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ZUM KLEIN -INTERVIEW
AN JEAN-MARCEL BOUGUEREAU
"Die Memoiren von H.-J. Klein, einem Untergrundkämpfer,
der nicht mehr einverstanden ist."
Unter diesem Quick-Titel veröffentlicht Jean- Marcel in der
Liberation das Interview in zahlreichen Folgen. Gleich danach lief
eine ähnliche Serie vom letzten Moro- Gespräch mit den
Roten Brigaden kurz vor seinem Tod. Versteckt sich dahinter nicht
vielleicht eine konzeptionelle Krise dieser Tageszeitung, daß
sie in solchen Journalismus verfällt? Die Kritik von einigen
französischen Linken, mit denen ich gesprochen habe - Liberation
verlasse die Ebene der Weltpolitik kaum - wird dadurch nur noch
bestätigt.
Sicher ist, daß ein großer Teil der Kritik am Klein-
Interview nicht den Redenden trifft, sondern an den Fragenden zu
richten ist. Und da knallt die Pflasterstrandkritik voll daneben.
Was Jochen will, sagt er selbst zweimal: "Ich will über
eine politische Erfahrung Rechenschaft ablegen, die Lehren daraus
mitteilen." Ob das gelingt, mag angezweifelt werden.
Allerdings müssen auch untere Hierarchiestrukturen von Organisationen,
Verhaltensweisen von Mitgliedern - kleinen und großen - materielle
Abhängigkeiten bekannt sein, um über ihre Politik, Identität
und Veränderbarkeit diskutieren zu können Die schwachsinnige
Entebbe- Aktion, der Antisemitismus und jetzt die Informationen
aus dem Interview haben wohl endlich dem Märchen von der Unabhängigkeit
der Stadtguerilla ein Ende gesetzt. Mag sein, daß dies viele
schon wußten. Aber vielen ist es erst jetzt klargeworden.
Die Unangreifbarkeit der RAF, des 2. J uni und auch der RZ, dessen,
was sie tun, und vorgeben zu sein, bleibt für mich inakzeptabel;
aber genau das will das "Verrats- Argument" erreichen.
Wenn die Illegalität dafür die Begründung ist, assoziiere
ich STALINSCHE - KOMINTERN -MORDE: Un- Menschlichkeit in der Perfektion,
auch der Faschisten, die die Guerilla zu bekämpfen glaubt.
Verrat zu rufen, deckt dieses Politikverständnis und ist mir
zu einfach, auch wenn ich ein höchst ungutes Gefühl im
Bauch habe, wenn Jochen mehrfach von "Boese, der Chef der Revolutionären
Zellen" und deren internationalen Verpflichtungen (- flechtungen)
redet und die Bedeutung dieser veröffentlichten Sätze
z.B. im Schwall- Verfahren.
Warum Jean- Marcel auf diese Problematik nicht eingeht, sei es
im Vorwort, sei es in den Fragen, bleibt schleyerhaft. Daß
in Frankreich keine durchorganisierte Guerilla a la RAF existiert
(was in der Bretagne geschieht, halte ich für etwas ganz anderes)
ist keine Entschuldigung. Die Verantwortung des Fragenden mußte
Jean- Marcel klar sein, er hatte Zeit genug. Eine Woche -schreibt
er selbst. Jochen war nie ein Intellektueller:
"Frage: Und warst du bei den Diskussionen den Terminen, sehr
gesprächig?
Klein: Nein. Zu zweit, viert oder fünft ging das, aber wenn
es eine Versammlung gab, wurde ich stumm. Ich habe es nie geschafft,
laut zu artikulieren, was ich dachte." (Interview, S. 5, Spalte
3)
Es wäre die verflixte Pflicht von Bouguereau, diesen Sensationsjournalismus
nach dem Motto: "Der Terrorist und ich- auf der Bühne
der Weltpolitik" Spiegel und Stern zu überlassen. Dazu
machen wir eigene Zeitungen, um solche brisanten - für viele
im Knast sitzende - Stories nicht als Histörchen stehen zu
lassen, sondern als Dokument für eine politische Auseinandersetzung
zu verwerten.
"Eines Abends erhielt ich bei Liberation eine kurze Notiz,
in der mir ein Rendez- Vouz irgendwo in einem fremden Land angetragen
wurde. Der Brief war mit einem Namen unterzeichnet, den ich gut
kannte" fragt man schon lange, wer denn?? Umständliche
Formulierung erzeugt Spannung jetzt folgt, aha: "Hans- Joachim
Klein, ..." der internationale Terrorist (J.M.B. verwendet
hier etwas längere Umschreibungen). Das meine ich mit Sensations-
Journalismus.
Zwischenüberschrift: "Carlos und Bouteflika" (alles
Seite 1 im Interview), das ist Weltpolitik.
"Internationaler Terrorist, der in Hiltons residierte",
das ist einfach Bild- Zeitungsstil.
Einem Hans- Joachim Klein, der seit langem isoliert in "Freiheit"
lebt, kann ich seine Unfähigkeit zu differenzieren, kaum vorwerfen.
Links heißt, solidarischer und politischer als Spiegel, Stern
oder L'Express zu schreiben - und das, Jean- Marcel, ist dir daneben
gegangen. Da, wo das Interview aufhört, müßte es
weitergehen. Nicht in der Länge, sondern inhaltlich. An mehreren
Punkten berichtet Jochen von Diskussionen: "Als die Bewegung
2. Juni Schmücker hingerichtet hat, war ich einer der wenigen
in Frankfurt, die mit Boese sagten, daß man Verräter
hinrichten muß." (Interview S. 6, Spalte I). Warum hast
du z.B. hier nicht weiter gefragt? Was war damals für- ihn
Verrat? Denke an das Brückner- Buch zum 2. Juni. Was ist Verrat
heute? Was ist mit der Vokabel "Hinrichten"?
Benutzt Jochen das Vokabular der RAF immer noch?
Nichts von alledem! "Hast du sehr Cowboy gespielt? ",
folgt als Frage. Das ist ein Beispiel für meine Kritik.
Wolf
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