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Brief an den Pflasterstrand
Als Hans- Joachim Klein sich zuerst meldete und vor Mordplänen
gegen Galinsky und Liblinsky warnte, sammelte ich Unterschriften
und wir dankten ihm (im Spiegel) dafür und erklärten unsere
Sorge um seine Sicherheit, Auch im Pflasterstrand gab es damals
eine lebhafte Korrespondenz.
Nun fordern mich Freunde auf, angesichts seines Liberation- Interviews
und seines Beitrags im "Pflasterstrand 47", endlich zu
bekennen, daß ich mich in dem Mann geirrt habe, daß
er ein Verräter sei, der für den Staatsschutz und/oder
israelischen Geheimdienst arbeite usw. - Ich habe beide Texte genau
gelesen, und besonders der im Pflasterstrand 47 veranlaßt
.mich, diesen Jochen Klein, den ich nicht kenne, erneut meiner Sympathie
zu versichern und zu bitten, nicht zu verzweifeln, Und das ist nicht
nur meine Meinung, sondern die vieler Freunde und "Genossen",
(Die Gänsefüßchen, weil ich zu der Generation gehöre,
der zuerst der Stalinismus und dann später die Rechtfertigungen
der Morde an Schmücker, Drenckmann, Buback, Ponto usw., den
Gebrauch des Wortes manchmal erschweren. Übrigens hat auch
Jochen Klein zu meinem Entsetzen den Schmückermord gar nicht
so arg gefunden, auch als er schon vom Terrorismus genug hatte.)
Es ist nicht so, daß ich alle Äußerungen und Überlegungen
Kleins unterschreiben würde, aber ich finde es im ganzen gut,
daß es ihn gibt, daß Menschen so denken und sich - auch
wenn sie dabei viel Einsamkeit aushalten müssen, auch wenn
sie dabei mitunter sicher Fehler machen weiterentwickeln!
Ich kenne die Gegenargumente, der Beitrag Pflasterstrand 47 sei
unerträglich eitel und ichbezogen. - Quatsch! Wer zu lesen
versteht, sieht dahinter auch die Einsamkeit, den Ruf nach Solidarität,
und überhaupt hat die Linke zuviel Angst vor "Individualismus"
und vergißt, daß Marx die freie Entfaltung des Einzelnen
als Grundlage der freien Entfaltung aller sah. Und ohne Eigenliebe,
die Klein im Augenblick wahrscheinlich bitter nötig braucht,
kanns auch keine wirkliche Nächstenliebe geben.
Die "Gewissheit", er sei jetzt ein Agent des israelischen
Geheimdienstes, finde ich nur überzeugend für das Bedürfnis
vieler Linker nach Klatsch und Gerüchtemacherei. Beweise
gibts keine. Ich habe auch schon gehört, Horst Mahler arbeite
doch längst für "die Bullen" bzw. "den
Staatsschutz". Auch das alte Argument aus den besten Stalinismuszeiten,
Leute wie Klein und Mahler seien "objektiv" Agenten, was
immer sie "subjektiv" seien, habe ich unlängst gehört
und gebührend beantwortet.
Nicht, daß Ich glaube, daß Klein - oder z.B. Horst
Mahler mit seinen Äußerungen gegen "Isolationsfolter"
(einen Begriff, den er selbst mehr als andere prägen hat -
nicht gelegentlich zu weit gehen.
Das ist traurig, und dagegen soll man sein. Aber ich halte es für
schäbig, wenn zwar das Abrutschen in den Terrorismus als eine
Art linkes Kavaliersdelikt verstanden wird, aber jeder Fehler auf
dem schweren Weg aus dem Terrorismus heraus Grundlage eines Verdammungsurteils
sein soll.
Mit dem Verdammen sollte man sich überhaupt etwas schwerer
tun, finde ich. Verdammen könnte ich einen Jochen Klein auch
dann nicht, wenn er tatsächlich Agent des israelischen Geheimdienstes
geworden wäre, obwohl ich dann versuchen müßte,
ihm entgegenzuwirken, denn ich mag weder den israelischen noch andere
Geheimdienste. Aber wer, wie ich, die Stalinära seit den Dreißigerjahren
miterlebt hat, der kann es sehr wohl verstehen, daß einer,
verzweifelt über die Heuchelei und die Verbrechen derer, zu
denen er gehörte, zunächst nur sucht, wie er am wirksamsten
etwas dagegen unternehmen kann. Längst nicht alle, die damals
und dadurch CIA- Agenten usw. wurden, sind aus verbrecherischen
oder niedrigen Motiven in diese Lage geraten. Das zu glauben, wäre
ebenso blutiger Unsinn, wie jedem, der in der Bundesrepublik zum
sogenannten "bewaffneten Kampf" gestoßen ist, niedrige
Motive zu unterstellen.
Erich Fried
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