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Widerstand: für und wider
Wenn ich darüber nachdenke, was es heißen kann, Widerstand
zu leisten gegen dieses System von Leistungsdruck, Konkurrenz, Unterdrückung
- Kaputtsein & Kaputtgemacht werden: dann kann ich mir Widerstand
nur in einem doppelten Sinne vorstellen:
Widerstand bedeutet für mich Kampf gegen das, was ich an Unterdrückung
tagtäglich erfahre und Widerstand drückt sich zugleich
aus als Kampf für (suchen nach) etwas, das mir - wenn auch
erst in Bruchstücken - erfahrbar macht/ teil dessen ist, was
ich mir unter einem menschlichen Leben vorstelle, was eine Ahnung
dessen enthält, was ich - hilflos, manchmal vage - als "konkrete
Utopie" greifen möchte.
Das ist aber nun mal kein "sowohl - als auch", das sind
nicht zwei paar Schuhe, sondern höchstens Vor- und Rückseite
ein und derselben Medallie
1.
Ich stell mir die Frage, wie ertrag ich es konkret, für eine
Gesellschaft zu kämpfen, die nicht aus Gewalt und Unterdrückung
lebt und diese, Strukturen alltäglich in uns reproduziert,
weil sie uns tagtäglich mit Gewalt und Unterdrückung gegenübertritt
und den Widerspruch (?), das ganz vehemente Bedürfnis zu spüren,
meine Wut, meinen Zorn, meine alltägliche Verletzung auch gegen
all die Zusammenhänge zu wenden, die mich unterdrücken
und die mich leiden machen?
Vielleicht hat schon manche/mancher (ich auch) Momente von echtem
Glücklichsein erlebt und hat dann durch diese verfluchte Realität
erfahren, daß dir (mir) dieses Glücklichsein geraubt,
zerstört wird durch die gräßliche Alltagsnormalität,
wo du nicht hingehen kannst, z.B. wenn du arbeitest und sagen kannst,
"ich kann heut' nicht arbeiten, weil's mir einfach so wirklich
gut geht; das will ich jetzt genießen, leben." - Wer
immer so ein Gefühl von Glücklichsein erlebt hat - und
arbeiten gehen sollte, der ist bestimmt hingegangen ans Telefon
und hat gesagt:
"Tut mir leid, mir geht's schlecht, ich bin krank." (Vielleicht
hat Mann und Frau dabei höchstens ein Gefühl von Triumph
gehabt, sich jetzt nicht dem Druck des Alltags anzupassen...) Aber
die Verlogenheit dran, die hat dabei bei mir auch immer ein mieses
Gefühl hinterlassen, auch eine fürchterliche Wut. weiI's
einfach verboten ist, sich so sehr dem (doch meist sehr seltenen)
Augenblick von Glücklichsein hinzugeben - zu genießen)
dich mit dir und deinen Sehnsüchten identisch zu fühlen
du selbst zu sein.
Ich denk nach über's Glücklichsein -Mensch/Frau/Mann
zu sein, und spür' dabei, wie mir die Wut aus alIen Poren kocht,
weil ich nicht so sein darf; weil ich funktionieren soll; weil ich
mir keine Zeit lassen darf für dich und mich ...und
viele!!!
Irgend jemand hat mal von Entfremdung geredet; das ist es: ich
soll mir (und dir) fremd, äußerlich bleiben.
2.
WIDERSTAND, das wird nur mich auf diesem Erfahrungs- und Gefühlshintergrund
sehr viel: beinhaltet ALLE Formen von Durchsetzung eines winzigen
Augenblicks von Lust, von Freude; von Verarschung des Unterdrückers;
auch von Militanz: von der ersten - befreienden Ohrfeige, die du
deinem Alten/deinem Chef gibst (ich hab's immer noch nicht gemacht),
über den ersten Stein, den ich in die Hand genommen hab, bis
hin zum Wunsch, am liebsten das ganze Gerichtsgebäude in die
Luft zu sprengen wenn ich mitkriege, mit welchem Zynismus hier Menschen
erniedrigt, gequält und mit jahrelanger Knastfolter ,bestraft'
werden.
WIDERSTAND, das sind für mich die gesamt n Aktionsmöglichkeiten,
in den ich/du/wir unsere Wünsche, Hoffnungen, unsere Empörung
und unsere Wut zum Ausdruck bringen.
