Hitparade für Stammheim
In hunderten von bundesrepublikanischen Polizeirevieren lief in
den letzten Wochen das gleiche Ritual ab: ein fetter Wachtmeister
nähert sich mit erregtem Grinsen in der Kehle und überdimensionalen
Filzstift in der feuchten Hand dem vergilbten Fahndungsplakat. Als
er sich eine Minute später tief befriedigt wieder hinter seinen
Schreibtisch fallen läßt, sind die Gesichter von Brigitte
Mohnhaupt, Adelheid Schulz und Christian Klar nur noch undeutlich
hinter den klobigen Kreuzen zu erkennen.
Was diesen Wachtmeister betrifft, soll, er uns nicht weiter kümmern.
Gönnen wir ihm diesen seltenen Moment sexueller Ersatzbefriedigung.
Doch unser eigenes Verhältnis zu den drei oben erwähnten
Personen und vor allem die Frage, wem die Gesichter auf den nächsten
Plakaten gehören werden – das soll uns ein paar Zeilen mehr
wert sein.
Ganz gleich, wie wir zur RAF im Allgemeinen oder Brigitte, Adelheid
und Christian im Besonderen gestanden haben – oder stehen – die
erste Reaktion war bei allen Unglaube und Mißtrauen gegenüber
den verbreiteten Versionen ihrer Festnahme. Zu viele Ungereimtheiten
verdarben selbst dem unbescholtenen Publikum den widerspruchsfreien
Genuß des dargebotenen Schauspiels. Zeugt es nicht von ungewöhnlich
schlechter Regie, wenn der böse Bube während des ganzen
Films alle Häscher an der Nase rumführt und am Schluß
wie ein tölpelhafter Komparse in die Falle läuft?
Diese und andere Fragen wurden heiß diskutiert, doch Antworten
fand man keine. Zuwenig wissen wir in der Szene über die innere
Logik und Logistik von RAF und BKA. Doch eins scheint sicher. Die
Lettern leuchten auf der Leinwand, während die Titelmelodie
verklingt: The End.
Aber ähnlich wie Hollywood, so hat auch Wiesbaden seine Eigendynamik.
Längst hat sich das BKA nach einem neuen Partner umgesehen.
Die Public Relation läuft auf vollen Touren.
James Bond auf der blutigen Spur der Revolutionären Zellen,
lautet der Arbeitstitel für den neuen Schocker. Doch bevor
wir uns seiner ersten Folge widmen – gedacht wird vorerst wohl an
37 Teile – lehnt euch zurück und laßt das bisher letzte
Kapitel der Roten Armee Fraktion noch mal Revue passieren.
Zögernde Annäherung
Zum Zeitpunkt wiedererstarkter sozialer Bewegungen und militanter
Auseinandersetzungen, besonders mit der amerikanischen Kriegspolitik,
tritt die RAF mit dem Anschlag in Ramstein nach einer längeren
"Pause" wieder aktiv in Erscheinung. In der dazu abgegebenen
Erklärung zeichnet sich eine für die RAF neue Tendenz,
sich den sozialen und in lokalen Kämpfen eingebundenen Widerstandsbewegungen
anzunähern, ab.. Der Imperialistische Krieg in seiner höchsten
Abstraktion, wie ihn die RAF bis zu diesem Zeitpunkt ständig
propagiert hat, wird nicht mehr als das Allein-seeiig-machende bezeichnet.
Er wird zum Überbegriff erhoben, unter den sich die Kämpfe
gegen seine konkreten Auswirkungen subsumieren lassen: Die US-Militärstrategie
ist das äußerste Mittel der Politik der imperialistischen
Staatenketten. Alle politischen, ökonomischen und sozialen
Mitte! sind auf sie abgestimmt. Sie bestimmt die gesellschafllche
Entwicklung in den NATO-Ländern und in ihr kommt dieses System
- imperialistischer Politik insgesamt - wie in einem Brennpunkt
auf den Begriff. Der schleichende Tod im 24-Stunden-Tag der Metropolen,
die Zerstörung im Existenzkampf, Perspektivlosgkeit, Entfremdung,
die Entmenschlichung der Arbeit, die Tendenz zur Eleminierung der
Menschen durch die Maschine aus der Produktion überhaupt, die
Vernichtung von Lebensbedingungen durch Atomindustrie, Chemie und
Beton. Die Gefängnisse, die Kontrolle und Kanalisierung aller
Lebensäußerungen und ihre Repression, wenn sie nicht
für das System umgedreht werden.
