prinzipien
widerspricht. Der Unterschied zwischen RZ-Strategie oder besser
grundsätzlicher Überlegung und RAF-Konzeption war bisher,
den Entwicklungsstand der Klassenauseinandersetzung in der BRD zugrundezulegen,
was sich in der Vermittelbarkeit der Aktionen (Symphatie des Volkes)
und in dem Versuch, voraussehbare Folgen mit einzukalkulieren, niederschlägt;
sowie in dem Anspruch, unmittelbar auf bestehende gesellschaftliche
Bewegungen Einfluß zu nehmen.
a.) Der Anschlag erfolgte als sich über die Person Karrys
am deutlichsten das Kapitalinteresse formulierte, welches über
die SPD-Koalition durchgesetzt werden sollte: Durchsetzung der drei
Großprojekte, Startbahn 18 West, Ausbau des AKW Biblis, Errichtung
Wiederaufbereitungsanlage in Hessen, um nach dem vorläufigen
Scheitern des Gorlebenprojektes das Atomprogramm voranzutreiben.(...)
Wenn überhaupt, so befanden sich die Bewegungen gegen die
drei Großprojekte in der Anfangsphase des Protestes. Die Bewegung
gegen die Startbalin verteilte sich auf "Zwei Beine", Volksbegehren
und Waldverteidigung (Hüttendorf).
Der Anschlag auf Karry sollte (vergl. spätere Erklärung)
eine "Bestrafungsaktion" darstellen, um die Verantwortlichkeit dieses
Mannes für die imperialistische Politk anzuprangern und die
Möglichkeit des Angriffs auf zentrale Figuren des Kapitals
und seiner Regierung zu demonstrieren.
Die Durchführung der Aktion und ihr Ergebnis (Tod Karrys) stimmen
mit Plan und Ziel nicht mehr überein. Die vermuteten Verwicklungen
Karrys in dubiose Geschäfte und seine engen Kontakte zu Israel,
sowie ein fehlendes Bekennerschreiben und der Art des Anschlags
(im Bett erschossen) ließen uns zuerst auf einen Anschlag
entweder aus der Profiunterwelt oder auf Faschos schließen.
Es folgten von allen Seiten Distanzierungen. Positive Reaktionen
gab es auch aus der militanten Scene nicht; auch wenn keine Tränen
vergossen wurden.
Jedenfalls erschreckend, daß die "bewaffnete Aktion" so
austauschbar erschien - die ersten Reaktionen auf die Erklärung
der RZ waren, daß sie nicht stimmt, daß ein "Dementi"
erfolgen müßte, denn sie enthielt soviel Ungenauigkeiten
und war so unpräzise.
Die RAF leitet ihre Anschläge im wesentlichen aus der eigenen
theoretischen internationalistischen Analyse bzw. Einschätzung
ab. Der praktische Ausgang des Anschlags auf Karry jedoch rückt
ihn von der Qualität (Tod) einer zentralen Figur des politischen
Machtgefüges) auf die RAF-Ebene; dies jedoch nicht aufgrund
einer Theorie. Von daher erhöht sich die schädliche Auswirkung,
weil sie die Glaubwürdigkeit herabsetzt.
Die Fehler werden nicht dadurch wettgemacht, daß in der
Erklärung der Bezug auf die Anti-Startbahnbewegung enthalten
ist. Im Gegenteil, entweder handelt es sich um eine immense Selbstüberschätzung
oder eher um eine tiefgehende Fehleinschätzung der Bewegung,
was wiederum Beleg für die Nichtverbundenheit mit dem Massenwiderstand
ist. (...)
Letztlich ist es aber für die revolutionäre Politik
zu wenig, lediglich die "Angreifbarkeit bestimmter Machträger"
in einzelnen Aktionen zu propagieren.