Beim gegenwärtigen Stand der Diskussion, soweit ich sie mitkriege,
habe ich oft den Eindruck, als würde mir meine Wut, mein Zorn
geklaut (hat dann ganz schnell was mit Bullenstrukturen zu tun);
von "revolutionärem" Zorn kann ich aber auch nicht
mehr so einfach sprechen, wenn ich z.B. an die dritte Ausgabe der
RZ- Zeitung denke.
In kaum einer Diskussion ist's mir derzeit möglich, MILIT
ANZ auf allen Ebenen zu diskutieren, wobei ich Inhalt und' Aktionsform
nicht trennen kann. Und zwar deshalb ist diese Diskussion nicht
möglich, weil Militanz gegen Zärtlichkeit ausgespielt
wird; weil außerdem die bewaffnet kämpfenden Gruppen
(siehe 3. RZ- Zeitung) ein Monopol drauf (auf Militanz, "Kämpfer
-sein") erheben.
Und so sitze ich aber zwischen allen Stühlen, wenn ich keine
Lust hab', mir die gesamte vergangene - Geschichte um die Ohren
haun zu lassen, daß -.wer sich mit Gewalt gegen Gewalt zur
Wehr setzt, (und das fängt ja wohl schon bei der Ohrfeige an),
wer solches tut, also selbst zum Gewalttäter (in seiner notwendig
sich verselbständigenden Bullenstruktur; innere Logik!) wird.
Ich sperr mich dagegen, auch die Geschichte/Geschichten der Stadtguerilla
- oder Einzelheiten (?) daraus - als Beweis dafür auffahren
lassen, daß militante Aktionen (besonders die schärferen
Kalibers) per se Strukturen schaffen, die nach innen und/oder nach
außen notwendig: elitär, avangardistisch, konkurrent,
verächtlich anderen gegenüber (gerade auch Genossinnen)
sind.
3.
Ich denk' dabei an unsere eigene Geschichte. Auch da hat es Aktionen
gegeben, die nur von einer bestimmten Zahl von Leuten vorbereitet
und durchgeführt wurden (clandestin und in der Ausführung
andere ausschließend); da sind dann die anderen, die nicht
mitgemacht haben (nicht mitmachen konnten -wegen der "Clandestinität"),
auf übelste Weise diffamiert worden von den Akteuren (z.B.
Chile).
Jetzt wird oft gesagt, die Art der Aktionen (Vorbereitung wie Durchführung)sei
schuld gewesen; hätte just jene Eigendynamik in sich getragen,
die uns oder nem Teil von uns derzeit so große Probleme macht.
Ich finde, das geht am Kern der Sache vorbei. Gerade bei Aktionen,
wo der Inhalt von vielen unterstützt wurde (gegen die Ärzte-
Bonzen, gegen chilenische Bonzen, gegen Vertreter/Vertretungen des
spanischen Faschismus), da waren nicht die Aktionen das Trennende,
sondern einerseits die Arroganz derjenigen, die ,mitgemacht' hatten,
und andererseits das konkurrente Reagieren derer, die nicht daran
teilgenommen hatten. Für mich sind immer noch die Aktionen
am besten, an denen viele, viele teilnehmen, teilhaben können,
weil ich auch nicht aus dem Kopf und dem Gefühl die Erfahrung
(wie die Notwendigkeit) raushalten will, daß gemeinsames Handeln
STÄRKE bedeutet & vermittelt, Mut macht.
Aber nicht dadurch disqualifizieren sich alle Aktionen (bzw. die
Genossen, die Aktionen planen und durchführen), daß sie
nicht öffentlich vorbereitet werden und in der Durchführung
andere ausschließen. Das Problem entstand und entsteht erst
da, wo solche Aktionen (mit ihren Aktionsformen) dafür verwendet'
werden, auf andere Genossen draufzuschlagen: daß die anderen
die "Unpolitischen", die "Arschlöcher",
die "Angepassten", nicht- mehr- an- Widerstand - Denkenden,
am besten nur noch auf ihre Rente/Pension Starrenden seien ...
Und auch hier gibt es ein Wechselverhältnis: meine Erfahrung
- und die ging leider über lange Zeit - war einerseits das
ausgrenzende Verhalten der ,militanten" - Somit "politischen"
Genossinnen gegenüber :insofern immer konkretisiert über
Aktionsformen, die gerade die Ausgegrenzten nicht mit einbeziehen
wollten, und andererseits - und da war ich auch lange Teil davon
- die konkurrente Reaktion der sich Ausgeschlossen- Fühlenden,
der real Ausgeschlossen.