Diese Tendenz der Annäherung kam in der Erklärung zu
Kroesen noch deutlicher in einem ungewohnt intimen "Kämpft
mit uns" zum Ausdruck.
Die Annäherung war nicht nur einseitig.Die Auseinandersetzungen
um die Bewegungsgefangenen hatten im Knastkampf der Gefangenen von
RAF und 2. Juni wieder näher ins Bewußtsein gerückt
und weit über den Hungerstreik hinaus wurde "Eine Front
mit der Gerilja!" zum Schlachtruf auf Demos. Aber gerade in
dem "Kämpft mit uns!" lag die Wurzel des Konflikts,
der die rasche Wiederabtrennung dieser beiden Widerstandsformen
beschleunigte und was bei dem letzten RAF-Positionspapier - als
ein Versuch die Gemeinsamkeiten zu betonen - erneut deutlich wurde
und so quer durch die Szene auf Ablehnung stieß: Die RAF hatte
ihren Führungsanspruch nie aufgegeben, es wurde nie zu einem
"Laßt uns gemeinsam kämpfen!", sondern blieb
ganz klar beim "Schließt euch uns an!".
Guerrilla in der Isolation
So wurde die Isolierung der RAF nicht aufgehoben, da sie erstens,
nur zu einem halben Schritt auf die Bewegung bereit war - obwohl
ihnen hätte klar sein müssen, daß die Verbindung
zu den Basiskämpfen für eine Guerrilla lebensnotwendig
ist - und zweitens, galt das Prinzip und Selbstverständnis
der RAF bei den in den lokalen Kämpfen Stehenden zu Recht als
historisch überholt - für eine andere Situation wurde
eine andere Form des bewaffneten Kampfes gesucht und in dem Prinzip
der RZs gefunden. Die Geschichte der RAF hatte Lernprozesse in Gang
gesetzt c, die auf sie selbst zurückschlugen, da sie viel zu
spät (oder nie?) eine offene Auseinandersetzung über ihre
eigene Geschichte und Fehler gesucht hat.
Dazu kam, daß die Imperialismusanalyse der RAF für viele
nicht so platt zu übernehmen war. "Jankees verjagen -NATO
zerschlagen" war dem schon etwas differenzierteren "Aufruhr
in Ost und West -gegen Warschauer Pakt und NATO-Pest" gewichen.
Die Gräben zwischen Anarchisten und RAF konnten nie zugeschüttet
werden, wenn auch so mancher Bewegte um das A bei RAF ein Kringelchen
machte. Die einzige Möglichkeit wäre eine wirkliche Auseinandersetzung
und ein Erfahrungsaustausch gewesen, was zu einer flexibleren Position
der RAF hätte führen können, doch so blieb es immer
bei einem abstrakten gegenseitigen Überarbeiten von Positionspapieren
zwischen den Untergrundguerrilleros und den militanten Basisbewegungen.
Hierfür war sicherlich auch ein Grund, daß die RAF u.a..
durch die ausgesetzten Kopfgelder nicht mehr vor Verrat aus den
eigenen Reihen und aus der Szene sicher sein konnte und es so oft
unmöglich war, zu der mit Spitzel durchsetzten Szene direkten
Kontakt aufzunehmen.
Die "Opas" und die "Newcomer"
In der Phase hochgradiger Isolation schnappte nun der Fahndungsapparat
zu - nicht, daß es jetzt erst zum erstenmal möglich gewesen
wäre. Der Ablauf der letzten Festnahmen legt die Vermutung
nahe, daß sich die Fahnder keine weiteren Information von
einer Observation bezüglich Plänen und Verbindungen zum
sogn. Umfeld versprachen. Für die (immer noch) nötige
Legitimation des ständig expandierenden Fahndungsapparats waren
auch längst schon "geeignetere Objekte" aufgebaut worden.