b) Die Erklärung benennt als Anlaß die Hüttendorfräumung
am 2.11. "unser Kampf gegen den Flughafenausbau ist nicht zu trennen
vom Kampf gegen Ausbeuter- und Kapitalinteresssen der NATO-Staaten
(gegen imperialistischen Krieg) und ihren Krieg gegen uns; so ist
mit der Räumung des Hüttendorfs unser Kampf noch lange
nicht zu Ende." Politisch wendet sich die Aktion - als Antwort -
gegen den Bullenterror als Versuch, Basisopposition zu zerschlagen
und als - Angriff - gegen den Flughafenausbau als v.a. dem NATO-
Kriegskonzept dienend. Die unmittelbaren Reaktion waren sehr unterschiedlich
(mal abgesehen von denjenigen, die die Art solcher Aktionen prinzipiell
ablehnen):
- Als unmittelbare Antwort auf die brutale Räumung und Zerstörung
des Hüttendorfs, auf die Angriffe der SEK gegen den Massenwiderstand
hat es die FAG getroffen und ihr materiellen Schaden zugefügt.
- Die Aktion hat gegen den Konsens verstoßen, die Flugsicherung
nicht anzugreifen. Sie hat nicht zur Klärung der Frage beigetragen,
wie der Startbahnbau zu verhindern und der Massenwiderstand weiterzuentwickeln
ist. Zudem hat sie Spaltungsversuchen zwischen BI und Militanten
erleichtert. Im Nachhinein kann festgestellt werden, daß diese
Aktion, wie auch spätere Sabotageaktionen gegen Baufirmen nicht
zu einer Spaltung geführt haben. Gerade weil sie klar ersichtlich
neben und unabhängig von den Massenaktionen abgelaufen sind.
c) Die Erklärung der RZ enthält wiederum 2 Teile:
"Reißt die Mauern ein" richtet sich an die Startbahngegner.
In ihr wird die Gefahr der Passivität erkannt, und deswegen
zur Ausnutzung der derzeitigen Schwäche der Bullen durch offensive
Rückeroberung aufgefordert, um Bedingungen zu schaffen. Aber
welche?
Die Bombe auf die politisch Verantwortlichen als Symbol für
die Notwendigkeit, diesen Staat anzugreifen, auch an seinen zentralen
Stellen? Der Kernsatz der Erklärung:
"Dort (im Wirtschaftsministenum) werden zur Zeit drei Großprojekte
in Angriff genommen : NATO-Startbahn West, WAA, Block C Biblis und
weitere AKW's sind geplant.(...)
Gegen diesen umfassenden Krieg des Kapitals kann kein punktueller,
sondern ein ebenso umfassender, gemeinsamer Widerstand erfolgreich
sein. Es wird dabei auch und v.a. darauf ankommen, Wege, Formen
und Mittel zu finden, die die Möglichkeit und das Ziel beinhalten,
Ausbeutung und Unterdrückung, ökologische Zerstörung
und Krieg abzuschaffen und einer Gesellschaft Platz zu machen, in
der wir Menschen sein können. Wir haben heute versucht, einen
Beitrag zu diesem langen Kampf zu geben."
Die Kritik an dieser Aktion schließt neben den technischen
Fehlern, die die Bombe nicht und v.a. nicht zum richtigen Zeitpunkt
zünden ließ, die bisher bekannten praktischen Umstände,
wie auch die Verquickung von Bombe und Erklärung mit ein. Konkret:
Stimmen die Zeitungsmeldungen, so war der Fundplatz der Bombe geeignet,
eher und völlig unpräzise Menschen zu treffen und zu verletzen
und nicht das Objekt bzw. politische Repräsentanten. Dies zu
rechtfertigen wird schwerlich möglich sein. Bisher liegt auch
keine Erklärung hierfür vor. Gleichzeitig zeigt sich,
daß anscheinend keine ausreichende Auseinandersetzung stattgefunden
hat, welche politische Konsequenz der Einsatz von Sprengstoff mit
sich bringt, insbesondere die Nichtausschließbarkeit einer
diffusen Streuwirkung.
Fraglich bleibt darüber hinaus: Was diente wem? Die allgemeine
Abhandlung imperialistischer Politik zur Rechtfertigung der Bombe
oder die Bombe, um die Aufmerksamkeit auf die allgemeine theoretische
Darlegung zu lenken? Wenn eine Gruppe, die sich als Guerilla öder
militant/bewaffnet begreift, was zu sagen hat, kann sie das dann
nur mittels einer Aktion?