Und hier komme ich denn endlich auch zu meiner THESE: nicht die
Aktionsform (clandestin, militant, bewaffnet, alternativ, zärtlich...)
ist Grund für unsere Fetzerei gegenwärtig, sondern der
auch hier schon wieder = immer noch praktizierte Ausgrenzungsmechanismus,
wo jeder einzelne Ansatz (meistens der, der neu ist) zum DOGMA erhoben
wird. Die "Beurteilung" (oft genug Verurteilung) einzelner
Genossen verläuft. Dann nur noch über das beliebte (Bullen-)
Schema: Freund oder Feind.
4.
Wir problematisieren ja derzeit nicht nur die Strukturen bewaffnet
kämpfender Gruppen - soweit wir davon überhaupt erfahren
- wie das angebliche oder tatsächliche Funktionalisieren, Unter-
Leistungsdruck- Setzen, Verheizen von Genossen), sondern es wird
diskutiert, daß Widerstand in bewaffneter Form in kleinen,
in sich abgeschlossenen Gruppen notwendig, aus einer quasi inneren
Logik heraus, solche Strukturen produzieren müssen. "Das
war doch tatsächlich so, kuck dir doch die RAF, den 2. Juni,
heutzutage die RZ usw. an"; auch in der Fortsetzung: das war
doch schon immer so, deshalb wird's auch immer so sein.
Mal abgesehen davon, daß ich von diesen Gruppen nur sehr
wenig weiß, hab ich keine Lust, diese Geschichtsbeschwörung
mitzumachen. Es ist schlicht reaktionär, Geschichte dafür
zu verwenden, daß -traditionelle- Erfahrungen und Tatsachen
dafür herhalten sollen, daß die Zukunft anderer Möglichkeiten
beraubt wird.
Ich hab aber wirklich die Nase und alles davon voll, daß
die derzeitige Diskussion um die Militanz sich immer nur an der
Stadtguerilla aufhängt, die für sich - so scheint mir
nach Lektüre vom "Rev. Zorn" III - in übler
Arroganz für sich behauptet, daß nur sie die "wahren"
Kämpfer seien. An diesem Punkt wird die RZ oder die vielen
für mich uninteressant (spätestens hier).
Für mich ist eigentlich viel bedeutender, daß ich mir
und uns nicht das gesamte Spektrum von Aktions- und Lebensformen
beschneiden lassen will, auch nicht durch meine eigene Problematisierung
des Schrotts, den teilweise bewaffnete Gruppen produzieren. Der
Kampf um die "richtige Linie" wird nun mal nicht nur in
der ML oder anderen K- Gruppen geführt. Zum kotzen find ich
aber jene Spontis, die mit dem ML- Vorwurf sich zu quasi Richtern
machen über andre Genossen und just selber, in genau dieser
Auseinandersetzung eben jene Mechanismen von Ausgrenzung, Abgrenzung,
Unterstellung, auf (klare?) Raster- draufschieben praktizieren:
nicht zuhören, solI dem abhören! Nicht miteinander reden,
sondern über den/die anderen reden)!
Viele von uns stecken wohl drin in dem Dilemma von Leiden an der
Zerrissenheit "unsrer" Szene und dem leiden- schaf(f)t-
lichen Bedürfnis, uns nicht mit irgendwelchen Normen, Vereinheitlichungstendenzen
unterzuordnen. GEMEINSAM SIND WIIR STARK - wer wagt das heute noch
zu sagen? Ich weiß auch nicht mehr so genau, wo unsere Gemeinsamkeit
liegt.
Vielleicht darin, daß wir - wie qualvoll auch immer - danach
suchen, Politik in erster Person zu erleben: gemeinsam leben-
lieben- kämpfen.
Oft hab ich aber das Gefühl, daß die individuellen Vorstellungen
und Versuche für eine menschliche Gesellschaft zu kämpfen,
nicht für alle gleich verbindlich machen zu wollen ("richtige
Linie") und die Widersprüche, die ich/ wir möglicherweise
zu anderen Ansätzen habe(n), auszuhalten sind, wenn's geht,
die positiv erscheinenden Momente aufzunehmen. Diese Überlegung
schließt die oft so diffamierten Kräuetrfreaks wie bewaffnet
Kämpfenden ein. Eine Lösung des Widerspruchs seh' ich
nicht. Ich glaub' warscheinlich, daß wir's verdammt nötig
haben zu lernen: Widersprüche zu ertragen, zu leben sie stecken
in uns, sind Teil von uns selbst.
Pazifismus und Militanz: ich kann's und will's nicht trennen.
(eine Genossin)
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