Spätestens seit Anfang des Jahres, wenn nicht schon seit Karry,
führten in den bürgerlichen Medien die Revolutionären
Zellen die Hitliste der Staatsfeinde an.
Da es der bürgerlichen Gesellschaft, mittels ihres Medienmonopols,
so leicht zu gelingen scheint, "Staatsfeinde" fast nach belieben
auf oder abzubauen, müßte die alberne Ansicht, der militante
Widerstand legitimiere die Repression des Staates, ein für
alle Mal auf dem Müllplatz des reformistischen Angstgeschreis
verbannen. Der Staat ist fast immer in der Lage, einen inneren Gegner
seinen Bedürfnissen entsprechend aufzubauen - und dafür
können selbst mal Alternative oder Grüne herhalten.
Solange die RAF als Hauptfeind ausgewiesen werden konnte, stand
sie ein Stück weit als schützender Puffer zwischen uns
und der Repression. Nun, die gesamte Reaktion der bürgerlichen
Presse zeigt es, bilden RZ und Guerilla Diffusa die Spitze des "terroristischen"
Eisbergs. In der Logik des Systems muß es immer eine solche
Spitze geben, denn Abschreckung - das Grundprinzip der bürgerlichen
Justiz - funktioniert nur auf der Basis, daß es einige Wenige
trifft und der Rest aus Angst, man könnte als nächster
an der Reihe sein, aufgibt oder den eigenen Widerstand reduziert.
Die Zwiebel-Doktrin
"Nach dem Ende der RAF - die neuen Terroristen - wie die Revolutionären
Zellen den Staat zerstören wollen" lautet der Titel des
STERNS und auch der SPIEGEL widmet sich sogleich der neuen Terroristengeneration.
Die Zerschlagung von Widerstand in der jetzigen historischen Situation-in
der BRD, scheint wie das Schälen einer Zwiebel zu funktionieren.
Die äußere Schale wird aufgebaut, abgetrennt und vernichtet.
Diesem "Spiel" sind bis zur vollständige Zerschlagung
jeden Widerstands theoretisch keine Grenzen gesetzt. Im gegenwärtigen
"Entwicklungsstadium" der BRD sind einer fundamentalen Repression
noch einige rechtsstaatliche Schnörkel im Weg, so bleibt vorerst
das Prinzip der Spaltung und Abschreckung - Search & Destroy.
Den Zusammenhang von System, Widerstand und Zwiebelschale machte
Herold neulich im SPIEGEL deutlich:
SPIEGEL: Werden die Terroristen Ihre Ziele und Aktionsformen ändern?
Herold: Wenn junge, intelligente Menschen mit einem hohen moralischen
Anspruch derart vehement und natürlich in schrecklicher Weise
kriminell, gegen die bestehenden Verhältnisse anrennen, muß
das auch mit den bestehenden Verhältnissen selbst etwas zu
tun haben.
Die subjektive Seite des Terrorismus, der Knick in den Lebensbahnen
jung Leute, die eheliche Fehlanpassung, die Berufsfindungsschwierigkeiten
liefern nicht allein die Erklärung für ihr Verhalten.
SPIEGEL: Sondern?
Herold: Auch die objektiv gegebenen Strukturdefekte verursachen
den Rigorismus. Erst mit der Beseitigung der
objektiven Faktoren wird der Terror verschwinden. Da sich unsere
historische Situation in überschaubarer Zeit nicht erkennbar
ändern wird, werden sich die Widersprüche und Defekte
in unserer Gesellschaft eher verschärfen, wird also der Terrorismus
fortbestehen. Allerdings wird er andere Formen annehmen. Die alte
RAF ist 1981 zu Ende gegangen, aber eine neue Terroristengeneration
wird sie ablösen.
SPIEGEL: Sind das die "Revolutionären Zellen"?
Herold: Ja. Die Zahl der Anschläge, die Revolutionäre
Zellen verübt haben, geht schon in die Hunderte. Die RZ-Aktionen
haben sich flächenbrandartig ausgebreitet. Die Anschläge
sind zur Normalität geworden, die
Informationen darüber besitzen keinen Neuigkeitswert mehr
und daher auch für die Medien keinen Marktwert als verkäufliche
Ware. Wegen der fehlenden Widerspiegelung sind die Aktionen der
RZ dem öffentlichen Bewußtsein leider entrückt.