Beides paßt nicht zusammen. Eine innere Notwendigkeit wird
nicht ersichtlich. Andererseits versuchen die RZ mit dem versuchten
Anschlag eine Gefährlichkeit gegenüber den Zentralstellen
der Macht, des Staates, durch die Bereitschaft ihn anzugreifen,
zu dokumentieren. Unsere Kritik richtet sich ja nicht grundsätzlich
gegen Bomben auf Ministerien. Es dürfte auch klar sein, daß
hier eine andere Ebene, Qualität erreicht wird, als Sabotageakte
gegen Bagger, sowie Massenmilitanz. Trotzdem kann der Symbolgehalt
nicht übersehen werden. Symbolgehalt deswegen, weil eine Beschädigung
und nicht eine Lähmung oder Zerstörung innerer Einrichtungen
des Ministeriums die unmittelbare Folge gewesen ware. Das heißt,
die Aktion hätte den Inhalt der Erklärung - Sturz des
kriegstreibenden Systems - symbolisch getragen.
Allein die Massenwirksamkeit eines auf Revolution zielenden Symbols
ist gering. Die radikale Linke hat den Anschlag nur zur Kenntnis
genommen, aber kann nichts damit anfangen. Auch die aktuelle Einschätzung
wird durch die Bombenverbindung von denen, die die Massenmilitanz
tragen sollen, eher entfernt als nahe gebracht. Es ist ja nicht
so, daß die Leute dann jubeln: hurra-das Wirtschaftsministerium
ist getroffen, jetzt stürmen wir den Bauplatz.
Diese Bombenaktion und der Karryanschlag sind vergleichbar: beide
verlassen die Ebene der Sabotage und beschreiten die Ebene der Kriegserklärung
an die Machtzentren. Beide weisen in der praktischen und politischen
Durchführung schwere Fehler auf. Dies sollte den Aktivisten
zu denken geben. Genauso bedenklich ist es aber auch, daß
in der Szene keine Diskussion darüber stattfindet. Man könnte
meinen, es juckt überhaupt niemanden oder die militanten Aktionen
werden pauschal kritik- bzw. beziehungslos konsumiert.
Symbiose
Daß für die RZ's die Frage nach der Distanz zur Bewegung
schon einige Mal anstand, zeigt nachfolgender historischer Einschub.
Nicht nur der deutsche Herbst 77 bewirkte einen Bruch in der Theorie
und Praxis militant kämpfender Gruppen. Bereits in der Zeit
zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe des Revolutionären
Zorns (Mai 75 bis Mai 76) schien zum ersten Mal ein Widerspruch,
was das Verhältnis zu Massenkämpfen anbelangte, bei den
RZ's aufzubrechen. War die in der Nr.6 zitierte Analyse aus der
Nr.1 noch die der Revolutionären Zelle, so endete die Nr.2
bereits mit der Parole "Schafft Revolutionäre Zellen".
Oberflächlich betrachtet war diese 'Zellteilung' eine durchaus
logische Konsequenz in Richtung "Stadtguerilla als Massenperspektive"
- nur die Entwicklung von Massenbewegungen zu dieser Zeit nahm einen
etwas anderen Verlauf. Die Zersplitterung der verschiedenen Teilbereichsbewegungen
ließen alles andere als die rasende Vermehrung "autonomer
kleiner Kerne" vermuten, der erhofften Stoßrichtung für
die Stadtguerilla fehlte der entscheidende Impuls. Die mit der Zersplitterung
der Bewegungen gleichzeitig eingeleitete 'Zellteilung' suggeriert,
daß die Revolutionäre Zelle genau diese Schwäche
der Teilbereichskämpfe erkannte und nun ihrerseits zum ersten
Mal vor der Alternative stand, als einzelner Stadtguerilla-Kern
weiterzumachen, oder sich der Bewegung zurückzuführen.
Die Zellen schienen der erste Versuch zu sein, den fehlenden Impuls
zu geben, allerdings immer noch mit der Perspektive Stadtguerilla
und einem gehörigen Schuß Volkserziehung. Bezeichnend
dafür folgende Passage aus der Nr.2:
"Angesichts dir Verallgemeinerung der wirtschaftlichen, politischen
und militärischen Gewalt, können sich der revolutionäre
Prozess, Massenbewegungen von Anfang an nur gegen bürgerliche
Legalität entfalten, muß die Kampfform der Guerilla annehmen,
dabei schrittweise Illegales, Nicht-Erlaubtes legalisierend durchsetzen.
(.) Die Aufgabe der revolutionären Linken ist es dabei nicht,
die Kämpfe des Volkes kommentierend zu begleiten, sondern zu
zeigen, wie sie möglich sind, wie sie verteidigt werden können.
Die Stadtguerilla unterstützt die Kämpfe des Volkes durch
Angriffe gegen seine Feinde, baut einen illegalen Apparat auf der
neue Aktionsformen ermöglicht. (...) Die Die Stadtguerilla
trägt die Momente des Antiimperialismus in die nationalen Auseinandersetzungen.
In der aktuellen Situation, dh. wahrscheinlich für einige
Jahre, gebt es darum, die demoralisierenden Auswirkungen der konterrevolutionären
Politik auf die Linke und die kämpferischen Teile des Volkes
zu stoppen, Krisenpolitik, Arbeitslosigkeit, Verteurung des Lebens
wirksam anzugeben, die Interventionen der BRD in Europa mit dem
Aufbau einer internationalen Front zu beantworten. Bewußsete
und und illegale Aktionen sind dabei ein notwendiges Mittel der
Resignation entgegenzuarbeiten, die scheinbare Unverletzlichkeit
und behauptete Allmacht des Systems zu verletzen, einige der Schweine
zur Verantwortung zu zieben."
Kernstück ihres damaligen Selbstverständnisses war also
die Organisierung der Stadtguerilla. Kommt uns die Frage, was die
RZs eigentlich unter Guerilla verstehen. Einzelne Aktionen, eingebettet
in Bewegungen, machen noch keine Guerilla aus, auch wenn Angriffe
auf Figuren und Institutionen der Macht versucht und gemacht werden.
Ein Modell von autonomen Gruppen, die sich organisieren, hat zumindestens
wenig mit "Guerilla" zu tun.
Bis zum Herbst ,77 schien sich nicht viel an dem neuem Konzept
und der Theorie geändert zu haben - äußerlich. Daß
bei Entebbe und OPEC einige Genossen/innen einer etwas anderen Linie
als der Bewegungsorientierten folgten, läßt Diskussionsprozesse
erahnen, die eben diesen Widerspruch (Verhältnis kontinuierlich
kärnpfender Gruppen zu Massenkämpfen) als Kristallisationspunkt
hatte. Der wohl augenscheinlichste Bruch in der Geschichte militanter
Gruppen bildete dann der deutsche Herbst.
Und genau zu diesem Zeitpunkt liefen wieder Diskussionen bezüglich
des Verhältnisses zu Massenbewegungen, die dann zu einer völlig
neuen Orientierung zumindestens eines Teils der RZs in Richtung
subversiver Aktion unter völliger Aufgabe des Konzepts Stadtguerilla
führte. Ein Aufhänger dieser Diskussionen war die Anti-AKW-Bewegung,
die 1977 mit Malville, Grohnde und Kalkar einen entscheidenden Höhepunkt
fand:
"Nach Grohnde war uns klar, daß eine Steigerung der Massenmilitanz
am Bauzaun keine realistische Perspektive mehr war. (...) Bei uns
führte der deutsche Herbst und die Krise der AKW-Bewegung dazu,
daß wir ander als illegale Aktionen für unmöglich
hielten und die politische Wirkung anderer Widerstandsformen unterschätzten.
(...)
Zu unserer Perpektive
Vorweg müssen wir sagen, daß wir hier nur für
einen Teil der RZ sprechen können.
(...) im Unterschied zu 1974/75 ist die Ökologiefrage heute
für ein entscheidendes Problem. Es gibt für uns kein hierarchisches
System von Aktionen, ganz unten steht das Flugblattverteilen und
ganz oben die bewaßste Aktion. Ein Denken in hierarchischen
Kategorien siebt Aktionen unter dem Gesiehtspunkt der Leistung und
bleibt so in einem patriarchalisch -kapitalistischem Denken verhaftet.
Die Üherwindung legaler Strukturen und legalistischen Denkens
ist die Voraussetzung der Entwicklung einer freien Gesellschaft.