Die ungesteuerte Spontanität ihres Auftretens hat jedoch Züge
beginnender Massenhaftigkeit,setzt Frühsignale einer nicht
zu unterschätzenden Gefahr.
Die "neue Gefahr"
Damit nun die "neue Gefahr" besser ins öffentliche Bewußtsein
rücken kann, mühen sich die bürgerlichen Medien ab,
den Mythos der OpaGuerrilla (STERN) fallen zu lassen und den der
RZ aufzubauen. BKA und Bundesanwaltschaft müssen seit acht
Jahren Niederlagen gegen eine andere Terroristenorganisation einstecken...
Noch vor dem Erfolg gegen die RAF hatte Rebmann zugeben müssen:
Die Revolutionären Zellen sind die gefährlichste deutsche
Terroristengruppe!
Die propagandistischen Weichen sind gestellt - und wir sind sicher,
das ist nur der Anfang. Wenn die gesamte, noch sehr breitgestreute
Szene des Widerstands, das Zwiebelprinzip nicht begreift, wird sie
es selbst sein, die weitere Genossen an die Schlachtbank der Repression
ausliefert. Wenn es dem Staat gelingt, den gährenden Haufen
von Leuten, die alle nach ihren Möglichkeiten Widerstand leisten,
zu differenzieren und einzelne Teile zu isolieren, dann ist die
Zerschlagung des gesamten Widerstands nur noch eine Frage der Zeit.
Es soll sich keine/r einbilden, der/die sich noch in Sicherheit
wiegt, daß nicht unter jeder Schale die nächste hervor
kommt.
Wir sollten höllisch aufpassen, denn zu der Phase des Aufbauens
gehört auch die Phase der Diffamierung mit dem Ziel der Distanzierung.
Konkret heißt das, daß uns in nächster Zeit viellleicht
einige Aktionen von angeblichen RZs etwas "spanisch" vorkommen
könnten; und das wiederum könnte daran liegen, daß
sie ihren Ausgangspunkt in der Computer-Zentrale des BKA genommen
haben - vielleicht, wie gesagt. Jedenfalls wird der Staat versuchen,
das Image der RZs ein bißchen in Richtung "brutale Terroristen"
zu polieren, damit's einigen Linken etwas leichter fällt "nichts
damit zu tun zu haben". Wenn die schwelende Distanzierung - die
hin und wieder ja schon zu riechen ist - zu stinken beginnt, wenn
das deutsche Volk wieder nach Blut schreit, dann ist Frühling
im Deutschen Herbst.
Und die Gesichter auf den neuen Fahndungsplakaten scheinen merkwürdig
bekannt - es sind unsere.
Sicherheit der 80er Jahre
Wir halten es deshalb für so wichtig, das staatliche Prinzip
de; Widerstandszerschlagung zu durchschauen, weil wir sonst ohnmächtig
einer Situation ausgeliefert sein werden (sind), der wir sonst (hätten)
begegnen können. Und diese Situation kostet nicht nur einigen
das Leben oder zumindestens die Freiheit, sondern kann leicht zur
Aufgabe des eigenen Widerstands und somit des eigenen Lebens führen.
Wenn wir es schaffen, unlogisch und unberechenbar zu bleiben, wird
der perfektionistische Apparat des BKA weiterhin auf einem Berg
unaufgeklärter Kommandoerklärungen stehen. Das ist für
uns Sicherheit der 80er Jahre. Es gibt für die Bullen keine
Methode unsere Struktur aufzurollen. Man kann dafür kein Fahndungsraster
aufstellen, das einzige, was uns das kreuz brechen kann, ist ein
dicker Fehler) oder ein gottverdammter Zufall, zitiert der STERN
den Revolutionären Zorn, und dem muß das BKA sicherlich
zähneknirschend zustimmen. Doch dabei sollten wir bedenken,
daß ganz gleich ob es dem Staat gelingt diese Struktur zu
knacken, oder nicht, er seine Opfer brauchen wird und versucht,
sie sich zu gegebener Zeit zu holen - zum Beispiel diese gottverdammte
Zeitung.
- RAZ & RÜBE
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