Grundlage des legalistischen Denkens ist, daß Aufklärung
in der spätkapitalistischen Gesellschaft leicht zum Konsum
wird und so die den verrechtlichten Verhältnissen verhaftenden
Denkstrukturen nicht aufgebrochen werden können. Die ökonomische
Gewalt und andere Gewaltverhältnisse sind als rechtmäße
verinnerlicht und diese Gewalt muß wieder sichtbar gemacht
werden durch Verletzung der Legalität. Damit versuchen wir,
auch in der Form des Widerstandes unser Ziel zu verdeutlichen und
erfahren dies gleichzeitig als ein subjektiv befreiendes Moment.
Unsere subversiven illegalen Aktionen sind ein Mittel legalistisches
Denken zu brechen und zu einer Stabilisierung der militanten antiinstitutionellen
Linken beizutragen. (...) Wir verstehen uns als Teil der Anti-AKW-Bewegung
und nicht als deren bewaffneter Arm." (Autonomie 4/5)
Diesem eher der Subversion verbundenen Ansatz von bewaffneten
Kampf stellte sich die gleiche Fragestellung wie 1975: sollte um
der Kontinuität willen der Kampf in den Zellen wie bisher fortgeführt
werden, oder gab es eine flexiblere Verhaltensweise auf die jeweilige
politische Situation einzugehen. Diese Frage wurde weiterhin nicht
eindeutig beantwortet.
Bereits in der nächsten Massenbewegung, der der Anti-Startbahn-Kämpfe
klinkten sich beide Linien der RZs voll wieder ein; es fanden sowohl
Anschläge statt, die auf die "Fraktion" schließen lassen,
die offensichtlich weiter an der Analyse von 76 (siehe obiges Zitat
aus der Nr.2) festhielt und ein eher pädagogisches Verhältnis
zur Bewegung bewährte, als auch jene, die an den Erfahrungen
aus den Anti-AKW Kämpfen anknüpfte - beide mit der Zielrichtung,
eine treibende Kraft für, bzw. in der neuen Bewegung zu sein.
Bleibt die Antwort auf das Kernstück der ganzen Diskussion:
die Frage nach der Relevanz von kontinuierlich kärnpfenden
Gruppen zu stellen bzw. eine Konsequenz aus der kritisierten Konsequenzlosigkeit
zu skizzieren. Zweifelsohne sind für die Teilbereichskämpfe
der letzten Zeit (Anti-AKW-, Anti-Kriegs-, Startbahn West- und Häuserkampfbewegung)
15 Jahre Erfahrungen bewaffneter Gruppen ein entscheidendes Moment
gewesen. Durch diese Kontinuität war die Vorraussetzung für
ein grundsätzlich radikaleres Verhältnis zur Militanz
geschaffen. Die Entstehung vieler autonomer Gruppen - und Zellen
- sowie guerilla diffusa schienen eine fast selbstverständliche
Folge zu sein, die unmittelbar an gemachte Prozesse anknüpfte.
Und die Notwendigkeit eben dieser Kontinuität wird auch für
zukünftige Auseinandersetzungen unbestreitbar bleiben. Entscheidend
hingegen ist das Verhältnis zu den jeweils pulsierenden Aufständen:
Wir kritisieren, daß die RZs es bis heute nicht geschafft
haben, dem allmählich entstandenen Mythos, der sorgsam von
den Bewegungen genährt und gepflegt wurde, wirkungsvoll etwas
entgegenzusetzen. Leise - aber kontinuierlich - entwickelte sich
aus einem Modell eine Art Organisation; laufen heute Aktionen der
RZs, so haben sie immer den Charakter des Besonderen - des Abgehobenen,
Avantgardistischen.
Anstatt von außen, wie auch immer, Erfahrungen an jeweilige
Bewegungen heranzutragen, sollten die Genossen/innen in ihnen leben
- ohne Etikett. Oder spielt der Name etwa eine Rolle? Eine wertvolle
Kontinuität zu wahren, heißt sich darüber auszutauschen
und zu reflektieren - nicht das erhobene Dogma zu verinnerlichen.
Und daß Bewegungen, verharren sie einmal regungslos in gespannter
Sehnsucht nach dem Neuen, ihre Delegierten finden, ist absolut nichts
Neues.
Zellen - ab in die Bewegung !!
|